Es gibt Stichwörter der Vergangenheit, die noch heute geflügelte Wörter sind erschaudern lassen. Dazu gehört die Inquisition, ganz besonders die Spanische Inquisition. Jeder glaubt ganz genau zu wissen, was die Inquisition war, doch kaum einer hat eine wirkliche Ahnung. Anders ausgedrückt: Der Begriff wurde zum Klischee, das mit der Wirklichkeit so gut wie nichts zu tun hat. Da „Inquisition“ als Totschlaginstrument gegen die katholische Kirche verwendet wird, ist eine Klarstellung von Nöten.
Die Inquisition gilt als abschreckendes Paradebeispiel einer gnadenlosen Verfolgungsbehörde, die Unschuldige hinrichten ließ. Von „Scheiterhaufen, Massakern, Verfolgungen“ und einer „dunklen Seite der katholischen Kirche“ ist die Rede, so zum Beispiel in der angeblich „Geheimen Geschichte der heiligen Inquisition“ (2013). Friedrich Schiller im Don Carlos (1787), Fjodor Dostojewski in Die Brüder Karamasow (1880), Bert Brecht in seinem Leben des Galilei (Erstausgabe 1955) schufen in ihren literarischen Werken mit schriftstellerischer Freiheit das, was man heute Fake News nennen würde. Daraus entstand ein ebenso verbreitetes wie falsches Geschichtsbild. Die Wirklichkeit der Inquisition sieht nämlich deutlich anders aus.
Die Spanische Inquisition hat in den Jahren 1540 bis 1700 insgesamt 44.674 Urteile gefällt. Die Akten sind erhalten und die Archive untersucht worden. Es handelt sich um einen Zeitraum von 160 Jahren. Der Amtsbereich der Spanischen Inquisition umfaßte nicht nur Spanien, sondern auch die Königreiche Sardinien, Sizilien, Neapel sowie die riesigen Vizekönigreiche in Amerika, die Philippinen und weitere Überseegebiete in Afrika und Asien.
Von den 44.674 Verurteilten wurden insgesamt 826 Personen hingerichtet. Im Vergleich dazu haben die Kommunisten und die mit ihnen in der Volksfront verbündeten Anarchisten, Sozialisten und Linksradikalen im Spanischen Bürgerkrieg in nur sechs Jahren allein mehr als 7.000 Priester und Ordensleute ermordet.
Die antispanische und antikatholische Propaganda Englands und der Niederlande in der frühen Neuzeit, die in protestantischen Kreisen anderer Länder und dann vor allem von den Aufklärern übernommen und verbreitet wurde, schuf ein Klischee von der Inquisition, die sie sprichwörtlich machte. Im Verhältnis dazu wirken die Opferzahlen „bescheiden“. Da sie mit dem kollektiven Klischee von der „bösen“ Inquisition nicht übereinstimmen wollen, wird versucht, die Hauptaktivität der Spanischen Inquisition auf die Frühphase von 1480–1530 zu verlegen.
Richtig daran ist, daß sich die Inquisition in dieser Phase fast ausschließlich mit Conversos und Moriscos befaßte, also Juden und Muslimen, die zum Christentum konvertiert waren. Allerdings lassen sich für diese Phase kaum konkrete Belege für Hinrichtungen finden. Das Bild von der blutrünstigen und willkürlichen Hinrichtungsmaschinerie läßt sich auch damit nicht bestätigen. In der Tat hätten solche Hinrichtungen der Politik der „zwei Optionen“ widersprochen, die von den spanischen Kronen in diesem Zeitraum betrieben wurde: Bekehrung oder Auswanderung. Der Großteil der beiden Gruppen hatte sich für die Auswanderung entschieden.
In der Literatur wird vielfach auf ein königliches Dekret von 1527 verwiesen, laut dem sich „alle Muslime“ des Königreiches Aragon zum Christentum zu bekehren hatten. Die Rede ist daher von „Zwangsbekehrungen“. In Wirklichkeit postulierte das Dekret lediglich den Anspruch der Glaubenseinheit. Die Reconquista war im Königreich Aragon bereits Anfang des 13. Jahrhunderts zu Ende gegangen, also 300 Jahre vor dem Dekret. 1527 gab es im Königreich keine Muslime mehr, gegen die Zwang ausgeübt werden hätte können.
Im protestantischen Nürnberg gab es mehr Hinrichtungen als von Spanischer und Römischer Inquisition zusammen
Einem verzerrten Geschichtsbild entspricht auch eine dunkle Vorstellung von der Römischen Inquisition. Auch dazu konkrete Zahlen: Die Römische Inquisition ließ zwischen 1542 und 1761 exakt 97 Personen hinrichten, wobei die meisten sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht hatten, die auch nach heutigen Strafgesetzbüchern mit der Höchststrafe geahndet würden.
Zum besseren Vergleich: In etwa demselben Zeitraum wurden durch weltliche Strafgerichte allein in der protestantischen Stadt Nürnberg 939 Menschen hingerichtet, mehr als von der Spanischen und der Römischen Inquisition zusammen.
Das Verfahren der Inquisition war rechtstechnisch gesehen ein sehr großer Fortschritt. Zu diesen Zeiten hantierte man im deutschen Recht noch mit Gottesbeweisen. Beim Inquisitionsprozeß mußten dem Angeklagten der Vorwurf und Belastungszeugen mitgeteilt werden. So konnte er sich wirksam verteidigen. Die meisten Verurteilungen verhängten als Strafe geistliche Bußwerke: die Durchführung einer Wallfahrt oder das Tragen eines Kreuzes. Das hatte seinen Grund: In erster Linie war die Inquisition ein pastorales Anliegen. Prozesse wurden immer mit Predigten begonnen, die zu Buße und Umkehr aufforderten. Eine Beichte führte meist zum Freispruch. Inhaftierte hatten spezielle Rechte einer menschenwürdigen, teils sogar angenehmen Versorgung und durften, wenn sie es sich leisten konnten, sogar ihr Personal in die Haft mitnehmen. Das dunkle Verlies mittelalterlicher Burgen kannte die Inquisition nicht mehr.
Und die Hexenverbrennungen?
Die Päpste haben sie strikt abgelehnt. Die Inquisition hat praktisch keine Hexenprozesse durchgeführt. Im 17. Jahrhundert, wo in den protestantischen Gebieten nördlich der Alpen massiv die Feuer brannten, wurde in Rom überhaupt kein Hexenprozeß durchgeführt.
Die Schätzung der Opfer beläuft sich für Deutschland, also das damalige deutsche Reich, auf etwa 25.000 Frauen. Im Vergleich dazu, so die Historiker, gab es im katholischen Spanien insgesamt nur 300 Opfer. Im katholischen Irland gab es gar nur zwei bekannte Fälle.
Die oft kolportierte Zahl von 9 Millionen Opfern stammt übrigens von SS-Chef Himmler, der damit unter den Deutschen die antikatholischen Ressentiments schüren wollte. Tatsächlich kam seine eigene Recherche-Gruppe auch nicht auf mehr als 30.000 Opfer, und die fielen – wie erwähnt – nicht der Inquisition zum Opfer und nur zum geringen Teil in katholischen Ländern. Der Großteil der Hexenverbrennungen fand im protestantischen Norden statt und insgesamt fast zur Gänze in den germanischen Staaten. In welchem Verhältnis sich die Opfer auf in Deutschland auf die protestantischen und die katholischen Gebiete verteilen, ist noch Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Derzeit wird – allerdings ohne Beleg – eine in etwa gleichmäßige Verteilung behauptet. Man darf auf die Ergebnisse eines großangelegten Forschungsprojekts gespannt sein, das seit Jahren an einer flächendeckenden Datenbank der Hexenprozesse arbeitet.
Entgegen der bisher verbreiteten Fake News steht aber bereits fest, daß ausgerechnet der deutsche Sprachraum (und der germanische Norden) die weitaus meisten Hexenverbrennungen aufzuweisen hat. Die historischen Wissenschaften haben hier einige Fragen zu beantworten:
- Wie erklärt sich, daß die katholischen Völker weitgehend immun gegen den Hexenwahn waren, die Deutschen aber besonders anfällig dafür?
- War die deutsche Anfälligkeit für den Hexenaberglauben eine Folge der protestantischen Kirchenspaltung?
Der Hexenwahn von Luther und Calvin
Anläßlich der Calvin-Huldigungen, die in Medien gelegentlich auftauchen, darf daran erinnert werden, daß sich das calvinistische Genf besonders hervortat. Dort galten die Hexen als Pestverbreiter.
Auch Martin Luther war ein Befürworter der Hexenprozesse. Hier ein Auszug aus seiner Predigt vom 6. Mai 1526:
„Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, daß die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird, sie können nämlich Milch, Butter und alles aus einem Haus stehlen… Sie können ein Kind verzaubern… Auch können sie geheimnisvolle Krankheiten im menschlichen Knie erzeugen, daß der Körper verzehrt wird… Schaden fügen sie nämlich an Körpern und Seelen zu, sie verabreichen Tränke und Beschwörungen, um Haß hervorzurufen, Liebe, Unwetter, alle Verwüstungen im Haus, auf dem Acker, über eine Entfernung von einer Meile und mehr machen sie mit ihren Zauberpfeilen Hinkende, daß niemand heilen kann … Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder … Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.“
Ein empfehlenswertes Buch zum Thema:
Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Nachdruck der 5. überarbeiteten Ausgabe, Verlag Aschendorff, 800 Seiten, 2018
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Wikicommons