„Zu anderen Zeiten stürzt sich das Furchtbedürfnis der Menschen auf …“

Werner Bergengruen über die Furcht des Menschen


Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, Tuschätzung von Francisco de Goya.
"Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer", Tuschätzung von Francisco de Goya.

„Im Grun­de war dies neue Schreck­nis nicht eigent­lich neu, denn schon zu Aus­gang des abge­lau­fe­nen Jahr­hun­derts war es vor­aus­ge­se­hen und vor­aus­ver­kün­digt wor­den. Es war – dass wir dies bedenk­li­che Wort ent­schlos­sen und ohne Scheu aus­spre­chen – die Befürch­tung, ja, vie­ler­orts gar die gewis­se Erwar­tung einer neu­en Sündflut.

Anzei­ge

Viel­leicht will uns Nach­ge­bo­re­nen dies Wort ein Lächeln der Nach­sicht, des Mit­leids und des bes­se­ren Wis­sens auf die Lip­pen drän­gen. Aber dies Lächeln wird nicht stand­hal­ten, wenn wir beden­ken, dass ja die Furcht, dies dunk­le Urge­heim­nis unse­rer Art, zugleich die eigent­li­che Ursün­de und die eigent­li­che teuf­li­sche Mit­gift des Men­schen­ge­schlech­tes dar­stellt und dass sie zu allen Zei­ten und an allen Orten die näm­li­che ist. Stän­dig liegt sie auf der Lau­er, um sich der Men­schen zu bemäch­ti­gen und sie sich dienst­bar zu machen; und ein höl­li­scher, dem eige­nen Leben feind­li­cher Drang im Inne­ren des Men­schen strebt ihr gie­rig ent­ge­gen. Sie ist erfin­de­risch. Jeweils wählt sie sich die Ver­klei­dung, die ihren Opfern am schreck­lich­sten ein­leuch­tet, weil sie den Mei­nun­gen des Zeit­al­ters ange­mes­sen ist. Zu ande­ren Zei­ten stürzt sich das Furcht­be­dürf­nis der Men­schen auf Kriegs­ge­fah­ren, auf eine dro­hen­de Ver­schlech­te­rung des Gel­des, auf Armut und Hun­ger; auf all­ge­mei­ne und leicht über­trag­ba­re Krank­hei­ten, auf her­an­rei­fen­de staat­li­che Umwäl­zun­gen und Ver­fol­gun­gen; end­lich auf einen in naher Zukunft erblick­ten Zusam­men­sturz aller ver­trau­ten, bewähr­ten und gelieb­ten Gestal­tun­gen des gei­sti­gen und gesell­schaft­li­chen Daseins. und hier ist noch nicht ein­mal jener Furcht gedacht, die je und je dun­kel in der Brust des ein­zel­nen auf­be­gehrt und sein eige­nes Geschick oder das der ihm Nächst­ste­hen­den zum Gegen­stan­de hat …“

Wer­ner Ber­gen­gruen: Am Him­mel wie auf Erden (Klei­ne Biblio­thek des Abend­lan­des, Bd. 7), Be&Be, Hei­li­gen­kreuz 2020, S. 54. Die Erst­aus­ga­be erschien 1940.
Ber­gen­gruen läßt die Hand­lung sei­nes Romans Anfang des 16. Jahr­hun­derts spie­len. Was er über die Furcht aus­führt, klingt nach den Erfah­run­gen von zwei Jah­ren der Coro­na-Maß­nah­men und dem nun­meh­ri­gen Ukrai­ne­kon­flikt hoch­ak­tu­ell. Sei­ne Zei­len sind ein Weck­ruf gegen den Schlaf der Ver­nunft, der Unge­heu­er gebiert, wie es Fran­cis­co de Goya in sei­nen Caprichos (1796/​1798) dar­ge­stellt hat.
Die­ses Buch, die ande­ren Bän­de der „Klei­nen Biblio­thek des Abend­lan­des“ und vie­le mehr kön­nen über unse­re Part­ner­buch­hand­lung bezo­gen werden.

Anmer­kung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!

 




 

1 Kommentar

  1. Die Zeit soll ja ver­kürzt werden(Mt 24,22). Läge dann die Ver­kür­zung dar­in, dass der Mensch nicht in sei­nen eige­nen inne­ren Pro­zes­sen sich aus der Sün­de erhebt? Absich­ten, Erfol­ge, Nie­der­la­gen, Lei­dens­druck und Gewis­sen. Wäre die Ver­kür­zung viel­mehr ein gött­li­ches Erhel­len der Dun­kel­heit, ein Offen­ba­ren alles Ver­bor­ge­nen. Das Licht, das die Dun­kel­heit nicht aus­lö­schen kann. 

    Mir kam es gestern auf den Stra­ssen vor, als hät­te sich schon etwas verändert.

Kommentare sind deaktiviert.