(Rom) Kardinal Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon seit 2002, wurde vergangene Woche von einem Gericht seiner Bischofsstadt verurteilt, den sexuellen Mißbrauch, den ein Diözesanpriester in den 70er und 80er Jahren begangen hatte, nicht sofort zur Anzeige gebracht zu haben, als er 2014 Kenntnis davon erhalten hatte. Der Kardinal, der zugleich Primas von Gallien ist, gab gleich nach der Urteilsverkündung bekannt, sich in diesen Tagen nach Rom zu begeben, um Papst Franziskus seinen Rücktritt anzubieten.
Wie der Sprecher des Kardinals, Weihbischof Emmanuel Gobilliard, bestätigte, soll die Begegnung mit Papst Franziskus innerhalb Mittwoch stattfinden. Gegenstand der Begegnung werde „sicher“ alles sein, was mit diesem Prozeß zu tun hat, so Msgr. Gobilliard. Dazu gehöre das „ganze damit verbundene Leiden“. Kardinal Barbarin habe ihm gesagt:
„Die Opfer haben zuviel gelitten, die Diözese hat zuviel gelitten, vielleicht ist es an der Zeit, etwas zu ändern.“
Der Kardinal denke „als Hirte, der das Beste für seine Diözese will“. Nähere Details wollte Msgr. Gobilliard nicht nennen, um die nötige Diskretion der Begegnung zwischen dem Erzbischof von Lyon und Papst Franziskus zu wahren und Entscheidungen nicht vorwegzunehmen.
Er erklärte, daß Papst Franziskus verschiedene Optionenhabe. Er könne den Rücktritt mit sofortiger Wirkung annehmen. Er könne den Rücktritt annehmen und Kardinal Barbarin als Diözesanadministrator einsetzen bis zur Ernennung eines Nachfolgers. Er könne einen anderen Administrator berufen oder auch den dienstältesten Weihbischof beauftragen, mit dem Domkapitel einen Administrator zu bestimmen.
Zugleich gab Msgr. Gobilliard bekannt, daß von Kardinal Barbarin Berufung gegen das Urteil eingelegt wurde. Es sei wichtig, zu unterstreichen, daß der Amtsverzicht die Entscheidung „eines Hirten ist, die Entscheidung des Erzbischofs von Lyon“. Kardinal Barbarin sei aber auch französischer Staatsbürger, und als solcher stehe ihm das Recht zu, sich zu verteidigen“. Die Rechtsanwälte des Kardinals zeigten sich zuversichtlich, im Berufungsverfahren eine „angemessenere Auslegung der geltenden Rechtslage“ erreichen zu können. Weihbischof Gobilliard legte jedoch Wert auf die Unterscheidung, daß der Amtsverzicht des Erzbischofs und die Berufung des französischen Staatsbürgers zwei unterschiedliche Dinge seien.
Eine insgesamt nicht gerade geglückte Unterscheidung, die vom Weihbischof gewählt wurde. Besagt das Kirchenrecht anderes? Wird es zu einem kanonischen Verfahren kommen? Wenn das Kirchenrecht ihn verurteilen würde, weshalb könnte sich dann nur die Privatperson, also der französische Staatsbürger vor dem weltlichen Gericht verteidigen?
Am vergangenen Samstag empfing Papst Franziskus Kardinal Marc Ouellet, den Präfekten der Bischofskongregation, in Audienz. Es ist nicht bekannt, darf aber angenommen werden, daß dabei auch der Fall Barbarin besprochen wurde
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Kto/Youtube (Screenshot)