Glaubensdikasterium distanziert sich von Maria Valtorta

Privatoffenbarungen


Maria Valtorta schrieb von 1943 bis 1953 rund 15.000 Seiten an Visionen über das Leben Jesu nieder, die ihr laut ihren Angaben von Jesus offenbart wurden.
Maria Valtorta schrieb von 1943 bis 1953 rund 15.000 Seiten an Visionen über das Leben Jesu nieder, die ihr laut ihren Angaben von Jesus offenbart wurden.

Das römi­sche Glau­bens­dik­aste­ri­um unter der Lei­tung von Kar­di­nal Vic­tor Manu­el Fernán­dez ver­öf­fent­lich­te heu­te eine „Mit­tei­lung bezüg­lich der Schrif­ten von Maria Val­t­or­ta“. Maria Val­t­or­ta (1897–1961) war eine ita­lie­ni­sche Mysti­ke­rin, die das zehn­bän­di­ge Werk „Das Evan­ge­li­um, wie es mir offen­bart wur­de“ her­aus­gab, das 1956 erst­mals voll­stän­dig ver­öf­fent­licht wurde.

Maria Val­t­or­ta wur­de in Caser­ta bei Nea­pel gebo­ren. Ihre Eltern stamm­ten aus der Lom­bar­dei. Ihr Vater war Berufs­sol­dat bei der ita­lie­ni­schen Kaval­le­rie, wes­halb die Fami­lie mit dem Regi­ment des Vaters mehr­fach den Wohn­ort wech­sel­te. Die Mut­ter war Fran­zö­sisch­leh­re­rin. Im Ersten Welt­krieg mel­de­te sich die 20jährige Maria frei­wil­lig zum Dienst als Laza­rett­schwe­ster und pfleg­te 18 Mona­te ver­wun­de­te Sol­da­ten, da ihr Vater selbst Sol­dat war. 1920 wur­de sie Opfer einer bru­ta­len sozia­li­sti­schen Aggres­si­on. Mit einer Eisen­stan­ge wur­de sie schwer ver­letzt und dabei ihre Wir­bel­säu­le beschä­digt. Ihr Angrei­fer rief dabei: „Nie­der mit den Her­ren und den Mili­tärs“. Maria litt seit­her an star­ken Schmer­zen und Läh­mungs­er­schei­nun­gen. 1925 leg­te sie, beein­druckt von der Lebens­be­schrei­bung der hei­li­gen The­re­se von Lisieux, ein Gelüb­de als Süh­ne­see­le ab. Ein Gelüb­de, das sie seit­her täg­lich erneu­ert. In der Hoff­nung, daß die Meer­luft der Toch­ter gut täte, ließ sich die Fami­lie nach der Pen­sio­nie­rung des Vaters in Viar­eggio in der Tos­ka­na nieder.

Val­t­or­ta als Laza­rett­schwe­ster im Ersten Weltkrieg

Ab 1934 war sie von der Hüf­te abwärts gelähmt und bis an ihr Lebens­en­de, 28 Jah­re lang, als Pfle­ge­fall an das Bett gefes­selt. 1943 wur­de sie Ter­tia­rin des Ser­vi­ten­or­dens. Am Kar­frei­tag 1943, so ihre Anga­ben, hör­te sie als inne­re Stim­me Jesus, der ihr in Schau­un­gen in den kom­men­den zehn Jah­ren bis 1953 sein irdi­sches Leben offen­bar­te. Die­se inne­re Stim­me bewog sie, die­se Schau­un­gen nie­der­zu­schrei­ben, die am Ende rund 15.000 Sei­ten umfaß­ten. Zunächst wei­ger­te sie sich, ihre Nie­der­schrif­ten ver­öf­fent­li­chen zu las­sen. 1947 konn­te sie ihr Beicht­va­ter, der Ser­vi­ten­pa­ter Romu­al­do Miglio­ri­ni, der seit 1942 ihr geist­li­cher Füh­rer war, über­zeu­gen, einer Druck­le­gung zuzu­stim­men. Ihre bis dahin erfolg­ten Schau­un­gen wur­den 1948 in vier Bän­den ohne Nen­nung ihres Namen veröffentlicht.

Im sel­ben Jahr wur­de Pater Miglio­ri­ni und eini­gen Mit­brü­dern in der Sache eine Audi­enz bei Papst Pius XII. gewährt, der der Publi­ka­ti­on posi­tiv gegen­über­stand. Den­noch ver­lang­te das Hei­li­ge Offi­zi­um (das heu­ti­ge Glau­bens­dik­aste­ri­um) von den Ser­vi­ten, das Buch nicht wei­ter zu ver­öf­fent­li­chen. Die vier­bän­di­ge Erst­aus­ga­be wur­de sogar auf den Index der ver­bo­te­nen Bücher gesetzt, weil ihr das kirch­li­che Impri­matur (Druck­erlaub­nis) fehlte.

Mit dem Abschluß der Schau­un­gen im Jahr 1953 wur­de das voll­stän­di­ge Werk 1956 in zehn Bän­den und erst­mals unter Nen­nung von Maria Val­t­or­ta als Autorin her­aus­ge­ge­ben. Der Bischof von Tra­pa­ni hat­te dazu ein vor­läu­fi­ges Impri­matur erteilt unter der Bedin­gung, daß die Ver­öf­fent­li­chung nicht als „kirch­li­ches Doku­ment“ bewor­ben wird. 

Das unter Val­t­or­tas Namen ver­öf­fent­lich­te Werk wur­de von der Kir­che nie offi­zi­ell aner­kannt, aber auch nie ver­ur­teilt, wenn­gleich es eini­ge kri­ti­sche Stim­men gab. Der Osser­va­to­re Roma­no ver­öf­fent­lich­te am 6. Janu­ar 1960 auf der Titel­sei­te einen anony­men Kom­men­tar, in dem das Werk Val­t­or­tas als „schlech­te roman­haf­te“ Dar­stel­lung abqua­li­fi­ziert wurde. 

Seit ihrem 37. Lebens­jahr war sie an das Bett gefesselt

Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger rief 1985 in einer Ant­wort an Kar­di­nal Giu­sep­pe Siri jedoch die Ver­ur­tei­lung der vier­bän­di­gen anony­men Erst­aus­ga­be und den nega­ti­ven Arti­kel im Osser­va­to­re Roma­no in Erin­ne­rung. Ratz­in­ger beton­te dabei, daß die Ver­ur­tei­lung sei­ner­zeit „nicht leicht­fer­tig“ getrof­fen wor­den sei und von der Ver­brei­tung abge­ra­ten wur­de, um „Scha­den abzu­wen­den, die die­se Ver­öf­fent­li­chung unter unacht­sa­men Gläu­bi­gen her­vor­ru­fen hät­te können“.

Maria Val­t­or­ta starb 1961 in Viar­eggio und wur­de auf dem dor­ti­gen Fried­hof begra­ben. 1971 wur­de ihre sterb­li­chen Über­re­ste geho­ben und im Locu­lus ihrer Eltern bei­gesetzt. 1973 erfolg­te ihre erneu­te Exhu­mie­rung und pri­vi­le­gier­te Umbet­tung in die Ser­vi­ten­kir­che San­tis­si­ma Annun­zia­ta in Flo­renz. Es gab wie­der­holt Bemü­hun­gen um ein Selig­spre­chungs­ver­fah­ren. Ein sol­ches wur­de von der Kir­che aber bis­her nicht eingeleitet.

Nun erklär­te das Glau­bens­dik­aste­ri­um, 69 Jah­re nach der Erst­ver­öf­fent­li­chung der voll­stän­di­gen Val­t­or­ta-Aus­ga­be in einer heu­te ver­öf­fent­lich­ten Mit­tei­lung:

Zu den Schrif­ten von Maria Val­t­or­ta

Der Hei­li­ge Stuhl erhält häu­fig Anfra­gen von Kle­ri­kern und Lai­en mit der Bit­te um Klä­rung der Hal­tung der Kir­che zu den Schrif­ten Maria Val­t­or­tas, wie z. B. dem Werk „Der Gott­mensch“ [„Il poe­ma del uomo-Dio“] das heu­te unter dem Titel „Das Evan­ge­li­um, wie es mir offen­bart wur­de“ bekannt ist, und ande­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen.
In die­sem Zusam­men­hang wird erneut dar­auf hin­ge­wie­sen, daß die angeb­li­chen „Visio­nen“, „Offen­ba­run­gen“ und „Mit­tei­lun­gen“, die in Maria Val­t­or­tas Schrif­ten ent­hal­ten sind oder ihr zuge­schrie­ben wer­den, nicht als über­na­tür­li­chen Ursprungs betrach­tet wer­den kön­nen, son­dern ein­fach als lite­ra­ri­sche For­men, die die Autorin benutzt hat, um das Leben Jesu Chri­sti auf ihre Wei­se zu erzäh­len.
In ihrer lan­gen Tra­di­ti­on akzep­tiert die Kir­che die apo­kry­phen Evan­ge­li­en und ande­re ähn­li­che Tex­te nicht als nor­ma­tiv, da sie deren gött­li­che Inspi­ra­ti­on nicht aner­kennt, unter Bezug­nah­me auf die siche­re Les­art der inspi­rier­ten Evangelien.

Das Glau­bens­dik­aste­ri­um macht sich eine kri­ti­sche Beur­tei­lung der Schau­un­gen zu eigen, bzw. bekräf­tigt die­se auf der Linie von 1959 und 1985. Kon­kret wer­den dabei meh­re­re Aspek­te als pro­ble­ma­tisch gesehen:

  • Maria Val­t­or­ta beschreibt in ihren Schrif­ten vie­le Details über das Leben Jesu, sei­ne Fami­lie, sei­ne Jün­ger und ver­schie­de­ne Ereig­nis­se aus dem Evan­ge­li­um, die in den bibli­schen Tex­ten nicht aus­drück­lich erwähnt wer­den. Die­se Visio­nen ent­hal­ten vie­le zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen, die von der Kir­che als nicht authen­tisch oder als spe­ku­la­tiv ange­se­hen wer­den. Es gibt Beden­ken, daß die­se Ergän­zun­gen zu einer Ver­zer­rung des bibli­schen Tex­tes füh­ren könnten.
  • Val­t­or­ta selbst glaub­te, daß ihre Visio­nen und Schrif­ten von Gott inspi­riert waren. Sie ver­stand ihre Erfah­run­gen als eine mysti­sche Offen­ba­rung, ähn­lich der von Hei­li­gen und Mysti­kern. Eini­ge Kir­chen­ver­tre­ter stell­ten die­se gött­li­cher Her­kunft jedoch in Fra­ge: Ver­schie­de­ne Details wei­chen von der offi­zi­el­len kirch­li­chen Leh­re ab, da sie nicht in den kano­ni­schen Schrif­ten der Bibel belegt sind.
  • Val­t­or­ta gibt in ihren Schrif­ten der Rol­le der Jung­frau Maria und der Hei­li­gen eine her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung. Ins­be­son­de­re Maria wird als eine zen­tra­le Figur im Heils­ge­sche­hen und im Leben Jesu dar­ge­stellt, was von eini­gen Theo­lo­gen als Über­trei­bung oder nicht mit der kirch­li­chen Leh­re ver­ein­bar betrach­tet wird.
  • Eini­ge ihrer Dar­stel­lun­gen von bibli­schen Ereig­nis­sen, wie zum Bei­spiel die Begeg­nun­gen zwi­schen Jesus und den Jün­gern oder Details der Pas­si­on, wei­chen von den bibli­schen Erzäh­lun­gen ab. Das führt zu Beden­ken, daß ihre Schau­un­gen und Schrif­ten theo­lo­gisch nicht ganz kor­rekt sind oder sogar zu Miß­ver­ständ­nis­sen füh­ren könnten.
  • Die Kir­che ist grund­sätz­lich zurück­hal­tend, wenn es um Visio­nen und mysti­sche Erleb­nis­se geht. Schrif­ten wie jene von Maria Val­t­or­ta sind kei­ne offi­zi­el­len Leh­ren und kön­nen von den Gläu­bi­gen nicht als dog­ma­tisch ange­se­hen wer­den. Ein Teil der Kri­tik bezieht sich dar­auf, daß sol­che Schrif­ten von eini­gen Gläu­bi­gen als gleich­wer­tig mit der Hei­li­gen Schrift betrach­tet wer­den könn­ten, was als pro­ble­ma­tisch gese­hen wird.

Die Mit­tei­lung des Glau­bens­dik­aste­ri­ums ent­hält kein Lese­ver­bot. Es wird nicht ein­mal davon abge­ra­ten. Es wird jedoch ein­ge­schärft, daß die­se Schrif­ten kei­nen über­na­tür­li­chen Cha­rak­ter bean­spru­chen kön­nen, son­dern als lite­ra­ri­sches Werk zu lesen sind, das von Maria Val­t­or­ta als Autorin mit lite­ra­ri­scher Frei­heit nie­der­ge­schrie­ben wurde.

Das Erbe und die Autoren­rech­te ver­wal­tet seit 2010 eine eigens dafür gegrün­de­te Stif­tung, in der sich sowohl die Autoren­rech­te von Maria Val­t­or­ta als auch die Ver­le­ger­rech­te von Miche­le Pisa­ni befin­den, mit dem Val­t­or­ta 1952 den Ver­trag für die Her­aus­ga­be ihrer voll­stän­di­gen Schau­un­gen unter­zeich­net hat­te. Die Stif­tung wur­de von Miche­le Pisa­nis Sohn Emi­lio Pisa­ni ins Leben geru­fen, der sich seit 1985 um die Pfle­ge des Andenkens, die Ver­öf­fent­li­chung der Schrif­ten und das Erbe Val­t­or­tas küm­mert. Die Stif­tung ist durch Erb­schaft auch Eigen­tü­me­rin des Hau­ses der Fami­lie Val­t­or­ta, in dem Maria die 28 Jah­re ihrer Bett­läg­rig­keit ver­bracht hat­te. Es wur­de reno­viert und ist heu­te als Muse­um und Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum öffent­lich zugänglich.

Im deut­schen Sprach­raum sorgt der Par­vis-Ver­lag für die Druck­le­gung und Ver­brei­tung von Maria Val­t­or­tas Schrif­ten. Der Schwei­zer Ver­lag mit Sitz in Haute­ville im Kan­ton Frei­burg gab zuletzt 2022 Neu­aus­ga­ben meh­re­rer Bän­de der ins­ge­samt zwölf­bän­di­gen deut­schen Gesamt­aus­ga­be von „Der Gott­mensch“ her­aus.

Maria Val­t­or­ta, auf­ge­bahrt nach ihrem Tod am 12. Okto­ber 1961 in Viareggio

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!