Kommt es im Souveränen Malteserorden zum Showdown zwischen dem Sonderbeauftragten des Papstes Kardinal Silvano Tomasi und Großkanzler Albrecht von Boeselager, der die von der Tomasi-Kommission vorbereiteten Änderungen der Ordenskonstitutionen nicht akzeptieren will? Ende Februar wird Papst Franziskus direkt eingreifen und eine Entscheidung herbeiführen, wie es von ihm selbst angekündigt wurde.
„Die Geister, die ich rief, werd‘ ich nun nicht los“, läßt Goethe den Zauberlehrling sagen. Großkanzler Boeselager scheint sich in einer vergleichbaren Lage zu befinden. Er rief im Dezember 2016 den Heiligen Stuhl zu Hilfe, um sich gegen den damaligen Großmeister des Malteserordens, Fra Matthew Festing, behaupten zu können. Mit Papst Franziskus im Rücken gelang dies auch. Nicht Boeselager mußte seinen Stuhl als Regierungschef des Malteserordens räumen, sondern Fra Festing den des Großmeisters. Am vergangenen 12. November ist Fra Festing, der als 79. Großmeister auf Lebenszeit gewählt war, verstorben.
Seit jenen dramatischen Momenten sind mehr als fünf Jahre vergangen und Boeselager steht erneut mit dem Rücken zur Wand, nur mit dem Unterschied, daß es nun der Heilige Stuhl ist, dem der Großkanzler damals die Tore zum Orden geöffnet hatte, der ihn in die Enge treibt.
Der Showdown im Malteserordens könnte kurz bevorstehen. Ende Februar wird, sollte es dabei bleiben, ein Treffen mit allen Beteiligten eines Konflikts stattfinden, der eine der ältesten Institutionen der Zivilisation zu zerreißen droht. Der Malteserorden wird in wenigen Jahren sein tausendjähriges Bestehen feiern können.
Das Treffen soll in Anwesenheit von Papst Franziskus erfolgen. Der Papst sei entschlossener denn je, wie es heißt, persönlich zu intervenieren, um die Streitigkeiten über die Reform der Ordensverfassung ein für allemal beizulegen. So ganz einfach ist die Sache allerdings nicht. Der Heilige Stuhl eilte, 2016 von Boeselager gerufen, dem Freund zu Hilfe. Doch nun, da Franziskus und die Seinen im Malteserorden standen, begannen sich die Gewichte zu verschieben, und der Freund von gestern ist nicht mehr unbedingt der Freund von heute. Neue „Freunde“ haben inzwischen im Orden ein Wort mitzureden, die Franziskus näherstehen als Boeselager.
Der Freund von gestern …
Am vergangenen 25. Oktober schrieb Franziskus einen Brief an Kardinal Silvano Tomasi, in dem er seinen Sonderbeauftragten der vollen päpstlichen Unterstützung versicherte. Der vatikanische Berufsdiplomat, der bis 2016 Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UNO und der WHO in Genf war, soll in den zurückliegenden Monaten wegen Boeselagers Widerständen trotz seiner diplomatischen Erfahrung schon drauf und dran gewesen sein, die Contenance zu verlieren.
Als Großmeister Festing seinen Großkanzler über dessen Aktivitäten zur Rede stellte, schien für den deutschen Freiherren alles verloren zu sein. Doch seine guten Kontakte zu Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und dem damaligen Substituten im vatikanischen Staatssekretariat, Msgr. Angelo Becciu, machten sich bezahlt. Boeselager erwirkte, was er sich wünschte: Er bekam nicht nur sein Amt als Großkanzler zurück, vielmehr räumte Papst Franziskus für ihn auch seinen Gegenspieler, Großmeister Festing, aus dem Weg. Boeselager schien im Februar 2017 der neue Herr im Malteserorden zu sein.
Unter Becciu, der von Franziskus zum ersten Sonderbeauftragten ernannt wurde, verlief das Verhältnis auch recht gut. Doch Becciu stürzte 2020 über den Kauf von Luxusimmobilien in London. Seinen Platz als Sonderbeauftragten beim Malteserorden nahm nun Msgr. Silvano Tomasi ein. Den Diplomaten hatte der Papst 2017 zum delegierten Sekretär des neuerrichteten, doch eher ominösen Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen berufen. Wenige Wochen nach seiner Ernennung zum Sonderbeauftragten kreierte ihn Franziskus auch zum Kardinal. Tomasi ist nicht der Mann Boeselagers, sondern des Papstes.
Tomasi mischte sich deutlich intensiver in die Neufassung der Ordenskonstitutionen ein und führte selbst den Vorsitz in der Kommission, die einen entsprechenden Entwurf auszuarbeiten hatte. Gegen den Kardinal ist Großkanzler Boeselager weitgehend machtlos. Nicht nur weil Tomasi der Sonderbeauftragte des Papstes ist, sondern auch deshalb, weil Tomasi jener fünfköpfigen Untersuchungskommission angehörte, die Kardinalstaatssekretär Parolin im Dezember 2016 eingesetzt hatte, um die Anschuldigungen von Großmeister Festing gegen Boeselager zu prüfen. Diese Kommission attestierte dem deutschen Freiherren in Windeseile eine weiße Weste. Ihr Gutachten nahm Franziskus Ende Januar 2017 zudem zum Anlaß, den Rücktritt des Großmeisters zu fordern. Ein Skandal, von dem sich der Orden in seinem Inneren noch nicht erholt hat.
Mit anderen Worten: Tomasi rettete Boeselager aus der Bredouille. Genau er, dem der Großkanzler viel verdankt, sitzt ihm nun im Genick. Tomasi ist allerdings weit mehr in die Sache verwoben, nicht nur als heutiger Sonderbeauftragter und als Mitglied der damaligen Untersuchungskommission. Tomasi steht auch in Zusammenhang mit dem Caritas Pro Vitae Gradu Charitable Trust (CPVG), bei dem 30 Millionen Schweizer Franken geparkt sind, die dem Orden gespendet worden sein sollen, deren Provenienz Großmeister Festing aber bezweifelte. Das war einer der Streitpunkte, die Anfang Dezember 2016 zur Entlassung Boeselagers als Großkanzler geführt hatten. Und es war der Grund, weshalb Großmeister Festing der vatikanischen Untersuchungskommission, als er von deren Einsetzung erfahren hatte, Befangenheit vorwarf. Den Vatikan interessierten diese „Details“ allerdings nicht. Oder interessierten sie vielmehr sogar sehr?
Das Heft des Handelns
Boeselager mußte inzwischen feststellen, daß ihm Kardinal Tomasi, der dem Orden nicht angehört, das Heft des Handelns aus der Hand nahm. Im Zuge der Ausarbeitung des Entwurfs für die neuen Konstitutionen flogen daher wiederholt die Funken. Schließlich setzte Boeselager eine Art Schattenkommission ein, die einen eigenen Entwurf für die Ordensreform ausarbeiten soll. Ende Januar versicherte Boeselager in einem internen Schreiben, den Orden nicht in eine NGO umwandeln zu wollen. Dieser Vorwurf war ihm schon von Fra Festing gemacht worden, wegen einiger Kooperationen mit UNO-Agenturen, die der damalige Großmeister mißbilligte.
Zugleich übertrug Boeselager dem Vorsitzenden der libanesischen Ordensvereinigung, Marwan Sehnaoui, den Vorsitz über die Schattenkommission und erklärte ihn zum alleinigen Kommunikationsberechtigten im Zusammenhang mit der Ordensreform. Dieses Recht beansprucht Kardinal Tomasi jedoch für sich und hatte sich in dem Schreiben von Papst Franziskus vom 25. Oktober 2021 ausdrücklich als „alleinigen Sprecher für alles, was die Beziehungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und dem Orden betrifft“, bestätigen lassen.
Marwan Sehnaoui gehörte wie Tomasi nicht nur der vatikanischen Untersuchungskommission zur Ehrenrettung für Boeselager an, sondern steht wie die beiden Vorgenannten auch im Zusammenhang mit den Schweizer Millionen. Offensichtlich ist man sich untereinander nicht mehr ganz grün. Die Bruchlinie verläuft heute zwischen jenen, die dem Orden angehören, und jenen, die ihm nicht angehören.
Das Tauziehen
Das Tauziehen dauert an, seit Tomasi zum Sonderbeauftragten ernannt wurde. Am 29. Januar war „eine repräsentative Gruppe des Malteserordens“ vom Papst „zusammen mit der Arbeitsgruppe des Sonderbeauftragten“ empfangen worden, wie Boeselager ordensintern betonte. Im Tagesbulletin des vatikanischen Presseamtes wurde allerdings nur eine Audienz für Kardinal Tomasi und P. Gianfranco Ghirlanda gemeldet. Mit solchen Feinheiten kommuniziert der Heilige Stuhl, wer für ihn der Ansprechpartner ist – und wer nicht.
Seither muß der Großkanzler rudern, was seine Kräfte hergeben, denn er hat nicht nur seine Pläne für den Orden weiterzuverfolgen, sondern muß sich auch eines neuen, mächtigen Gegenspielers erwehren, des Kardinals Tomasi, der den Vatikan hinter sich hat. Boeselager ist aber auch ordensintern nicht unumstritten. Ein Teil trägt ihm den Sturz von Großmeister Festing nach und wartet nur auf eine sich bietende Gelegenheit. Hinzu kommen verbreitete Bedenken, der Orden solle in eine NGO umgebaut werden, zwar eine NGO de luxe, da mit diplomatischer Immunität ausgestattet, aber immerhin eine NGO. Eine solche könnte dem tausendjährigen Erbe des Ordens aber nicht gerecht werden, schon gar nicht seinem Charisma.
P. Gianfranco Ghirlanda, ein Jesuit und Jurist, bis 2010 Rektor der Päpstlichen Universität Gregoriana, stellt bereits „optisch“ einen schwerwiegenden Schönheitsfehler im aktuellen Prozeß im Malteserorden dar. Ghirlanda genießt das absolute Vertrauen von Papst Franziskus und wird von diesem in delikaten und ihm wichtigen Angelegenheiten eingesetzt. Wo P. Ghirlanda zum Einsatz kommt, steht ein Orden oder eine Gemeinschaft unter kommissarischer Verwaltung und wird ein vom Heiligen Stuhl überwachter „Erneuerungsprozeß“ oktroyiert. In diesem Sinne war Ghirlanda bereits bei den Legionären Christi im Einsatz, beim Sodalitium Vitae Cristianae … und nun auch beim Malteserorden. Innerhalb des Ordens versucht man diesen Aspekt zwar herunterzuspielen, doch wirklich wohl ist dabei keinem Ordensritter. Die Mitwirkung Ghirlandas verdeutlicht, daß Papst Franziskus mitreden, sprich, entscheiden will und damit gilt, was mahnende Stimmen schon Anfang 2017 gesagt hatten: Boeselager habe, um seinen Posten zu retten, die Souveränität des Ordens geopfert.
Papst Franziskus ist nicht eine Stimme unter mehreren, die man im Zweifel überhören oder überstimmen kann. Boeselager ist das inzwischen nur zu klar geworden. Er mußte erfahren, daß P. Ghirlanda als Speerspitze des Sonderbeauftragten handelt. Der exzellente Jurist ist der Verfasser des Entwurfs für die neuen Konstitutionen, den die Tomasi-Kommission erarbeitet hat.
Die Zentralisierung gemäß Santa Marta
Der Entwurf sieht eine straffe Zentralisierung im Leben und in der Leitung des Ordens vor. Dieses Denken entspricht dem von Franziskus, das er aus dem Jesuitenorden kennt. Es entspricht allerdings nicht dem Wesen des Malteserordens. Im Orden und auch im Vatikan glauben manche ein Schwächeln Boeselagers feststellen zu können. Wird der deutsche Baron den Kompromiß suchen, was nur eine Unterwerfung sein könnte, um für sich zu retten, was zu retten ist?
Boeselager, der im Dezember 2016 so bereitwillige Unterstützung im vatikanischen Staatssekretariat fand, findet dort derzeit nur verschlossene Türen. Bei der Audienz am 29. Januar hatte Franziskus angekündigt, persönlich einzugreifen. Er ersuchte, alle Aktivitäten rund um die neuen Konstitutionen bis Ende Februar auszusetzen. Die Kommission von Kardinal Tomasi fügte sich dem, die Kommission von Sahnaoui aber nicht. Am 2. Februar soll in Rom unter dem Vorsitz von Peter Szabadhegy, Boeselagers Stellvertreter in der Ordensregierung und einer seiner Vertrauensmänner, ein Treffen zur Ordensreform stattgefunden haben, ohne daß der päpstliche Sonderbeauftragte davon unterrichtet war.
Die Angelegenheit wurde schnell bekannt und von jenen an Kardinal Tomasi berichtet, die interessiert sind, den Keil tiefer zu treiben.
Vor diesem Hintergrund wird im Orden mit zunehmender Spannung der von Franziskus für Ende Februar angekündigte Termin erwartet, an dem er selbst eingreifen will. Im Orden selbst, in den verschiedenen „Zungen“ und Vereinigungen, unabhängig davon, ob sie dem „deutschen“ oder „englischen“ Lager zugehörig sind, wird der Wunsch lauter, daß der Orden souverän, also selbständig und ohne Einmischung von außen, seine Angelegenheiten entscheiden soll. Doch die Geister, die gerufen wurden, wird man nicht mehr los.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Ich sehe das anders. Nie war die Möglichkeit grösser, sich von unangemessener Einmischung durch den Vatikan zu befreien als jetzt. In einer Situation, in der es scheint, es gebe keine Sicherheiten mehr auf irgendetwas, ist das Herz und der Kopf frei.
Auch ist das Wesen des Malteserordens mitnichten veraltet. Die Reinheit und das über den Dingen stehen können diese Zeit der Umbrüche und Veränderungen durchaus erfolgreich überstehen. Das, was verloren gehen wird, ist das Moderne. Modern heisst, nur zu einer begrenzten Zeit relevant. So ist die Einmischung des Vatikans, die ja eine Schwächung des Ordens zum Ziel hat, eine momentane Angelegenheit. Es ist jedem offensichtlich, in welcher Absicht Franziskus seine Spitzendiplomaten einsetzt. Das Wesen des Ordens ist es, ein Völkerrechtssubjekt nach göttlichem Willen zu sein. Sobald sich Rom als Hure Babylon gebärdet, ist es dem entgegengesetzt. Wo hingegen der heilige Geist weht, ist Zukunft, Eindeutigkeit und Klarheit.