Großerzbischof Schewtschuk berichtete Benedikt XVI. über die Ukraine

Die Besonderheiten der Ukraine


Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk bei Benedikt XVI., rechts im Bild Kurienerzbischof Georg Gänswein
Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk bei Benedikt XVI., rechts im Bild Kurienerzbischof Georg Gänswein

(Rom) Swja­to­slaw Schewtschuk, das Ober­haupt der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che, befin­det sich der­zeit in Rom auf sei­ner ersten Aus­lands­rei­se seit dem Beginn des rus­sisch-ukrai­ni­schen Krie­ges. Neben der Audi­enz bei Papst Fran­zis­kus und ande­ren Ter­mi­nen besuch­te Schewtschuk am Mitt­woch­abend auch Bene­dikt XVI. im Klo­ster Mater Eccle­siae im Vatikan.

Anzei­ge

Der Groß­erz­bi­schof von Kiew-Halytsch bat Bene­dikt XVI. wei­ter­hin für die Ukrai­ne zu beten.

Schewtschuk infor­mier­te Bene­dikt XVI. über die Lage in der Ukrai­ne, beson­ders die huma­ni­tä­re Situa­ti­on. Der Groß­erz­bi­schof bezeich­ne­te den Krieg als „ideo­lo­gisch und kolo­ni­al“ und ver­glich ihn mit dem Nazi-Regime. Letz­te­res ist im kon­kre­ten Zusam­men­hang aber viel­leicht ein etwas ungün­sti­ger Vergleich.

Bene­dikt XVI. ver­si­cher­te, die Ent­wick­lung in der Ukrai­ne auf­merk­sam zu ver­fol­gen. Vor allem brach­te er sei­nen Kum­mer zum Aus­druck über das Leid des ukrai­ni­schen Vol­kes. Sein Gebet gel­te ganz dem Frieden.

Die Lage in der Ukrai­ne ist deut­lich kom­pli­zier­ter, als meist dar­ge­stellt. Das Land gibt es als Völ­ker­rechts­sub­jekt erst seit dem Ersten Welt­krieg, als es zur Schwä­chung Ruß­lands auf Initia­ti­ve der damals noch sieg­rei­chen Mit­tel­mäch­te, des Deut­schen Reichs und Öster­reich-Ungarns, errich­tet wur­de (zur Ent­ste­hung der Ukrai­ne sie­he hier). Die ukrai­ni­sche Haupt­stadt Kiew ist die Wie­ge der gesam­ten Rus. Durch das Ein­bre­chen der Mon­go­len im Hoch­mit­tel­al­ter ver­schob sich aber not­ge­drun­gen das Zen­trum der Rus von Kiew nach Mos­kau. Das mon­go­li­sche Joch wur­de durch die Gegen­wehr zwei­er Staa­ten abge­schüt­telt, die unab­hän­gig von­ein­an­der und teils gegen­ein­an­der vor­gin­gen: Es han­del­te sich um das ortho­do­xe Groß­für­sten­tum Mos­kau und die katho­li­sche litau­isch-pol­ni­sche Uni­on. Das führ­te zu einer kul­tu­rel­len Tei­lung des Gebie­tes, das heu­te als Ukrai­ne bekannt ist, ein Name, der im heu­ti­gen Sin­ne erst vor hun­dert Jah­ren in Ver­wen­dung kam.

(v. o.) Spra­chen­kar­te, eth­ni­sche Kar­te, Konfessionskarte

Das Gebiet, das bis zum Ersten Welt­krieg als Klein­ruß­land bekannt war, ist sprach­lich, reli­gi­ös, kul­tu­rell und poli­tisch zwei­ge­teilt. Es besteht kein Zwei­fel, daß seit dem Ersten Welt­krieg ein ukrai­ni­scher Nati­ons­wer­dungs­pro­zeß erfolg­te, der sich durch den aktu­el­len Krieg defi­ni­tiv durch­set­zen wird. Die Tei­lung durch das Land ver­läuft fast ent­lang der histo­ri­schen Trenn­li­nie. Die­se ent­stand durch die Rück­erobe­rung von den Mon­go­len, je nach­dem, ob das Groß­für­sten­tum Mos­kau, aus dem das Rus­si­sche Reich wur­de, oder Litau­en-Polen die Gegend befrei­te. Heu­te könn­te man sagen, der litau­isch-pol­ni­sche Teil wird defi­ni­tiv zur eigen­stän­di­gen Ukrai­ne mit einem ukrai­ni­schen Volk, der Mos­kau­er Teil bleibt Klein­ruß­land und ist rus­sisch. Ob durch den Krieg die­se Tren­nungs­li­nie gerecht und sau­ber gezo­gen wird, läßt sich noch nicht sagen, darf aber bezwei­felt wer­den. Noch befin­den sich die Rus­sen der Ukrai­ne jeden­falls im Nachteil.

Der Westen, also der Kern des ukrai­ni­schen Staa­tes, ist in eini­gen Obla­sten mehr­heit­lich katho­lisch geprägt. Die kon­fes­sio­nel­le Trenn­li­nie ist histo­risch und durch­aus schmerz­haft. Die Ver­selb­stän­di­gung der Ukrai­ne 1991 führ­te auch inner­halb der ortho­do­xen Kir­che, der Mehr­heits­kon­fes­si­on, zu mas­si­ven Ver­wer­fun­gen. In der Streit­fra­ge, ob das Land einer West- oder Ost­aus­rich­tung fol­gen soll, setz­te unter den „West­lern“ eine Abspal­tungs­ten­denz vom Mos­kau­er Patri­ar­chat ein. Auch die­ser Pro­zeß scheint spä­te­stens durch den Krieg zum Abschluß gelangt zu sein. Eine Rück­kehr der ukrai­ni­schen Ortho­do­xen unter Mos­kau erscheint auf lan­ge Sicht als unrealistisch. 

Der Krieg voll­endet nicht nur die Her­aus­bil­dung eines ukrai­ni­schen Vol­kes, son­dern auch einer eigen­stän­di­gen ukrai­nisch-ortho­do­xen Kir­che. Die Zei­ten, als es in der Ukrai­ne nach dem Ende der Sowjet­uni­on drei kon­kur­rie­ren­de ortho­do­xe Kir­chen gab, schei­nen der Ver­gan­gen­heit anzu­ge­hö­ren. Die neue ukrai­nisch-ortho­do­xe Kir­che könn­te, da histo­risch unbe­la­stet und auf­grund des gemein­sa­men Ein­sat­zes in der Ver­tei­di­gung der Unab­hän­gig­keit, zu einem freund­li­che­ren Ver­hält­nis gegen­über der mit Rom unier­ten und von Schewtschuk gelei­te­ten ukrai­nisch-katho­li­schen Kir­che gelan­gen, als es das Mos­kau­er Patri­ar­chat je hat­te und anstrebte.

Wir fin­den also im ukrai­ni­schen Westen auf reli­giö­ser Ebe­ne die klei­ne römisch-katho­li­sche Kir­che, die deut­lich stär­ke­re mit Rom unier­te ukrai­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Kir­che (zur Ent­ste­hung die­ser Kir­che sie­he hier) und die gro­ße ukrai­nisch-ortho­do­xe Kir­che, wäh­rend im klein­rus­si­schen Osten, um bei die­sen Begriff­lich­kei­ten zu blei­ben, die not­wen­dig erschei­nen, um die Zwei­tei­lung des Lan­des zu ver­deut­li­chen, die rus­sisch-ortho­do­xe Kir­che füh­rend ist und sich in den von den Rus­sen erober­ten Gebie­ten als ein­zi­ge ortho­do­xe Kir­che durch­set­zen wird. Ein schmerz­li­cher Pro­zeß vor allem für die ortho­do­xe Welt, der wegen der Juris­dik­ti­ons- und Aner­ken­nungs­fra­ge noch vie­le Jahr­zehn­te fort­dau­ern wird.

Die Sache ist jedoch noch kom­pli­zier­ter, weil es im Westen auch pol­ni­sche, rumä­ni­sche, unga­ri­sche und rus­si­ni­sche (ruthe­ni­sche) Bevöl­ke­rungs­an­tei­le gibt, die im Zuge des natio­na­len Auf­bäu­mens der Ukrai­ner unter die Räder zu kom­men dro­hen. Die Ruthe­nen ver­fü­gen sogar über eine eigen­stän­di­ge mit Rom unier­te ruthe­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Kir­che. Der rus­sisch-ukrai­ni­sche Kon­flikt ent­brann­te an der Fra­ge der NATO-Ost­erwei­te­rung, doch spiel­te eben­so die rück­sichts­lo­se Unter­drückung der Rus­sen und Klein­rus­sen in der Ukrai­ne eine wesent­li­che Rol­le. Groß­erz­bi­schof Schewtschuk spricht von einem „kolo­nia­len“ Krieg Ruß­lands gegen die Ukrai­ne. Dabei darf aber der ukrai­ni­sche Natio­na­lis­mus gegen die Rus­sen und die rus­si­sche Spra­che in der Ukrai­ne nicht aus­ge­blen­det wer­den, wenn man ver­ste­hen will, wie die kata­stro­pha­le Situa­ti­on ent­ste­hen konn­te, die heu­te vor­herrscht. Die im Osten, am Ende des Ersten Welt­krie­ges, will­kür­lich gezo­ge­nen Gren­zen der Ukrai­ne bil­den kei­ne eth­ni­sche und sprach­li­che Gren­ze zwi­schen Ukrai­nern und Rus­sen. Die­se ver­läuft viel wei­ter west­lich mit­ten durch die heu­ti­ge Ukrai­ne. Ihre Ent­ste­hung setz­te bereits im 14. Jahr­hun­dert ein, als Litau­en Kiew einnahm.

Auf eine Beson­der­heit der ukrai­ni­schen Situa­ti­on soll noch hin­ge­wie­sen wer­den. In der west­li­che Ukrai­ne exi­stiert neben den bei­den Zwei­gen der katho­li­schen Kir­che, der römisch-katho­li­schen und der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che auch noch die ukrai­ni­sche recht­gläu­bi­ge grie­chisch-katho­li­sche Kir­che (fälsch­lich oft als „ukrai­ni­sche ortho­do­xe grie­chisch-katho­li­sche Kir­che“ über­setzt). Dabei han­delt es sich um eine Abspal­tung der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che, die auf die Jah­re 2008 bzw. 2011 zurück­geht. Sie ver­fügt über vier Bischö­fe und an ihrer Spit­ze steht ein byzan­ti­nisch-katho­li­scher Patri­arch, der sich zur Zeit „im Exil“ in Prag befin­det. Die­se Abspal­tung ver­steht sich als Teil der katho­li­schen Kir­che, lehnt aber den regie­ren­den Papst ab und gehört damit zum Bereich des Sedis­va­kan­tis­mus. Über die Grö­ße ihrer Anhän­ger­schaft lie­gen kei­ne nähe­ren Anga­ben vor.

Der Grund für die Abspal­tung war, daß dem dama­li­gen Groß­erz­bi­schof Kar­di­nal Lju­bo­myr Husar (2000/2001–2011), dem Vor­gän­ger Schewtschuks, vor­ge­wor­fen wur­de, Ket­ze­rei zu pre­di­gen. Ins­ge­samt hat­te bereits die Ernen­nung Husars zu Span­nun­gen geführt, da er als von Rom auf­ge­zwun­gen emp­fun­den wur­de. Die ukrai­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Kir­che hat­te die Sowjet­zeit unter schwe­rer Ver­fol­gung im Unter­grund über­lebt, wäh­rend Husar zum Vor­wurf gemacht wur­de, sein gan­zes Leben bis zum Ende der kom­mu­ni­sti­schen Herr­schaft im Westen ver­bracht und von dort eine zwei­fel­haf­te Men­ta­li­tät mit­ge­bracht zu haben. Da Rom den Kri­ti­kern nicht zu Hil­fe kam, taten sie, was im latei­ni­schen Bereich undenk­bar, im ost­kirch­li­chen Bereich aber nicht unüb­lich ist: Sie zogen die Kon­se­quen­zen und beleg­ten die Gegen­sei­te mit dem Kir­chen­bann, wor­auf sie umge­kehrt exkom­mu­ni­ziert wurden.

Wei­hen der sedis­va­kan­ti­sti­schen ukrai­ni­schen recht­gläu­bi­gen grie­chisch-katho­li­schen Kirche

Die Ukrai­ne ist nicht nur ein flä­chen­mä­ßig gro­ßes Land und reich an frucht­ba­ren Böden und vie­len Boden­schät­zen, son­dern auch reich an Geschich­te. Wenn man das Heu­te ver­ste­hen will, muß man die Ver­gan­gen­heit auf­merk­sam stu­die­ren. Pan­zer und Gra­na­ten sind dafür nicht geeig­net, weder auf der einen noch auf der ande­ren Seite.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: UGCC/​UOGCC/​Wikicommons/​MiL (Screen­shots)

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1 Kommentar

  1. Wo ist der Mit­tel­punkt der katho­li­schen Chri­sten­heit? Schau­en wir auf Mater Eccle­siae. Der Name sagt es schon. Die Mut­ter der Kir­che. Mater ist der weib­li­che Aspekt. Nicht han­delnd, agie­rend. Eher schüt­zend, ermög­li­chend. Ein alter eme­ri­tier­ter Papst, der betet. Ob er noch die Kräf­te ver­fügt, the­ma­tisch Schwer­punk­te zu set­zen, ist neben­säch­lich. Er betet. Er ist ein Licht, das ausser­halb gespürt wer­den kann. Ich mag die Fotos auf dem Flug­ha­fen Mün­chen 2020 so sehr, wo von Bene­dikt ein Licht aus­geht. Alles um ihn her­um strahlt. Er ermög­licht den Raum, in dem ande­re auf­blü­hen können.
    Die­ser Arti­kel berich­tet von dem Auf­blü­hen. Er berich­tet von einem ruhen­den Pol inmit­ten einer vom Sturm halt­los gewor­de­nen Welt. 

    Und neben­bei fällt mir auf, der Zeit­punkt die­ses Besu­ches stimmt mit der Ver­öf­fent­li­chung des gefälsch­ten Gäns­wein­brie­fes zusammen.

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