Ein Kommentar von Clemens Victor Oldendorf
Wer sich noch an die Zeiten von Radio Vatikan erinnert, der kennt auch noch die Sendung Sie fragen, wir antworten, wo Hörer Fragen zu Kirche und Glauben einsenden konnten und darauf oft aufschlussreiche Antworten erhielten. Diese Erinnerung wurde spontan in mir lebendig, als kürzlich zu erfahren war, dass die Glaubenskongregation auf Wunsch von Papst Franziskus eine Umfrage ausgearbeitet hat, in der den Diözesanbischöfen aller Länder der ganzen Welt neun Fragen vorgelegt werden, um zu ermitteln, wie in ihrem Zuständigkeitsbereich seit 2007 das Motuproprio Summorum Pontificum (SP) angewandt wurde und vor allem, wie sich seine Umsetzung seither entwickelt hat und gegenwärtig darstellt. Dieser Beweggrund spricht aus dem Begleitschreiben vom 7. März 2020, das vom Präfekten der Glaubenskongregation unterzeichnet und zusammen mit neun Fragen verschickt worden ist.
Von diesen neun Fragen sind die erste und letzte so grundlegend und selbstverständlich, dass sie an und für sich keine genauere Analyse erfordern. So bittet die einleitende Frage den Bischof um eine Situationsbeschreibung zur Anwendung von SP in seiner Diözese, die breitgefächert ausfallen kann. In einer Diözese mag es vielleicht gleich mehrere Gemeinschaften geben, die dem Usus antiquior verbunden sind, anderswo ist SP womöglich nie Thema geworden und spielt überhaupt keine Rolle. Man muss sich vor Augen halten, dass die Befragung einen weltweiten Adressatenkreis hat, womit zwangsläufig sehr vielfältige und unterschiedliche Länder, konfessionell vorrangige Prägungen und Kulturkreise angesprochen werden.
Die neunte Frage gibt dem Bischof abschließend Gelegenheit, aus eigener Sicht Ratschläge und Empfehlungen zu geben, wie mit dem Usus antiquior in Zukunft verfahren werden soll, oder Aspekte anzusprechen, von denen er meint, sie seien in den Fragen 2 bis 8 noch nicht oder nicht ausdrücklich berücksichtigt worden.
Panik ist nicht angebracht
Es bleiben also insgesamt sieben Fragen übrig, die man sich näher anschauen kann. Manche haben mit einer regelrechten Panik auf die bloße Tatsache reagiert, dass unter den Diözesanbischöfen eine Erhebung zu SP stattfindet, andere sehen zumindest in einzelnen Formulierungen Grund zu Sorge und Skepsis.
Vorausschicken möchte ich, dass eine Atmosphäre des Misstrauens sicher nicht zu einer wenigstens einigermaßen objektiven und zutreffenden Einschätzung von Motivation und Zielsetzung der Evaluierung beitragen kann.
Die Umfrage war zwar der Öffentlichkeit noch nicht bekannt, als aber am 25. März 2020 zwei Dekrete der Glaubenskongregation publiziert wurden, die das Missale Romanum (MR) und Breviarium Romanum (BR) von 1962 betreffen, so dass in ihnen seit 1960 neu hinzugekommene Heilige liturgisch berücksichtigt werden können und in der überlieferten Liturgie der Messe einige zusätzliche Präfationen zu optionaler Auswahl stehen, war sie schon auf den Weg gebracht. Daraus ist bereits zu schlussfolgern, dass die Umfrage nicht zum Ziel haben kann, ein Messbuch im liturgischen Gebrauch einzuschränken oder gar zu unterdrücken, dem man gerade erst selbst ein gewisses Update ermöglicht hat.
Die Fragen 2 bis 8 im Wortlaut
Die hier gebotene, eigene Arbeitsübersetzung in deutscher Sprache basiert auf der auf Rorate Caeli veröffentlichten englischen Version.
- Frage 2 lautet: So die außerordentliche Form [in Ihrer Diözese] praktiziert wird: Antwortet sie auf einen echten seelsorglichen Bedarf, oder ist es ein einzelner Priester, der sie propagiert?
- Frage 3 ist folgendermaßen formuliert: Gibt es Ihrer Meinung nach [eigens zu nennende] positive oder negative Aspekte beim Gebrauch der außerordentlichen Form?
- Frage 4 hakt nach: Werden die Normen und Bedingungen, die in SP niedergelegt sind, beachtet?
- Frage 5 beschäftigt sich mit dem, was positiv wertend gern die wechselseitige Befruchtung beider Ritusformen genannt wird, jedoch nur mit Blick auf das Missale Pauls VI.: Stoßen Sie in Ihrer Diözese auf das Phänomen, dass die ordentliche Form Elemente des außerordentlichen Usus übernimmt?
- Frage 6 richtet sich an den Bischof persönlich*: Was die Zelebration der Messe angeht: Benutzen Sie selbst das Missale, das Papst Johannes XXIII. 1962 promulgiert hat?
[*In Fassungen in anderen Sprachen scheint Frage 6 sich nicht speziell an den Bischof selbst zu wenden, sondern nur allgemein nachzufragen, ob man sich bei der Zelebration der Messe im Usus antiquior an die Editio typica von 1962 hält; in der offiziellen deutschen Fassung, die dem Verf. erst nach Fertigstellung dieses Kommentars überraschend noch zugänglich geworden ist, ist die Frage ebenfalls allgemein gehalten. Diese deutsche Version ist allerdings sprachlich an entscheidenden Stellen auffallend mangelhaft, so dass man beinahe den Eindruck gewinnen muss, dass sie nur unter Zuhilfenahme eines Übersetzungsprogramms entstanden sein kann.]
- Frage 7 wendet sich Sakramentenspendungen und Zeremonien außerhalb der Messe zu: Von der Feier der Messe in der außerordentlichen Form abgesehen, gibt es [auf dem Gebiet Ihres Territoriums] andere Feiern, zum Beispiel Taufen, Firmungen, Eheschließungen, das Bußsakrament, Krankensalbungen, Weihen, das Göttliche Offizium, die Drei Österlichen Tage oder Exequien, entsprechend der vorkonziliaren liturgischen Bücher?
- Frage 8 möchte wissen: Hat das Motuproprio SP [bisher] Einfluss auf das Leben der Seminare (das Diözesanseminar) und auf andere Ausbildungsstätten [in Ihrem Bistum; hier können Noviziate und ähnliche Häuser angesprochen sein] gehabt?
Aus dieser Übersicht erkennt man, dass sich die Fragen 2 und 6 bei einer näheren Betrachtung zusammen abhandeln lassen und auch die Fragen 3, 4 und 7 einen gemeinsamen Themenkreis ergeben. Die Fragen 2, (6), 4 und 8 beinhalten ebenfalls einen sachlichen, inneren Zusammenhang, während Frage 5 etwas aus dem Ganzen herausfällt und sich für eine Einzel- gewissermaßen sogar für eine Sonderbetrachtung anbietet. Es ergeben sich also vier Themenkreise, von denen der vierte eher ein separates Phänomen betrifft:
- Motivation (bei den Gläubigen und im Klerus) und Eignung (des Priesters oder Bischofs) zur Zelebration der Messe nach dem MR1962
- Positive oder negative Effekte, Be- oder Missachtung der geltenden Normen
- Möglichkeiten zum Erwerb der erforderlichen Eignung
- Einfluss der außerordentlichen Form auf den Usus recentior.
Themenkreis I:
Motivation und Eignung
Obzwar SP Art. 2 jedem katholischen Priester des lateinischen Ritus, einerlei ob Welt- oder Ordenspriester, das Recht einräumt, insofern er in lateinischer Sprache zelebriert, in Messen sine populo jederzeit frei zu wählen, ob er das MR1962 oder aber das MR1970/2002 benutzt, und an diesen Feiern laut Art. 4 auch Gläubige teilnehmen können, die dies aus eigenem Antrieb wünschen, ist darunter doch, jedenfalls soweit die Wahl auf das MR1962 fällt, eine Privatmesse zu verstehen, also vorzugsweise eine gelesene Messe oder eine Stillmesse ohne Gesang und ohne Predigt und ebenso ohne Volksgesang, auch keine Missa recitata, da außer einem Ministranten die Anwesenheit von Gläubigen wohl möglich, aber nicht vorausgesetzt ist.
Strenggenommen ist dies eine Messe, von der Ort und Zeitpunkt zwar faktisch bekannt sein dürfen und können, die aber an sich nicht – etwa in einem Pfarrbrief – bekanntgegeben wird. Die Gläubigen, die sich zu einer solchen Messfeier aufgrund eigener Initiative einfinden, sind auch noch nicht als dauerhaft existierende feste Gruppe anzusehen, die dann Art. 5 § 1 einführt. Freilich hindert nichts, dass sich aus einem solchen Personenkreis eine dauerhaft existierende feste Gruppe im Sinne des Motuproprio entwickelt oder herauskristallisiert.
Diese Hinweise mögen sehr restriktiv erscheinen, dem großzügigen Geist von SP geradezu entgegengesetzt oder widersprechend. In der Tat sind sie das nicht, sondern sollen verstehen helfen, dass Frage 2 des neuen Fragenkatalogs an die Bischöfe keineswegs tendenziös formuliert ist oder eine Entwicklung ankündigt, die auf eine Rücknahme oder Wiedereinschränkung der Bestimmungen von SP hindeutet oder etwas Derartiges befürchten lässt.
Doch eine gewisse Nachordnung des Usus antiquior, Recht auf Zugang zum Usus ordinarius in diözesaner Territorialpfarrei gemäß SP
Messfeiern nach dem MR1962 können jederzeit gefeiert werden, in Pfarrgemeinden, wo eine stabile Gruppe dauerhaft existiert, kann eine (einzige, lateinisch: unica) Messe dieser Art auch an Sonn- und Feiertagen gefeiert werden, wie Art. 5 § 2 bestimmt. Dann ist dabei nicht an eine Privatmesse gedacht, kann diese Messe also auch eine gesungene sein, eine Predigt haben und feierlich gehalten werden (mit Weihrauch, Kirchenmusik, als Leviten- oder Pontifikalamt etc.).
Unica Missa an Sonn- und Feiertagen, Bedeutung des Ausdrucks, Folgerungen daraus
Dass nur eine einzige Messe dieser Art im Motuproprio vorgesehen ist, bedeutet dreierlei: Erstens schließt es theoretisch und praktisch nicht aus, dass in der betreffenden Kirche am Sonn- und Feiertag prinzipiell beliebig viele weitere Messen gemäß Art. 2 gefeiert werden, zweitens kennzeichnet die Einschränkung auf eine einzige feierlichere Zelebration nach dem MR1962 eine konkrete Unterordnung der Forma extraordinaria gegenüber der Forma ordinaria. Nach dem MR1970/2002 (und selbstverständlich nach der jeweiligen, volkssprachlichen Ausgabe des Altarmessbuches Pauls VI.) kann jederzeit beliebig oft feierlich zelebriert werden, drittens folgt daraus, dass es nicht zulässig ist, wenn in einer Pfarrkirche an einem Sonn- oder gebotenen Feiertag, wenn also Sonntagspflicht besteht, ausschließlich nach dem MR1962 zelebriert wird.
Zwei konkrete Beispiele zur Veranschaulichung
Zelebriert beispielsweise ein Pfarrer immer montags nach dem MR1962, muss er, wenn er dies (gemäß Art. 2) auch dann tun möchte, wenn es sich um einen sogenannten zweiten Feiertag handelt und in dem betreffenden Land an diesem Sonntagspflicht besteht (Ostern, Pfingsten oder wenn ein beweglicher Feiertag mit Sonntagspflicht auf einen Montag fällt), dafür Sorge tragen, dass die Pfarrangehörigen Gelegenheit haben, die Messpflicht alternativ auch in einer Messe nach dem paulinischen Messbuch erfüllen zu können.
Aus dem gleichen Grund kann sich kein Pfarrer auf Art. 2 berufen, wenn er praktisch alle oder jedenfalls viele oder die meisten Werktagsmessen auf das MR1962 umstellt. Dabei ist es unerheblich, dass an gewöhnlichen Werktagen keine Messpflicht besteht. Messen, die in einer Gottesdienstordnung veröffentlicht sind und als Gemeindemesse gefeiert werden, können nicht zugleich Privatmessen im Sinne von Art. 2 sein.
Eine oder einige Werktagsmessen auf MR1962 umzustellen, erscheint hingegen möglich, wenn diese Umstellung nicht auf die Eigeninitiative des Pfarrers/Kirchenrektors/Zelebranten hin erfolgt, sondern aufgrund der Existenz einer stabilen Gruppe gemäß Art. 5 § 1 in der Pfarrei sowie, um deren Bitte zu entsprechen, in einer Kirche oder Kapelle innerhalb des Pfarrgebiets Messen nach MR1962 besuchen zu können.
Frage 6, die in der hier zugrundegelegten englischen Version den befragten Bischof selbst betrifft, hat zunächst sicherlich ebenfalls die Privatmesse gemäß Art. 2 vor Augen (die dann in der Form der bischöflichen Stillmesse zu zelebrieren ist, nicht wie die gewöhnliche Privatmesse eines einfachen Priesters), dann aber auch Messen, die der Bischof gegebenenfalls persönlich aufgrund von Art. 5 § 1 oder § 3 feiert.
Bis hierher reicht also unsere Beschäftigung mit der Motivation, aufgrund von SP Messen nach dem MR1962 zu zelebrieren. Es hat sich gezeigt, in welche Richtung Frage 2 zu verstehen und dass es tatsächlich denkbar ist, dass ein Pfarrer oder Kirchenrektor über die Bestimmungen von SP eigenmächtig hinausgeht. Hier könnten Klarstellungen und Präzisierungen in Zukunft notwendig werden.
Sacerdos idoneus präziser definieren!
Dies gilt entsprechend für die Eignung des Zelebranten, bei der Feier der Messe das MR1962 zu gebrauchen. Die grundlegende Voraussetzung, dass der Zelebrant nicht suspendiert und im Besitz eines aktuell gültigen Celebrets ist, ist selbstverständlich.
SP selbst definiert die Eignung in Art. 5 § 4 ansonsten leider nicht genauer, und die Instructio Universae Ecclesiae (UE) aus 2011 sagt bloß, sie bestehe in ausreichenden Lateinkenntnissen, um die liturgischen Texte zu verstehen und korrekt auszusprechen. Daneben sei die Eignung zu vermuten, sobald ein Priester von sich aus die Messe in der Forma extraordinaria zelebrieren wolle und dies schon früher getan habe.
Diese Bestimmung in UE 20 c) erscheint als viel zu vage und erweist sich in der Praxis immer wieder eklatant als unzutreffend. Hier kommt auch Frage 8 in Betracht. Weithin ist in der Priesterausbildung der Diözesen nämlich keine Vorsorge dafür getroffen, dass die Priesteramtskandidaten mit der rituellen Praxis der Forma extraordinaria vertraut werden oder auch bereits geweihte Priester, die beginnen möchten, das MR1962 zu verwenden, eine solche Weiterbildung erhalten können.
Eigenes Interesse, Autodidaktik und Selbsteinschätzung des Priesters konstituieren keine nachgewiesene Eignung!
Die Situation ist zumeist die, dass Interessierte sich den Ritus in seiner älteren Form autodidaktisch beibringen müssen und dann, wenn sie selber sich sicher fühlen oder meinen, die Rubriken zu beherrschen, einfach beginnen, nach dem MR1962 zu zelebrieren. Im günstigeren Fall nehmen sie aus eigener Initiative an einem Zelebrationskurs etwa bei der Petrusbruderschaft teil.
Für die Zukunft erscheint es als wünschenswert, die Eignung zu öffentlicher Zelebration nicht einfach zu präsumieren. Die erfolgreiche Teilnahme an einem Zelebrationskurs ist verpflichtend zu machen. Eine Prüfung hat stattzufinden, ein Zertifikat nachzuweisen, dass diese absolviert und bestanden wurde. Es sollte eine abgestufte Qualifikation eingeführt werden, die zunächst dazu berechtigt, die Missa lecta zu zelebrieren, bevor man in einem Folgemodul die Fähigkeit und Berechtigung erwirbt, die Missa cantata (das „Hochamt“) zu singen.
Art. 5 § 1 stellt die Zuständigkeit und genaugenommen die Zelebration selbst zunächst in die Verantwortung des Pfarrers. Dies erfordert es an sich, dass die Qualifikation, um Pfarrer werden zu können (jedenfalls in einer Pfarrei, wo bereits bei Stellenbesetzung eine stabile Gruppe besteht), umfassen sollte, dass der betreffende Geistliche die gelesene und gesungene Messe im Usus antiquior beherrscht.
Entsprechendes gilt für die verschiedenen Abstufungen der Feierlichkeit, in denen Bischöfe gemäß MR1962 zelebrieren können. Diesbezüglich wäre zu klären, ob es (für den Notfall) allgemein gestattet werden kann, dass sie die Missa cantata wie ein einfacher Priester feiern oder nicht. Die Kommission Ecclesia Dei (ED) hatte dies in der Vergangenheit bereits einmal verneint, es geschieht jedoch allenthalben immer wieder. Grundsätzlich, nur nebenbei bemerkt, übrigens in der Piusbruderschaft, mit der wir uns hier allerdings nicht befassen, da sie die liturgischen Bücher von 1962 nicht auf Rechtsgrundlage von SP und UE benutzt und auch nicht in die jetzt durchgeführte Befragung der Ortsbischöfe einbezogen ist.
Damit sind neben Frage 2 auch die Fragen 4, 6 und 8 der Umfrage unter den Bischöfen ein erstes Mal abgedeckt. Frage 3 ist angeklungen, und es zeigt sich schon, dass es Überschneidungen mit den Themenkreisen II und III gibt.
Zum Problem von Frage 6
Frage 6 hat in der offiziellen deutschen Version – und soweit ersichtlich im Französischen und Italienischen ebenfalls, ob weitere Fassungen existieren, ist nicht bekannt – ein nicht speziell auf den Bischof persönlich gerichtetes Interesse, sondern lautet allgemein: „Wird das 1962 von Johannes XXIII. promulgierte Missal [sic!] bei der Feier der Messe verwendet?“
Da SP und auch die Instruktion Universae Ecclesiae eindeutig vorschreiben beziehungsweise generell voraussetzen, dass bei Verwendung des Usus antiquior die liturgischen Bücher des Römischen Ritus in den typischen Editionen, die 1962 in Geltung waren, verpflichtend sind, erscheint die allgemeinere Fragerichtung, ob das MR1962 bei den in der Diözese aufgrund von SP gefeierten Messen benutzt werde, weniger sinnvoll als die Frage, ob der Bischof selbst, sei es auf eigenen Wunsch, sei es auf Bitten von Gläubigen hin, im Usus antiquior die Messe zelebriere. Für diesen Kommentar wird auch deshalb das an den Bischof konkret und speziell gerichtete Frageinteresse vorgezogen und als wahrscheinlicher angenommen, weil Frage 6 andernfalls eine reine Wiederholung von Frage 4 und damit letztlich völlig überflüssig wäre.
Während die Bischöfe bei der Beantwortung der Umfrage sicherlich auch Gelegenheit haben sollen, Schwierigkeiten bei der Umsetzung, die in ihrer Diözese sich ergeben haben, anzusprechen oder Konflikte zu nennen, die entstanden sind, etwa zwischen den Mitgliedern stabiler Gruppen, die die Messe im Usus antiquior feiern möchten, und den sonstigen Pfarrangehörigen, wird unser Kommentar, zumal wir nicht aus dem Blickwinkel einer bestimmten Diözese heraus argumentieren, sich auf positive und negative Aspekte direkt innerhalb der liturgischen Praxis konzentrieren.
Aus römischer Sicht ist es sicherlich ein möglicher Negativeffekt, wenn die stabilen Gruppen im Sinne des Motuproprio in Mentalität und Praxis sich abkapseln und quasi exklusiv und ausschließlich in einem Usus praktizieren, der in SP ausdrücklich als außerordentlicher festgelegt ist. Dem möchte ich entgegnen, dass die ausschließliche Beheimatung in einer Liturgie beim Einzelnen stets der Normalfall gewesen ist. Trotzdem konnte ein Lateiner immer auch gelegentlich einmal an einer unierten Liturgie teilnehmen.
Ein Ritus in zwei Gestalten: Tragweite und ‑fähigkeit einer Rechtsfiktion und ihre Grenzen
Die Situation, die SP geschaffen hat und in der römisch-tridentinische und römisch-nachvatikanische Liturgie vielmehr als zwei Ausprägungen eines römischen Ritus an sich gelten, ähnelt formal eher dem Verhältnis von Lokal- und Ordensriten zum tridentinischen Ritus, obwohl dort die Unterschiede viel geringer waren. Die Gemeinsamkeit in der jeweiligen Relation zueinander ist, dass der Dominikaner zwar einen Eigenritus hatte, aber dennoch natürlich gelegentlich einer Messe im Römischen Ritus beiwohnen konnte und sogar selbst im Römischen Ritus zelebrieren durfte, nämlich dann, wenn er zur Aushilfe in einer Kirche außerhalb seines Ordens war. Gesagt soll damit sein, dass ein Eigenritus niemanden dazu brachte, den Römischen Ritus zu verachten. Theologische Kritik an der nachkonziliaren Liturgiereform Pauls VI. ist mit dieser Feststellung nicht ausgeschlossen und darf dies auch prinzipiell nicht sein. UE 19 unterbindet sie nicht.
Es gibt nun Gläubige, die praktisch deshalb ausschließlich im Usus antiquior praktizieren, weil sie in ihrem Umfeld keine Messfeiern vorfinden, die wirklich getreu nach den liturgischen Vorschriften des neueren Usus gefeiert werden. Tatsächlich ist es seit SP oft leichter und weniger aufwendig, eine korrekt gefeierte Messe nach MR1962 zu besuchen, als eine wirklich ordnungsgemäß zelebrierte Messe nach dem Messbuch Pauls VI. ausfindig zu machen. Lateinische Messen (womöglich auch noch am Hochaltar, ohne Ministrantinnen und ohne Steh- und Handkommunion gefeiert) nach dem MR1970/2002 gibt es seit SP (und auch schon vorher) de facto gar nicht. Selbst an diese, auf den ersten Blick aus traditionalistischer Perspektive vielleicht oder vermeintlich noch annehmbarste Variante blieben freilich Anfragen bestehen oder ergäben sich erst recht.
Damit gelingt der Übergang zu
Themenkreis II:
Positive und negative Aspekte des Usus antiquior bei oder infolge seiner Anwendung aufgrund von SP
Positive Aspekte am liturgischen, theologischen, katechetischen und spirituellen Gehalt des Usus antiquior und seiner rituellen Gestalt könnten ellenlang geschildert und ausgiebig beschrieben werden. Da sie aber kein Problem sind, das überwunden werden muss, kommen sie hier nicht zur Darstellung.
Bei denjenigen Priestern, die sich aufgrund von SP dem Usus antiquior zugewandt haben oder ihm schon vorher verbunden waren, beruht dies selbstverständlich auf einer hohen Wertschätzung für die überlieferte Liturgie. Hastige oder bewusst nachlässige Zelebrationen, wie sie oft als Zerrbild der vorkonziliaren Situation angeführt werden und sicher auch vorgekommen sind, gibt es kaum noch. Ein positiver Aspekt dessen, dass der Usus antiquior eben keine Selbstverständlichkeit, quasi zwangsläufig die einzige Option ist. Mutatis mutandis gilt das auch für die gläubigen Laien und Ordensleute, die sich für ihre religiöse Praxis ganz oder teilweise auf SP beziehen.
An diesem Punkt angelangt, ergibt sich eine Verflechtung mit
Themenkreis III:
Möglichkeiten zum Erwerb der erforderlichen Eignung
Dieser Themenkreis wurde schon im ersten Teil des Kommentars angesprochen. Er wird hier einbezogen, ohne die Problemstellung von Themenkreis II damit zu vergessen oder bereits abzuschließen.
Erstens ist festzuhalten, dass eine Eignung zur Zelebration nach dem MR1962 nicht vorauszusetzen ist, wenn ein Priester bloß gestützt auf autobiographische vorkonziliare Erinnerung beginnen soll, selbst wieder nach dem MR1962 zu zelebrieren. Die Geistlichen, die selbst bereits vor der nachkonziliaren Liturgiereform aktive Zelebranten waren, sind ganz überwiegend inzwischen längst verstorben. Wenn sie noch leben, erinnern sie sich vielleicht an eine Praxis, in der die ersten (nach-)konzilaren Reformschritte von 1964 bis 1967 zur Anwendung kamen, die aber gemäß SP und den zugehörigen Ausführungsbestimmungen in heutigen Feiern im Usus antiquior nicht zu praktizieren sind. Auch sonst entsprach die vorkonziliare Pfarrliturgie nicht in allem dem Idealbild, das heute in SP-Kreisen führend ist. Deswegen kann noch weniger ein Priester als geeignet gelten, der sich etwa gerade noch so aus Ministrantenperspektive an die frühere liturgische Praxis erinnert.
Zweitens muss gesagt werden, dass niemand genötigt werden sollte, wider Willen nach dem MR1962 zu zelebrieren, dies gilt unbeschadet der im ersten Kommentarteil gemachten Bemerkung hinsichtlich einer wünschenswerten Qualifikation von Pfarrern im Usus antiquior.
Diejenigen indes, die gerne in ihm zelebrieren wollen, müssen drittens verpflichtet werden, einen Zelebrationskurs zu absolvieren und zu bestehen, bevor sie auch bloß für Feiern nach Art. 2 von SP das Motuproprio in Anspruch nehmen dürfen. Wenn eine solche Schulungsmöglichkeit in Diözesanseminaren nicht eingerichtet werden kann, soll sie von Priestern angeboten werden, die selbst eine positive und rubrizistisch zuverlässige Routine in der Zelebration nach den älteren liturgischen Vorschriften auf dem Stand von 1962 haben, am besten von Priestern der Petrusbruderschaft und ähnlicher Institute, welche didaktisch-pädagogische Erfahrung mit Zelebrationsschulungen bereits gesammelt haben. Der Diözesanbischof, der eine solche Ausbildung im eigenen Diözesanseminar nicht gewährleisten kann oder möchte, sollte verpflichtet werden, seinen Seminaristen und Priestern Mitbrüder im priesterlichen Dienst zu benennen, deren Kurse er zum Erwerb der erforderlichen Qualifikation anerkennt.
Alte Ordens- und Diözesanliturgien auf dem Stand von 1962
Art. 2 gilt für Priester des Welt- und Ordensklerus gleichermaßen. In Bezug auf Ordenspriester wäre die Präzisierung wünschenswert, dass diejenigen, deren Orden 1962 einen Eigenritus besaß, bevorzugt nach den eigenen liturgischen Büchern zelebrieren sollten, die 1962 in Geltung waren. Das berührt nicht ihr Recht, auch römisch zu zelebrieren. Eine Bevorzugung des alten Eigenritus ist ebenso Ordensniederlassungen zu empfehlen, deren Orden 1962 einen alten Eigenritus hatte und die sich nun auf Art. 3 stützen wollen.
Entsprechendes sollte grundsätzlich für Diözesanpriester von Bistümern mit altem und 1962 noch nicht längst erloschenem Eigenritus gelten und für dauerhaft dort existierende, feste SP-Gruppen.
Liturgie ist nicht Messliturgie allein
Liturgische Kurse und praktische Übungen sind nicht auf die Messliturgie zu beschränken, sondern müssen prinzipiell für die gesamte Liturgie zur Verfügung stehen, also für alle Sakramentenspendungen und sonstigen liturgischen Zeremonien angeboten werden. Dieses Desiderat nimmt Bezug auf Frage 7, wurden also in den Themenkreisen II und III zusammen mit Frage 3 als Leitfrage auch die Fragen 4 und 7 behandelt.
Zu den in Frage 7 angesprochenen Weihen bleibt anzumerken, dass den Bischöfen die Verwendung des Pontificale Romanum (PR) 1962 in Art. 9 § 2 nur für die Spendung des Firmsakramentes gestattet wird, die Erteilung der Tonsur und der heiligen Weihen unter Verwendung des PR1962 laut UE 30 jedoch auf die (früheren) Ecclesia-Dei-Institute beschränkt bleibt. Sollte ein Diözesanbischof einen eigenen Kandidaten unter Verwendung des PR1962 tonsurieren oder ihm Weihen erteilen wollen, spräche aber wohl nichts dagegen, in Rom ein entsprechendes Indult zu erbitten und auch erhalten zu können. Alternativ könnte er dem Kandidaten erlauben, das geistliche Gewand, die Tonsur oder die einzelnen Weihen bis zur Priesterweihe einschließlich bei Zeremonien innerhalb eines Instituts, dem der Gebrauch des PR1962 generell konzediert ist, gleichwohl im Auftrag des eigenen Ordinarius und auf den Titel der Diözese zu empfangen. Das würde analog auch für Mitglieder von Orden oder Kongregationen gelten können, die als Gemeinschaft keine spezielle oder faktisch ausschließliche Bindung an den Usus antiquior haben. Freilich sind dies höchstwahrscheinlich praktisch sehr selten vorkommende oder sogar rein hypothetische Fälle.
Rekapitulierend ist mit dem Stichwort liturgischer Schulungskurse nochmals Frage 8 angesprochen worden, mit dem Thema Eigenliturgien wurde wiederum auf Frage 2 eingegangen beziehungsweise auf Art. 2 des Motuproprio SP selbst.
Mit Frage 4 ist eine erschöpfende Beschäftigung hingegen noch nicht geleistet, insofern noch zu fragen ist:
Was bedeutet die Verbindlichkeit der Editio typica von 1962?
Was bedeutet die Verbindlichkeit der Editio typica des Missale Romanum und der anderen liturgischen Bücher von 1962 für liturgische Feiern gemäß SP, und was besagt sie nicht?
Die befragten Bischöfe werden gebeten, ihre Antworten auf die neun Fragen der Glaubenskongregation bis Ende Juli 2020 nach Rom einzusenden. Um diese Zeit werden die beiden Jubiläen, die sich am 25. Juli 2020 zum sechzigsten beziehungsweise hundertsten Male jähren, schon gefeiert worden sein. Hier wurde der doppelte Jahrestag, der auf dieses Datum fällt, bereits in Aussicht genommen: das Hundert-Jahr-Jubiläum der Editio typica des MR1920 und der sechzigste Geburtstag des Codex rubricarum Johannes‘ XXIII., der an sich unter Pius XII. bereits fertiggestellt vorlag und den Johannes XXIII. gewissermaßen als Scheitelstein der von Pius X. in Angriff genommenen Gesamtreform von Brevier und Messbuch ansah. Er ist die Grundlage der Editiones typicae der liturgischen Bücher von 1962.
Gesamtkirchlich extrem kurze Geltungsdauer des CR1960 – liturgische Tradition als Substanz von Jahrhunderten
Liturgisch und rituell bildet der CR1960 die Normen und Bedingungen, nach deren Einhaltung sich Frage 4 erkundigt. Gesamtkirchlich war dieser CR1960 allerdings nur extrem kurz in voller Geltung, denn schon mit der Instruktion Inter oecumenici vom 26. September 1964 wurden rituelle Änderungen in den Messrubriken vorgeschrieben. Unbeschränkt wurde und wird der CR1960 erst ab 1984 von dem Teil der Lateinischen Kirche längere Zeit hindurch beobachtet, der das grundlegende weltweite Altritus-Indult in Anspruch nahm. Dies gilt unverändert mit und seit SP, denn UE 28 stellt klar, dass SP als Spezialgesetz für den eigenen Geltungsbereich die seither erlassenen liturgischen Gesetze derogiert, die mit der Einhaltung der im CR1960 festgeschriebenen Vorschriften nicht zu vereinbaren sind. Das erste Dokument dieser Art ist die genannte Instruktion von 1964.
Die gesamtkirchlich äußerst kurze Geltungsdauer kann die Frage entstehen lassen, inwiefern die liturgischen Bücher von 1962 voll geeignet sind, die liturgische Tradition des Römischen Ritus mit Substanz zu repräsentieren, also wirklich das auf Jahrhunderte Gestützte darzustellen und nicht statisch die Momentaufnahme eines extrem kurzen Zeitraumes in der Vergangenheit. Vor allem ist das so, weil die Rubriken und auch der Stand des liturgischen Kalenders nach CR1960 bereits deutlich in die angeführte Substanz eingegriffen hatten, die durch jahrhundertelangen Gebrauch geheiligt gewesen war.
Damit wird nicht dem Motto Je älter, desto besser das Wort geredet. In die Zukunft hinein unterliegt das alte Messbuch, unterliegt die überlieferte Liturgie insgesamt nämlich keiner regungslosen Abgeschlossenheit oder Ossifikation. Die Anregung, das MR1962 könne und solle neue Heilige und einige, zusätzliche Präfationen aufnehmen, war schon in dem Begleitbrief ausgesprochen, mit dem Benedikt XVI. bei den Bischöfen 2007 um Wohlwollen bei der Umsetzung seines Motuproprios warb. UE 25 gab diesen beiden Desideraten rechtliche Verbindlichkeit und spricht davon, dass sie verwirklicht werden müssen.
Mit den Dekreten, die am 25. März 2020 veröffentlicht wurden, erreicht
Das Dekret der Glaubenskongregation Quo magis erreicht dieses Ziel in Bezug auf einige zusätzliche Präfationen, deren Verwendung freigestellt wird, ihr Dekret Cum sanctissima (CS) ermöglicht die freiwillige Integration nach 1960 kanonisierter Heiliger in die Liturgie des Usus antiquior.
Übrigens belegt CS 8, dass der CR1960 für den Geltungsbereich von SP nicht in Stein gemeißelt ist, denn für die durch das Dekret vor Verdrängung geschützten etwa siebzig Heiligenfeste stellt es die Möglichkeit wieder her, sie auch in der Fasten- und Passionszeit zu zelebrieren. Eine Bestimmung, durch welche eine Neuerung, die der CR1960 mit sich gebracht hatte, wieder abgeschafft wird.
Indulte zur Verwendung der ursprünglichen tridentinischen Karwochenriten vor 1955 und der alten Pfingstvigil
In die gleiche Richtung weist das noch von der früheren Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei gewährte Indult, die Riten der Karwoche und Osternacht so zu benutzen, wie sie bis 1955 in Geltung waren. Dieses wurde den Höheren Oberen der Institute, die dieser Kommission unterstanden, eingeräumt, welche ihren Untergebenen auf jährlich zu erneuernden Antrag hin die angefragte Erlaubnis erteilen konnten. Da das gegenständliche Indult auf drei Jahre befristet war, müsste es inzwischen wieder erloschen sein. Die entsprechende Regelung sollte unbefristet in Kraft gesetzt werden. Von vornherein generell hatte die Kommission per Indult die vorpacellinische Pfingstvigil gestattet und etwas seltsam erklärt, dort, wo sie üblich sei, könne sie beibehalten werden.
Der Ordo recitandi, der seit SP alljährlich in Latein im Verlag der Vatikanischen Druckerei für den Usus antiquior erschienen ist und ursprünglich von der Kommission Ecclesia Dei herausgegeben wurde, seit deren Auflösung jedoch von der Glaubenskongregation erstellt und herausgegeben wird, enthält immer wieder Hinweise auf vor 1960 zurückreichende liturgische und kalendarische Regelungen und bietet sie bereits jetzt zumindest als paraliturgische Optionen an.
Der Begriff des Usus als Weitung
Über die Verwendung hinaus, die der Begriff usus rechtlich in SP erfährt, hat er liturgiegeschichtlich die grundlegendere Bedeutung, vortridentinisch die Varianten zu bezeichnen, die für die Liturgie der Ordens- und Lokalriten kennzeichnend waren. Die mit der tridentinischen Liturgie und die Zeit von 1570 bis 1970 oft assoziierte monolithische Uniformität des römisch-tridentinischen Ritus kann durch solche Indulte eine Korrektur erfahren, die nicht eine schädliche Assimilation an die häufig unübersichtlich und willkürlich erscheinenden Auswahlmöglichkeiten des Usus recentior sein muss, die man ebenso prinzipiell ablehnen müsste wie eigenmächtige Kreativität des Zelebranten.
Freilich sollte man sich pro Gottesdienstort und Gemeinschaft, die dem Usus antiquior verbunden ist, auf eine gewisse liturgische Vorhersehbarkeit einigen. Eine überall gleiche Uniformität in jeder Einzelheit aber ist nicht erforderlich und an sich eigentlich auch gar nicht wünschenswert.
Loretofest als interessantes Beispiel
Schon vorhin wurde angedeutet, dass der CR1960 auch einen deutlichen Eingriff in das Festkalendarium dargestellt hatte. Viele Feste fielen durch das Raster. Oft waren es übrigens ausgerechnet solche, die den ortskirchlichen Charakter des Ritus der Stadt Rom unterstrichen. Ritus einer Ortskirche war er zuerst, ehe er faktisch zum weltkirchlichen Einheitsritus mutierte.
Eines der Feste, die einer nüchtern rationalistischen Nachprüfbarkeit seines historischen Kerns sich entzogen und deswegen der Reform von 1960 zum Opfer fielen, war das Fest der Übertragung des Heiligen Hauses der Allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria nach Loreto, das am 10. Dezember gefeiert wurde. Anders als viele der damals abgeschafften Feste, die wenigstens im Appendix pro aliquibus locis weiterhin angeboten wurden (vor allem wohl, um die Feier bestehender Patrozinien mit Eigentexten zu ermöglichen), galt das außerhalb von Loreto selbst offenbar nicht für das Fest Unserer Lieben Frau von Loreto.
Interessanterweise hat Papst Franziskus verfügt, dieses Fest als nichtgebotenen Gedenktag im Generalkalender des ordentlichen Usus am alten Termin wiederherzustellen. Das entsprechende Dekret der Gottesdienstkongregation datiert vom 7. Oktober 2019.
Leider schweigt es über den außerordentlichen Usus. Es wäre aber logisch und wünschenswert, wenn es nach diesem Dekret mit dem Proprium, das es bis 1960 im tridentinischen Messbuch hatte, auch im Kalender des Usus antiquior wieder eingeführt und gefeiert werden könnte. Eine Anfrage bei der Gottesdienstkongregation beziehungsweise der für die Liturgie gemäß SP zuständig erklärten Glaubenskongregation sollte in diesem Detail Klarheit und Rechtssicherheit schaffen.
Der vierte Gesichtspunkt, den man noch ins Auge fassen muss, stellt sich weniger als Themenkreis, vielmehr deutlich als Einzelthema dar:
Thema IV: Einfluss der außerordentlichen Form auf den Usus recentior
Es verbleibt uns noch Frage 5. – Sie ist schnell beantwortet. Über eine atmosphärische Befruchtung des gemäß den nachvatikanischen liturgischen Büchern gefeierten Römischen Ritus hinaus, von der Papst Benedikt 2007 im Begleitbrief zum Motuproprio spricht, ist eine Übernahme von konkreten rituellen Bestandteilen des Usus antiquior in den Usus recentior weder von SP vorgesehen noch legitimiert.
Sakrale Atmosphäre, die ausstrahlt
Mehr als ein Milieu der Sakralität, das durch die Präsenz des Usus antiquior geschaffen wird, kann also gar nicht auf die neue Liturgie ausstrahlen. Möglich ist dadurch höchstens eine klare Präferenz des I. Hochgebets des paulinischen Messbuchs und vielleicht ein so vereinzelter Gestus wie die nach der Konsekration vereinigt bleibenden Daumen und Zeigefinger des Zelebranten. Wenn also ein Bischof von seiner Diözese mehr und Konkreteres berichten könnte, wäre das in den Augen Roms oder des Papstes sicher kein angestrebter oder erwünschter Effekt von SP und müsste eher korrigiert, das heißt rückgängig gemacht werden. Allerdings wäre das nur dann überzeugend und glaubwürdig durchzuführen, wenn die Bischöfe auch sonst im Usus ordinarius tatsächlich konsequent und wirksam über die Einhaltung der ihm eigenen liturgischen Vorschriften wachen und sicherstellen würden, dass Eigenmächtigkeit und wilde Kreativität als Missbrauch innerhalb der neuen Liturgie effektiv unterbunden werden.
Abschluss: Resümee und Perspektive
Das Jahr 2020 mit seinen beiden Jubiläen am 25. Juli ist für den Usus antiquior ein geradezu idealer Zeitpunkt, um klarzustellen, dass die simultane Koexistenz der nachvatikanischen und nachtridentinischen Editiones typicae des jeweiligen Römischen Messbuchs und der anderen liturgischen Bücher des Römischen Ritus keine statischen Festschreibungen sind.
Die liturgische Tradition ist größer als eine kurze Spanne der Geschichte und mehr als die Momentaufnahme eines in der Vergangenheit abgeschlossenen Zustands. Die liturgische Praxis des Usus antiquior ist auch in der Gegenwart nicht steril abgekapselt oder abgeschnitten. Deswegen konnte er sich zum einen der Feier neuer Heiliger und für eine überschaubare Zahl neuer Präfationen öffnen. Maßnahmen, die beide ermöglicht, aber nicht zwingend vorgeschrieben worden sind. Zum anderen kann und sollte die liturgische Praxis des Usus antiquior in ihrer lebendigen Feiergestalt weiter und tiefer als sechzig Jahre zurück auf die liturgische Tradition der Lateinischen Kirche zurückgreifen und in dieser wurzeln. SP schwört niemanden beengend auf den Status quo des CR1960 ein. Auch die Piusbruderschaft sollte sich endlich wieder dazu durchringen, den Rechtspositivismus aufzusprengen, mit dem sie sich selbst über Gebühr an die liturgischen Bücher der magischen Jahreszahl 1962 gebunden fühlt.
Das wichtigste Desiderat, das hier artikuliert worden ist, die klarere und schärfere Bestimmung dessen, was den Sacerdos idoneus ausmacht, und die Einführung verbindlicher Kurse und Fortbildungsmöglichkeiten, um diese Qualifikation zu erwerben und nachzuweisen, sei abschließend nochmals betont.
Nicht Anmaßung, sondern Versuch eines konstruktiven Beitrags
Der vorliegende Kommentar beansprucht keine bischöfliche Kompetenz und Autorität, er möchte allerdings konstruktiv beitragen zum Gelingen der Umfrage bezüglich des Usus antiquior unter allen Diözesanbischöfen weltweit. Dieses Gelingen sei am Ende des Kommentars in seinen beiden Teilen der Fürsprache des heiligen Papstes Pius V. anempfohlen. Dessen Bild hat gleichsam als Markenzeichen beide Folgen des Beitrags begleitet. Sein Name ist unlöslich mit der Herausgabe und Promulgation des Römischen Messbuchs im Auftrag und Anschluss des Konzils von Trient (1545–1563) verbunden. Der ältere liturgische Kalender des Römischen Ritus verzeichnet am heutigen 5. Mai sein Fest: Sancte Pie V – intercede pro nobis!
Bild: New Liturgical Movement