
(Madrid) Spaniens neuer Vorsitzender des nationalen Bioethikrates ist zwar Jesuit, doch das Lebensrecht der Ungeborenen verteidigt er nur mit Einschränkungen.
Seit Juni 2018 ist Pedro Sanchez Ministerpräsident von Spanien mit einer Minderheitenregierung, die sich auf gerade einmal 24 Prozent der Parlamentsabgeordneten stützen kann. Der Regierung gehören lediglich die Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) von Sanchez und die Partei der Sozialisten Kataloniens (PSC) an, der katalanischen Schwesterpartei des PSOE, vergleichbar CDU und CSU.
Sanchez ernannte am vergangenen 14. Januar den Jesuiten Federico de Montalvo zum Vorsitzenden des Bioethikkomitees von Spanien.
Federico de Montalvo ist Professor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Päpstlichen Universität Comillas, einer vom Jesuitenorden getragenen und besonders renommierten Privatuniversität mit derzeit rund 14.000 Studenten und 1.800 Professoren und anderen lehrenden Wissenschaftlern. An der Universität lehrte früher auch der heutige Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Kardinal Luis Ladaria Ferrer SJ. Großkanzler der Universität ist Jesuitengeneral Arturo Sosa Abascal.
De Montalvo hatte in den vergangenen fünf Jahren bereits das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden im nationalen Bioethikkomitee inne. Dessen Aufgaben entsprechen weitgehend jenen des Deutschen Ethikrates und liegen vor allem in der Beratung von Parlament und Regierung. Salopp formuliert könnte man sagen: Solange es keine Ethikräte gab, war das Lebensrecht der Menschen in den Staaten geschützt. Die Schaffung dieser Gremien markiert vor allem die fortschreitende Unterminierung des Lebensrechts und den fehlenden politischen Willen, die Heiligkeit und Unantastbarkeit eines Menschenlebens anzuerkennen und durchzusetzen.
Der Wert des Lebensrechtes mit einem Vorbehalt
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, welche Positionen jemand vertreten muß, der Vorsitzender eines solchen Gremiums wird. Eine sozialistische Regierung, die einen Jesuiten ernennt, dürfte zumindest einen Anfangsverdacht wecken. Diese Kombination ist natürlich auch den beiden großen, politischen Blöcken in Spanien geschuldet und der Tatsache, daß die Minderheitsregierung im Parlament auf die Duldung der bürgerlichen Opposition angewiesen ist.
Montalvo verteidigt den Schutz der Ungeborenen, aber auch die Abtreibung von behinderten Ungeborenen. 2014 gab er zusammen mit dem Jesuiten Alonso Bedate im Bioethikkomitee eine Sondererklärung ab, in der er das „psychische Risiko“ für die Mutter höher stellte, als das Lebensrecht eines tatsächlich oder auch nur vermeintlich behinderten Kindes. Vermeintlich deshalb, weil vorgeburtlich regelrecht Jagd auf behinderte Kinder gemacht wird, die Untersuchungen aber keine gesicherten Informationen liefern können, weshalb im Zweifel auch gesunde Kinder durch Abtreibung getötet werden. Katholisches.info berichtete vor wenigen Tagen über zwei Fälle in England, wo die Ärzte wegen angeblicher Mißbildung auf die Abtreibung drängten. Die Eltern verweigerten sich und in beiden Fällen kamen kerngesunde Kinder zur Welt.
Die beiden Jesuiten Montalvo und Bedate betonen zwar einerseits den Wert des Lebens eines behinderten oder mißgebildeten Kindes, noch mehr betonen sie aber, daß ein solches Kind die moralische Integrität der Eltern erschüttern könnte. Beide sprachen sich in der Vergangenheit gegen ein „Recht“ auf Abtreibung aus und betonen grundsätzlich, das ungeborene Kind als eigenständiges Leben unabhängig von dem der Mutter.
Abtreibung in Spanien
Während der Volksfront-Regierung der 30er Jahre wurde 1937 erstmals in Spanien die Tötung ungeborener Kinder erlaubt. Damals war eine Anarchistin Gesundheitsministerin. Die 1936 auf Anweisung Stalins möglich gewordene und bei den Wahlen siegreiche Volksfront vereinte das gesamte linke Spektrum und bestand aus der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE), der Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit (POUM, Trotzkisten), Anarchisten, linksliberalen Radikalsozialisten (RI) und Liberalradikalen (RU).
Nach seinem Sieg gegen die Volksfront im Spanischen Bürgerkrieg schaffte General Franco die Abtreibung 1939 wieder ab.
Als 1982 die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) erstmals wieder an die Regierung zurückkehrte, wurde 1985 wieder ein Abtreibungsgesetz erlassen. Die Indikationsregelung erlaubte die Tötung ungeborener Kinder bei Gefahr für die körperliche und psychische Gesundheit während der gesamten Schwangerschaft, bei Fehlbildung des Fötus bis zur 22. Schwangerschaftswoche und nach einer Vergewaltigung bis zur 12. Woche.
Kaum war das Gesetz erlassen, entstanden zahlreiche private Abtreibungsstrukturen, darunter maßgeblich durch Organisationen und Gesellschaften, die sich in der Federación de Planificación Familiar Estatal de España organisierten, dem spanischen Ableger des weltweit größten Abtreibungskonzerns Planned Parenthood. Mit der Bezeichnung „Staatlicher Dachverband für Familienplanung Spaniens“ wird der Eindruck erweckt, es handle sich bei der privaten Einrichtung um eine offizielle, staatliche Institution.
Die Anzeige, Verhaftung und Verurteilung eines Abtreibungsarztes, dessen Klinik 2007 geschlossen wurde, veranlaßte die 2004 unter José Zapatero an die Macht zurückgelangten Sozialisten (PSOE), das Abtreibungsgesetz weiter zu liberalisieren. 2010 trat das neue Abtreibungsgesetz mit einer Fristenregelung in Kraft. Seither ist die Tötung ungeborener Kinder bis zur 14. Schwangerschaftswoche uneingeschränkt erlaubt. Die großzügigen Ausnahmen reichen bis zur 22. Schwangerschaftswoche.
Die Entwicklung in Spanien sagt noch mehr aus und ist emblematisch für das Dilemma christdemokatischer und recher Parteien in den westeuropäischen Staaten. 1996 und 2011 wurden die sozialistischen Regierungen von Gonzalez und Zapatero abgewählt und durch Regierungen der die bürgerlich geprägten, christdemokratisch-konservativen Volkspartei (PP) ersetzt. Obwohl diese die Wahlen auch mit Versprechen gewonnen hatte, die Abtreibung wieder abzuschaffen oder zumindest einzuschränken, setzte sie in beiden Fällen nichts davon um. 2014 trat deshalb der PP-Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón aus Protest zurück.
Text: Andreas Becker
Bild: Religion Confidenzial