
(Rom) Der Pennsylvania-Bericht gab den Anstoß, das Viganò-Dossier öffnete die Schleusen. Seither werden in immer neuen Ländern immer neue Mißbrauchsskandale durch Kleriker bekannt. Dabei mischt sich der Zorn der Gläubigen mit den Interessen antiklerikaler Trittbrettfahrer. Aus Italien werden vier neue „Viganò-Anklagen“ gemeldet.

Kirchenfeindliche Trittbrettfahrer nützen die Gelegenheit, um ihren Kampf gegen die Kirche („Eine Welt ohne Religionen wäre besser“) voranzutreiben. Das mag schmerzen. Die Kirche ist dennoch gut beraten, die Empörung der Gläubigen sehr ernst zu nehmen, und dafür sogar den Lärm der Kirchenfeinde vorerst zu ertragen. Die Kirchenfeinde wollen keine Kirche. Die Gläubigen wollen eine Kirche, wie sie sein soll. Wenn Anspruch und Wirklichkeit nicht übereinstimmen, besteht Handlungsbedarf. Die drängendsten Forderungen zeichnen sich deutlich war: Nulltoleranz gegenüber sexuellem Mißbrauch und Nulltoleranz gegenüber der Homo-Häresie in der Kirche. Die Dinge müssen beim Namen genannt werden. Daß dieser Sturm über die Kirche gerade zu einem Zeitpunkt hereinbricht, wo die Homo-Lobby in der Welt stärker denn je ist, mag viel bedeuten, aber ein Zufall ist er – geistlich betrachtet – mit Sicherheit nicht. Er scheint vielmehr eine Mahnung, daß in der Kirche zu viele Kräfte nach dem kirchlichen und weltlichen 68er Jahr die Zügel schleifen ließen, wegschauten, schönredeten oder – unter dem Schutz des Sakralen – als Täter aktiv wurden. Das Heilige dienten ihnen als Vorwand und Tarnung, in Wirklichkeit traten sie es mit Füßen. Wer Glauben hat und die Kirchengeschichte kennt, weiß, daß das nicht lange gutgehen kann.
Vier „Viganò-Fälle“ meldete gestern abend die italienische Presseagentur ANSA. Gemeint sind Anklagen, wie sie der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, in einem Dossier am 26. August vorlegte. Darin enthüllte er, daß Papst Franziskus seit Beginn seiner Amtszeit über das „perverse und diabolische“ Homo-Doppelleben von Kardinal Theodore McCarrick informiert war, aber nichts dagegen unternahm. Weit schlimmer: Er machte McCarrick sogar zu seinem persönlichen Vertrauten, besonders für die USA samt Einfluß auf die dortigen Bischofsernennungen. Viganò fordert dafür den Rücktritt von Papst Franziskus und erhob in seinem Dossier den Vorwurf, daß im Vatikan eine organisierte Homo-Lobby Teile der Kirchenverwaltung in Geiselhaft halten und Entscheidungen durchsetzen oder verhindern können – und auch Straftaten wie jene von McCarrick vertuschen können.
Der ehemalige Spitzendiplomat Viganò hält sich seither aus Angst um sein Leben an einem verborgenen Ort auf, während Papst Franziskus seit mehr als fünf Wochen eine Antwort auf seine Anschuldigungen verweigert.
Sexueller Mißbrauch: Und die Antwort darauf?
Gleich vier „Viganò-Fälle“ von sexuellem Mißbrauch Minderjähriger seien im Vatikan bekannt gewesen, „aber nicht mit Nulltoleranz, sondern fahrlässig“ behandelt worden. Die Anschuldigung wurde von Eca Global (Ending Clergy Abuse) erhoben, einer „internationalen Organisation von Opfern klerikalen Mißbrauches“ mit Sitz in den USA. Eca Global gab gestern am Sitz der römischen Auslandspresse eine Pressekonferenz.
Die vier Fälle betreffen Don Mauro Galli (Erzbistum Mailand), Don Silverio Mura (Erzbistum Neapel), das vatikanische Unterstufengymnasium mit Internat „San Pio X“, das die Ministranten des Petersdomes stellt, und das Instituto Provolo für taubstumme Kinder in Verona.
Nicht bekannt ist vorerst, welche Stellen im Vatikan über diese Fälle informiert waren, fahrlässig handelten oder vertuschten. Gegenüber den Opfern haben die zuständigen kirchlichen Stellen die Verantwortung zu übernehmen. Für die Reinigung der Kirche wird es aber eine Rolle spielen, ob dieselben Kräfte ein Eingreifen verhinderten, die auch im Viganò-Dossier genannt werden.
Eine katholische, US-amerikanische Organisation, The Better Church Governance Group, investiert mehr als eine Million Dollar, im ersten Jahr, um alle im Konklave wahlberechtigten Kardinäle zu durchleuchten. Damit soll, so die Absicht, die Kirchenleitung von Kirchenführern, die sich schuldig gemacht haben als Täter oder durch Vertuschung von Straftaten, gereinigt werden.
Es wird von Bedeutung sein, um das wirkliche Ausmaß des Skandals zu erfassen, Erhebungen anzustellen, wie viele Priester- und Ordensberufungen in den vergangenen 50 Jahren durch den sexuellen Mißbrauch zerstört wurden, wie groß der Anteil des homosexuellen Mißbrauches an der Gesamtzahl der Mißbrauchsfälle ist und in diesem Zusammenhang, wie viele Opfer durch den Mißbrauch selbst zu Homosexuellen wurden.
Die entscheidende Frage ist derzeit: Wagt die Kirche endlich wirkliche Nulltoleranz gegen sexuellen Mißbrauch und gegen die Homo-Häresie?
Text: Martha Burger
Bild: ANSA/Stampa estera (Screenshots)