
Bekannt ist die Herreninsel im Chiemsee wegen des berühmten Königsschlosses, das König Ludwig II. von Bayern dort als Abbild von Schloß Versailles erbauen ließ. Weniger bekannt ist, woher die Insel ihren Namen hat, und was es an weit Älterem und Geschichtsträchtigerem auf der Insel zu entdecken gibt.
Die Herreninsel ist nach den Augustiner-Chorherren benannt, die auf der Insel lebten und dort ein Kloster hatten. Mehr noch: Das Kloster Herrenchiemsee ist – nach aktuellem Kenntnisstand – das älteste Kloster Bayerns, älter als das Erzstift St. Peter in Salzburg und die Abtei Weltenburg an der Donau. Es wurde in der Zeit zwischen 620 und 629 als Benediktinerkloster gegründet, wie vor kurzem archäologische Grabungen bestätigten. Weltenburg soll der Überlieferung nach zwar 617 gegründet worden sein, doch fehlen bisher die sicheren Belege für diese Frühzeit. Im Gegensatz zu Herrenchiemsee bestehen die beiden Benediktinerklöster von Salzburg und Weltenburg aber noch heute.
Der Anstoß zur Gründung des Klosters auf der Insel im Chiemsee erfolgte wahrscheinlich durch irische Mönche.
1130 wurde das Benediktinerkloster in ein Augustiner-Chorherrenstift umgewandelt und eine neue, dreischiffige Stiftskirche im romanischen Stil errichtet, die 1158 vollendet wurde.
So gut wie unbekannt ist, daß die Insel, lange auch Herrenwörth genannt (Wörth = Insel von mittelhochdeutsch wert, althochdeutsch warid, werid, s. Donauwörth, Werder in Bremen, Maria Wörth und Wörthersee oder das Schlössli Wörth bei den Rheinfällen in Schaffhausen), von 1215–1808 auch Sitz eines Bistums war. Der Bischof war Suffragan und zugleich Weihbischof des Erzbischofs von Salzburg, weshalb er dort residierte. Seine Bischofskirche aber war die Stiftskirche auf der Herreninsel. Die Chorherren des Klosters bildeten sein Domkapitel. Das Gebiet des Bistums lag zu einem Drittel in Bayern, zu zwei Dritteln in Tirol. Der Bischof von Chiemsee hatte den Rang eines Reichsfürsten und Sitz und Stimme auf dem Salzburger Landtag.
Erster Bischof von Chiemsee war von 1215–1233 Rüdiger von Bergheim aus einem Ministerialengeschlecht im Dienst der Fürsterzbischöfe von Salzburg. Er wurde 1233 zum Fürstbischof von Passau.
Letzter Fürstbischof von Chiemsee war von 1797–1808 Sigmund Christoph Reichserbtruchseß von Waldburg zu Zeil und Trauchburg, der anschließend noch Apostolischer Administrator von Salzburg wurde.
1803 fiel das Augustiner-Chorherrenstift dem Reichsdeputationshauptschluß zum Opfer und wurde säkularisiert. 1807 wurde die Domstiftskirche profaniert, 1808 auch das Bistum aufgehoben. Es zählte zu jener Zeit knapp 40.000 Gläubige. Der Tiroler Anteil ging an das Erzbistum Salzburg, der bayerische Anteil an das 1817 errichtete Erzbistum München und Freising über. Der Staat verkaufte Insel, Kloster und Bischofskirche an Private. Die beiden Türme der Klosterkirche wurden abgebrochen und im ehemaligen Kirchenschiff eine Brauerei eingerichtet.
1873 kaufte glücklicherweise König Ludwig II. die Insel und machte sie – wenn auch ungewollt – zu dem Besuchermagnet, die sie heute ist. Damit sicherte er den Bestand, sodaß heute noch bestehende Reste des ältesten Klosters Bayerns besichtigt werden können. Sein Großvater, König Ludwig I., hatte auf der benachbarten Fraueninsel das 1803 aufgehobene Benediktinerinnenkloster wiedererrichtet.
1948 tagte im Prälatenstock des ehemaligen Klosters in der Abgeschiedenheit der Herreninsel der Verfassungskonvent, der das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vorbereitete.
Eine Initiative bemüht sich heute um die Wiederherstellung des Domes.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Giuseppe Nardi
Vielen Dank! Historische Exkurse wie dieser, nicht zu umfangreich, aber aussagekräftig genug, sind sehr willkommen.