Geopolitik: „Papst Franziskus wünscht eine multipolare Welt“

China-Interview von Kardinalstaatsekretär Parolin


Erstmals führte eine volkschinesische Tageszeitung ein Interview mit einem Kardinalstaatssekretär.

(Rom) Erst­mals ver­öf­fent­lich­te eine regi­me­na­he Tages­zei­tung der kom­mu­ni­sti­schen Volks­re­pu­blik Chi­na ein Inter­view mit einem Kar­di­nal­staats­se­kre­tär. Viel­leicht ist es über­haupt das erste Inter­view einer chi­ne­si­schen Zei­tung mit einem Kar­di­nal­staats­se­kre­tär. Gestern abend stell­te die Glo­bal Times das Inter­view auf ihre Inter­net­sei­te. Für den Her­aus­ge­ber ist das ein Zei­chen für „posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen“ in den chi­ne­sisch-vati­ka­ni­schen Bezie­hun­gen. In dem Inter­view geht es aber auch um Geopolitik.

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Von Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin wur­de eine neue Tür zu den Medi­en des KP-Regimes auf­ge­sto­ßen. Bis­her hat­te die Asia Times, eine regi­me­na­he Online-Tages­zei­tung, aber mit Sitz in Hong Kong, Anfang Febru­ar 2016 ein Inter­view mit Papst Fran­zis­kus ver­öf­fent­licht. Mit der Glo­bal Times ist die Vati­kan-Füh­rung einen Schritt wei­ter und direkt in Peking ange­kom­men. Die Neue Zür­cher Zei­tung nennt eng­lisch­spra­chi­ge Glo­bal Times ein „Pro­pa­gan­da­blatt“. Sie gehört zum Medi­en­im­pe­ri­um der offi­zi­el­len Par­tei­zei­tung der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Chi­nas (KPCh).

Das Gespräch mit Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin wird geziert vom Bild eines lachen­den Papst Fran­zis­kus und einer „ambi­tio­nier­ten“ Über­schrift, so Asia­News:

„Papst Fran­zis­kus sieht Chi­na als eine gro­ße Nati­on, sagt ein Kardinal“.

Als Bestä­ti­gung für eine „posi­ti­ve Ent­wick­lung“ der Bezie­hun­gen sieht der Her­aus­ge­ber der Glo­bal Times die „fried­li­chen Oster­fei­er­lich­kei­ten, die jüngst“ statt­ge­fun­den haben. Asia­News ver­mu­tet dar­in eine Anspie­lung auf die Span­nun­gen im Bis­tum Min­dong, die nicht eska­lier­ten, aber auch auf die Teil­nah­me einer „vati­ka­ni­schen Ver­tre­tung an der Inter­na­tio­na­len Gar­ten­bau­aus­stel­lung“ 2019 in Peking.

Das Inter­view führ­ten Zhang Yu und Fran­ces­co Sisci, der bereits 2016 für Asia Times das Inter­view mit Papst Fran­zis­kus geführt hat­te. Sisci befrag­te den Papst damals zu allem Mög­li­chen, nur nicht zu Chi­na. Bei Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin ist das nun anders. Dar­an dürf­te sich am deut­lich­sten zei­gen, daß sich in den Bezie­hun­gen eini­ges geän­dert hat. 

Paro­lin spielt auch auf Absich­ten an, die dem vati­ka­nisch-chi­ne­si­schen Abkom­men zugrun­de­lie­gen, das im Sep­tem­ber 2018 unter­zeich­net wur­de „zum Wohl der gesam­ten katho­li­schen Gemein­schaft in Chi­na, die ich brü­der­lich umar­me – beson­ders jene, die am mei­sten gelit­ten haben und wei­ter­hin leiden.“

Gleich die erste Fra­ge, die dem rang­höch­sten Mit­ar­bei­ter des Pap­stes gestellt wur­de, ziel­te auf den Stand des chi­ne­sisch-vati­ka­ni­schen Dia­logs ab. Der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär beton­te in sei­ner Ant­wort, daß es eine „wach­sen­de Wert­schät­zung zwi­schen bei­den Sei­te“ gebe. 

Gemäß der Leh­re von Papst Fran­zis­kus, so der Pur­pur­trä­ger, wol­le der Dia­log nicht „Theo­rien über die jewei­li­gen Syste­me dis­ku­tie­ren“. Man ver­su­che viel­mehr, prak­ti­sche Lösun­gen für rea­le Per­so­nen zu fin­den, „die ihren Glau­ben in Frie­den leben und für ihre Nati­on einen posi­ti­ven Bei­trag lei­sten wollen“.

Die zwei­te Fra­ge erkun­dig­te sich nach dem „inner­kirch­li­chen Wider­stand“ gegen die­sen Dia­log. Paro­lin bemüh­te sich in sei­ner Ant­wort jeden ider­stand her­un­ter­zu­spie­len, denn zu Kri­tik kom­me es ja immer, ob in der Kir­che „oder in Chi­na oder anders­wo“. Asia­News stellt dem ent­ge­gen, daß man auch beim Hei­li­gen Stuhl wis­se, daß die mas­siv­sten und kon­kre­te­sten „Wider­stän­de“ gegen das Abkom­men aus dem Regime selbst kom­men, vom Staats­amt für Reli­gi­ons­an­ge­le­gen­hei­ten (SARA) und von der Ver­ei­nig­ten Arbeits­front der KPCh. Die­se bei­den Orga­ne von Staat und Par­tei sind für Reli­gi­ons­an­ge­le­gen­hei­ten zustän­dig und betrei­ben eine mas­si­ve Über­wa­chung und Kon­trol­le der Bischö­fe, der Prie­ster und der Kult­or­te – und das „trotz des chi­ne­sisch-vati­ka­ni­schen Abkom­mens“ so Asia­News.

Der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär sag­te, daß es noch „vie­le Fra­gen“ gebe, die ange­gan­gen wer­den müß­ten. „Wir wol­len das mit Wil­len und Ent­schlos­sen­heit tun“ im Wunsch, „dau­er­haf­te Lösun­gen zu fin­den, die für alle inter­es­sier­ten Betei­lig­ten akzep­ta­bel und respekt­voll sind“.

Der enge Ver­trau­te von Papst Fran­zis­kus sprach zudem eine ande­re Art von Kri­tik an, „die vol­ler Vor­ur­tei­le sei und geo­po­li­ti­sche Gleich­ge­wich­te der Ver­gan­gen­heit auf­recht­erhal­ten zu wol­len scheint“. Für die Her­aus­ge­ber der Glo­bal Times ist das der inter­es­san­te­ste Teil des Interviews.

Kar­di­nal Paro­lin kam in der Beant­wor­tung der sieb­ten Fra­ge noch ein­mal dar­auf zurück, indem er beton­te, daß Papst Franziskus:

„Chi­na nicht nur als eine gro­ße Nati­on sieht, son­dern auch als eine gro­ße Kul­tur, reich an Geschich­te und Weis­heit. Heu­te ist Chi­na soweit gekom­men, über­all gro­ße Auf­merk­sam­keit und Inter­es­se zu wecken, beson­ders in der Jugend“. 

Der Papst hof­fe, so der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär, daß Chi­na „kei­ne Angst habe, in Dia­log mit der grö­ße­ren Welt zu tre­ten“ und imstan­de sein wer­de, „das Miß­trau­en zu über­win­den und eine siche­re­re und blü­hen­de­re Welt zu schaffen“.

Bereits 2014 hat­te Papst Fran­zis­kus in einem Schrei­ben an Staats- und Par­tei­chef Xi Jing­ping sei­ne posi­ti­ve Sicht der Volks­re­pu­blik Chi­na und einer mul­ti­po­la­ren Welt zu Papier gebracht, die eine Unter­wer­fung der Welt unter eine ein­zi­ge Super­macht ver­hin­de­re. In die­sem Kon­text dürf­te es auch eine Rol­le spie­len, daß das Inter­view mit dem rang­ho­hen Ver­tre­ter von Papst Fran­zis­kus nur weni­ge Stun­den nach den geschei­ter­ten Wirt­schafts­ge­sprä­chen zwi­schen den USA und der Volks­re­pu­blik Chi­na ver­öf­fent­licht wur­de. Bei die­sen Gesprä­chen pral­len zwei unter­schied­li­che Regie­rungs­for­men, Ideo­lo­gien, Lebens­sti­le und auch zwei unter­schied­li­che Ideen auf­ein­an­der, die Welt­wirt­schaft zu sehen.

Am 2. Febru­ar 2018 sag­te es Kuri­en­bi­schof Mar­ce­lo Sanchez Sor­on­do, der poli­ti­sche Arm von Papst Fran­zis­kus, noch deut­li­cher. In einem Inter­view mit Vati­can Insi­der, einem Nach­rich­ten­por­tal, das damals noch vom päpst­li­chen Haus­va­ti­ka­ni­sten Andrea Tor­ni­el­li koor­di­niert wur­de, sag­te Sanchez Sor­on­do einen Satz der auf­hor­chen soll­te lassen:

„In die­sem Moment sind jene, die die Sozi­al­leh­re der Kir­che am besten ver­wirk­li­chen, die Chinesen.“

Der poli­ti­sche Arm des Pap­stes zeich­ne­te die Volks­re­pu­blik Chi­na als neu­es „Wun­der­land“:

„Respekt für die Umwelt, Arbeit für alle als Prio­ri­tät, kei­ne Slums, kei­ne Drogen.“

Die katho­li­sche Inter­net­zei­tung La Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na (NBQ) schrieb damals:

„Auf die Ein­gangs­be­haup­tung folgt eine gan­ze Rei­he wei­te­rer Dumm­hei­ten, mit denen Sanchez Sor­on­do die Volks­re­pu­blik Chi­na als eine Art Para­dies auf Erden schil­dert, so wie sich frü­her die Kom­mu­ni­sten im Westen die Sowjet­uni­on unter Sta­lin ausmalten.“

Der Kuri­en­bi­schof, sei­nes Zei­chens Kanz­ler der Päpst­li­chen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und Päpst­li­chen Aka­de­mie der Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, müs­se „im Deli­ri­um“ gespro­chen habe, so NBQ. Sanchez Sor­on­do aber ist ein blitz­ge­schei­ter Mann. Er weiß, was er sagt, und tut, was Fran­zis­kus von ihm will. 

Das neue Inter­view mit Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin läßt ein Stück deut­li­cher die poli­ti­schen Absich­ten von Papst Fran­zis­kus erken­nen. Sei­ne offen­sicht­li­che Sym­pa­thie für die poli­ti­sche Lin­ke löste anfangs ungläu­bi­ges Stau­nen aus. Poli­ti­sche Beob­ach­ter sto­cher­ten im Nebel, weil das Bild so neu und unscharf war. Doch die Nebel­bän­ke schei­nen sich schritt­wei­se zu lich­ten. Der Schlüs­sel zu den Hin­wei­sen von Papst Fran­zis­kus von 2014 und 2016, von Sanchez Sor­on­do von 2018 und von Kar­di­nal Paro­lin 2019 scheint der Wunsch nach Schaf­fung einer mul­ti­po­la­ren Welt zu sein. Die „ein­zi­ge Super­macht“, der die Welt nicht unter­wor­fen sein soll, sind die USA.

Unbe­ant­wor­tet bleibt, ob Papst Fran­zis­kus damit auf eine Bekämp­fung des reli­gi­ons­feind­li­chen, wer­te­frei­en, heimat‑, vater­lands- und letzt­lich gene­rell bin­dungs­lo­sen, jede natür­li­che Ord­nung zer­set­zen­den Libe­ra­lis­mus abzielt. Dann lie­ße sich hin­ter sei­nem Anti­ame­ri­ka­nis­mus eine nach­voll­zieh­ba­re Logik erken­nen, die über blo­ße Res­sen­ti­ments oder Revan­che­ge­dan­ken hin­aus­gin­ge. Dies­be­züg­lich blieb Fran­zis­kus, im Gegen­satz zu sei­nen Vor­gän­gern, bis­her aber sehr zurückhaltend. 

Im Inter­view von Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin fin­det sich eine wei­te­re, inter­es­san­te Stel­le, die sich direkt auf das Ver­hält­nis von Staat und Kir­che in der Volks­re­pu­blik Chi­na bezieht. Wäh­rend das kom­mu­ni­sti­sche Regime eine „Sini­sie­rung“ der Kir­che ver­langt, spricht Paro­lin von „Inkul­tu­ra­ti­on“. Gleich­zei­tig äußer­te er die Hoff­nung, daß die chi­ne­si­sche Staats­füh­rung imstan­de sein wer­de, „ihren Wil­len zu bekräf­ti­gen, nicht die Natur und die Leh­re der Reli­gio­nen zu bedro­hen“. Durch den Dia­log könn­ten Inkul­tu­ra­ti­on und Sini­sie­rung „kom­ple­men­tär“ sein. Die „Haupt­ak­teu­re die­ses Dia­logs sind die chi­ne­si­schen Katho­li­ken“, so der Kar­di­nal, womit er indi­rekt sag­te, daß die­se Auf­ga­be weder dem Staats­amt für Reli­gi­ons­an­ge­le­gen­hei­ten noch der Ver­ei­nig­ten Arbeits­front der KPCh zukomme.

Die Ant­wor­ten Paro­lins auf die vier­te und fünf­te Fra­ge benen­nen mög­li­che Berei­che für eine Zusam­men­ar­beit zwi­schen dem Hei­li­gen Stuhl und Peking: „den Frie­den, die Armuts­be­kämp­fung, den Umwelt- und Kli­ma­not­stand, die Migra­tio­nen, die Ethik in der Wis­sen­schafts- und Wirt­schafts­ent­wick­lung und der sozia­le Fort­schritt der Völ­ker“. Von vor­ran­gi­ger Bedeu­tung für den Hei­li­gen Stuhl sei aber, so der Kar­di­nal, „die Zen­tra­li­tät der Men­schen­wür­de“ durch die „wirk­li­che Aner­ken­nung der Grund­rech­te, dar­un­ter das Recht auf Reli­gi­ons­frei­heit und das All­ge­mein­wohl, das das Wohl eines jeden und aller ist“.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Asia­News

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3 Kommentare

  1. Die Wert­schät­zung für die Kul­tur und Geschich­te des Ver­trags­part­ners ist schlicht diplo­ma­ti­sche Gepflo­gen­heit, hin­sicht­lich Chi­na zudem fun­diert. Das übli­che nach­kon­zi­lia­re „Dialog“-Brimborium – geschenkt.
    Inwie­fern die Lob­hu­de­lei­en auf das poli­ti­sche System der Volks­re­pu­blik ledig­lich tak­tisch bedingt sind, bleibt abzu­war­ten. Tat­sa­che ist aber, dass die durch Jahr­hun­der­te gepräg­te und geschul­te Vati­kan­di­plo­ma­tie in Chi­na auf (min­de­stens) eben­bür­ti­ge Ver­hand­lungs­part­ner trifft, was Erfah­rung, Geschick, Ver­schla­gen­heit und Geduld anbe­trifft, hier soll­te man sich von der roten Gesin­nung nicht täu­schen lassen…

  2. Ich kann es nicht ver­ste­hen, wie ver­blen­det, der Papst und sei­ne Bera­ter sind.
    Auch bei uns, müß­ten die Gläu­bi­gen doch mer­ken, was da läuft.
    Bit­te auf­wa­chen, bevor es zu spät ist.
    Ich den­ke an die Unter­grund­kir­che, die jetzt noch mehr ver­folgt werden.

  3. Zur Men­schen­wür­de gehört vor­dring­lich das Recht auf Leben von der Zeu­gung bis zum natür­li­chen Tod. Für Kar­di­nal Paro­lin offen­kun­dig aber nichts Wich­ti­ges und Erwäh­nens­wer­tes im „Dia­log“ mit den kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­to­ren Chi­nas. Das bedeu­tet, daß Kar­di­nal Pao­lin und sein Chef der ver­derb­li­chen Abtrei­bungs­po­li­tik der VR Chi­na und ihrer „Ein-Kind-Poli­tik“ nicht wider­spre­chen, son­dern die­se zumin­dest hinnehmen.
    Das Vati­kan-Chi­na-Abkom­men ist eine ein­zi­ge Lüge. Papst Fran­zis­kus läßt die Katho­li­ken Chi­nas im Stich und reicht ihren Unter­drückern die Hand. Allein dafür wäre Han­deln ange­sagt, und die­ser Papst müß­te m.Er. umge­hend abge­setzt werden.

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