(Rom) Auf dem Altar am Grab des heiligen Franz von Assisi unterzeichnete Papst Franziskus am vergangenen Samstag, dem 3. Oktober, seine dritte (zweite) Enzyklika Fratres Omnes oder Fratelli tutti. Zwei Aspekte, auf die vor einer genauen Analyse des umfangreichen Dokuments zu verweisen ist:
Alle Brüder – Fratelli tutti (Omnes fratres)
Gleich vorweg, um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Anfangsworte und damit der Titel der neuen Enzyklika sind einer Ermahnung des heiligen Franz von Assisi entlehnt und besagen nicht, daß alle Menschen Brüder seien, wie es das Dokument von Abu Dhabi „über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ suggeriert, das von Papst Franziskus am 4. Februar 2019 in dem arabischen Emirat unterzeichnet wurde und das auch eine wichtige Rolle in der neuen Enzyklika spielt. Der Heilige aus Assisi, dessen Autorität sich Franziskus für seine Enzyklika auf mehrfache symbolische Weise zu eigen macht, wandte sich mit diesen Worten an seine Ordensbrüder, die er in derselben Ermahnung auch als „wir Diener Gottes“ anspricht.
Wörtlich heißt es in der Ermahnung des Heiligen:
„Schauen wir uns, alle (meine) Brüder, aufmerksam den guten Hirten an, der, um seine Schafe zu retten (vgl. Joh 10,11; Hebr 12,2), die Passion des Kreuzes auf sich nahm. Die Schafe des Herrn folgten ihm in Trübsal und Verfolgung (vgl. Joh 10,4), in Schmach und Hunger (vgl. Röm 8,35), in Gebrechen und Versuchungen und in ähnlichen Dingen; und im Gegenzug erhielten sie ewiges Leben vom Herrn. Deshalb ist es eine große Schande für uns Diener Gottes, daß die Heiligen diese Werke getan haben und wir Ruhm und Ehre erhalten wollen, indem wir sie einfach nur erzählen!“
Papst Franziskus spricht im ersten Absatz die „lieben Brüder und Schwestern“ an, was als Anrede an die Getauften verstanden werden könnte. Der gesamte Kontext der Enzyklika legt vielmehr die Auslegung nahe, daß alle Menschen als „Brüder“ angesprochen werden, woraus sich eine Spannung mit dem freimaurerischen Verständnis der Brüderlichkeit ergibt. Die „Fraternité“ und die Gemeinschaft der Getauften sind nicht dasselbe. Daß der Papst alle als „Brüder (und Schwestern)“ anspricht, verdeutlicht die Hauptschlagzeile des Avvenire, der Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz, von gestern, dem Gedenktag des heiligen Franz von Assisi.
Die Medienreaktion auf die Enzyklika
Wie reagierten die Medien, die das kollektive Bewußtsein formen, auf die Enzyklika? Wie titelten die Tageszeitungen am Tag nach der Unterzeichnung? Ein Querschnitt der italienischen Presse, die dem Ereignis große Aufmerksamkeit schenkte, bietet einen Einblick. Die Schlagzeilen machen bekanntlich die Musik. Sie lassen auch erkennen, wer wohlwollend und wer weniger wohlwollend berichtet. Auffallend wohlwollend titelte die kommunistische Tageszeitung Il Manifesto. Manche Zeitungen veröffentlichten zu den Berichten auch Kommentare, die ebenfalls angeführt werden. In den Klammern werden Zeitungsname und politische Ausrichtung genannt):
- „Wir sind alle Brüder“ (Avvenire, katholisch)
- „Enzyklika ‚Alle Brüder‘ für einen humaneren Planeten. Der ‚Dritte Weg‘ des Papstes zwischen Liberalismus und Populismus“ (Corriere della Sera, bürgerlich-liberal).
- Kommentar: „Enzyklika: ‚Das Recht auf Migration respektieren. Der Markt ist kein Glaubensdogma‘ “ (Corriere della Sera, bürgerlich-liberal).
- „ ‚Schluß mit Mauern und Nationalismus: Retten wir uns gemeinsam‘. Die Enzyklika des Papstes: ‚Das Virus ist keine göttliche Strafe, man wird gemeinsam gesund‘ “ (La Repubblica, links).
- Hintergrund: „Die Hymne auf die Brüderlichkeit in der größten Drangsal: ‚Aber ich fliehe nicht vor den Wölfen‘ “ (La Repubblica, links).
- Interview mit dem Philosophen und linken Politiker Massimo Cacciari: „Die Kirche macht sich die Aufklärung zu eigen, aber man wird nicht auf sie hören“ (La Repubblica, links).
- „Die Hiebe des Papstes gegen die Mauern der Welt: ‚Die Politik soll nicht zum Populismus entarten‘ “ (La Stampa, linksliberal).
- „Arabische Brüder, Schluß mit dem Antisemitismus“ (Il Foglio, bürgerlich, zionistisch).
- „Durch das ganze Reden vom Populismus haben wir das Volk ausgelöscht“ (Domani, linksliberal, globalistisch)
- Kommentar: „So befreit Franziskus die Kirche von der Doktrin vorgefertigter Sätze“ (Domani, linksliberal, globalistisch).
- „Franziskus reicht in der Enzyklika die Hand dem Islam, aber nicht dem Kapitalismus“ (Il Giornale, bürgerlich, rechtsliberal).
- Kommentar: „Alle sind Brüder außer die verfolgten Christen“ (Il Giornale, bürgerlich, rechtsliberal).
- Leserzuschrift: „Das Ziel Bergoglios ist die Zerstörung der Kirche“ (Il Giornale, bürgerlich, rechtsliberal).
- „ ‚Alle Brüder‘ gegen Mauern, Egoismen und Spaltungen. Das soziale Manifest von Bergoglio“ (Il Giorno – Il Resto del Carlino – La Nazione, Zeitungsblock, linksliberal).
- „Clericus vagans – Alle Brüder: Kritik an Populisten, Nationalisten und Liberalen. Die zur Gänze politische Enzyklika von Franziskus“ (Il Fatto Quotidiano, linksliberal).
- „Die Enzyklika von Franziskus ist beeinflußt von einem Muslim, sein Heiliger weniger. In Assisi ruht ein Soldat, kein Grüner“ (La Verità, konservativ).
- „ ‚Alle Brüder‘, aber noch besser, wenn sie Migranten sind. Franziskus fordert Verpflegung, Unterkunft und Bankkonto für die Einwanderer“ (Libero, rechtsliberal).
- „Die Road Map von Franziskus, damit alle aus der Angst herauskommen. Der Papst und die Covid-Lektion: ‚Das Virus ist keine Strafe Gottes‘ “ (Il Mattino, gemäßigt linksliberal).
- „Die Enzyklika des Papstes: ‚Diese Epidemie ist nicht von Gott gewollt. Sie ist keine Strafe Gottes“ (Il Messaggero, linksliberal).
- „Papst Franziskus unterschreibt seine dritte Sozialenzyklika“ (Il Manifesto, kommunistisch/linksradikal).
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL