(Rom) Am Montag öffnete Papst Franziskus mit dem Motu proprio Spiritus Domini für Frauen zwei Dienste, die bis zur Liturgiereform zu den niederen Weihen gehörten. Durch die Zulassung von Frauen als Lektoren und Akolythen weicht Franziskus die Lehre der Kirche auf, wie sie zuletzt unzweideutig von Papst Johannes Paul II. im Apostolischen Schreiben Christifideles Laici von 1988 bekräftigt wurde. Die Neuerung wird von Franziskus als direkte Folge der umstrittenen Amazonassynode bezeichnet und mit dieser gerechtfertigt.
Lektorat und Akolythat sind zwei Dienste in der heiligen Liturgie der Kirche. Der Lektor (Vorleser) trägt im Novus Ordo die erste und zweite Lesung vor. Er kann auch die Fürbitten vorbringen und bei Abwesenheit eines Kantors den Eröffnungsvers und den Antwortpsalm vortragen.
Der Akolyth (Begleiter) dient in der heiligen Liturgie dem Priester am Altar und bei der Kommunionspendung. Ihm kommt es auch zu, die Kerzen auf dem Altar zu entzünden, zum Evangelium den Leuchter zu tragen und zur Gabenbereitung Wasser und Wein zum Altar zu bringen.
Bis 1972 gehörten beide Dienste zu den niederen Weihen, die angehende Priester auf dem Weg zum Priestertum erhalten. Mit dem Motu proprio Ministeria quaedam vom 15. August 1972 entkoppelte sie Papst Paul VI. im Novus Ordo vom Weihesakrament. Beibehalten wurde ihre Übertragung als niedere Weihestufen hingegen in der überlieferten Form des Römischen Ritus.
Der überlieferte Ritus kennt bis zum heutigen Tag vier niedere Weihen. Angehende Priester werden in folgender Reihung zum Ostiarier, Lektor, Exorzisten und bereits mit deutlich gesteigerter Feierlichkeit zum Akolythen geweiht. Der Akolyth, deshalb auch die Feierlichkeit, ist die erste Weihestufe, die in direkter Beziehung zum eucharistischen Opfer steht. Die nächsten Weihestufen sind dann Subdiakonat, Diakonat und schließlich die Priesterweihe.
Im Neuen Ritus kann seit 1972 „männlichen Laien“ von der zuständigen Bischofskonferenz erlaubt werden, den Dienst des Lektors und des Akolythen auszuüben. Während sie im überlieferten Ritus Weihestufen auf dem Weg zum Priestertum darstellen, werden sie im Novus Ordo nur mehr als Dienste behandelt.
In Ministeria quaedam von 1972 bekräftigte Paul VI.:
„Die Einsetzung zu Lektoren und Akolythen bleibt, gemäß der altehrwürdigen Tradition der Kirche, den Männern vorbehalten.“
Entsprechend finden Frauen in dem Dokument zur Reform der Weihestufen keine Erwähnung.
In seinem jüngsten Motu proprio Spiritus Domini schreibt Franziskus hingegen:
„Wenn es zum Wohl der Kirche nützlich oder notwendig ist, können die Hirten entsprechend den Normen des Universalrechts den Laien bestimmte Aufgaben anvertrauen, die zwar mit ihrem eigenen Hirtenamt verbunden sind, aber den Charakter des Ordo [Weihesakrament] nicht voraussetzen. Der Codex schreibt: »Wo es ein Bedarf der Kirche nahelegt, weil für diese Dienste Beauftragte nicht zur Verfügung stehen, können auch Laien, selbst wenn sie nicht Lektoren oder Akolythen sind, nach Maßgabe der Rechtsvorschriften bestimmte Aufgaben erfüllen, nämlich den Dienst am Wort, die Leitung liturgischer Gebete, die Spendung der Taufe und die Austeilung der heiligen Kommunion«. Die Erfüllung einer solchen Aufgabe macht den Laien aber nicht zum Hirten: Nicht eine Aufgabe konstituiert das Amt, sondern das Sakrament des Ordo. Nur das Sakrament des Ordo gewährt dem geweihten Amtsträger eine besondere Teilhabe am Amt Christi, des Hauptes und Hirten, und an seinem ewigen Priestertum.“
Franziskus zitiert dazu zahlreiche kirchliche Dokumente seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die sich auf die Frauen und das Frausein beziehen, sich aber auf anderen Ebenen bewegen. Beleg für die Übertragung von liturgischen Diensten führt er keinen an. Stattdessen spricht er von einer „doktrinären Entwicklung“, die „in jüngster Zeit“ stattgefunden habe.
1993 erließ die Deutsche Bischofskonferenz eine Partikularnorm zum Canon 230, Absatz 1 des Codex Iuris Canonici:
„1. Männliche Laien, die gemäß c. 230 § 1 CIC die Bestellung für die „Dienste des Lektors und des Akolythen auf Dauer“ erhalten, müssen:
a) mit Ausnahme der unter II. genannten Personen das 25. Lebensjahr vollendet haben,
b) eine gediegene Kenntnis der Heiligen Schrift und der Liturgie besitzen,
c) befähigt sein zur Ausübung der im betreffenden Dienst vorgesehenen Tätigkeiten und
d) sich auszeichnen durch eine gefestigte Glaubenshaltung und einen bewährten Lebenswandel.
2. Der Diözesanbischof kann aus triftigem Grund die Bestellung widerrufen.“
Mit dem neuen Motu proprio änderte Franziskus den betreffenden Paragraphen des Kirchenrechts wie folgt:
„Laien, die über das durch ein Dekret der Bischofskonferenz festgelegte Alter und die Fähigkeiten besitzen, können dauerhaft als Lektoren und Akolythen in den etablierten liturgischen Ritus übernommen werden.“
Durch den Wegfall einer ausdrücklichen Erwähnung der Männer ergibt sich, daß auch Frauen zu den genannten Diensten zugelassen sind.
Im deutschen Sprachraum hatten die Bischöfe bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Die Regelung sieht weitergehende Ausnahmen vor, so wurde das Mindestalter auf 16 Jahre heruntergesetzt. Der Eingriff scheint dennoch für Gläubige im deutschen Sprachraum auf den ersten Blick fast unbedeutend, da Frauen seit Jahrzehnten diese Dienste ausüben. Fast auf der ganzen Welt tragen Frauen die Lesungen vor und teilen die Kommunion aus. Das beruhte aber auf Dispensen, Ausnahmeregelungen, die von den zuständigen Bischofskonferenzen in Anspruch genommen werden konnten, um neben die Norm noch Ausnahmen zu setzen. Rom vollzieht nun nach, was bereits gängige Praxis ist. So der Eindruck, doch auf rechtlicher Ebene ist der Schritt von großer Tragweite. Franziskus weicht die klare Lehre in dieser Frage auf, die noch 1988 von Johannes Paul II. bekräftigt wurde. Der polnische Papst bestätigte damit die kirchliche Überlieferung. Er erfand keine neuen theologischen Kategorien, was hingegen Franziskus tut, ohne sich dabei besondere Mühe zu geben. Schließlich weiß er den Zeitgeist auf seiner Seite.
Franziskus konstruiert einen Zusammenhang zwischen seiner Neuerung und dem Zweiten Vatikanischen Konzil, indem er den Eindruck vermittelt, als habe das Konzil die Neuerung implizit bereits vorausgedacht und gewollt. In keinem Konzilsdokument findet sich jedoch ein Hinweis auf eine Zulassung von Nicht-Geweihten zu liturgischen Diensten, die in der Tradition der Kirche nur Geweihten vorbehalten sind. Es findet sich kein Hinweis, der nicht geweihte Männer betrifft und ebenso wenig findet sich ein Hinweis auf Frauen.
Johannes Paul II. schreibt in Christifideles laici:
„Bei dieser Vollversammlung der Synode fehlten neben den positiven nicht die kritischen Beurteilungen über den undifferenzierten Gebrauch des Terminus »Amt«, über Unklarheit und wiederholte Nivellierungen zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem Amtspriestertum, über die geringe Beachtung gewisser kirchlicher Normen und Bestimmungen, über die willkürliche Interpretation des Begriffes der »Stellvertretung«, über die Tendenz zur »Klerikalisierung« der Laien und über das Risiko, de facto eine kirchliche Dienststruktur zu schaffen, die parallel zu der im Sakrament des Ordo gründenden steht.
Um diese Gefahren zu vermeiden, haben die Synodenväter auf der Notwendigkeit bestanden, nicht zuletzt durch den Gebrauch einer präziseren Terminologie, die Einheit der einen Sendung der Kirche, an der alle Getauften teilnehmen, aber auch den wesenhaften Unterschied des Amtes der Hirten, der im Sakrament des Ordo gründet, gegenüber anderen Diensten, Aufgaben und Funktionen in der Kirche, die in den Sakramenten der Taufe und Firmung begründet sind, klar herauszustellen.“
Johannes Paul II. unterschied sprachlich zwischen Dienst und Amt, während Franziskus in Spiritus Domini das Gegenteil tut, indem er die beiden Begriffe zusammenzieht und zu „Dienstämtern“ vermengt. Dadurch, soviel scheint festzustehen, dürfte weitere Verwirrung bereits vorprogrammiert sein.
Verwirrung breitete sich bereits in den vergangenen Jahrzehnten aus. Keine zehn Jahre nach dem Apostolischen Schreiben Christifideles laici von Johannes Paul II. veröffentlichten mehrere römische Dikasterien eine gemeinsame Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester, die Klarheit schaffen sollte. Sie tat es nicht in ausreichendem Maße, weil in manchen Ortskirchen, auch und nicht zuletzt im deutschen Sprachraum, die kirchliche Hierarchie und ein etablierter hauptamtlicher Laienapparat dies gezielt und erfolgreich verhinderten.
In dieser Instruktion erklärten Kleruspräfekt Dario Castrillon Hoyos, Glaubenspräfekt Joseph Kardinal Ratzinger, Gottesdienstpräfekt Jorge Arturo Kardinal Medina Estevez, Bischöfepräfekt Bernardin Kardinal Gantin und vier weitere Dikasterienleiter, daß „die Funktionen des Weiheamtes in ihrer Gesamtheit aufgrund ihres einzigen Fundamentes eine untrennbare Einheit bilden“. Wörtlich heißt es weiter:
„Man muß diese Lehre bekräftigen, weil einige Praktiken, die dem Mangel an geweihten Amtsträgern in der Gemeinde abhelfen möchten, in manchen Fällen ein Verständnis vom gemeinsamen Priestertum der Gläubigen aufkommen ließen, das seinen eigentlichen Sinn und seine spezifische Bedeutung verwischt. Dies führt unter anderem zu einem Rückgang der Kandidaten für das Priestertum und verdunkelt die besondere Stellung des Seminars als typischen Ort für die Ausbildung des geistlichen Amtsträgers. Es handelt sich um eng verflochtene Phänomene, über deren gegenseitige Zusammenhänge noch nachzudenken sein wird, um überlegte Schlußfolgerungen für die Praxis zu ziehen.“
Sie warnten mit Billigung und Auftrag von Johannes Paul II. vor nichts geringerem als einem Angriff auf das Weiheamt und damit das Weihesakrament. Das Motu proprio Spiritus Domini scheint diese Warnung jedoch nicht ernst zu nehmen.
In dem Begleitschreiben, das Franziskus dem Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Luis Ladaria Ferrer SJ zusammen mit dem Motu proprio übermittelte, beide tragen das Datum vom vergangenen Sonntag, sagt der Papst, daß Spiritus Domini eine direkte Umsetzung einer Anregung der umstrittenen Amazonassynode von Oktober 2019 sei.
Wörtlich schreibt er und zitiert dabei das Schlußdokument der Amazonassynode:
„Die Sonderversammlung der Bischofssynode für das Amazonasbecken (6.–27. Oktober 2019) hat im fünften Kapitel des Schlußdokuments die Notwendigkeit signalisiert, über ‚neue Wege für die kirchlichen Dienstämter‘ nachzudenken. Nicht nur für die Amazonas-Kirche, sondern für die ganze Kirche in den verschiedenen Situationen, ‚‘ist darauf zu dringen, daß Männern und Frauen gleichermaßen Dienstämter übertragen werden. … Dies ist die Kirche der getauften Frauen und Männer, die wir vor allem im Bewußtsein der in der Taufe empfangenen Würde, aber auch durch Förderung von Dienstämtern bestärken müssen.“
Franziskus betont gerne die Mitbestimmung und Einbindung der Ortskirchen. Dennoch entschied er mit Spiritus Domini eigenmächtig aufgrund seiner päpstlichen Machtfülle. Mit wem er sich besprochen hat, bleibt unbekannt. Einen Entscheidungsfindungsprozeß, wie ihn seine Vorgänger durchführten, gab es nicht. Die Aufforderung durch die Amazonassynode kann keinen Anspruch für die Weltkirche erheben. Die Zusammensetzung dieser Synode war auf dem päpstlichen Schreibtisch akribisch studiert worden, die Synodalen waren handverlesen und das Ergebnis vorprogrammiert. Darauf zu verweisen, daß diese Synodalen eines eng umrissenen geographischen Raumes ihre Forderung nicht nur für den Amazonas, sondern für die ganze Weltkirche erhoben hätten, kann als Rechtfertigung nicht ernst genommen werden.
P. Peter Stravinskas warf am Montag im Catholic World Report noch einen weiteren Aspekt auf. Der US-Amerikaner ist Gründer der Priestergesellschaft des ehrwürdigen John Henry Newman und Herausgeber der Zeitschrift The Renewal, die der katholischen Erziehung, der liturgischen Erneuerung und der Neuevangelisierung verpflichtet sind. Papst Franziskus ist es, so P. Stravinskas, der mit dem Motu proprio in einem Schreiben dem Glaubenspräfekten dessen Bedeutung erläutert. Bisher war das genau umgekehrt: Diese erläuternde Aufgabe gegenüber der Kirche erfüllte der Präfekt der Glaubenskongregation. P. Stravinskas stellte daher die Frage, ob Kardinal Ladaria sich geweigert habe, ein solches Dokument zu unterzeichnen. Offenbar beauftragte Franziskus einen Professor der Lateranuniversität den Text zu verfassen. Wiederum fragt P. Stravinskas, ob Franziskus im Vatikan niemand finden konnte, der diese Arbeit erledigt.
Die zersetzende feministische Bewegung in der Kirche zieht auf das Weihesakrament ab, auf Diakonat, Priestertum und Episkopat. Lektorat und Akolythat erfüllen die Begehrlichkeiten dieser Bewegung nicht. Durch Spiritus Domini wird ihnen ein weiteres Trampolin errichtet, damit sie ihre Versuche verstärken können, die Ebene des Weihesakraments zu erreichen.
Das Motu proprio Spiritus Domini als „Trostpflaster“ für eine möglicherweise bevorstehende Ablehnung des Frauendiakonats zu sehen, bleibt bloße Spekulation. Ein solcher nicht faktengestützter Zweckoptimismus ist in manchen kirchlichen Kreisen verbreitet, die der Realität und Konflikten lieber aus dem Weg gehen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)