Kirchenrechtliche Überlegungen zum Reskript vom 21. Februar

Will Rom wirklich einen immensen Bruch in der Einheit der Kirche?


Ein kafkaeskes Paradox, das Rom in logischer und auch rechtlicher Hinsicht geschaffen hat.
Ein kafkaeskes Paradox, das Rom in logischer und auch rechtlicher Hinsicht geschaffen hat.

Von Nic­colò Tedeschi*

Anzei­ge

Wenn das Rescrip­tum ex Audi­en­tia Ss.mi vom 21. Febru­ar 2023 – das ein Ver­wal­tungs­akt ist, mit dem ein Abtei­lungs­lei­ter am Ende einer Audi­enz (ex Audi­en­tia) den Papst (Sanc­tis­si­mi) um etwas bit­tet und es auch erhält (Rescrip­tum bedeu­tet „zwei­mal geschrie­ben“) – for­mal dar­auf abzielt, das Motu Pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des vom 16. Juli 2021 „umzu­set­zen“, ändert es in prak­ti­scher Hin­sicht in Wirk­lich­keit des­sen sub­stan­ti­el­le Struktur.

Das Reskript unter­gräbt näm­lich die Grund­la­ge von Tra­di­tio­nis cus­to­des, des­sen erste Wor­te, ein Echo von Lumen gen­ti­um Nr. 23 (der dog­ma­ti­schen Kon­sti­tu­ti­on des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils über die Kir­che), an die Bischö­fe gerich­tet sind. Die Prä­am­bel des Motu pro­prio von Papst Fran­zis­kus, das das Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum von Bene­dikt XVI. abän­dert, beginnt wie folgt:

„Als Wäch­ter der Tra­di­ti­on stel­len die Bischö­fe in Gemein­schaft mit dem Bischof von Rom das sicht­ba­re Prin­zip und Fun­da­ment der Ein­heit in ihren Teil­kir­chen dar.“

Wenn Tra­di­tio­nis cus­to­des auf die Diö­ze­san­bi­schö­fe abziel­te, um den Gebrauch der lit­ur­gi­schen For­men zu regeln, die vor den nach­kon­zi­lia­ren Refor­men in Gel­tung waren, so hebt das Reskript vom 21. Febru­ar die­sen Grund­satz auf, indem es dem Hei­li­gen Stuhl (und damit dem Dik­aste­ri­um für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung) die Rege­lung einer gan­zen Ange­le­gen­heit vor­be­hält, die durch die­sel­be Bestim­mung, die das Reskript nach eige­nen Anga­ben „umset­zen“ will, dem Ermes­sen der ein­zel­nen Orts­or­di­na­ri­en über­las­sen wur­de. Wir ste­hen also vor einem kaf­ka­es­ken Para­dox – einem logi­schen, aber auch recht­li­chen –, bei dem die­sel­be Auto­ri­tät, die mit einem nor­ma­ti­ven Akt eine Sache anord­net, mit einem nach­fol­gen­den Akt de fac­to den vor­he­ri­gen Grund­satz auf­hebt, ohne jedoch die­se „Umkeh­rung“ zu for­ma­li­sie­ren, und somit einen unlös­ba­ren Wider­spruch hinterläßt.

Wenn in der Tat Tra­di­tio­nis cus­to­des in Art. 2 in Anleh­nung an das erwähn­te Kon­zils­lehr­amt unzwei­fel­haft bekräftigt: 

„Dem Diö­ze­san­bi­schof als Lei­ter, För­de­rer und Wäch­ter des gesam­ten lit­ur­gi­schen Lebens in der ihm anver­trau­ten Teil­kir­che obliegt die Rege­lung der lit­ur­gi­schen Fei­ern in der eige­nen Diö­ze­se. Daher ist es sei­ne aus­schließ­li­che Zustän­dig­keit, den Gebrauch des Mis­sa­le Roma­num von 1962 in sei­ner Diö­ze­se zu gestat­ten und dabei den Wei­sun­gen des Apo­sto­li­schen Stuh­les zu folgen“, 

schränkt das Reskript vom 21. Febru­ar die­se Zustän­dig­keit ein, obwohl sie als „aus­schließ­lich“ defi­niert ist, und bekräf­tigt, daß es einen neu­en Zustän­dig­keits­vor­be­halt des Apo­sto­li­schen Stuhls gemäß dem letz­ten Teil von can. 87, §1 des Codex des kano­ni­schen Rechts gibt. Die­ser Canon legt näm­lich fol­gen­des fest: 

„Der Diö­ze­san­bi­schof kann die Gläu­bi­gen, sooft dies nach sei­nem Urteil zu deren geist­li­chem Wohl bei­trägt, von Dis­zi­pli­nar­ge­set­zen dis­pen­sie­ren, sowohl von all­ge­mei­nen als auch von par­ti­ku­la­ren, die von der höch­sten Auto­ri­tät der Kir­che für sein Gebiet oder für sei­ne Unter­ge­be­nen erlas­sen wor­den sind, nicht aber von das Pro­zeß- oder Straf­recht betref­fen­den Geset­zen noch von sol­chen, deren Dis­pens dem Apo­sto­li­schen Stuhl oder einer ande­ren Auto­ri­tät beson­ders vor­be­hal­ten ist.“

Auf den ersten Blick scheint die Fra­ge unklar: War­um in aller Welt wird in einem Reskript über den Gebrauch der Lit­ur­gie vor der Lit­ur­gie­re­form von 1969/​70 der Canon über die Dis­pen­sen erwähnt, d. h. die Befrei­ung von einem rein kirch­li­chen Gesetz, die der Bischof in einem Ein­zel­fall gewäh­ren kann (vgl. can. 85)? Die Ant­wort liegt in der Pra­xis, die sich in eini­gen Diö­ze­sen nach dem Inkraft­tre­ten des Motu Pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des her­aus­ge­bil­det hat, durch die eini­ge Ordi­na­ri­en es für ange­bracht hiel­ten – in Aus­übung des Ermes­sens, das ihnen das Motu Pro­prio selbst zuer­kannt hat –, sich von der Ein­hal­tung der päpst­li­chen nor­ma­ti­ven Anord­nung zu dis­pen­sie­ren, indem sie ihren Diö­ze­san­prie­stern die Erlaub­nis erteil­ten, die hei­li­ge Mes­se nach den Rubri­ken des Mis­sa­le von 1962 zu zele­brie­ren, die­se Zele­bra­tio­nen in Pfarr­kir­chen zu fei­ern oder Per­so­nal­pfar­rei­en und ‑kapla­nei­en des über­lie­fer­ten Ritus zu errich­ten. Dies ver­an­laß­te den eif­ri­gen Prä­fek­ten des Dik­aste­ri­ums für den Got­tes­dienst, den inzwi­schen zum Kar­di­nal erho­be­nen Arthur Roche, trotz der Tat­sa­che, daß es sehr genaue Nor­men zu die­sem The­ma gab, die nicht weni­ger als vom Papst selbst dik­tiert wur­den (vgl. Tra­di­tio­nis cus­to­des, Art. 3 und 4) und mit denen sich der Hei­li­ge Stuhl in detail­lier­ter Wei­se das Recht vor­be­hielt, nur „Ori­en­tie­run­gen“ zu geben, wahr­schein­lich ange­sta­chelt durch eine unvor­sich­ti­ge Öffent­lich­keits­ar­beit „tra­di­tio­na­li­sti­scher“ Blogs, bei meh­re­ren Gele­gen­hei­ten ver­schie­de­ne Bischö­fe zu maß­re­geln, die es „gewagt“ hat­ten, sich nicht skla­visch an das Motu Pro­prio von Papst Fran­zis­kus zu hal­ten, und dabei genau die Mög­lich­keit von Canon 87, §1 CIC genutzt hatten.

Das ist also die fak­ti­sche Prä­mis­se, von der das Reskript vom 21. Febru­ar zwei­fel­los aus­geht, dem bereits akri­bi­sche Respon­sa ad dubia mit den gera­de­zu fana­ti­schen Erläu­te­run­gen vom 4. Dezem­ber 2021 vor­aus­gin­gen, deren Inhalt in jedem Fall weit über den oben genann­ten Begriff der „Ori­en­tie­run­gen“ [in der deut­schen Über­set­zung auf der Inter­net­sei­te des Hei­li­gen Stuhls mit „Wei­sun­gen“ wie­der­ge­ge­ben, Anm. GN] in Arti­kel 2 von Tra­di­tio­nis cus­to­des hinausging.

Dar­über hin­aus scheint das Reskript die­sen Respon­sa ein wei­te­res Sie­gel der „authen­ti­schen Legi­ti­mi­tät“ auf­drücken zu wol­len, indem es her­vor­hebt, daß sie bei der jüng­sten Audi­enz nach der sei­ner­zeit erteil­ten Zustim­mung zur Ver­öf­fent­li­chung noch ein­mal „bestä­tigt“ wur­den. Dies bedeu­tet jedoch nicht, daß der betref­fen­de Akt per se als „päpst­lich“ betrach­tet wer­den kann und aus die­sem Grund als „unan­fecht­bar“ zu betrach­ten ist, son­dern nur, daß er auf­grund der für die Ver­öf­fent­li­chung erhal­te­nen über­ge­ord­ne­ten Zustim­mung eine gewis­se Sta­bi­li­tät genießt (wie es kürz­lich mit dem Respon­sum ad dubi­um zur Seg­nung gleich­ge­schlecht­li­cher Paa­re am 21. Febru­ar 2021 gesche­hen ist).

Man den­ke nur an all die Dekre­te der Dik­aste­ri­en, die „in beson­de­rer Form appro­biert“ wur­den und per­sön­li­che Bestim­mun­gen wie die Ent­las­sung aus dem Kle­ri­ker- oder Ordens­stand als Ergeb­nis dubio­ser Ver­wal­tungs­ver­fah­ren ent­hal­ten: Bei sol­chen Akten über­nimmt der Papst ipso fac­to durch sei­ne Unter­schrift die Urhe­ber­schaft und damit impli­zit die Ver­ant­wor­tung, ohne daß er wahr­schein­lich tat­säch­lich und voll­stän­dig über den Inhalt oder die Gescheh­nis­se in die­sem Ein­zel­fall Bescheid weiß. Es han­delt sich also um eine unge­sun­de und sehr gefähr­li­che Pra­xis, denn sie macht den Papst durch einen zer­set­zen­den Ver­wal­tungs­me­cha­nis­mus, der jeder Rechts­ga­ran­tie ent­behrt, weil er in abso­lut will­kür­li­chem Ermes­sen kreist, zum Kom­pli­zen der Ver­wal­tung selbst und damit fak­tisch zur Gei­sel der Ent­schei­dun­gen ande­rer. Ange­sichts des­sen – und ohne in einen kom­ple­xen und schlüpf­ri­gen Sumpf ein­drin­gen zu wol­len – ver­liert nicht nur die Bestä­ti­gung der Zustim­mung, son­dern auch das Reskript selbst in gewis­ser Wei­se sei­nen Wert, sowohl recht­lich als auch mora­lisch, denn wenn bis vor eini­ger Zeit die­se beson­de­ren Ver­fah­ren (wie sie von der gel­ten­den Ord­nung der Römi­schen Kurie aner­kannt wur­den, vgl. Art. 126) den Sinn hat­ten, in beson­de­rer Wei­se das Ein­grei­fen des Pap­stes in Glau­bens- und Sit­ten­fra­gen zu unter­strei­chen, so schei­nen sie heu­te eher die Zur­schau­stel­lung einer gezwun­ge­nen Absi­che­rung zu sein, hin­ter der sich eine tie­fe und pein­li­che Unsi­cher­heit ver­birgt: Galt näm­lich frü­her der beru­hi­gen­de Spruch Roma locu­ta, quae­stio solu­ta, so scheint es heu­te eher so zu sein, daß die Posi­ti­on, die Rom ein­nimmt, der Ursprung von Cha­os, Rechts­un­si­cher­heit und somit insti­tu­tio­nel­ler Insta­bi­li­tät ist, was sehr oft zu pein­li­chen Wider­sprü­chen führt.

Keh­ren wir jedoch zum The­ma des Reskrip­tes zurück, so scheint es offen­sicht­lich, daß der Vor­be­halt des ver­kün­de­ten Geset­zes bezüg­lich der Ertei­lung von Lizen­zen und der Anga­be der Moda­li­tä­ten für die Zele­bra­ti­on der Mes­se nach dem über­lie­fer­ten Ritus in offe­nem Wider­spruch sowohl zu dem steht, was bereits durch das Motu Pro­prio selbst fest­ge­legt wur­de, das man para­do­xer­wei­se vor­gibt, damit „umzu­set­zen“, als auch und vor allem – wie vor kur­zem auch Kar­di­nal Mül­ler in einem Inter­view bemerk­te – zu den Nor­men des gött­li­chen Rechts, die die Voll­macht der Diö­ze­san­bi­schö­fe regeln.

Wenn heu­te ein Bischof nicht in der Lage ist – denn dar­um geht es – zu erken­nen, ob auf dem Gebiet sei­ner eige­nen Diö­ze­se die Bedin­gun­gen für eine Aus­wei­tung des Gebrauchs des alten Meß­bu­ches ohne die vor­he­ri­ge Zustim­mung des Dik­aste­ri­ums gege­ben sind, und es sogar sei­ne eige­ne Macht im Gebrauch der lit­ur­gi­schen Bücher ein­schränkt, indem ihm der Gebrauch des Pon­ti­fi­cale in den Pfar­rei­en unter­sagt wird, dann kann man sagen, daß die gesam­te Theo­lo­gie über die hier­ar­chi­sche Ver­fas­sung der Kir­che, die zuletzt im Kon­zils­lehr­amt über die Bischö­fe for­ma­li­siert wur­de, fak­tisch für null und nich­tig erklärt wur­de und einer noch nie dage­we­se­nen und eben­so gefähr­li­chen Form der mono­kra­ti­schen und selbst­be­zo­ge­nen Regie­rung Platz gemacht hat.

Wenn man näm­lich liest, was im Reskript steht: „Soll­te ein Diö­ze­san­bi­schof in den bei­den oben genann­ten Fäl­len Dis­pen­sen erteilt haben, ist er ver­pflich­tet, das Dik­aste­ri­um für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung zu infor­mie­ren, das die ein­zel­nen Fäl­le beur­tei­len wird“, ist man bestürzt über den offen­sicht­li­chen kuria­len Kon­troll­wil­len, der nicht nur gegen ein Prin­zip des Rechts­we­sens ver­stößt, daß Geset­ze für die Zukunft gel­ten und eine rück­wir­ken­de Norm etwas Außer­ge­wöhn­li­ches ist (vgl. can. 9), son­dern auch, weil er die bereits von den ein­zel­nen Bischö­fen getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen in Zwei­fel zieht (indem er ver­sucht, sie zu Unrecht als Maß­nah­men zu betrach­ten, die ihren Wert fast ver­lo­ren hät­ten), und die nun auf beschä­men­de Wei­se „ver­pflich­tet“ sind, dem Apo­sto­li­schen Stuhl mit­zu­tei­len, was sie in vol­ler Aus­übung ihrer legi­ti­men Funk­tio­nen durch die Anwen­dung einer Norm des all­ge­mei­nen Rechts ent­schie­den haben. Ande­rer­seits ist es offen­sicht­lich, daß das, was bereits ent­schie­den wur­de, objek­tiv und recht­lich nicht angreif­bar ist, also durch die neue Bestim­mung nicht berührt wird.

  • Eine so mani­sche Hyper­kon­trol­le durch das Dik­aste­ri­um für den Got­tes­dienst, zusam­men mit die­ser obses­si­ven Form der Stan­dar­di­sie­rung im heu­ti­gen zutiefst anti-lega­li­sti­schen Zeit­al­ter, das gegen­über „Regeln“ offen­kun­dig feind­lich ist und viel­mehr offen ist für flie­ßen­de Model­le, mag erstaunen.
  • Es mag auch über­ra­schen, daß man in einer Zeit, in der täg­lich Sakri­le­gi­en und Pro­fa­nie­run­gen vor­kom­men, sehr oft unter dem Schwei­gen und der mit­schul­di­gen Blind­heit der Insti­tu­tio­nen, die Gren­zen des­sen, was einem Bischof in sei­ner eige­nen Diö­ze­se erlaubt ist, so minu­ti­ös defi­niert und sogar ver­hin­dert, daß ein Prie­ster die Zele­bra­ti­on im über­lie­fer­ten Ritus hal­ten kann, wäh­rend sich nie­mand um die vier Mes­sen küm­mert, die ein guter Pfar­rer im Durch­schnitt jeden Sonn­tag in einem immer grö­ße­ren Ter­ri­to­ri­um fei­ert, in dem es immer weni­ger Prie­ster gibt.
  • Es erscheint absurd, sich vor­zu­stel­len, daß der Hei­li­ge Stuhl im Zeit­al­ter der „krea­ti­ven Lit­ur­gien“, in denen heid­ni­sche Sym­bo­le auf geweih­ten Altä­ren gezeigt wer­den, in denen Gesten von offen­sicht­lich ver­stö­ren­dem sakri­le­gi­schem Stil gemacht wer­den, in denen Prie­ster sich mas­kie­ren, in denen Mes­sen auf Luft­ma­trat­zen mit­ten im Meer gefei­ert wer­den, so sehr das Bedürf­nis ver­spürt, chir­ur­gisch zu bekräf­ti­gen, daß zwar der Gebrauch des Mis­sa­le gedul­det wird, das Pon­ti­fi­cale in den Pfar­rei­en aber nicht mehr gestat­tet ist, und daß es erlaubt ist, den Gläu­bi­gen, die die­se ritu­el­le Form bevor­zu­gen, die Mög­lich­keit zu neh­men, z. B. die Fir­mung im über­lie­fer­ten Ritus zu empfangen.
  • Man könn­te sich über die Beses­sen­heit wun­dern, mit der seit Jah­ren das ein­zi­ge Pro­blem der kirch­li­chen Dis­zi­plin die Unter­drückung „tra­di­tio­na­li­sti­scher Ten­den­zen“ zu sein scheint, wäh­rend sich ande­rer­seits die Kir­chen, Semi­na­re, Klö­ster und Kon­ven­te lee­ren, die Moral­leh­re Psy­cho­lo­gis­men von zwei­fel­haf­ter Beschaf­fen­heit weicht und fak­tisch ein Kli­ma der Gedan­ken­po­li­zei herrscht, laut dem jeder tun kann, was er will, wäh­rend ver­bo­ten ist, das zu tun, was immer getan wurde.

In Wirk­lich­keit liegt auf der Hand, daß dies ein Hin­weis auf den Grad einer tie­fen Angst und Unsi­cher­heit ist, den die Neue­rer bei der Durch­füh­rung von Revo­lu­tio­nen haben: Wäh­rend die Tra­di­ti­on die Festig­keit und Robust­heit ihrer Grund­sät­ze besitzt und daher die Kon­fron­ta­ti­on mit der Viel­falt nicht fürch­tet, mit der sie sich ver­flicht und wei­ter­ent­wickelt, indem sie sich noch mehr kon­so­li­diert und in die Zukunft pro­ji­ziert, ist dies bei der Revo­lu­ti­on nicht der Fall, die nichts ande­res tun kann, als ihre „Visi­on“ mit Hil­fe jener Gewalt durch­zu­set­zen, die sie in Fra­ge gestellt hat und von der sie glaubt, sie ver­wor­fen zu haben: die Auc­to­ri­tas. In den Syste­men des Rechts­we­sens gilt jedoch „veri­tas non auc­to­ri­tas facit legem“: Nicht die Will­kür und auch nicht die blo­ße Macht­aus­übung bil­den die Grund­la­ge der als ver­bind­lich zu betrach­ten­den Norm – wie Hob­bes im Gegen­teil argu­men­tier­te –, son­dern die nicht ver­han­del­ba­ren Grund­sät­ze des gött­li­chen Rechts und des Natur­rechts. Die gewalt­sa­me Durch­set­zung eines Geset­zes hat noch nie etwas Gutes bewirkt, und ande­rer­seits haben revo­lu­tio­nä­re Aktio­nen selbst bekannt­lich frü­her oder spä­ter immer in grau­sa­men Satur­na­li­en geendet.

Was sich abzeich­net – und schon seit eini­ger Zeit im Gan­ge ist –, ist ein bei­spiel­lo­ser Kampf in der Geschich­te der Kir­che, mit zwei gleich ent­schlos­se­nen, aber unglei­chen Fron­ten, die eine in bezug auf die Zahl, die ande­re in bezug auf die „insti­tu­tio­nel­le Stär­ke“. Aller­dings ist der heu­ti­ge Kampf nicht der­sel­be wie der unmit­tel­bar nach dem Kon­zil, denn seit­dem sind die Rei­hen derer, die sich von der Schön­heit der Tra­di­ti­on bewe­gen las­sen, viel dich­ter als damals: Damals gab es eine ande­re Gesell­schaft, einen ande­ren Gehor­sam…, den­noch besaß nicht ein­mal Paul VI., der das neue Mis­sa­le pro­mul­gier­te, die Kühn­heit, das vor­he­ri­ge für ungül­tig zu erklä­ren, wohl wis­send um das Ana­the­ma der Bul­le Quo pri­mum tem­po­re von Pius V.

Ande­rer­seits hat die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie – bei allem Respekt vor den Wei­sen des Dik­aste­ri­ums für den Got­tes­dienst – eine so umfang­rei­che struk­tu­rel­le Kom­ple­xi­tät, daß es eine rei­ne Tor­heit wäre, zu glau­ben, man kön­ne alles „nor­mie­ren“, wes­halb es immer Wege und Win­kel­zü­ge geben wird, die das Über­le­ben der alten Lit­ur­gie ermög­li­chen, wie es bereits der Fall war.

Und wenn sich auch die Gerüch­te ver­dich­ten, daß die­ses jüng­ste Doku­ment nur die Spit­ze des Eis­bergs eines wie­der auf­flam­men­den Krie­ges ist, und wenn heu­te die Bischö­fe gemaß­re­gelt wer­den, wird man mor­gen auch jene maß­re­geln, die noch von der Ein­hal­tung von Tra­di­tio­nis cus­to­des befreit sind (d. h. die soge­nann­ten Eccle­sia-Dei-Gemein­schaf­ten), muß in die­sem Zusam­men­hang dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, daß ein restrik­ti­ves und stra­fen­des Vor­ge­hen gegen sie unwei­ger­lich zu einem immensen Bruch in der Ein­heit der Kir­che füh­ren wür­de, da es wahr­lich übel wäre, sie ipso fac­to aus der Gemein­schaft aus­zu­schlie­ßen, wenn sie sich nicht dem ein­zi­gen refor­mier­ten Ritus anpas­sen. Ande­rer­seits wäre unter den gege­be­nen Umstän­den und bei der Qua­li­tät, die der Gehor­sam in einer Kir­che hat, die sich in einer vol­len Kri­se des Auto­ri­täts­prin­zips befin­det, eine mas­sen­haf­te Unter­drückung nicht denk­bar, da sie eher das Gegen­teil bewir­ken würde.

*Nic­colò Tede­schi ist ein Pseud­onym in Anspie­lung an Nic­colò de Tede­schi (Nico­laus de Tude­schis), einen nam­haf­ten Kir­chen­recht­ler (1386–1445) deut­scher Abstam­mung, der in Cata­nia auf Sizi­li­en gebo­ren wur­de. 1400 trat er in sei­ner Hei­mat­stadt in den Bene­dik­ti­ner­or­den ein, lehr­te Kir­chen­recht an den Uni­ver­si­tä­ten von Par­ma, Sie­na und Bolo­gna, war Dom­herr in Cata­nia, Audi­tor der Apo­sto­li­schen Kam­mer in Rom, Abt von S. Maria di Mania­ce, Päpst­li­cher Dele­gat beim Kon­zil von Basel und schließ­lich Erz­bi­schof von Paler­mo. 1442 sprach er auf dem Reichs­tag in Frank­furt am Main. Zahl­reich sind sei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen zur Rechtskunde.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!