(Rom) Das Blut des heiligen Januarius hat sich auch gestern wieder verflüssigt. Das sogenannte „Maiwunder“ ereignete sich um 17:00 Uhr, als der seit 2020 amtierende Erzbischof von Neapel, Domenico „Mimmo“ Battaglia, dies kurz nach der Öffnung des Reliquienschreins, der die Blutreliquie von San Gennaro, dem Schutzpatron Neapels umschließt, feststellte und verkündete.
Das Wunder der Verflüssigung der Blutreliquie des Heiligen findet dreimal im Jahr statt: am 19. September, dem Dies natalis des Märtyrers, der 305 n. Chr. unter Kaiser Diokletian enthauptet wurde; am 16. Dezember, dem Jahrestag des schrecklichen Vulkanausbruchs des Vesuvs im Jahr 1631, der durch die Fürsprache des Heiligen gestoppt wurde; schließlich am ersten Sonntag im Mai, dem Jahrestag, als die sterblichen Überreste des Heiligen von Pozzuoli in die Katakomben von Capodimonte übergeführt wurden.
Die drei Momente im Jahr, in denen geprüft wird, ob sich das Blut des Heiligen verflüssigt hat, sind von besonderer Bedeutung für die Hauptstadt Süditaliens und mit einer Reihe von Bräuchen, Ritualen und Festlichkeiten verbunden. Die Reliquie selbst wird in der sogenannten Schatzkapelle aufbewahrt, die an das rechte Seitenschiff der Kathedrale angrenzt. Diese wurde von der Stadt Neapel erbaut und untersteht nicht der Kirche. Um genau zu sein, wird sie von einem aus dem 17. Jahrhundert stammenden Gremium verwaltet. Ihre Errichtung erfolgte zum Dank für die Verschonung vor dem Vulkanausbruch vor bald 400 Jahren.
Der heilige Januarius stammte, so die jüngere Annahme, aus Nordafrika, aus der Gegend des heutigen Tunesien oder Algerien. Das Gebiet war damals ein fester Bestandteil des Römischen Reiches wie der nördliche Mittelmeerraum. Januarius gehörte wahrscheinlich einer führenden römischen Familie der fünf Provinzen umfassenden Diözese Africa an, die zur Präfektur Italia des Römischen Reiches zählte. Gesichert ist diese Herkunft aber nicht, da es ältere Traditionen gibt, die Benevent oder sogar Neapel als seinen Geburtsort nennen. Die ältesten Überlieferungen, so das Martyrologium Hieronymianum um 400 und das Martyrologium Romanum, nennen keinen Geburtsort.
Aufgrund der ältesten bekannten Darstellung des Heiligen, einem Fresko in den nach ihm benannten Katakomben von Neapel, wird sogar vermutet, er könnte dunkelhäutig gewesen sein. Gesicherter scheint, aufgrund von Knochenuntersuchungen, daß er wahrscheinlich 1,90 Meter groß war, was die damals wesentlich kleinere Bevölkerung Süditaliens beeindruckt haben dürfte.
Sein Vorname ist nicht überliefert. Januarius (der heutige in Süditalien häufige Personennamen Gennaro) ist der Name der römischen Gens, welcher der Heilige angehörte.
Januarius war, anders als man es vermuten könnte, nie Bischof von Neapel (Nea Polis, sinngemäß Neustadt), dessen Gründung auf griechische Siedler im späten 8. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht. Er war der erste Bischof der etwas landeinwärts liegenden Stadt Benevent.
Als im Zuge der Christenverfolgung ein Diakon verhaftet wurde, besuchte ihn Januarius im Gefängnis. Das brachte ihm selbst die Gefangennahme ein. Er wurde nach Pozzuoli gebracht, dem bedeutendsten Hafen der römischen Kriegsmarine. Zwei Hinrichtungsversuche scheiterten. Das Feuer konnte ihm nichts anhaben und die wilden Tiere, denen er im heute noch erhaltenen Amphitheater von Pozzuoli vorgeworfen wurde, wichen vor ihm zurück. Schließlich ließ man ihn auf dem Forum Vulcani nahe dem Solfatara-Krater auf den Phlegräischen Feldern enthaupten, obwohl er zuvor seinen Richter Dracontius geheilt hatte. Etwas von seinem Blut konnte die Christin Eusebia in zwei Lacrimarien, kleine Ampullen, füllen. Eine Praxis, die unter den Christen der damaligen Zeit sehr verbreitet war. Beide Tränengefäße werden heute in der Schatzkapelle des Domes aufbewahrt. Der leblose Körper von Januarius wurde zunächst am Ort seines Martyriums bestattet, zusammen mit seinen Glaubensbrüdern, wie dem heiligen Proculus, die mit ihm hingerichtet worden waren. Der Todestag ist in den ältesten Quellen belegt.
Am 13. April 431 wurden seine sterblichen Überreste gehoben und auf Wunsch des heiligen Johannes I., Bischof von Neapel, in die dann nach Januarius benannten Katakomben von Neapel (Capodimonte) übergeführt. Dort wurden sie beim Grab des heiligen Agrippinus, der bis 233 Bischof von Neapel war, beigesetzt. Diese Überlieferung erlaubte es Archäologen in jüngster Zeit, das einstige Grab des heiligen Januarius zu finden.
Seit dem schweren Ausbruch des Vesuvs im Jahr 472 ist Januarius der Stadtpatron von Neapel. Nach dem Vulkanausbruch von 512, bei dem die Bevölkerung, angeführt vom heiligen Bischof Stephan I., den heiligen Januarius um seine Fürbitte anrief, errichtete dieser Bischof eine Kirche direkt neben seiner Kathedrale (heutige Restitutakirche), in die er das Haupt und die beiden Blutampullen übertragen ließ. Über dieser Kirche wurde später die heutige Kathedrale von Neapel errichtet.
Diese Reliquien blieben Neapel auch erhalten, als der Langobardenherzog Sicho von Benevent 831 in die Katakomben eindrang und die dort verbliebenen sterblichen Überreste in seine Stadt bringen ließ, indem er geltend machte, daß Januarius deren Bischof gewesen war.
Diese Knochen wurden 1156 von Benevent in die neue Benediktinerabtei Montevergine in der Provinz Avellino gebracht, die vom heiligen Mönchseremiten Wilhelm von Vercelli gegründet worden war und wo sie unter dem Hochaltar aufbewahrt wurden. Da in Montevergine vor allem die Gottesmutter verehrt wurde, geriet der heilige Januarius etwas in Vergessenheit, bis bei Arbeiten 1480 seine Knochen wiederaufgefunden und 1497 in den Dom von Neapel übergeführt wurden.
Das Haupt des heiligen Januarius ist 1305 in Neapel in ein wertvolles Reliquiar, eine vergoldete Silberbüste, eingearbeitet worden, während die beiden Ampullen in einem eigenen Schrein aufbewahrt werden. Büste und Schrein befinden sich seit 1646 in der erwähnten Schatzkapelle, während die übrigen Gebeine in der Krypta der Kathedrale aufbewahrt werden. Dort wurden wegen der Bedeutung des Ortes die noch heute zu sehenden zwölf Seitenaltäre errichtet, die seit der Liturgiereform von 1969 jedoch verwaist sind.
Die Büste mit dem Schädel des Heiligen steht links vom Hauptaltar der Schatzkapelle. Der Schrein mit den Ampullen befindet sich in einer Wandnische mit Silbertüren hinter dem Altar. Den Schlüssel verwahrt das eingangs erwähnte Gremium aus neapolitanischem Adel und illustren Persönlichkeiten und mit dem Bürgermeister an der Spitze.
Die Verflüssigung der Blutreliquie erfolgt stets in der größeren Ampulle, während in der kleineren nur Blutflecken an der Ampullenwand erkennbar sind. Das Blutphänomen ist nicht auf den heiligen Januarius beschränkt. Es tritt auch bei anderen Heiligen auf. Sogar in Neapel gibt es noch eine zweite Blutreliquie, die der heiligen Patrizia, die sich jedes Jahr am 25. August verflüssigt (auch an anderen Tagen). Sie wird unweit des Domes in der Kirche San Gregorio Armeno (heiliger Gregor von Armenien) aufbewahrt, die von den Neapolitanern deshalb auch Chiesa di Santa Patrizia genannt wird. Patrizia war Angehörige der kaiserlichen Familie und wird auch als Enkelin Konstantins des Großen genannt. Neapel stand noch bis zur Eroberung durch die Normannen im Jahr 1140 unter oströmischem, also byzantinischem Einfluß, obwohl sich seit dem 8. Jahrhundert Selbständigkeitsbestrebungen zeigten. Patrizia, die vor Papst Liberius in Rom die Jungfrauenweihe ablegte, starb noch in jungen Jahren auf dem Weg ins Heilige Land in der alten Burg von Neapel, dem Castel dell’Ovo). Seit Anfang des 20. Jahrhunderts befinden sich ihre Reliquien in der Obhut des in Neapel gegründeten Ordens der Anbetungsschwestern der heiligen Eucharistie.
Doch keine Blutreliquie wurde durch die große Verehrung im gläubigen Volk so bekannt wie jene des heiligen Märtyrerbischofs Januarius.
Seit wann es zur Verflüssigung kommt, ist nicht bekannt. Bekannt ist, daß die älteste gesicherte Datierung von 1389 stammt. Seit damals werden die kostbaren Reliquiare des Hauptes und der beiden Ampullen, zusammen mit den Reliquiaren der Co-Patrone von Neapel, in Erinnerung an die Translatio von Pozzuoli nach Neapel, am ersten Sonntag im Mai in feierlicher Prozession vom Dom in die große Klarissenkirche der Stadt gebracht, wo die Verflüssigung erfolgt. Das Klarissenkloster war 1310 gestiftet worden. Heute ist der große Kreuzgang mit seinen Fresken, den einzigartigen Majolikaflächen und Zitrusbäumen ein Besuchermagnet, eine ruhige Oase inmitten einer sehr hektischen Stadt. In der Klarissenkirche wurden Don Juan d’Austria im August 1571 das päpstliche Banner und der Kommandostab für den Oberbefehl über die katholische Koalition überreicht (die protestantischen Mächte leisteten keinen Beitrag), die er am 7. Oktober jenes Jahres zum Sieg über die Türken in der Schlacht von Lepanto führte. Klarissen leben heute keine mehr dort. Die Franziskaner des einstigen Doppelklosters sind jedoch zurückgekehrt.
Am Todestag des Heiligen, dem 19. September erfolgte die Verflüssigung früher in der Schatzkapelle. Wegen des großen Volksandranges werden die Reliquien heute auf den Hauptaltar der Kathedrale gebracht.
Der Erzbischof überprüft die Verflüssigung. Ein Vertreter des städtischen Gremiums, das die Schatzkapelle verwaltet, gibt mit einem weißen Tuch, das er schwenkt, dem Volk in der Kirche Kunde vom wundersamen Ereignis. Der Erzbischof zeigt die Ampulle mit dem flüssigen Blut dem Volk und reicht die Reliquie den Umstehenden zum ehrerbietigen Kuß.
Das Blut bleibt jeweils für die gesamte Dauer der Oktav, also acht Tage lang, flüssig und wird zur Verehrung durch das Volk ausgesetzt. Die Gläubigen können in dieser Zeit die Ampulle aus der Nähe bestaunen, wobei ein Prälat sie vor ihren Augen schwenkt, damit alle sich überzeugen können, daß das Blut sich verflüssigt hat.
In einem eigenen Buch werden die jeweils drei Phänomene, die in der Regel pünktlich erfolgen, von den Domherren festgehalten. Darin sind auch die Jahre verzeichnet, in denen es nicht zur Verflüssigung kam oder dieselbe bereits vor der Öffnung des Schreins erfolgt war oder verspätet im Laufe der Oktav. Es sind auch Momente verewigt, in denen sich das Blut auch außerhalb der genannten drei Termine verflüssigte.
Die Neapolitaner sehen in der pünktlichen Verflüssigung ein positives Zeichen für die nächste Zukunft der Stadt, während ihr Ausbleiben als schlechte Vorahnung gesehen wird. Die jüngsten Erzbischöfe beharrten in ihren Katechesen darauf, von einer solchen Deutung abzurücken.
Drei Tage vor der Verflüssigung wurde der SSC Napoli italienischer Fußballmeister. Seit 1898 erst zum dritten Mal. Zuvor war das nur 1987 und 1990 mit Hilfe von Diego Maradona gelungen. Die Stadt ist deshalb seit Tagen mit Fahnen und Transparenten aller Art dekoriert, die Maradona als San Gennaro zeigen (oder San Gennaro mit den Gesichtszügen des argentinischen Fußballers). So nahe ist Geistliches und Weltliches in Neapel oder anders gesagt, so stark verschwimmt beides im Alltag der Menschen.
Untersuchungen, zuletzt 1988, bestätigten, daß es sich um Menschenblut handelt. Keine der zahlreichen Hypothesen, die eine natürliche Erklärung oder gar eine Manipulation vertreten, konnte bewiesen werden. Der übernatürliche Charakter wird auch dadurch unterstrichen, daß zum Zeitpunkt, da sich das Blut in der Ampulle verflüssigt, der Stein, der in der Kirche San Gennaro beim Solfatara-Krater aufbewahrt wird und auf den der Kopf des Heiligen nach seiner Enthauptung gelegt worden sein soll, sich rötlich verfärbt. Anhand dieser Verfärbung könne der Betrachter wissen, ob das Blutwunder in Neapel eingetreten ist.
Obwohl mehrere Päpste im Laufe der Geschichte nach Neapel kamen und den Ampullenschrein zur Verehrung küßten, hat sich die Kirche nie offiziell zum „Wunder von San Gennaro“ geäußert, wie Radio Vatikan vor einiger Zeit in Erinnerung rief. Das ist auch nicht nötig, da es ein Teil der Volksfrömmigkeit ist, eines Bereiches, zu dem sich die Kirche mit gutem Grund weitgehend zurückhält.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Facebook/Guseppe Nardi
Nördlich der Alpen, in den Ländern des Rationalismus, wäre so etwas nicht möglich. Manchmal kann man die Italiener beneiden.