
Das römische Glaubensdikasterium unter der Leitung von Kardinal Victor Manuel Fernández veröffentlichte heute eine „Mitteilung bezüglich der Schriften von Maria Valtorta“. Maria Valtorta (1897–1961) war eine italienische Mystikerin, die das zehnbändige Werk „Das Evangelium, wie es mir offenbart wurde“ herausgab, das 1956 erstmals vollständig veröffentlicht wurde.
Maria Valtorta wurde in Caserta bei Neapel geboren. Ihre Eltern stammten aus der Lombardei. Ihr Vater war Berufssoldat bei der italienischen Kavallerie, weshalb die Familie mit dem Regiment des Vaters mehrfach den Wohnort wechselte. Die Mutter war Französischlehrerin. Im Ersten Weltkrieg meldete sich die 20jährige Maria freiwillig zum Dienst als Lazarettschwester und pflegte 18 Monate verwundete Soldaten, da ihr Vater selbst Soldat war. 1920 wurde sie Opfer einer brutalen sozialistischen Aggression. Mit einer Eisenstange wurde sie schwer verletzt und dabei ihre Wirbelsäule beschädigt. Ihr Angreifer rief dabei: „Nieder mit den Herren und den Militärs“. Maria litt seither an starken Schmerzen und Lähmungserscheinungen. 1925 legte sie, beeindruckt von der Lebensbeschreibung der heiligen Therese von Lisieux, ein Gelübde als Sühneseele ab. Ein Gelübde, das sie seither täglich erneuert. In der Hoffnung, daß die Meerluft der Tochter gut täte, ließ sich die Familie nach der Pensionierung des Vaters in Viareggio in der Toskana nieder.

Ab 1934 war sie von der Hüfte abwärts gelähmt und bis an ihr Lebensende, 28 Jahre lang, als Pflegefall an das Bett gefesselt. 1943 wurde sie Tertiarin des Servitenordens. Am Karfreitag 1943, so ihre Angaben, hörte sie als innere Stimme Jesus, der ihr in Schauungen in den kommenden zehn Jahren bis 1953 sein irdisches Leben offenbarte. Diese innere Stimme bewog sie, diese Schauungen niederzuschreiben, die am Ende rund 15.000 Seiten umfaßten. Zunächst weigerte sie sich, ihre Niederschriften veröffentlichen zu lassen. 1947 konnte sie ihr Beichtvater, der Servitenpater Romualdo Migliorini, der seit 1942 ihr geistlicher Führer war, überzeugen, einer Drucklegung zuzustimmen. Ihre bis dahin erfolgten Schauungen wurden 1948 in vier Bänden ohne Nennung ihres Namen veröffentlicht.
Im selben Jahr wurde Pater Migliorini und einigen Mitbrüdern in der Sache eine Audienz bei Papst Pius XII. gewährt, der der Publikation positiv gegenüberstand. Dennoch verlangte das Heilige Offizium (das heutige Glaubensdikasterium) von den Serviten, das Buch nicht weiter zu veröffentlichen. Die vierbändige Erstausgabe wurde sogar auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt, weil ihr das kirchliche Imprimatur (Druckerlaubnis) fehlte.
Mit dem Abschluß der Schauungen im Jahr 1953 wurde das vollständige Werk 1956 in zehn Bänden und erstmals unter Nennung von Maria Valtorta als Autorin herausgegeben. Der Bischof von Trapani hatte dazu ein vorläufiges Imprimatur erteilt unter der Bedingung, daß die Veröffentlichung nicht als „kirchliches Dokument“ beworben wird.
Das unter Valtortas Namen veröffentlichte Werk wurde von der Kirche nie offiziell anerkannt, aber auch nie verurteilt, wenngleich es einige kritische Stimmen gab. Der Osservatore Romano veröffentlichte am 6. Januar 1960 auf der Titelseite einen anonymen Kommentar, in dem das Werk Valtortas als „schlechte romanhafte“ Darstellung abqualifiziert wurde.

Kardinal Joseph Ratzinger rief 1985 in einer Antwort an Kardinal Giuseppe Siri jedoch die Verurteilung der vierbändigen anonymen Erstausgabe und den negativen Artikel im Osservatore Romano in Erinnerung. Ratzinger betonte dabei, daß die Verurteilung seinerzeit „nicht leichtfertig“ getroffen worden sei und von der Verbreitung abgeraten wurde, um „Schaden abzuwenden, die diese Veröffentlichung unter unachtsamen Gläubigen hervorrufen hätte können“.
Maria Valtorta starb 1961 in Viareggio und wurde auf dem dortigen Friedhof begraben. 1971 wurde ihre sterblichen Überreste gehoben und im Loculus ihrer Eltern beigesetzt. 1973 erfolgte ihre erneute Exhumierung und privilegierte Umbettung in die Servitenkirche Santissima Annunziata in Florenz. Es gab wiederholt Bemühungen um ein Seligsprechungsverfahren. Ein solches wurde von der Kirche aber bisher nicht eingeleitet.
Nun erklärte das Glaubensdikasterium, 69 Jahre nach der Erstveröffentlichung der vollständigen Valtorta-Ausgabe in einer heute veröffentlichten Mitteilung:
Zu den Schriften von Maria Valtorta
Der Heilige Stuhl erhält häufig Anfragen von Klerikern und Laien mit der Bitte um Klärung der Haltung der Kirche zu den Schriften Maria Valtortas, wie z. B. dem Werk „Der Gottmensch“ [„Il poema del uomo-Dio“] das heute unter dem Titel „Das Evangelium, wie es mir offenbart wurde“ bekannt ist, und anderen Veröffentlichungen.
In diesem Zusammenhang wird erneut darauf hingewiesen, daß die angeblichen „Visionen“, „Offenbarungen“ und „Mitteilungen“, die in Maria Valtortas Schriften enthalten sind oder ihr zugeschrieben werden, nicht als übernatürlichen Ursprungs betrachtet werden können, sondern einfach als literarische Formen, die die Autorin benutzt hat, um das Leben Jesu Christi auf ihre Weise zu erzählen.
In ihrer langen Tradition akzeptiert die Kirche die apokryphen Evangelien und andere ähnliche Texte nicht als normativ, da sie deren göttliche Inspiration nicht anerkennt, unter Bezugnahme auf die sichere Lesart der inspirierten Evangelien.
Das Glaubensdikasterium macht sich eine kritische Beurteilung der Schauungen zu eigen, bzw. bekräftigt diese auf der Linie von 1959 und 1985. Konkret werden dabei mehrere Aspekte als problematisch gesehen:
- Maria Valtorta beschreibt in ihren Schriften viele Details über das Leben Jesu, seine Familie, seine Jünger und verschiedene Ereignisse aus dem Evangelium, die in den biblischen Texten nicht ausdrücklich erwähnt werden. Diese Visionen enthalten viele zusätzliche Informationen, die von der Kirche als nicht authentisch oder als spekulativ angesehen werden. Es gibt Bedenken, daß diese Ergänzungen zu einer Verzerrung des biblischen Textes führen könnten.
- Valtorta selbst glaubte, daß ihre Visionen und Schriften von Gott inspiriert waren. Sie verstand ihre Erfahrungen als eine mystische Offenbarung, ähnlich der von Heiligen und Mystikern. Einige Kirchenvertreter stellten diese göttlicher Herkunft jedoch in Frage: Verschiedene Details weichen von der offiziellen kirchlichen Lehre ab, da sie nicht in den kanonischen Schriften der Bibel belegt sind.
- Valtorta gibt in ihren Schriften der Rolle der Jungfrau Maria und der Heiligen eine herausragende Bedeutung. Insbesondere Maria wird als eine zentrale Figur im Heilsgeschehen und im Leben Jesu dargestellt, was von einigen Theologen als Übertreibung oder nicht mit der kirchlichen Lehre vereinbar betrachtet wird.
- Einige ihrer Darstellungen von biblischen Ereignissen, wie zum Beispiel die Begegnungen zwischen Jesus und den Jüngern oder Details der Passion, weichen von den biblischen Erzählungen ab. Das führt zu Bedenken, daß ihre Schauungen und Schriften theologisch nicht ganz korrekt sind oder sogar zu Mißverständnissen führen könnten.
- Die Kirche ist grundsätzlich zurückhaltend, wenn es um Visionen und mystische Erlebnisse geht. Schriften wie jene von Maria Valtorta sind keine offiziellen Lehren und können von den Gläubigen nicht als dogmatisch angesehen werden. Ein Teil der Kritik bezieht sich darauf, daß solche Schriften von einigen Gläubigen als gleichwertig mit der Heiligen Schrift betrachtet werden könnten, was als problematisch gesehen wird.
Die Mitteilung des Glaubensdikasteriums enthält kein Leseverbot. Es wird nicht einmal davon abgeraten. Es wird jedoch eingeschärft, daß diese Schriften keinen übernatürlichen Charakter beanspruchen können, sondern als literarisches Werk zu lesen sind, das von Maria Valtorta als Autorin mit literarischer Freiheit niedergeschrieben wurde.
Das Erbe und die Autorenrechte verwaltet seit 2010 eine eigens dafür gegründete Stiftung, in der sich sowohl die Autorenrechte von Maria Valtorta als auch die Verlegerrechte von Michele Pisani befinden, mit dem Valtorta 1952 den Vertrag für die Herausgabe ihrer vollständigen Schauungen unterzeichnet hatte. Die Stiftung wurde von Michele Pisanis Sohn Emilio Pisani ins Leben gerufen, der sich seit 1985 um die Pflege des Andenkens, die Veröffentlichung der Schriften und das Erbe Valtortas kümmert. Die Stiftung ist durch Erbschaft auch Eigentümerin des Hauses der Familie Valtorta, in dem Maria die 28 Jahre ihrer Bettlägrigkeit verbracht hatte. Es wurde renoviert und ist heute als Museum und Dokumentationszentrum öffentlich zugänglich.
Im deutschen Sprachraum sorgt der Parvis-Verlag für die Drucklegung und Verbreitung von Maria Valtortas Schriften. Der Schweizer Verlag mit Sitz in Hauteville im Kanton Freiburg gab zuletzt 2022 Neuausgaben mehrerer Bände der insgesamt zwölfbändigen deutschen Gesamtausgabe von „Der Gottmensch“ heraus.

Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons