
„Es ist sehr schwierig, bei Historienfilmen zu kirchengeschichtlichen Themen eine wahrheitsgetreue Darstellung zu finden. Dennoch gab es in der Vergangenheit einige interessante Ergebnisse, und in der Mehrzahl der Fälle bestand zumindest nicht die Absicht, das Ansehen der Kirche zu schädigen. Heute fehlt es nicht nur an seriösen Produktionen. Es traut sich vielmehr kaum mehr jemand, religiöse Werke zu schaffen, die einen positiven Einfluß auf die Seelen haben. Im Gegenteil, wenn katholische Themen behandelt werden, dann meist, um die Kirche zu verachten und zu verhöhnen, um zu manipulieren, zu instrumentalisieren und ihr zu schaden“, schreibt die Historikerin Cristina Siccardi und meint damit den jüngsten Film „Kidnapped“ des Regisseurs Marco Bellocchio, ein Produkt, das zweifellos dazu dient, die Heilige Römische Kirche zu diskreditieren. In unserer Zeit kommt es aber vor, daß wir offizielle Kirchenstimmen lesen und hören, die sich sogar an der Verleumdung und dem schlechten Image erfreuen, das der Öffentlichkeit präsentiert und mit dem die Kirche der Lächerlichkeit preisgegeben wird, indem sie Thesen unterstützen, die die Braut Christi auf Erden diskreditieren und schädigen.
Die eigene Vergangenheit anzuklagen – wohlgemerkt nur die Vergangenheit, ohne jegliche Selbstkritik an der tiefgreifenden und vernichtenden Krise, in der sich die heutige Kirche befindet – scheint in den vergangenen Jahrzehnten sehr in Mode gekommen zu sein, so sehr, daß sogar der Chefredakteur des Osservatore Romano, Andrea Monda, in diesem Sinne den Artikel „Das Drama der Freiheit und die Ungerechtigkeit der Welt“ vom 30. Mai 2023 veröffentlichte und selbst unterzeichnete.
Aus historischer Sicht ist Bellocchios Film offensichtlich vergiftet und irreführend, und der Film lädt zu einer eindeutig antikatholischen Lesart ein. Grund dafür ist eine verzerrte Darstellung, indem ein entscheidender Teil der Wahrheit unterschlagen wird.
Der Fall Edgardo Mortara erregte im Italien des Risorgimento [1848–1870] großes Aufsehen, als die Kirche von den Liberalen und den Freimaurern so heftig verfolgt wurde, daß diese ihr Eigentum und ihre Territorien plünderten und Aggressionen, Brutalität, verbale und physische Gewalt gegen den Klerus und die Prälaten ausübten, indem sie sie inhaftierten, verbannten und ermordeten, und es gibt ganze Bibliotheken zu diesem Thema, die das politische Narrativ einer progressiven Mentalität widerlegen, die dazu neigt, die Kirche zu verhöhnen, indem sie sie verabscheut und besudelt. Zudem ist daran zu erinnern, daß der Begriff der Bekehrung verschwunden ist und der Dialog mit den „Fernstehenden“ viele „Gläubige“ säkularisiert hat.
Sowohl Andrea Monda als auch der Avvenire (30. Mai 2023, die Tageszeitung der italienischen Bischöfe) beurteilen Bellocchios Arbeit sehr positiv. Der Grund dafür ist leicht zu verstehen: Die Säkularisierung hat Rom durchdrungen, und deshalb ist es nicht das liberale und relativistische Denken („Diktatur des Relativismus“ nannte es Benedikt XVI. vor einigen Jahren), das diskreditiert werden soll, sondern die Kirche, jene vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Andrea Tornielli, Hauptchefredakteur aller Vatikan-Medien, schreibt in seiner „historischen“ Analyse im Avvenire, klar und unmißverständlich, daß sich die Sichtweise nach dem Konzil erheblich verändert hat:
„Die Gläubigen leben denselben Glauben mit einem anderen Gewissen. (…) Heute könnte sich ein Fall Mortara nicht mehr wiederholen, denn obwohl die Taufe und der Glaube an die ontologische Verwandlung, die das Sakrament im Getauften bewirkt, grundlegend bleiben, hat die vom Zweiten Vatikanischen Konzil sanktionierte Religionsfreiheit dazu beigetragen, die Perspektive zu ändern.“
Aber kann der Glauben ein anderes Gewissen hervorrufen? Das würde automatisch bedeuten, an etwas anderes zu glauben und nicht an die von Christus geoffenbarte Wahrheit, den einzigen Weg, die Wahrheit und das Leben, das zu echter Freiheit führt.

Der Fall Mortara, der durch den Film, der bei den Filmfestspielen in Cannes lief, ans Licht gebracht wird, ist eine Gelegenheit, diese spezifische Geschichte, die sich im 19. Jahrhundert ereignete, näher zu betrachten, aber auch das Dokument Nostra Aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils zu lesen oder erneut zu lesen, um zu erkennen, daß die Religionsfreiheit im Gegensatz zur gesunden religiösen Toleranz nichts anderes tut, als die Gläubigen aus den Kirchen zu vertreiben und viele Seelen davon abzuhalten, dem Ruf zum Priester- und Ordensleben zu folgen, während dies für jene Kleriker und Gläubigen nicht der Fall ist, die weiterhin die Tradition der Kirche leben und die revolutionären Instanzen der Welt vor der Tür lassen, denn „Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, würden meine Diener kämpfen, daß ich den Juden nicht ausgeliefert werde; aber mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36). Der Publizist Luca Del Pozzo schreibt im Monatsmagazin Tempi (26. Mai 2023):
„Gegenüber dem Corriere della Sera sagte der Regisseur Marco Bellocchio, daß er ‚nie daran gedacht habe, einen Film gegen die Kirche zu machen‘, nein, er sei vielmehr ‚von dieser Geschichte, von der Blindheit der Religion, fasziniert‘ gewesen. Kurz gesagt, wenn sich in der nicht allzu fernen Vergangenheit die Haltung von gewissen radikalen, schicken Intelligenzlern – jene, um uns zu verstehen, die nicht rüpelhaft Atheisten sind, für die es als Pendant im kirchlichen Bereich die Figur des ‚mündigen‘ Katholiken, wenn nicht gar die oxymoronische des katholisch-kommunistischen Tout court gab – in dem Motto ‚Ich glaube an Gott, nicht an die Kirche‘ (mit der Variante ‚Christus ja, Kirche nein‘) zusammenfassen ließ, sind wir jetzt zu einem angeblich wohlwollenderen ‚Ich bin nicht gegen die Kirche, sondern gegen die Religion, wenn sie blind ist‘ übergegangen.“
Der Philosoph Hegel vertrat diese unglaubliche Täuschung: „Wenn die Tatsachen die Ideen widerlegen, um so schlimmer für die Tatsachen“, und leider würgt die heutige Zeit ungesunde und verlogene Ideen hervor, während der gesunde Realismus verbannt und schikaniert wird. So hat die relativistische Denkweise unter diesen Umständen zuverlässige Quellen verbannt und übelwollenden Interpretationen Glaubwürdigkeit verschafft.
Die Autobiographie

Dabei bräuchte es so wenig, um die Angelegenheit zu verstehen… Eine entscheidende Quelle ist die Autobiographie von Edgardo Mortara, die er 1888, im Alter von 37 Jahren, während seines Apostolats auf der iberischen Halbinsel in spanischer Sprache verfaßte und die im römischen Archiv des Ordens der Augustiner-Chorherren des Allerheiligsten Erlösers vom Lateran aufbewahrt wird, in den Don Pio Maria Mortara aus freien Stücken und mit Entschiedenheit eintreten wollte. Seine Memoiren wurden ins Italienische übersetzt und 2005 in einem von Vittorio Messori herausgegebenen Buch veröffentlicht („Io, il bambino ebreo rapito da Pio IX“, „Ich, das jüdische Kind, das von Pius IX. entführt wurde“, erschienen im Verlag Mondadori; inzwischen ist bei Ignatius Press in den USA auch eine englische Ausgabe erschienen), das die schwarze Legende pulverisiert und einen Blick von leuchtender Wahrhaftigkeit auf die Gründe des Glaubens und die komplexe Affäre bietet, aus privater, öffentlicher und juristischer Sicht, die von Edgardo als der Wille Gottes und die Gnade der göttlichen Vorsehung betrachtet wurden.
In seinem ersten Lebensjahr – er wurde am 11. August 1851 geboren – beschloß Anna Morisi, das katholische Kindermädchen der gutsituierten jüdischen Kaufmannsfamilie Mortara, da sie aufgrund einer schweren Erkrankung um das Leben von Edgardo fürchtete, der von den Ärzten bereits aufgegeben worden war, das Kind in articulo mortis (im Angesicht des Todes) zu taufen – ohne Wissen seiner Eltern. Das Kind überlebte und erholte sich. Ende 1857 erfuhr der Inquisitor von Bologna, der Dominikanerpater Pier Feletti, von dieser Geschichte und leitete eine Untersuchung ein. Eine Kindertaufe ohne Wissen der Eltern war zu allen Zeiten unerlaubt, doch bestand im konkreten Fall Lebensgefahr. Nach eingehender Prüfung wurde die Gültigkeit der Taufe festgestellt und somit, daß Edgardo durch die Taufe unwiderruflich katholisch geworden war. Die Gesetze des Kirchenstaates untersagten es aber Menschen anderer Religionen, Katholiken in der Obhut zu haben. Zur verwickelten Angelegenheit war es gekommen, weil die Eltern mit der Anstellung einer Katholikin als Hausmädchen gegen geltendes Recht verstoßen hatten. Das Gesetz untersagte jüdischen Haushalten christliches Hausgesinde, was auch dem Schutz der jüdischen Gemeinschaft diente, wie der Fall zeigte.
Pius IX., der sich persönlich der Sache annahm, bemühte sich über seine Gesandten, den Eltern zu erklären, daß es, da das Kind getauft ist, die Pflicht der Kirche sei, dem Kind eine christliche Erziehung sicherzustellen. Er selbst werde für die Kosten aufkommen, daß Edgardo bis zu seiner Volljährigkeit in einer kirchlichen Einrichtung in seiner Heimatstadt Bologna erzogen wird, wo ihn seine Eltern jederzeit nach Belieben besuchen könnten. Alle Vermittlungsversuche wurden von der Familie jedoch abgelehnt. Vielmehr wurde der Fall zum großen Medienereignis. Im Namen des „Schutzes der jüdischen Gemeinschaft“, in Wirklichkeit um die Kirche anzugreifen, beteiligten sich Kirchenfeinde aller Couleur, allen voran die Freimaurer und die Briten, die das italienische Risorgimento unterstützten, das unter anderem die Zerschlagung des Kirchenstaates zum Ziel hatte. Die Bedeutung des Taufsakraments, die Pius IX. bewußt war und der Antrieb seines Handelns war, wurde von den Kirchenfeinden und auch den liberalen Katholiken nicht anerkannt.
Nachdem alle Bemühungen gescheitert waren, teilte Pater Feletti der Familie schießlich mit, daß aufgrund der geltenden Gesetze nichts anderes übrigbleibe, als ihr das Kind wegzunehmen. Dabei handelte es sich nicht um eine „Entführung“, wie der Filmtitel suggeriert, sondern um einen – für die Eltern nicht weniger tragischen – staatlichen Kindesentzug. Das Datum desselben wurde den Eltern ausdrücklich vorher angekündigt. Bellocchios dramatische Inszenierung als überfallsartige Entführung ist frei erfunden. Falsch waren schon zeitgenössische, für Propagandazwecke entstandene Bilder, die Geistliche als „Täter“ zeigten.

Das Kind wurde den Eltern am 24. Juni 1858 von Polizisten weggenommen, nun nach Rom gebracht und unter den persönlichen Schutz des seligen Pius IX. gestellt. Edgardo sollte in diesem Papst zeitlebens seinen Adoptivvater sehen.
Da der Kirchenstaat ein Rechtsstaat war, konnte gegen den Inquisitor Pater Feletti wegen des Kindesentzugs sogar ein Strafverfahren angestrebt werden, in dem ihm drei Jahre Haft drohten, er aber nach einem langwierigen Prozeß schließlich freigesprochen wurde.
Der Widerstand des Jungen
Als die Eltern kurz darauf nach Rom kamen und ihren Sohn einen Monat lang fast täglich besuchten, um ihn zur Rückkehr zu bewegen, lehnte Edgardo dies entschieden ab. Er schrieb später selbst darüber:
„Acht Tage später kamen meine Eltern in die Einrichtung der Katechumenen, um die komplexen Prozeduren in die Wege zu leiten, mich zurück in die Familie zu holen. Da sie völlige Freiheit besaßen, mich zu sehen und mit mir zu sprechen, blieben sie einen Monat lang in Rom und kamen mich jeden Tag besuchen. Es ist nicht nötig, zu erwähnen, daß sie mit allen Mitteln versuchten, mich zurückzubekommen – Umarmungen, Tränen, Bitten und Versprechen. Trotz all dem zeigte ich nie den geringsten Wunsch, zu meiner Familie zurückzukehren, eine Tatsache, die ich selbst nicht verstehe, außer wenn ich auf die Macht der übernatürlichen Gnade schaue.“
Anfang August 1858, nur anderthalb Monate nachdem Edgardo nach Rom gebracht worden war, schrieb Sabatino Scazzocchio, der Sekretär der römischen Kehillah, der jüdischen Gemeinde in der Ewigen Stadt, an die Eltern, daß die allererste Hürde, ihren Sohn zurückzubekommen, dieser selbst sei, da er großen Widerstand gegen die Rückkehr zum Judentum zeige. Rabbi Scazzocchio wurde nach der Eroberung Roms durch die Truppen Piemonts ein hoher Beamter der neuen Stadtverwaltung.
Edgardo wuchs im Haus der Katechumenen auf, einer Einrichtung, die für Juden bestand, die zur Kirche konvertierten. Er schrieb seinen Eltern zahlreiche Briefe, in denen er sie vom christlichen Glauben überzeugen wollte, doch sie antworteten nicht.

Entführungspläne und Flucht
Sir Moses Montefiori, Philantrop und Sheriff von London, intervenierte ebenso zugunsten der Familie Mortara wie die Familie Rothschild. Der Fall Mortara führte 1860 zur Gründung der ersten internationalen jüdischen Selbstschutzorganisation, der Alliance Israélite Universelle (Jüdischer Weltbund), die eine große Summe für den aussetzte, der den Jungen aus den „Fängen der Kirche“ (so Die Welt 1999) befreien würde. Der englische Jude Carl Blumenthal, der in den Reihen von Garibaldis Freischärlern kämpfte, schmiedete darauf den von Garibaldi gebilligten Plan, Edgardo zu „befreien“, indem er und drei Gefährten sich als Priester verkleiden und so in das Haus der Katechumenen eindringen wollten. Der Tod eines der Verschwörer machte den Plan aber zunichte.
Erst als Edgardo 1867 in den Chorherrenorden eintrat und nach seinem päpstlichen Adoptivvater den Ordensnamen Pio Maria annahm, kam es wieder zu einem Briefkontakt mit den Eltern. Sein Vater, Salomone Mortara, genannt Momolo, bekam mit der Justiz des neuen Italiens Probleme. Wegen des Todes einer Hausangestellten wurde er zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.
Als Rom 1870 von den piemontesischen Truppen besetzt wurde – Edgardos Bruder kämpfte dabei als Offizier auf der Seite Piemonts und Garibaldis – versuchte die Familie Mortara, nun, da der Kirchenstaat zerschlagen war, erneut ihren Sohn zurückzubekommen. Der vom neuen Staat eingesetzte Polizeichef von Rom Luigi Berti (er wurde später erster Polizeichef des geeinten Italiens) präsentierte sich im Kloster, um Mortara vom „Joch der Kirche zu befreien“, und forderte den jungen Ordensmann auf, das Kloster zu verlassen, was dieser wie schon bei allen vorherigen Versuchen ablehnte. Berti erteilte ihm darauf den „Befehl“ zu seiner Familie zurückzukehren. Die Polizei überwachte daher den Ordensmann und positionierte Wachen vor dem Konvent, um seine Flucht zu verhindern. Wegen der kritischen politischen Lage, in der auch mit einem Gewaltakt der neuen Machthaber gegen das Kloster gerechnet werden mußte, weil der Fall von diesen so intensiv ausgeschlachtet worden war, verließ der Seminarist am 22. Oktober 1870, in Zivilkleidung, heimlich Rom und begab sich über die Grenze nach Österreich-Ungarn in das Augustiner-Chorherrenkloster Neustift bei Brixen in Tirol in Sicherheit. Über seine Flucht schrieb er:
„Als wir am Bahnhof in Foligno ankamen, stiegen wir aus, um uns im Restaurant zu stärken. Einige junge Männer saßen uns gegenüber, und aus den roten Bändern, die sie trugen, schloß ich, daß sie zur Garibaldi-Fraktion gehörten. Sie sprachen miteinander über die vor kurzem erfolgte Flucht des jungen Mortara, die wie üblich den Jesuiten zugeschrieben wurde. Um die Wahrheit zu sagen, ich zitterte wie Espenlaub. Mein Begleiter allerdings sprach mit ihnen so geschickt, ohne die Fassung zu verlieren, daß sie das Gesprächsthema wechselten und nicht weiter an den Entflohenen dachten.“
Und weiter:
„In der Zwischenzeit schürte die liberale Presse Wut gegen den Klerus und vor allem gegen die Jesuiten, die beschuldigt wurden, mich mit ihrem papalistischen Fanatismus beeinflußt und die Flucht bewirkt zu haben.“
Ein bedeutender Prediger und Förderer des Marienheiligtums Lourdes
Pio Maria Mortara verfaßte in Neustift eine Widerrede, die in der katholischen belgischen Zeitung Journal de Bruxelles abgedruckt wurde. Das beruhigte die Kirchenfeinde zwar nicht, verschaffte ihm aber Ruhe, da er nun in Brüssel vermutet wurde, während er am diözesanen Priesterseminar in Brixen sein Theologiestudium fortsetzte. Am 31. Dezember 1871 legte er in der Abtei Neustift die ewigen Ordensgelübde ab.
Kurz darauf empfahl ihm Pius IX., der stets Kontakt mit seinem Schützling hielt, wegen der Klosteraufhebungen in Italien nach Frankreich zu Msgr. Louis-Édouard Pie, dem Bischof von Poitiers, zu gehen. Dort wurde ein Kloster errichtet, um aus Italien vertriebene Augustiner-Chorherren aufzunehmen. Msgr. Pie wurde später von Papst Leo XIII. zum Kardinal erhoben. Mit päpstlicher Dispens konnte Mortara aufgrund seiner Reife Ende 1872 im Alter von noch nicht einmal einundzwanzigeinhalb Jahren zum Priester geweiht werden. Da sehr sprachbegabt, erlernte er Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch, beherrschte fließend Latein und konnte problemlos griechische und hebräische Texte lesen und verstehen. Er wurde zu einem sehr begehrten Prediger, der stark zur Verbreitung der Marienverehrung von Lourdes beitrug, da diese Marienerscheinungen mit seinem Eintritt in die Kirche zusammenfielen, und bemühte sich intensiv um die Bekehrung der Juden.
Pater Pio Maria Mortara starb am 11. März 1940, trotz seiner stets etwas kränkelnden Gesundheit, hochbetagt im Alter von neunzig Jahren im belgischen Augustiner-Chorherrenkloster Bouhay bei Lüttich nach einem Leben des Apostolats, der Mission, der Buße und des Gebets im Ruf der Heiligkeit.
„Meine Dankbarkeit für Pius IX. kennt keine Grenzen“
Der gesamte Film von Bellocchio lädt den Zuschauer aufgrund einer akzentuiert einseitigen Darstellung hingegen dazu ein, Haß gegen kirchliche Entscheidungen zu empfinden, was der Hauptaussage des Betroffenen Hohn spottet: „Es war meine freie Entscheidung“. Das Problem ist, daß einige Journalisten und Intellektuelle, die sich als religiös bezeichnen, diese irreführenden Interpretationen unterstützen, während z. B. die Famiglia Cristiana (Italiens auflagenstärkste Wochenzeitschrift) 1979 noch mit objektivem Blick ganz andere Dinge über den Fall Mortara schrieb.
In der Autobiographie von Pater Mortara heißt es:
„In der Zwischenzeit wurde in den Medien in Europa, und man könnte sagen, in der ganzen Welt, ein großes Geschrei erhoben über die Entführung des Knaben Mortara, die so berühmt wurde wie der ‚Raub der Sabinerinnen‘. In kleinen Gruppen, in Dörfern und Kaffehäusern redete niemand über etwas anderes, und schließlich kam im Théâtre Royal von Paris eine Tragödie auf die Bühne mit dem Titel ‚Le petit Mortara‘ [‚Der kleine Mortara‘]. Die jüdische Gemeinde von Alessandria im Piemont wandte sich an alle Synagogen der Welt und organisierte eine regelrechte Kampagne gegen den Papst und die Kirche […], indem sie die Mächte anrief und sie bat, zu intervenieren und diplomatisch zu protestieren. Tatsächlich wurden Proteste geschickt; kurzum, fast sechs Monate lang dauerte diese heftige Polemik […], in der sich alle Feinde des Papsttums und der römischen Kirche zusammenfanden. […] Die väterliche Fürsorge des Heiligen Vaters wurde anläßlich der politischen Umwälzungen von 1870 besonders deutlich. […] Der Segen Pius‘ IX. begleitete mich überall. Vor allem verschaffte er mir die Kraft …, den Aufforderungen und Drohungen der liberalen Behörden nicht nachzugeben, die mich zwingen wollten […], zu meiner Familie zurückzukehren. […]. Die väterliche Zuneigung von Pius IX. zu mir war bis zu seinem Tod ungebrochen. Nach der Aufhebung der Ordenshäuser empfahl er mich dem heiligen Bischof von Poitiers, Msgr. Pie. […]. Am glücklichen Tag meiner Primiz beehrte er mich mit einem von ihm unterzeichneten Brief […] Ich habe Pius IX. nie wieder gesehen. Seit 1878 bin ich wiederholt, wenn ich in die ewige Stadt zurückkehrte, zum Campo Verano gegangen und habe mich tief bewegt am Grab meines erhabenen Vaters und Beschützers niedergeworfen, gegenüber dem meine Dankbarkeit keine Grenzen kennt und den ich immer für einen weisen und heiligen Pontifex halten werde. Auf seinem Epitaph lädt er die Gläubigen ein, für ihn zu beten: Orate pro eo [‚Betet für ihn‘]. Ich gestehe, daß ich, so oft ich diese Worte las, in meinem Herzen sagte: Sancte Pie, ora pro me“ [‚Heiliger Pius, bete für mich‘].
Wie es in Rom nach dem Tod von Pius IX. zuging, schildert der Historiker Roberto de Mattei in seinem Werk „Das Geheimnis der römischen Trilogie“. Pater Mortara war überzeugt, daß sein Adoptivvater ein Heiliger war und einst auf die Altäre erhoben würde:
„Ich ersehne die Selig- und Heiligsprechung des Dieners Gottes sehr.“
Im offenen Widerspruch dazu stehen die massiven Interventionen von Angehörigen der Familie Mortara, jüdischer Organisationen und der üblichen Kirchenfeinde, die Seligsprechung von Pius IX. durch Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 zu verhindern. Sollte die Heiligsprechung anstehen, so kündigte eine Großnichte des Augustiner-Chorherren an, werde sie erneut protestieren.
Die Beziehungen zu seiner Familie, die zunächst stürmisch waren, normalisierten sich: Er mochte seine Verwandten und ließ keine Gelegenheit aus, dies durch Briefe und gute Wünsche zu zeigen. Vor allem betete er schon mit sieben Jahren intensiv dafür, daß auch sie Christus erkennen würden. In seinen Memoiren schrieb er, daß er „für [seine Eltern] immer eine sehr kindliche, sehr zärtliche Zuneigung bewahren wird“.

Der Fall Mortara war zu einem internationalen Medienereignis geworden. Die antikirchlich gesinnten neuen Machthaber in Italien nahmen sich mit inbrünstiger Empörung der Sache an und erzeugten in ganz Europa eine kirchenfeindliche Kampagne, die von gleichgesinnten Kräften bereitwillig aufgegriffen und unterstützt wurde. Der Fall wurde zu einem Symbol für die jüdische Welt, wie die Journalistin Mariagrazia Cucco in dem bereits erwähnten Artikel in der Famiglia Cristiana treffend feststellt, sodaß er „für Italien das Äquivalent zum Fall Dreyfus in Frankreich“ wurde.
Dazu schrieb der Publizist Rino Cammilleri:
„Zur Zeit von Pius IX. entzogen die Staaten jeder Familie männliche Kinder für den dreijährigen Militärdienst oder um sie in den Krieg zu schicken. Cavour verbündete sich auf der Krim mit den Türken, die jahrhundertlang die Söhne der christlichen Familien unter ihrer Herrschaft entführten und im Islam zu Janitscharen erzogen. Um den polnischen Separatismus einzudämmen, brachten die Russen die jungen Katholiken in orthodoxen Internaten unter. Die Briten brachten die Waisenkinder ihrer irischen (katholischen) Soldaten in anglikanischen Internaten unter; sie brachten die Kinder des Dichters Shelley (weil ‚ein Atheist und von skandalösem Lebenswandel‘) in anglikanische Internate. Die Schweden tauften die Ungetauften zwangsweise zum Luthertum. In den USA war es üblich, die Kinder von schwarzen Sklaven zu verkaufen. Doch sie alle haben heftig gegen den ‚Fall Mortara‘ protestiert.“
„Bücher über Bücher wurden geschrieben, um diese ‚infame Gewalt‘ von Pius IX. zu mißbilligen“, so Cammilleri.
Seltsam, aber nicht zu seltsam, daß die zahlreichen schwerwiegenden Fälle der Kirchenverfolgung von der Filmindustrie unberücksichtigt bleiben: von den Gräueltaten der englischen Regierung an Katholiken bis zum Völkermord an den Bewohnern der Vendée, von den liberal-freimaurerischen Verfolgungen bis zu den Grausamkeiten, Folterungen, Massakern durch die Sowjetunion usw. usf. Von einer positiven Darstellung der Kirche aufgrund ihrer Leistungen ganz zu schweigen.
Kurz gesagt, „Kidnapped“ ist ein Film der antichristlichen Propaganda und des antiklerikalen Hasses, indem die ganze Wahrheit vorenthalten wird. Er ist weit entfernt von einem Film wie Cristiada des Regisseurs Dean Wright aus dem Jahr 2011, einem seltenen historisch wahrheitsgetreuen und zuverlässigen Film, der jedoch von säkularistischen Kritikern verrissen und dessen Verbreitung und Ausstrahlung von einflußreichen Kreisen behindert wurde.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Corrispondenza Romana/Archivio San Pietro in Vincoli/Google maps/Informazione cattolica (Screenshots)
Vielen Dank für diese großartige Darstellung! Sehr wertvoll ist das Zitat von Rino Cammilleri, das die Proportionen zurechtrückt.
Vom Gesagten her wird man sich kirchlicherseits um eine Seligsprechung von Pio Maria Mortara bemühen müssen. Gleichzeitig wäre eine Seligsprechung von Eugenio Zolli anzustreben https://katholisches.info/2014/10/28/das-unbehagen-mit-selig-und-heiligsprechungen-und-deren-unterlassung-3-teil1/ Das würde der (längst schon eingeschlafenen) Mission unter den Juden, immerhin die ersten Adressaten des Evangeliums, neuen Schub geben.
Weil auch Kardinal Louis-Edouard Pie im Artikel erwähnt wurde: Auch dieser hätte sich eine Seligsprechung verdient. Professor Fiedrowicz übersetzte etliche seiner Hirtenschreiben ins Deutsche, sie sind sehr lesenswert: https://katholisches.info/2015/12/18/noch-einmal-kardinal-pie-von-poitiers-botschaft-an-hierarchie-und-laien/
Ich würde gerne die Memoiren lesen. Wo kann ich die spanische Originalversion erwerben?
Sry, dass ich mich nochmals melde… Ich möchte nur zu gerne die Autobiographie des guten Paters lesen. Wie lautet der Originaltitel? Gibt es das als PDF irgendwo im Netz? Gerne auf Spanisch.
Es gibt die italienische Originalausgabe von Vittorio Messori:
Io, il bambino ebreo rapito da Pio IX. Il memoriale inedito del protagonista del caso Mortara, Mondadori, 2005, ISBN 88–04-54531–3,
und die englische Übersetzung:
Kidnapped by the Vatican?: The Unpublished Memoirs of Edgardo Mortara, Ignatius Press, 2017, ISBN 978–1621641988.
Eine spanische Ausgabe ist mir leider noch nicht bekannt.
Ja, ich bin mit solchen und schlimmeren Filmen aufgwachsen, welche meinen Geist tief vergifteten.
Doch durch die Gande Gottes konnte ich die katholische Kirche niemals hassen, und empfand immer eine gewisse Faszination ihr gegenüber, wenn auch, durch die gnadenlose Prpaganda, eine diffuse Angst.
Da ich protestantisch aufgewachsen bin, kümmerte ich mich um diese Ressentiments nicht übermäßig, weil sie mich nichts angingen.
Jedoch, je mehr ich über Luther und seine Kirchengemeinschaft herausfand, desto mehr wuchs meine Angst auch gegenüber ihm und seiner/meiner Kirchengemeinschaft!
Ich geriet in tiefe Verzweiflung, als ich merkte, dass alle Ideale der protestantischen Kirche ins Leere führten, und letzten Endes das Gegenteil von dem bewirkten, was sie vorgaben.
Als ich, durch die Gande des Dreieinigen Gottes, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist nicht selbstgemordet, einem unbestimmten Drang folgend, mich vor den Fernseher setzte, um mich abzulenken kam nun dieser Film: Under the Roman Sky, mit James Cromwell, von Papst Benedikt gefördert! (2010)
https://www.youtube.com/watch?v=or26qniSPDU
Dieser Film sagte einmal die Wahrheit über die vorkonziliare Kirche bzw. Papst Pius XII.
U.a. in Folge dieses Films konvertierte ich 2015 zur einzig wahren, römisch katholischen Kirche!
Kaufen Sie ihn, und verbreiten Sie ihn, es lohnt sich!
Dieser Film hatte die Macht, sämtliches Freimaurer/Protestantengift in mir aus zu neutralisieren, und schließlich resistent dagegen zu werden!
Danke für den Film-Tipp!
Da man, wenn man nach dem eigentlichen Film sucht (verlinkt ist oben der Trailer), unter dem Titel nur die englischsprachige (und Englisch und Spanisch untertitelte) DVD findet, die zudem nur mit NTSC funktioniert und den einschränkenden Regionalcode 1 (USA/Kanada) hat, hier die gute Nachricht: Es gibt den Film auch deutschsprachig und die DVD in PAL und mit Regionalcode 2 (Europa).
Auf deutsch heißt der FilM: Pius XII. – Ein Papst in Zeiten des Krieges
Infos zum Film:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pius_XII._(Film)
https://www.kino.de/serie/pius-xii-2010/
Bezugsquellen:
https://www.booklooker.de/Filme/Angebote/titel=Pius+XII.+-+Ein+Papst+in+Zeiten+des+Krieges
https://www.amazon.de/Pius-XII-Papst-Zeiten-Krieges/dp/B004W5MN0E
https://www.rebuy.de/i,2035336/dvd/pius-xii-ein-papst-in-zeiten-des-krieges
Bei Falkmedien aktuell nicht gelistet, für alles andere selbstredend erst einmal dort schauen:
https://falkmedien.de/