(Havanna) Kubas Staatspräsident Miguel Diaz-Canel Bermúdez empfing am Montag „religiöse Führer“ und berichtete darüber auf Twitter.
Seit Anfang 1959 ist Kuba eine kommunistische Diktatur, die mit Waffengewalt errichtet wurde. Gestürzt wurde damals der US-freundliche Diktator Fulgencio Batista. Weniger bekannt ist, daß der in den Jahren 1940–1944 als gewählter Staatspräsident regierende Batista von den Kommunisten unterstützt worden war. Batista hatte nicht nur den Partido Comunista Cubano legalisiert, sondern auch mehrere Kommunisten in seine Regierung berufen. Den Kommunisten Carlos Saladrigas Zayas machte Batista sogar zum Ministerpräsidenten und gab Kuba die am deutlichsten links geprägte Verfassung Amerikas. Nach dem Zweiten Weltkrieg zerbrach unter den neuen Vorzeichen des Kalten Krieges diese Allianz.
Seit April 2018 ist Miguel Diaz-Canel Staatspräsident von Kuba. Er ist seit Sommer 1959 der vierte Kommunist in diesem Amt und direkter Nachfolger der Brüder Fidel und Raul Castro, die von 1976–2018 nacheinander das höchste Staatsamt innehatten.
Miguel Diaz-Canel, der zuvor Erziehungsminister und stellvertretender Ministerpräsident war, gilt nicht als der eigentliche starke Mann des kommunistischen Regimes. Dafür ist er ein linientreuer Parteigänger.
Nach der Begegnung mit den „religiösen Führern“ schrieb er auf Twitter:
„Ich habe die religiösen Führer empfangen. Bei der Begegnung behandelten wir Fragen im Zusammenhang mit der Dringlichkeit der Klima- und Gendergerechtigkeit sowie den Kampf gegen den religiösen, ökonomischen, sozialen und politischen Fundamentalismus.“
Die dazu veröffentlichten Fotos gestalten sich zunächst als Suchbilder. Darauf lassen sich keine Religionsführer erkennen, jedenfalls nicht in dem Sinn, wie man es sich erwarten würde. Kubas Staatsoberhaupt empfing nicht die kirchliche Hierarchie seines Landes.
Wen aber hat Diaz-Canel dann empfangen?
Die Person im weißen Hemd links im Bild hilft weiter. Es handelt sich um Frei Betto, den brasilianischen Dominikaner, der seit vielen Jahren zu den überzeugten Anhängern des kommunistischen Regimes auf Kuba zählt. Frei Betto ist einer der führenden Ideologen der marxistischen Befreiungstheologie. Im vergangenen Januar posaunte er vergnügt:
„Papst Franziskus ist so links wie wir Rebellen-Theologen.“
Einige Monate später, im Mai, verkündete er:
„Papst Franziskus ist ein großer Freund der Befreiungstheologie.“
Beide Aussagen standen schon ganz im Bann der Amazonassynode, die im vergangenen Oktober stattfand.
Frei Betto steht ja gewissermaßen ganz am Beginn derselben, zumindest an dem festzumachenden Beginn. Am 4. April 2014 wurde der inzwischen emeritierte, österreichische Missionsbischof in Brasilien Erwin Kräutler und am 10. April der brasilianische Dominikaner Frei Betto von Papst Franziskus in Audienz empfangen. Damals wurden die Türen nach Brasilien geöffnet, vordergründig zur Amazonassynode, vor allem aber zur Befreiungstheologie. Die Audienz für Kräutler, da Bischof, wurde im Tagesbulletin des Vatikans verzeichnet. Jene für Frei Betto scheint als Privataudienz nicht auf.
Kräutler holte sich damals den Auftrag, „mutige Vorschläge“ gegen den Priestermangel vorzulegen. Am 8. April 2014 erklärte Kräutler gegenüber den Salzburger Nachrichten, Papst Franziskus habe ihm zugestimmt und gesagt, daß er sich durchaus vorstellen könne, daß verheiratete Männer zu Priestern geweiht werden, wenn die Bischöfe damit einverstanden sind. Damit erteilte Franziskus grünes Licht für den Angriff gegen den priesterlichen Zölibat.
Am 10. April empfing Franziskus Frei Betto Libanio Christo, einen Krawattendominikaner, der auch gerne krawattenlos, aber nie im Ordensgewand auftritt. Frei Betto unterhält beste Kontakte nicht nur zum kommunistischen Regime auf Kuba, sondern zu allen Linksregierungen Lateinamerikas. Brasiliens ehemaliger Staats- und Regierungschef, der Sozialist Lula da Silva, machte ihn zum Regierungsberater und ist sein persönlicher Freund. Während der Militärdiktatur in Brasilien saß Betto vier Jahr in Haft, allerdings nicht wegen seines Glaubens, sondern wegen seines politischen Aktivismus.
International bekannt wurde er als Autor eines neuen Glaubensbekenntnisses. In seinem „Neuen Credo“ schrieb er:
„Ich glaube an den vom Vatikan und von allen heute und künftig existierenden Religionen befreiten Gott. Den Gott, der vor allen Taufen, vor allen Sakramenten ist und der über alle religiösen Doktrinen hinausgeht. Frei von den Theologen verbreitet er sich uneigennützig in den Herzen aller, der Gläubigen und der Atheisten, der Guten und der Bösen, jener, die sich für gerettet halten und jener, die sich für Kinder der Verdammnis halten und auch jener, die dem Geheimnis, was nach dem Tod sein wird, gleichgültig gegenüberstehen. Ich glaube an den Gott, der keine Religion hat […].“
Im Anschluß an die Audienz sprach Frei Betto mit der Presse und enthüllte zumindest etwas von dem, was besprochen wurde. Sein Anliegen, das er dem Papst vorbrachte, war demnach die Rehabilitierung des italienischen Philosophen und Häretikers Giordano Bruno. An Giordano Bruno würde sich längst niemand mehr erinnern, wäre er im Jahr 1600 nicht von der römischen Inquisition als einer der ganz wenigen Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Deshalb wurde er im 19. Jahrhundert zur Symbolfigur der italienischen Antiklerikalen. Die Freimaurer des Großorient von Italien errichteten ihm nach der italienischen Einigung von 1870 ein Denkmal als Teil ihres kirchenfeindlichen Programms, das sie in der einstigen „Stadt der Päpste“ im öffentlichen Raum umsetzen wollten.
Der an sich unbedeutende Giordano Bruno wurde durch die Freimaurer zum „Säulenheiligen“ aller Kirchenfeinde, ob sie sich Atheisten, Kommunisten, Freimaurer oder „Humanisten“ nennen. Deshalb gibt es auch im deutschen Sprachraum eine Giordano-Bruno-Stiftung.
Gegenüber der linken Tageszeitung La Repubblica enthüllte Frei Betto, der Giordano Bruno einen „Bruder“ nennt, noch ein bißchen mehr. Er habe mit Papst Franziskus auch über die Befreiungstheologie gesprochen. Den historischen Ereignissen gab er dabei eine ganz eigenwillige Lesart. Der Papst müsse gegenüber der Befreiungstheologie ein „liebender Vater“ sein, denn alle Befreiungstheologen seien „Kinder der Kirche“. Die progressiven Kräfte und Befreiungstheologen, so der Dominikaner, der sich selbst als „kirchenkritischen Humanisten“ bezeichnet, seien „nie“ für Brüche in der Kirche verantwortlich gewesen:
„Alle Spaltungen, Häresien und Brüche seit dem 20. Jahrhundert wurden von den Rechten verursacht, von den Konservativen und Traditionalisten.“
Die Worte des kubanischen Staatspräsidenten Diaz-Canel auf Twitter, bei der Begegnung am Montag wurde über „Fragen im Zusammenhang mit der Dringlichkeit der Klima- und Gendergerechtigkeit sowie den Kampf gegen den religiösen, ökonomischen, sozialen und politischen Fundamentalismus“ gesprochen, müssen also mit Blick auf die Gedankenwelt von Frei Betto gelesen werden, der sein Hauptgesprächspartner war.
Dies auch deshalb, weil die im Tweet aufgelistete Agenda an jene von Santa Marta erinnert.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Twitter (Screenshots)