Die verstörende Präsenz von Pater Turoldo im neuen Römischen Meßbuch

David Maria Turoldo, Vater und Dichter einer neuen Kirche


David Maria Turoldo, Servitenpater und "verdammte Poet", wie er von sich selbst sagte, weil er "wie ein Verdammter schrieb".
David Maria Turoldo, Servitenpater und "verdammter Poet", wie er von sich selbst sagte, weil er "wie ein Verdammter schrieb".

Von Cri­sti­na Siccardi*

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Es wird ein Tag kom­men, an dem es hei­ßen wird:

„Es gab eine Zeit in der Geschich­te der Mensch­heit, in der in der west­li­chen Welt Kin­der mit Zustim­mung der Staa­ten im Mut­ter­leib getö­tet wur­den; Por­no­gra­phie wur­de in sozia­len Medi­en prak­ti­ziert; Jugend­li­che nah­men bereits im Alter von 10 und 11 Jah­ren Dro­gen; an Schu­len wur­de seit dem Kin­der­gar­ten die Gen­der-Theo­rie gelehrt, in der argu­men­tiert wur­de, daß es nicht nur ein männ­li­ches und ein weib­li­ches Geschlecht gibt, son­dern ganz unter­schied­li­che Geschlech­ter, d. h. Schwu­le, Les­ben, Trans­se­xu­el­le … und dafür gab es kei­ne Fami­lie mehr, aber vie­le Fami­li­en­for­men. Es war eine aus dem Lot gera­te­ne Welt, ver­rückt, gewis­sen­los, in der die Tugen­den abge­schafft und die Sün­den, auch die Tod­sün­den, von der Kir­che begrüßt wur­den; sogar der Papst gab Inter­views, in denen er die Not­wen­dig­keit beton­te, ein­ge­tra­ge­ne Part­ner­schaf­ten zwi­schen Schwu­len anzu­er­ken­nen … und die Leu­te, die sich der vor­herr­schen­den Kul­tur nicht anpaß­ten, wur­den in den Fern­seh­sa­lons ver­spot­tet und zum Schwei­gen gebracht – wie auch in den mei­sten Pfar­rei­en. In den Semi­na­ren zir­ku­lier­ten Psy­cho­ana­ly­ti­ker, und die mate­ria­li­sti­sche Sicht­wei­se hielt Prie­ster, Ordens­män­ner und Ordens­frau­en gefan­gen. Trotz der Pres­se­frei­heit war es schwie­rig gewor­den, die Leu­te zum Nach­den­ken zu brin­gen: Beson­ders die ‚Gebil­de­ten‘ und sogar die Prä­la­ten waren so von Lügen trun­ken, pro­du­ziert von einer nun­mehr trans­hu­ma­nen Mas­se, die auch von den Vätern einer neu­en Kir­che her­vor­ge­bracht wurde.“

Unter den Vätern der neu­en Kir­che befin­det sich auch David Maria Tur­ol­do (1916–1992), der „ver­damm­te Poet“ des 20. Jahr­hun­derts, der „im kirch­li­chen und welt­li­chen Bereich als pro­phe­ti­sche Gestalt“ gilt. Er war ein begei­ster­ter Befür­wor­ter der ekkle­sio­lo­gi­schen Revo­lu­ti­on und „des unru­hi­gen Gewis­sens der Kir­che“. Pater Tur­ol­do wur­de lan­ge Zeit von der römi­schen Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re, die vor dem Kon­zil das Hei­li­ge Offi­zi­um genannt wur­de, „beson­ders beob­ach­tet“. Der Ser­vi­ten­or­den selbst, zu des­sen Prie­stern er gehör­te, ent­fern­te ihn von ver­schie­de­nen Posten und ver­setz­te ihn von einem Haus in ein ande­res, bis Tur­ol­do nach dem Kon­zil, als auch die Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men der Kir­che viel kon­zi­li­an­ter gewor­den waren, dank Gior­gio La Pira, dem pro­gres­si­ven Bür­ger­mei­ster von Flo­renz, sei­nem Freund und Mit­ar­bei­ter, einen „festen Wohn­sitz“ fand.

Tur­ol­do ver­trat die Mei­nung, ganz dem Libe­ra­lis­mus fol­gend, daß der Glau­be eine Pri­vat­sa­che sei und nicht öffent­lich bezeugt zu wer­den habe, um nie­mand zu belei­di­gen. Dabei wuß­te er genau, daß die Apo­stel und Mär­ty­rer aller Zei­ten für Chri­stus gestor­ben sind, weil sie ihren Glau­ben vor aller Welt bekannt haben. Und so behaup­te­te er auch, daß Schei­dung und Abtrei­bung schon „ein Übel waren und sind, das auf der Glau­bens- und Gewis­sen­s­ebe­ne ver­or­tet ist im Respekt gegen­über jenen, die nicht glau­ben, daß Abtrei­bung und Schei­dung ein Übel sind“.

Im Mit­tel­punkt von Tur­ol­dos Den­ken stand, daß der Mensch nichts ande­res zu tun habe, als sich zu sei­nem eige­nen Mensch­sein zu bekeh­ren. Des­halb war für ihn die Bekeh­rung zu Chri­stus auf der Grund­la­ge der katho­li­schen Glau­bens­leh­re ein für immer been­de­ter, ver­al­te­ter und daher über­flüs­si­ger Diskurs.

Tur­ol­do schrieb sowohl in Pro­sa als auch in Poe­sie, und das viel. In den Jah­ren des unge­zü­gel­ten Pro­tests, der zu den gegen­wär­ti­gen Abir­run­gen führ­te, war er eine Haupt­fi­gur. Die Schlag­zei­len von Zei­tun­gen wie dem Cor­rie­re del­la Sera und La Stam­pa schrien es von den Titelseiten:

„Der unbe­que­me Bru­der, der für die Schei­dung kämpft.“

Sei­ne Mili­tanz war nicht für Chri­stus, son­dern für „Bür­ger­rech­te“. Intel­lek­tu­el­le und Jour­na­li­sten der lai­zi­sti­schen Welt tru­gen ihn auf Hän­den, weil er Prie­ster und Ordens­mann war, der für ihre „gerech­te Sache“ kämpf­te, so wie heu­te Rena­to Zero Papst Fran­zis­kus in der Fra­ge der Homosexuellen-„Rechte“ unter­stützt, wäh­rend die Katho­li­ken fas­sungs­los und ver­lo­ren in einem immer sprö­de­ren und sich von Glau­bens­un­ter­wei­sung lee­ren­den Schaf­stall zurückbleiben.

Tur­ol­do, der zu den Vätern der neu­en Kir­che zählt, die welt­weit geschätzt wer­den, weil sie nicht in die Para­me­ter der Kir­chen­vä­ter pas­sen, wur­de 1983 als Autor der Coll­ec­ta (ora­tio pri­ma) in das Römi­sche Meß­buch auf­ge­nom­men. Das wie­der­hol­te sich 2020 mit der Neu­aus­ga­be der ita­lie­ni­schen Über­set­zung des Mis­sa­le.

David Maria Tur­ol­do OSM mit dem Ante-Papst Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni SJ

Damit gibt es nicht gerin­ge Schwie­rig­kei­ten, die ein Gene­ra­tio­nen­pro­blem erken­nen las­sen. Vie­le Prie­ster, vor allem jun­ge, die frei von der revo­lu­tio­nä­ren Eupho­rie der Akteu­re sind, die das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil und des­sen Geist präg­ten, sehen dar­in alt­mo­di­sche Tex­te. Die Coll­ec­ta war stets durch einen nüch­ter­nen Cha­rak­ter geprägt, wäh­rend die Tur­ol­do-Tex­te gera­de­zu „bom­ba­stisch“ sind. Tur­ol­dos Ein­fü­gung in das Meß­buch ist schlicht­weg unpraktisch.

Von dem Ser­vi­ten stam­men auch Tex­te wie sein im depres­si­ven Ton­fall geschrie­be­nes Gedicht „Oh mei­ne Tage…“:

„Erst am Abend ist es mir gege­ben /​ dem Able­gen bei­zu­woh­nen /​ des Lich­tes, wenn /​ das Leben nun­mehr /​ hoff­nungs­los ver­lo­ren ist. /​ Mein Lei­chen­zug /​ in jeder Nacht: Emi­gra­ti­on /​der Sin­ne, Erken­nen /​ der ver­ra­te­nen Stun­den, wäh­rend /​ der Geist geraubt ist /​ unter dem spit­zen Bogen /​ der Exi­stenz: Es beglei­tet ihn /​ eine Musik von unaus­sprech­li­cher /​ Stil­le. /​ Statt­des­sen muß ich /​ jeden Mor­gen wie­der auf­ste­hen /​ immer träu­men /​ unmög­li­che Wege.“

Wie­viel Bit­ter­keit, wie­viel Angst war in die­sem Ordens­mann, der sehr wenig von der Fri­sche und Leb­haf­tig­keit des Glau­bens, der Hoff­nung und der Lie­be hatte.

In sei­nem Buch Das gro­ße Übel („Il gran­de male“, Mond­ado­ri, Mai­land 1987) schrieb er mit der Ein­ge­bung des gequäl­ten und unschlüs­si­gen Poe­ten und weit ent­fernt von den Gewiß­hei­ten, die der Erlö­ser schenkt, der auf die Erde kam, um mit Sei­ner Kreu­zi­gung unse­re Sün­den zu kreu­zi­gen, und daher auch weit ent­fernt von den Freu­den­ge­sän­gen des hei­li­gen Fran­zis­kus von Assi­si, der auf fran­zö­sisch, latei­nisch, ita­lie­nisch jubelnd durch die Stra­ßen zog:

„Nur Wor­te, oh Papst: /​ Wor­te, und im Gegen­satz dazu /​ der irrepa­ra­ble Tod /​ des Wor­tes. /​ Die Kir­chen, ein Lärm /​ die Men­schen immer /​ mehr allein /​ und nutz­los. /​ Und der Him­mel ist leer: /​ Gott noch mehr als tot /​ ist abwesend!“

In sei­nen Ulti­mi Can­ti („Letz­te Gesän­ge“, Garz­an­ti, Mai­land 1991) lesen wir in der dunk­len See­le des Autors, der kei­ne über­zeu­gen­den Ant­wor­ten auf sei­ne ent­täusch­te Suche findet:

„Sofort spürst du, wie die Zeit zer­bricht /​ zwi­schen den Hän­den: das letz­te /​ Mal, wenn /​ du nicht mehr die­se Far­ben sehen wirst /​ und die Son­ne, noch dich mit den Freun­den /​ am Abend tref­fen wirst… /​ Also, wie lan­ge noch? /​ Du und er, /​ sonst nichts. /​ Er /​ Du ohne Ant­wor­ten /​ […] See­le mein, denk nicht /​ schlecht über Ihn: Es ist ihm unmög­lich /​ anders zu handeln.“

Wenn im Römi­schen Meß­buch der neu­en Kir­che Platz für Tur­ol­do ist, ist Platz für alle. Kar­di­nal John Hen­ry New­man, Kir­chen­leh­rer in pec­to­re, schrieb ganz ande­re Tex­te, die erfüllt sind von beein­drucken­der Schön­heit und himm­li­scher Freu­de. Tex­te, die zutiefst katho­lisch sind und unse­ren See­len sehr gut­tun, die mehr denn je dür­sten, aber nicht nach Dop­pel­gän­gern, die von Zwei­feln geschwächt sind, son­dern nach authen­ti­schen Zeu­gen des Evangeliums.

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ (Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und refor­miert hat, 2014); „San Fran­ces­co“ (Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te, 2019).

Von der Autorin zuletzt veröffentlicht:

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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1 Kommentar

  1. Die Wor­te von Pater Tur­ol­do erin­nern mich in ihrem Klang sehr an Nietz­sche. Der nihi­li­sti­sche Grund­ton einer von jeg­li­cher Sinn­haf­tig­keit ent­leer­ten See­le. Die­ser Mensch ist ein­fach krank und tod­un­glück­lich. Es muss schreck­lich sein, nicht glau­ben zu kön­nen (oder zu wollen?).

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