
(Rom) Gestern gab das vatikanische Presseamt den Ausschluß von Fernando Karadima aus dem Klerikerstand bekannt.
Die Verlautbarung erfolgte nur in spanischer Sprache. Der heute 88 Jahre alte Karadima war einer der bekanntesten und geachtetsten Priester Chiles. Er galt als „Erzieher“ der chilenischen Elite. Das Bild änderte sich schlagartig, als 2003 erste Anschuldigungen bekannt wurden, deren Wahrheitsgehalt sich in den folgenden Jahren auf dramatische Weise bestätigte.
Karadima führte ein Doppelleben und unterhielt homosexuelle Beziehungen zu seinen männlichen Schützlingen, die sich im anvertraut hatten oder ihm anvertraut wurden. Drei von ihnen wurden Bischöfe. Einer davon ist Msgr. Juan Barros Madrid, der im Frühjahr zum internationalen Fall wurde und Papst Franziskus erstmals in Bedrängnis brachte. Franziskus hatte den Karadima-Zögling gegen ernste Bedenken zum Diözesanbischof von Osorno ernannt und dreieinhalb Jahre gegen Kritik verteidigt, Barros habe von den Schandtaten Karadimas gewußt und diese gedeckt. Franziskus bezichtigte die Kritiker noch Ende Januar als „Verleumder“. Erst als auch die New York Times das päpstliche Verhalten kritisierte, änderte Franziskus seinen Kurs. Bischof Barros wurde im vergangenen Juni emeritiert.
Eine staatliche Strafverfolgung Karadimas erfolgte wegen Verjährung nicht, wenngleich derzeit ein neuer Anlauf stattfindet. Verurteilt wurde Karadima aber von der römischen Glaubenskongregation, die parallel zur chilenischen Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnahm. Karadima wurde von seinem Priestertum suspendiert und zu einem Leben des Gebets und der Buße verurteilt.
Zugleich emeritierte Papst Benedikt XVI. den damaligen Erzbischof von Santiago de Chile, Francisco Javier Errazuriz, in dessen Bistum Karadima inkardiniert war, lebte und wirkte.
Papst Franziskus hingegen rehabilitierte Kardinal Errazuriz, setzte ihn als seinen Vertrauten für Chile ein und ernannte ihn zum Vertreter von Südamerika im C9-Kardinalsrat. Damit erhielt Errazuriz direkten Zugang zum Papst und wurde sein Berater für die Kurienreform und in der Leitung der Weltkirche.
Bei allen Unterschieden ähnelt das Vorgehen von Papst Franziskus gegenüber Kardinal Errazuriz jenem gegenüber Kardinal Theodore McCarrick in den USA. Beide gehörten zu den Wählern von Franziskus, wie ihren eigenen Bekundungen zu entnehmen ist. Es bestätigt den Eindruck, daß die Wahl von Papst Franziskus eine Revanche bestimmter Kräfte in der Kirche gegen Papst Benedikt XVI. war.
Die Entlassung Karadimas aus dem Klerikerstand, die härteste Strafe, die gegen einen Priester verhängt werden kann, „traf der Heilige Vater mit gutem Gewissen und zum Wohl der Kirche“, so die Erklärung des vatikanischen Presseamtes. Franziskus nahm dafür seine Vollmachten in Anspruch, wie sie im Canon 331 des Codex Iuris Canonici festgeschrieben sind. Das Entlassungsdekret wurde von ihm am 27. September mit sofortiger Rechtswirksamkeit unterzeichnet. Gestern wurde es Karadima zugestellt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)