Paolo Ruffini und Dario Edoardo Viganò (nicht zu verwechseln mit Erzbischof Carlo Maria Viganò, dem ehemaligen Nuntius in den USA), der derzeitige und der gewesene Präfekt des von Papst Franziskus geschaffenen Kommunikationsdikasteriums, zeichnen für den Dokumentarfilm „Die vier Päpste“ verantwortlich. Der Film ist gemäß der Logik des ersten Mals den Neuheiten gewidmet, die durch sie erfolgten. Dem liegt die Idee, um nicht zu sagen, die Ideologie zugrunde, daß nur ein innovativer Papst ein wirklicher Papst ist. Die Aufgabe des Papstes ist demnach nicht das Bewahren und die unverkürzte Weitergabe des Bewahrten, sondern Neues zu schaffen und das Neue zu fördern, also „fortschrittlich“ zu sein. Dazu verfaßte der Sozialethiker Stefano Fontana folgenden Aufsatz.
Von Stefano Fontana*
Am kommenden 13. Dezember wird der Sender Nove die ersten vier Teile der Dokumentarfilmreihe „Die großen Päpste“ (I grandi Papi) ausstrahlen. Sie sind den Pontifikaten von Johannes XXIII., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus gewidmet. Produziert wurden sie von Discovery und Vatican Media. Die Operation läßt die Hand von Paolo Ruffini, des neuen Präfekten für die Kommunikation des Heiligen Stuhls und früheren Chefredakteurs von RAI 3 und von SAT 2000, und von Dario Edoardo Viganò erkennen, der nach dem vertuschten Skandal des manipulierten Briefes von Benedikt XVI. zum Assessor des Kommunikationsdikasteriums deklassiert wurde, aber noch immer die entscheidende Rolle spielt.
Viganò ist es auch, der am 29. November in der Tageszeitung Avvenire ankündigte, daß die Dokumentarfilme über diese vier Pontifikaten die Neuheiten herausstellen: Papst Johannes, weil er das Konzil einberufen hat; Papst Wojtyla, weil er der nach mehr als 400 Jahren der erste Ausländer auf dem Papstthron war; Papst Ratzinger, weil er als erster Papst nach vielen Jahrhunderten den Rücktritt erklärte, und Papst Franziskus, weil er der erste Jesuit und der erste Lateinamerikaner auf dem Papstthron ist, und weil er als erster Papst sich den Namen des heiligen Franziskus zulegte, ein „Mann des Friedens, des Dialogs mit dem Islam, zu dem der Gekreuzigte sagte: Baue meine Kirche wieder auf“.
Wir werden die vier Dokumentationen auf Nove sehen. Sollten sie sich jedoch an den Worten Viganòs ausrichten, würden sie nur eine Propaganda-Erfindung zeigen. Ich beziehe mich dabei nicht so sehr auf die vielen (falschen) Allgemeinplätze, die von Viganò in der Tageszeitung der Bischöfe aufgelistet wurden wie zum Beispiel die Behauptung, der heilige Franziskus habe den Dialog mit dem Islam gesucht, oder das Hofschrankzengehabe, mit dem der derzeitige Papst ungeniert mit dem heiligen Franziskus verglichen wird. Ich beziehe mich vielmehr auf die „Ideologie des ersten Mals“.
Jede Sache, die ein Papst das erste Mal tut, ist gemäß dieser Ideologie ein Wert für sich. Es ist kein Zufall, daß über Papst Franziskus auch ein Buch mit dem Titel „Der Papst der ersten Male“ erschienen ist. Nun, daß ein Papst erstmals seit längerer Zeit ein Ausländer oder erstmals ein Argentinier ist, mag für Medien zur Befriedigung ihrer Neugierde etwas bedeuten, aber mit dem Wesen des Papsttums hat es nichts zu tun. Es hat vielmehr mit der Person zu tun, die Papst wird, und die einmal gewählt danach zu trachten hätte, sich zurückzunehmen, um ganz in der neuen Aufgabe der Leitung der Kirche aufzugehen, wie sie von Jesus übertragen wurde. Das Papsttum, unter dem Vorwand die Menschlichkeit herauszustreichen, wie es heute in einem ebenso demonstrativen wie oberflächlichen Personalismus üblich ist, auf die Person zurückzuführen, die Papst wird, bedeutet das Papsttum selbst zu reduzieren. In der Tat sind die vier Dokumentationen laut Avvenire weniger den Päpsten, sondern mehr den Männern gewidmet, nennen sich aber „Die vier Päpste“.
Die „Ideologie des ersten Mals“ impliziert die Idee, daß ein Papst nur insofern ein solcher ist, als er innovativ ist. Seine Hauptaufgabe ist demnach nicht das Bewahren und die unverkürzte Weitergabe einer immer aktuellen Vergangenheit, sondern das Neue zu fördern. Der Bruch mit der Tradition ist wichtiger als deren Bekräftigung. Nach den Neuheiten, die vom gerade letzten Papst eingeführt wurden, ist demnach nichts mehr wie vorher. Was die Kirche vorher sagte und tat, muß im Licht der vom jüngsten Papst eingeführten Neuheiten gelesen werden. Die Gegenwart ist wichtiger als die Vergangenheit und auch die Zukunft. Die „Ideologie des ersten Mals“ ist in ihrer Extremform eine Auslieferung der Wahrheit an die Zeit und letztlich eine Chronolatrie, eine Verabsolutierung der Zeit, der man normalerweise den Name Prophetentum gibt. Es genügt, daß der Papst etwas Neues macht, und sei es, aus einem Becher Mate zu trinken, der ihm im Vorübergehen von einem Gläubigen auf dem Petersplatz gereicht wird, und schon war das eine „prophetische“ Geste von ihm. Es stimmt, daß die Propheten die Zukunft ankündigten, aber nicht in einem chronologischen, sondern in einem eschatologischen Sinn. Dabei beriefen sie sich auf die Vergangenheit und sprachen sehr harte Worte, wenn das Volk von Israel oder die Kirche Christi sich davon entfernten, um der Gegenwart hinterherzulaufen.
Folgt man dem Weg der „Ideologie des ersten Mals“, endet man damit, zu fordern, daß die Enzyklika Laudato si zum Maßstab für eine Revision der gesamten bisherigen Soziallehre der Kirche werde, anstatt umgekehrt; daß im Licht von Amoris laetitia die Enzyklika Humanae vitae neu zu lesen sei, anstatt umgekehrt; oder daß die Umwelt und die Einwanderer die wichtigsten dogmatischen Probleme des Augenblicks seien. Bezogen auf die vier Dokumentationen wäre jeder Papst nichts anderes als ein Moment in einem Prozeß, dessen Wahrheit in jedem neuen Papst vollständiger auftritt. Alle sehen, daß es sich dabei um eine Hegelsche und nicht um eine katholische Sichtweise der Kirchengeschichte handelt. Der jeweils letzte Papst wäre die Synthese und die Verwirklichung aller vorherigen Päpste, da sich die Geschichte der Kirche nur im Gewissen der Gegenwart zusammenfaßt und aus diesem aktuellen Blickwinkel bewertet werden sollte. Papst Franziskus sei der, der uns die Apostel erklärt und nicht umgekehrt.
Der erste Papst, der eine Reise im Flugzeug unternahm, der erste Papst, der vor der UNO sprach, der erste Papst, der mit den anderen Religionen betete, der erste Papst, der den Homosexuellen die Tür öffnete, der erste Papst, der ein Flugzeug mit einer Aktentasche in der Hand bestieg, der erste Papst, der Lutheranern die Kommunion spendete, der erste Papst, der ein Paar im Flugzeug traute, der erste Papst, der zu Fuß seine Brille in der Via dei Coronari kaufte, der erste Papst der Luther in der Sala Nervi bekränzte… Wie man sieht, gibt es viele erste Male, die einen sind leichterer Art, die anderen schwererer. Wenn man der „Ideologie des ersten Mals“ folgt, ist jedes erste Mal des Papstes in welche Bereich auch immer, als Evangelium zu betrachten. Das mag Historizismus oder Positivismus sein, katholisch ist es jedenfalls nicht.
*Stefano Fontana, Direktor des International Observatory Cardinal Van Thuan for the Social Doctrine of the Church (Kardinal Van Thuan Beobachtungsstelle für die Soziallehre der Kirche), Chefredakteur der Kirchenzeitung des Erzbistums Triest, das von Erzbischof Giampaolo Crepaldi geleitet wird. Fontana promovierte in Politischer Philosophie mit einer Dissertation über die Politische Theologie. Ab 1980 lehrte er Journalistische Deontologie und Geschichte des Journalismus am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Vicenza, seit 2007 Philosophische Anthropologie und Philosophie der Sprache an der Hochschule für Erziehungswissenschaften (ISRE) in Venedig. Die Erstveröffentlichung erfolgte bei Nuova Bussola Quotidiana.
Bild: MiL