Heute würde er abgetrieben – Als Genie komponierte er vor 1000 Jahren das „Salve Regina“


(Alt­shau­sen) Heu­te hät­te er wenig Aus­sicht, das Licht der Welt zu erblicken. Die „human­ste“ und „demo­kra­tisch­ste“ Mensch­heits­epo­che ist auch die gefähr­lich­ste, ja töd­lich­ste des Men­schen­ge­schlechts. Im „fin­ste­ren“ Mit­tel­al­ter aber durf­te er leben. Die Rede ist von Her­mann von Alt­shau­sen-Verin­gen, bes­ser bekannt als Bene­dik­ti­ner­mönch Her­mann von Rei­chen­au. Gebo­ren wur­de Her­mann am 18. Juli 1013 vor genau 1000 Jah­ren in Alt­shau­sen in Ober­schwa­ben, heu­te Land­kreis Ravens­burg. Her­mann, der spä­ter als Mönch auf der Insel Rei­chen­au im Boden­see leb­te, wur­de wegen sei­ner Behin­de­rung auch mit dem weni­ger freund­li­chen Epi­the­ton Her­mann der Lah­me bezeich­net. Ihm ver­dankt die Welt eine der außer­ge­wöhn­lich­sten, ein­fühl­sam­sten, ja wun­der­bar­sten Kom­po­si­tio­nen: die Anti­phon Sal­ve Regi­na.

Eltern, die ihn nicht versteckten

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Der klei­ne Her­mann kam sicht­lich gezeich­net, krank und kör­per­lich defor­miert zur Welt. Viel­leicht wegen einer früh­kind­li­chen Hirn­schä­di­gung oder eines offe­nen Rückens wür­de er heu­te „aus Barm­her­zig­keit“ getö­tet wer­den. Sei­ne Eltern Graf Wolfrat und Hil­trud von Alt­shau­sen waren jedoch gläu­bi­ge Chri­sten und sorg­ten sich um den klei­nen Her­mann, wie um sei­ne ande­ren 14 Brü­der und Schwestern.

Von klein auf wur­de er der „Krum­me“ genannt, weil sein Kör­per­bau so ver­zo­gen war. Gera­de­ste­hen war ihm Zeit sei­nes Lebens unmög­lich, eben­so wenig konn­te er rich­tig gehen. Selbst in dem eigens für ihn von den Eltern ange­fer­tig­ten Stuhl hat­te er Schwie­rig­kei­ten zu sit­zen. Sei­ne Fin­ger waren zu schwach und zu ver­krümmt zum Schrei­ben. Lip­pen und Kinn waren so defor­miert, daß man sei­ne Wor­te kaum ver­ste­hen konn­te. Die ade­li­ge Fami­lie war wohl­ha­bend. Noch mehr Grund für ande­re, ein sol­ches Kind lie­ber zu ver­stecken. Doch sie ver­steck­ten ihren Sohn nicht.

Das Geschenk auf die Reichenau zu dürfen

Her­manns Eltern, um die Zukunft ihres Kin­des besorgt, ent­schie­den statt­des­sen, ihn in siche­re Obhut zu geben. Kein Abschie­ben, son­dern eine Obhut, die ihm auch über ihren Tod hin­aus Schutz bie­ten wür­de. Sie über­ga­ben ihren Sohn den Bene­dik­ti­nern der von Karl dem Gro­ßen gestif­te­ten Abtei Rei­chen­au im Boden­see. „Hier öff­ne­te sich, auf­grund wel­cher reli­giö­sen Psy­cho­the­ra­pie auch immer, der Geist die­ses Jun­gen, der mehr Lau­te als Wor­te von sich geben konn­te“, wie sein moder­ner Bio­graph Cyril Matind­a­le schrieb.

Es gab kei­nen Augen­blick in sei­nem Leben, in dem Her­mann der Lah­me es sich bequem und gemüt­lich machen hät­te kön­nen. Immer beglei­te­ten ihn sei­ne Gebre­chen und Schmer­zen. Den­noch beschrei­ben ihn alle zeit­ge­nös­si­schen Chro­ni­sten mit erstaun­li­chen Adjek­ti­ven, natür­lich in latei­ni­scher Spra­che: freund­lich, freund­schaft­lich, immer lächelnd, tole­rant, offen­her­zig, ent­ge­gen­kom­mend, hilfs­be­reit, höf­lich mit allen. Alle moch­ten ihn, ihn den Krum­men, Gebo­ge­nen, Beladenen.

Vom Schützling zum Mönch

Er wur­de von den Rei­chen­au­er Mön­chen nicht nur als anver­trau­ter Zög­ling akzep­tiert, son­dern schließ­lich von ihnen sogar in ihre Gemein­schaft auf­ge­nom­men. Die sta­bi­li­tas loci der Bene­dik­ti­ner galt nun nicht mehr nur im schüt­zen­den Sinn der Eltern, son­dern als sei­ne wirk­li­che Heim­statt des phy­sisch Gezeich­ne­ten. Die Abtei wur­de für Her­mann zur irdi­schen und geist­li­chen Heimat.

Er stu­dier­te Mathe­ma­tik, Grie­chisch, Latein, Astro­no­mie, Musik und sogar Ara­bisch. Er ver­faß­te einen umfas­sen­den Auf­satz über das Astro­la­bi­um, ein astro­no­mi­sches Instru­ment, der wis­sen­schaft­li­che Berühmt­heit erlang­te. Was anfangs eine Last für das Klo­ster schien, wur­de zu sei­nem Stolz. Der Ruf Her­manns des Lah­men wur­de so groß, daß selbst Kai­ser Hein­rich III. 1048 und Papst Leo IX. 1049 eigens die Rei­chen­au besuch­ten, um mit ihm zusammenzutreffen.

Historiker, Naturwissenschaftler, Astronom und das „Salve Regina“

Aber nicht nur als Natur­wis­sen­schaft­ler und Histo­ri­ker zeich­ne­te sich der Schwa­be aus, son­dern auch in der Musik. Sei­ne musi­sche Lei­den­schaft ver­band er mit sei­ner Fröm­mig­keit und sei­ner gro­ßen geist­li­chen Lei­den­schaft, der Ver­eh­rung der Got­tes­mut­ter und all­rein­sten Jung­frau Maria, die er inner­lich rühm­te. Es gilt fak­tisch als gesi­chert, daß von ihm, dem buck­li­gen Mönch mit den krum­men Fin­gern, vor 1054 die berühm­te­ste maria­ni­sche Anti­phon, das Sal­ve Regi­na, das Gegrü­ßet seist du, Köni­gin auf der Rei­chen­au getex­tet und kom­po­niert wur­de. Sei­nem Genie ver­dankt die Welt eines der groß­ar­tig­sten Wer­ke sakra­ler Musik, ein Werk, ein Gebet, das noch 1000 Jah­re spä­ter welt­weit erklingt und in den Men­schen eine ganz beson­de­re Sai­te zum Schwin­gen bringt. Ein ver­eh­ren­der Gruß, mit dem die Chri­sten die Hil­fe der aller­se­lig­sten Got­tes­mut­ter erbit­ten. Ein wun­der­ba­rer Gesang, kom­po­niert von einem, der selbst nicht sin­gen konnte.

Die geist­li­che Rei­fe Her­manns des Lah­men soll bei­spiel­haft durch eine freund­li­che Mah­nung dar­ge­stellt wer­den, die er am Toten­bett sei­nem Mit­bru­der Bert­hold erteil­te: „Freund mei­nes Her­zens, wei­ne nicht. Wei­ne nicht um mich! Den­ke aber jeden Tag dar­an, daß auch Du ster­ben mußt. Berei­te Dich mit Dei­ner gan­zen Kraft dar­auf vor, die­se Rei­se anzu­tre­ten, denn eines Tages, zu einer Stun­de, die Du nicht weißt, wirst Du mit mir kommen.“

Seine Verehrung

Her­mann, stirbt am 24. Sep­tem­ber 1054 im Alter von nur 41 Jah­ren, umge­ben von sei­nen Mit­brü­dern, die ihm Freun­de gewor­den waren, nach­dem er ein letz­tes Mal die hei­li­ge Kom­mu­ni­on emp­fan­gen hat­te. 1863 soll Papst Pius IX. die Ver­eh­rung Her­manns als „Seli­gen“ bestä­tigt haben. [1]Die Anga­ben vari­ie­ren: Im Kalen­da­ri­um Ben­dic­ti­num wird er unter dem 24. Sep­tem­ber ange­führt, eben­so im neu­en Mar­ty­ro­lo­gi­um der Abtei Hei­li­gen­kreuz bei Wien und gilt als „zu allen Zei­ten“ als Seli­ger … Con­ti­n­ue rea­ding

Die Antiphon zu Ehren der Gottesmutter

Hören wir die berühm­te Anti­phon, die er geschrie­ben und zu der er für sei­ne Mönchs­brü­der auch die schlich­te, aber ein­drucks­vol­le, fei­er­li­che Melo­die kom­po­niert hat, die er selbst nie sin­gen konnte:

Sal­ve, Regina,
mater misericordiae;
vita, dul­ce­do et spes nost­ra, salve.
Ad te cla­ma­mus, exsu­les filii Evae.

Ad te suspiramus,
gemen­tes et flen­tes in hac lacri­ma­rum valle.
Eia ergo, advo­ca­ta nostra,
illos tuos miser­i­cor­des oculos
ad nos converte.

Et Jesum, bene­dic­tum fruc­tum ven­tris tui,
nobis post hoc exsi­li­um ostende.

O cle­mens, o pia, o dul­cis Vir­go Maria.

Sei gegrüßt, o Königin,
Mut­ter der Barmherzigkeit,
unser Leben, uns­re Wonne
und unse­re Hoff­nung, sei gegrüßt!

Zu dir rufen wir ver­bann­te Kin­der Evas;
zu dir seuf­zen wir
trau­ernd und wei­nend in die­sem Tal der Tränen.

Wohl­an denn, uns­re Fürsprecherin,
wen­de dei­ne barm­her­zi­gen Augen uns zu,
und nach die­sem Elend zei­ge uns Jesus,
die gebe­ne­dei­te Frucht dei­nes Leibes.

O güti­ge, o mil­de, o süße Jung­frau Maria.

Text: Can­tua­le Antonianum/​Giuseppe Nardi
Bild: Can­tua­le Antoniamum

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1 Die Anga­ben vari­ie­ren: Im Kalen­da­ri­um Ben­dic­ti­num wird er unter dem 24. Sep­tem­ber ange­führt, eben­so im neu­en Mar­ty­ro­lo­gi­um der Abtei Hei­li­gen­kreuz bei Wien und gilt als „zu allen Zei­ten“ als Seli­ger ver­ehrt. Eini­ge Ver­öf­fent­li­chun­gen nen­nen zudem Papst Pius IX., der 1863 die Ver­eh­rung Her­manns bestä­tigt habe, was als „Selig­spre­chung“ genannt wird. Im Mayr­ty­ro­lo­gi­um Roma­num ist er jedoch nicht auf­ge­führt. Ein stich­hal­ti­ger Beleg für die offi­zi­el­le Bestä­ti­gung des Kul­tes durch den genann­ten Papst ließ sich nicht finden.
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