Das vergessene Michaelsheiligtum von Castellammare di Stabia

Frühchristliche Katakombe und Benediktinerkirche mt Fresken aus byzantinischer und langobardischer Zeit


In Castellammare di Stabia befand sich einst eines der bedeutendsten Michaelsheiligtümer. Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten sollen es wieder zugänglich machen.
In Castellammare di Stabia befand sich einst eines der bedeutendsten Michaelsheiligtümer. Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten sollen es wieder zugänglich machen.

(Rom) Die Grot­ta di San Bia­gio süd­lich von Nea­pel wird restau­riert und gesi­chert. Die nach dem hei­li­gen Bla­si­us benann­te Grot­te im Aus­maß von drei mal drei­ßig Metern befin­det sich am Fuß des Vara­no in Castel­lamma­re di Sta­bia und ent­hält Wand­ma­le­rei­en aus byzan­ti­ni­scher und lan­go­bar­di­scher Zeit. In Wirk­lich­keit han­del­te es sich im Mit­tel­al­ter um eines der bedeu­tend­sten Michaelsheiligtümer.

Anzei­ge

Die Grot­te war fin­ster und tief, schil­dert ein früh­mit­tel­al­ter­li­cher Jeru­sal­em­pil­ger, sodaß sie nur mit einer Fackel betre­ten wer­den konn­te. Sie umfaßt drei Tei­le: ein Atri­um, ein Lang­schiff und das Pres­by­te­ri­um. Die Brei­te über­schrei­tet kaum drei Meter, doch reicht sie mehr als drei­und­drei­ßig Meter tief in den Berg hin­ein. An einer Sei­te waren von alters her Fres­ken bekannt. Nun wur­den sol­che auch auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te entdeckt.

Die Arbei­ten die­nen in erster Linie der Siche­rung und Kon­ser­vie­rung, aber auch der Absicht, die Grot­te öffent­lich zugäng­lich zu machen, was heu­te lei­der noch nicht der Fall ist. Des­halb wird auch der Abhang des Vara­nos geo­lo­gisch unter­sucht, um die Sta­bi­li­tät von Abhang und Grot­ten­decke zu klä­ren. Die Unter­su­chun­gen haben aber auch mit der unge­klär­ten Hypo­the­se zu tun, daß die Grot­te in der Anti­ke viel­leicht eine unter­ir­di­sche Ver­bin­dung zwi­schen der höher­ge­le­ge­nen römi­schen Vil­la Ari­an­na und dem Meer gewe­sen sein könnte.

Die Arbei­ten wer­den in einer Koope­ra­ti­on des Archäo­lo­gi­schen Parks Pom­pe­ji, der seit 2021 vom deut­schen Archäo­lo­gen Gabri­el Zucht­rie­gel gelei­tet wird, mit dem Kul­tur­er­be­zen­trum der Uni­ver­si­tät Nea­pel durch­ge­führt, die nach dem Stau­fer­kai­ser Fried­rich II. benannt ist.

Ein Teil des Grotteninneren

Die Grot­te ist unter dem Namen des hei­li­gen Bla­si­us bekannt oder als Hypo­gäum der Hei­li­gen Jason und Mau­rus, aber nicht unter ihrem wahr­schein­lich bedeu­tend­sten Patron, dem Erz­engel Micha­el. Dazu jedoch spä­ter. Der Grot­ten­ein­gang befin­det sich meh­re­re Meter unter­halb der vor­bei­füh­ren­den Stra­ße am süd­li­chen Ende der aus­ge­dehn­ten, aber dicht­be­sie­del­ten Ebe­ne um den Vesuv. Die unter­ir­di­sche Anla­ge ist nur weni­ge Meter von der höher­ge­le­ge­nen römi­schen Vil­la Ari­an­na ent­fernt und gehört zu Castel­lamma­re di Sta­bia, einer Stadt, die direkt am Golf von Nea­pel liegt.

Das anti­ke Sta­biae wur­de beim Aus­bruch des Vesuvs am 25. August 79 n. Chr. zusam­men mit Pom­pe­ji und Her­cula­ne­um zer­stört. Zu den Opfern die­ses Natur­er­eig­nis­ses, die in Sta­biae gefor­dert wur­den, gehör­te der Schrift­stel­ler und Phi­lo­soph Pli­ni­us der Älte­re, der als Flot­ten­kom­man­dant den Vul­kan­aus­bruch aus der Nähe beob­ach­ten wollte.

An den alten Glanz konn­te nach der Kata­stro­phe nicht mehr ange­knüpft wer­den. Die Stadt ver­la­ger­te sich an die Küste und war zunächst kaum mehr als ein grö­ße­res Fischer­dorf. Bedeu­tung erlang­te sie erst wie­der um die Jahr­tau­send­wen­de, als zum Schutz gegen die Sara­ze­nen­an­grif­fe eine Burg errich­tet wurde.

Dazwi­schen liegt die Geschich­te der Grot­te des hei­li­gen Bla­si­us, deren Patro­zi­ni­um auf den byzan­ti­ni­schen Osten ver­weist, aber eigent­lich Grot­te des hei­li­gen Erz­engels Micha­el hei­ßen müß­te. Sie ent­stand, so die ande­re The­se, als Stein­bruch für den Bau der römi­schen Vil­la am Abhang des Vara­no. Die Tuff­stein­höh­le, die natür­li­chen Ursprungs sein könn­te, lie­fer­te das dazu not­wen­di­ge Bau­ma­te­ri­al und wur­de durch den Abbau von den Römern erwei­tert. Die Über­lie­fe­rung, daß sich in der Anti­ke dort ein heid­ni­scher Tem­pel mit einem Ora­kel befand, ist nicht gesi­chert. Gesi­chert ist, wie die jüng­sten Aus­gra­bun­gen bestä­tig­ten, daß sie im fünf­ten Jahr­hun­dert, als die Stadt einen Bischof bekam, zu einer früh­christ­li­chen Begräb­nis­stät­te wurde.

Um 600 ent­stand in der Grot­te ein erster Fres­ken­zy­klus im byzan­ti­ni­schen Stil. Zu die­ser Zeit gehör­te die Gegend zum Her­zog­tum Nea­pel des Byzan­ti­ni­schen Rei­ches. Die­ses umfaß­te die Küsten­ge­gend um Nea­pel, die von den Lan­go­bar­den bei ihrer kurz zuvor erfolg­ten Ankunft in Süd­ita­li­en nicht erobert wer­den konnte.

Gegen 700, spä­te­stens im 8. Jahr­hun­dert, gelang­ten Bene­dik­ti­ner nach Sta­bia. Sie nütz­ten die Grot­te zur Bestat­tung ihrer ver­stor­be­nen Mit­brü­der und als Kir­che, die, so die Über­lie­fe­rung, zum geist­li­chen Zen­trum der Umge­bung wur­de. Die Grot­te könn­te dem Bischof von Sta­bia als Flucht­ort und die Höh­len­kir­che somit als Bischofs­kir­che gedient haben. Ab 763 gehört Sta­bia zum Her­zog­tum Sor­rent, das sich aus jenem von Nea­pel her­aus­lö­ste und nomi­nell wei­ter­hin zum Byzan­ti­ni­schen Reich gehör­te, aber über weit­ge­hen­de Eigen­stän­dig­keit verfügte.

Thro­nen­de Maria mit Jesus­kind, um 700–900

Der gesam­te bis­her bekann­te früh­mit­tel­al­ter­li­che Fres­ken­zy­klus umfaßt eine Ent­ste­hungs­zeit vom 6. bis 10. Jahr­hun­dert, in der er lau­fend berei­chert wur­de. Zu den bedeu­tend­sten Fres­ken gehört eine früh­mit­tel­al­ter­li­che Niko­poia, die „Sieg­brin­gen­de“, eine Madon­na auf dem Thron, aus der Zeit zwi­schen 700 und 900, die im byzan­ti­ni­schen Stil aus­ge­führt ist. Es han­delt sich um die älte­ste erhal­te­ne Mari­en­dar­stel­lung auf dem Gebiet der Erz­diö­ze­se Sor­ren­to-Castel­lamma­re di Sta­bia. Sie zeigt eine mit maje­stä­ti­scher Wür­de auf­recht sit­zen­de Got­tes­mut­ter mit dem seg­nen­den Jesus­kind im Arm.

Bei­de Diö­ze­sen, Sta­bia und Sor­rent, gehen auf das 5. Jahr­hun­dert zurück. Im 7. Jahr­hun­dert war der hei­li­ge Catel­lo Bischof von Sta­bia. Er soll in der Grot­te bestat­tet wor­den sein, doch konn­te sein Grab noch nicht gefun­den wer­den. Im letz­ten Vier­tel des ersten Jahr­tau­sends ist die Bischofs­li­ste bei­der Bis­tü­mer lücken­haft. Sara­ze­nen­über­fäl­le und Kämp­fe mit den Lan­go­bar­den führ­ten zu Erschüt­te­run­gen. In die­ser Zeit könn­te die Grot­te ein Flucht­ort für den Bischof gewe­sen sein.

Im 11. Jahr­hun­dert gelangt das Her­zog­tum schließ­lich doch unter lan­go­bar­di­sche Herr­schaft. Wai­mar IV., der lan­go­bar­di­sche Fürst von Saler­no, und sei­ne Frau Gai­tel­grim, die Toch­ter des mäch­ti­gen Lan­go­bar­den­her­zogs Pan­dulf II. von Benevent, sind es wahr­schein­lich, die ober­halb von Sta­bia eine erste Burg errich­ten las­sen, die für Castel­lamma­re di Sta­bia namen­ge­bend wer­den soll­te. Das Für­sten­tum Saler­no, zu dem die Grot­te des hei­li­gen Bla­si­us gehört, ist 1077 das letz­te der Lan­go­bar­den­rei­che, das unter­geht. Sei­ne Nach­fol­ge tre­ten die Nor­man­nen an, die von Süd­ita­li­en aus die Befrei­ung Sizi­li­ens von den Mus­li­men beginnen.

Das lan­go­bar­di­sche Für­sten­tum Saler­no mit Castel­lamma­re di Sta­bia (Pfeil) im 11. Jahrhundert.

Aus dem Hoch­mit­tel­al­ter hat sich eine wohl spä­te­stens in das 12. Jahr­hun­dert zu datie­ren­de lebens­gro­ße Dar­stel­lung des Erz­engels Micha­el erhal­ten. Das Fres­ko zeigt ihn geklei­det als lan­go­bar­di­schen Krie­ger, der eine Welt­ku­gel in der einen und eine sti­li­sier­te Lan­ze in der ande­ren Hand hält; eben­so eine Dar­stel­lung des hei­li­gen Bene­dikt und des hei­li­gen Rena­tus, Bischof von Sor­rent im 5. Jahr­hun­dert. Rena­tus ist mit Bischofs­pal­li­um und der Hei­li­gen Schrift dar­ge­stellt. Zu nen­nen sind auch ein Chri­stus in Beglei­tung der Erz­engel Micha­el und Rapha­el, die Apo­stel Petrus und Johan­nes und bemer­kens­wer­ter­wei­se auch die hei­li­ge Bri­git von Kil­da­re (451–525). Die Ver­eh­rung der iri­schen Hei­li­gen wur­de vom hei­li­gen Kolum­ban und sei­nen Mön­chen im spä­ten 6. Jahr­hun­dert auf dem euro­päi­schen Fest­land ver­brei­tet, ab dem frü­hen 7. Jahr­hun­dert auch in Ita­li­en. Aus dem 13. Jahr­hun­dert stam­men die neu­ent­deck­ten Fres­ken mit fran­zis­ka­ni­schen The­men, dar­un­ter mut­maß­lich auch eine Dar­stel­lung des hei­li­gen Franz von Assisi.

Gleich meh­re­re Dar­stel­lun­gen des Erz­engels Micha­el erin­nern an die Bedeu­tung der Grot­te als Michaels­hei­lig­tum. Wei­te­re Erz­engel­dar­stel­lun­gen, wie jene Uri­els, zei­gen das hohe Alter an, denn im 8. Jahr­hun­dert wur­de die Ver­eh­rung der mei­sten Erz­engel mit dem Bann belegt, sodaß nur mehr drei für die Ver­eh­rung aner­kannt wur­den. Ein Jeru­sal­em­pil­ger namens Bern­hard schrieb 870, daß er auf dem Rück­weg aus dem Hei­li­gen Land ins Fran­ken­reich die drei bedeu­tend­sten Michaels­hei­lig­tü­mer am Weg auf­such­te, dar­un­ter das älte­ste am Gar­ga­no in Apu­li­en, aber auch die Grot­te des hei­li­gen Bla­si­us, eben jene, die er nur mit einer Fackel betre­ten konn­te. Die Anga­be zeigt, daß das Michaels­hei­lig­tum zu jener Zeit von wesent­lich grö­ße­rer Bedeu­tung war, was man sich kaum mehr vor­stel­len kann, da spä­ter allein die Kennt­nis sei­ner Exi­stenz und sogar der Name in Ver­ges­sen­heit gera­ten sind.

Dar­stel­lung des Erz­engels Uri­el, des­sen Ver­eh­rung im 8. Jahr­hun­dert gebannt wurde

Als die Micha­els­ver­eh­rung im aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ter nach­ließ, wur­de die Grot­te nach den früh­christ­li­chen Mär­ty­rern Jason und Mau­rus benannt, zwei Brü­dern, die unter Kai­ser Nume­ri­an, wahr­schein­lich im Jahr 283, mit ihren Eltern Clau­di­us und Hila­ria das Mar­ty­ri­um erlitten.

Die Grot­te, zu der am Beginn der Neu­zeit noch Bitt- und Dank­pro­zes­sio­nen statt­fan­den, zum Bei­spiel am Mar­kus­tag (25. April) für eine gute Ern­te, wur­de im 17. Jahr­hun­dert der Bru­der­schaft der Fär­ber über­las­sen, deren Patron der hei­li­ge Bla­si­us war. Wie die Grot­te zu ihrem heu­ti­gen Namen kam, ist nicht ein­deu­tig geklärt. Jason könn­te miß­ver­ständ­lich gele­sen und zu Bla­si­us gewor­den sein, wes­halb sie den Fär­bern über­ge­ben wur­de, oder aber es war erst die Fär­ber­bru­der­schaft, die die Grot­te mit dem hei­li­gen Bla­si­us in Ver­bin­dung brachte.

Weil sich Land­strei­cher und Schatz­su­cher in der Grot­te zu schaf­fen mach­ten, ließ sie Bischof Anni­ba­le di Pie­tro­pao­lo 1695 schlie­ßen und die Ver­eh­rung des hei­li­gen Bla­si­us in die Kathe­dra­le verlegen.

Im 19. Jahr­hun­dert wur­de die Grot­te als Pul­ver­de­pot für einen nahe­ge­le­ge­nen Schieß­stand ver­wen­det. Ende des Jahr­hun­derts inter­es­sier­te sich der Hei­mat­kund­ler Giu­sep­pe Cosen­za als erster für die Grot­te und publi­zier­te dar­über. Das Inter­es­se war geweckt, doch erst 1950 kam es zu einer ersten syste­ma­ti­sche­ren Erkun­dung der Grot­te durch Ver­tre­ter des Denk­mal­am­tes und der dama­li­gen Lei­te­rin der archäo­lo­gi­schen Gra­bun­gen in Pompeji. 

Die Diö­ze­sen Castel­lamma­re di Sta­bia und Sor­ren­to wur­den 1972 von Papst Paul VI. in Per­so­nal­uni­on zusam­men­ge­führt und 1986 von Johan­nes Paul II. zum Erz­bis­tum Sor­ren­to-Castel­lamma­re di Sta­bia ver­eint. Sor­ren­to ist seit 1068 Erz­bis­tum. 1979 wur­de ihm der Metro­po­li­tan­sta­tus ent­zo­gen. Seit­her ist der Erz­bi­schof ein Suf­fra­gan des Erz­bi­schof-Metro­po­li­ten von Neapel.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: CultureVesuvio/​MiL/​Wikicommons (Screen­shots)

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