(Rom) Die vatikanischen Medien unterliegen einem massiven Umbau. Papst Franziskus errichtete im Juni 2015 das Kommunikationssekretariat, ein zentrales Ministerium für die Kommunikation, in dem alle Medien des Vatikans unter einer zentralen Leitung zusammengefaßt wurden. Der Umbau schlägt sich auch in politischen Wertungen nieder, auch bezüglich dem auf der Apenninenhalbinsel alles überschattenden Ringen um eine Regierungsbildung.
Mit 1. Oktober 2016 wurde das neue Dikasterium mit dem Inkrafttreten seiner Statuten in vollem Umfang aktiv. Zum Präfekten ernannte Franziskus den Weltpriester und Kommunikationsexperten Dario Edoardo Viganò. Im September 2017 wurde zudem ein Kooperationsabkommen mit dem Jesuitenorden abgeschlossen, der dem Orden des Papstes – nach außen unsichtbar – eine nicht unmaßgebliche Stellung verschaffte.
Präfekt Viganò stürzte allerdings bereits im vergangenen März über einen manipulativen Umgang mit einem Schreiben von Benedikt XVI. Was Viganò auf Kosten von Benedikt XVI. als besondere Schmeichelei zum fünften Jahrestag der Erwählung von Papst Franziskus konstruieren wollte, endete in seinem erzwungenen Rücktritt.
Daß der Rücktritt sowohl Viganò als auch Papst Franziskus durch internationale Medienkritik an der journalistischen Berufsethik Viganòs aufgezwungen wurde, macht Franziskus bis zum heutigem Tag durch zwei Gesten deutlich. Viganò mußte als Präfekt gehen, wurde aber von Franziskus umgehend mit einem Beraterauftrag ausgestattet, und zwar ausgerechnet für das Kommunikationssekretariat. Ein Minister, der wegen Fehlverhaltens zurücktreten muß, aber sofort für dasselbe Ministerium wieder zum Chefberater wird, stellt eine ziemlich unorthodoxe Methode dar.
Franziskus ging noch weiter, er ernannte bis heute keinen Nachfolger für Viganò. Die Stelle des Präfekten ist unbesetzt. Damit bringt Franziskus gegenüber Viganò, Manipulation zu Lasten von Benedikt XVI. hin oder her, seine ungebrochene Wertschätzung zum Ausdruck. Letztlich ist Viganò trotz Rücktritt im Hintergrund noch immer der eigentliche Chef im Kommunikationssekretariat. Auch an diesem Beispiel bestätigt sich, daß Franziskus Mitarbeiter, denen er sein Vertrauen schenkt, nicht fallenläßt, sondern den Rücken stärkt.
Der Giro d’Italia und die subtile politische Botschaft
Damit zum aktuellen Thema.
Der Osservatore Romano war das letzte Medium, das in das neue Ministerium überführt wurde. In seiner gestrigen Ausgabe berichtete die Tageszeitung des Papstes kurioserweise über den Giro d’Italia, dem nach der Tour de France bekanntesten Radrennen der Welt.
Das international beobachtete und beliebte Etappenrennen endete mit der letzten Etappe in Rom, die nach einem Drittel abgebrochen und der Sieger vorzeitig ausgerufen wurde, ohne das Rennen zu Ende zu führen. Grund war laut Rennleitung der schlechte Straßenzustand in der italienischen Hauptstadt.
Soweit so harmlos, doch berichtet der Osservatore Romano üblicherweise nicht über so mondäne Ereignisse. Ein Blick in die führenden weltlichen Medien Italiens liefert die Erklärung. Das vorzeitige Ende des Giro d’Italia wurde zu einer Anklage gegen die römische Stadtregierung, die seit Juni 2016 von der Fünfsternebewegung (Movimento Cinque Stelle) geführt wird. Bürgermeisterin ist seither die Rechtsanwältin Virginia Raggi. Konkret wurde damit in vermeintlich unpolitischem Kontext die vom Polit-Komiker Beppe Grillo gegründete politische Bewegung als unfähig hingestellt.
Parallel zum Giro-Abschluß fand in Rom nämlich eines der dramatischten politischen Tauziehen der jüngsten italienischen Geschichte statt. Die Fünfsternebewegung ist seit den Parlamentswahlen vom vergangenen März die weitaus stärkste Partei des Landes und erhebt Anspruch auf die Regierungsbildung. Diese wird aber von den bisher regierenden Linksdemokraten (PD), denen Staatspräsident Sergio Mattarella angehört, ebenso entschieden abgelehnt, wie von den EU-Mächtigen in Brüssel.
Staatspräsident hintertreibt Regierungsbildung
72 Tage lang verzögerte Mattarella den Auftrag zur Regierungsbildung an die stärkste Partei. Erst am 20. Mai wurde der von Fünfsternebewegung und Lega nominierte Professor der Rechtswissenschaften und Parteilose Giuseppe Conte damit beauftragt, nachdem längst feststand, daß die beiden Parteien sich auf die gemeinsame Regierungsbildung verständigt hatten und über die absolute Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments verfügen.
Da die Parlamentsmehrheit eine Kursänderung in Sachen EU und Einwanderung anstrebt – die Wiedergewinnung der staatlichen Souveränität, ein Ende der Masseneinwanderung, den Austritt aus dem Euro, die Rückkehr zur Lira, und damit einer selbstverantworteten Währungs- und Wirtschaftspolitik, und den Rückbau der EU zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, aber ohne gemeinsame Währung und ohne politischen Zentralismus in Brüssel – ließ Mattarella die Regierungsbildung platzen. Der Streit entbrannte um den Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Paolo Savona, der Wirtschaftsminister werden sollte. Offensichtlich kann in Italien niemand mehr Minister werden, den Brüssel nicht haben will. Die theoretische Regierungsmehrheit spricht daher von einer schwerwiegenden Mißachtung des Wählervotums, indem die abgewählten Linksdemokraten (nur mehr 18 Prozent der Stimmen) und die EU trotz Parlamentswahlen Italien eine ihnen genehme Regierung aufzwingen wollen.
Damit liegen Neuwahlen in der Luft mit ungewissem Ausgang. Wählen bis das Ergebnis paßt? Unwahrscheinlich scheint derzeit allerdings, daß sich die Linke erholen kann. Die Mitte-rechts-Parteien, vor allem Silvio Berlusconis Forza Italia, hoffen, bei Neuwahlen jene drei Prozent gewinnen zu können, die dem Rechtsbündnis samt Lega seit den Parlamentswahlen fehlen, um ohne Fünfsternebewegung die Regierung bilden zu können.
Fünfsterne und Lega: aktuell 94 Prozent der Wahlkreise erreichbar
Es könnte aber auch sein, daß die Italiener Gefallen an einem völlig neuen Weg gefunden haben und die Mehrheit von Fünfsternebewegung und Lega bestätigen oder sogar weiter stärken. Laut einer jüngsten Umfrage des renommierten, linksstehenden Istituto Cattaneo könnten die beiden Parteien bei einem gemeinsamen Antreten derzeit sogar 94 Prozent aller Wahlkreise gewinnen. Dann könnte auch Staatspräsident Mattarella die Regierungsbildung nicht mehr verhindern.
Bis dahin kann aber noch viel geschehen, auch ein Eingreifen des „tiefen Staates“, wie auch die jüngere italienische Vergangenheit lehrt. Ohne Großbritannien und Italien bliebe von den EU-Großen nur mehr die Achse Berlin–Paris.
Die Anklage gegen den Straßenzustand in Rom ist in den EU-freundlichen, großen Medien des Landes unschwer als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen eine ungewollte Regierungsbildung durch Fünfsternebewegung und Lega zu erkennen. Bis Juni 2016 wurde Rom 25 Jahre von links, und fünf Jahre (2008–2013) von rechts regiert.
Papst Franziskus, die Linksdemokraten und die EU
Bemerkenswert ist, daß der Osservatore Romano in diesen Chor einstimmte, wenn auch in gewohnt verhaltenerem Ton. Es ist kein Geheimnis, daß der Neandertal-Pakt, wie das Bündnis Fünfsternebewegung/Lega von seinen Gegnern abschätzig genannt wird, von Santa Marta abgelehnt wird. Die Abneigung der derzeitigen Führung im Vatikan gilt vor allem der Lega. Die Wahlempfehlung der italienischen Bischöfe, die sie auf Anweisung des Vatikans vor den Parlamentswahlen abgaben, richtete sich genau gegen die beiden siegreichen Parteien. Das Zauberwort der Kritik lautete „Populismus“. Den Wählern wurde nicht gesagt, wen sie wählen sollten, sondern wen sie nicht wählen sollten: keine „populistischen Parteien“. Der Populismusvorwurf gilt den Gegnern eines multikulturellen und multireligiösen Umbaus Europas durch Souveränitätsabbau und Masseneinwanderung. Ähnliche episkopale Verlautbarungen gab es vor den Bundestagswahlen im September 2017 auch in Deutschland.
Vor allem die Lega widerspricht lautstark der Forderung von Papst Franziskus nach schrankenloser Einwanderung. Eine Forderung, zu der der ehemalige italienische Senatspräsident und persönliche Freund von Benedikt XVI., Marcello Pera im Sommer 2017 harte Worte fand. Franziskus besonders nahestehende Bischöfe legten sich in der jüngeren Vergangenheit mehrfach mit der Lega an. Wo die Lega sich der Verdrängung christlicher Symbole und des Brauchtums aus der Öffentlichkeit widersetzte, widersprachen nicht nur Vertreter der politischen Linken, sondern erstaunlicherweise auch Kirchenvertreter. Seit dem Widerspruch von Kardinal Marx gegen den bayerischen Kreuz-Erlaß ist eine vergleichbare, klerikale Schizophrenie auch in deutschen Landen bekannt.
Nicht zu vergessen: Das Ergebnis der Parlamentswahlen kann auch als eindeutige Wahlniederlage von Papst Franziskus gelesen werden, der natürlich nicht selbst kandidierte. So wurde es von aufmerksamen politischen Beobachtern auch gedeutet. Bekanntlich werden die Karten aber erst nach dem Wahlabend gemischt, und da scheint der Vatikan nicht inaktiv, um diese Wahlniederlage des Papstes noch auszubügeln.
Hinter den Kulissen spielen beim derzeitigen Ringen um die Regierungsbildung in Italien aber vor allem Wirtschaftsfragen, konkret im Zusammenhang mit EU und Euro, eine noch zentralere Rolle als die Masseneinwanderung. Schließlich stellt die Parlamentsmehrheit den Vertrag von Amsterdam in Frage, der die EU geschaffen hat. Beide Themen sind in der derzeitigen Ausrichtung Brüssels aber untrennbar miteinander verbunden. Das wissen die italienischen Parteien, und das scheinen auch die italienischen Wähler verstanden zu habe – und wählten die Fünfsternebewegung und die Lega.
Text: Andreas Becker
Bild: Mil/Fotomontage (Parteilogos)/Corriere della Sera (Screenshots)