Die Ukraine will die Priester zum Kriegsdienst einziehen. Wird der Heilige Stuhl dazu schweigen?

Der Angriff auf das Priestertum und die Kirche


Römisch-katholische Diakonatsweihe in Lemberg. Wie viele der Priester und Diakone müssen ab dem 18. Mai an die Front, um mit der Waffe zu kämpfen?
Römisch-katholische Diakonatsweihe in Lemberg. Wie viele der Priester und Diakone müssen ab dem 18. Mai an die Front, um mit der Waffe zu kämpfen?

Am 3. April 2024 fand ein Tref­fen zwi­schen dem Staats­prä­si­den­ten der Ukrai­ne und den römisch-katho­li­schen Bischö­fen sowie Ver­tre­tern pro­te­stan­ti­scher Kir­chen der Ukrai­ne statt. Anwe­send waren der Bischof von Char­kiw-Sapo­rischschja Paw­lo Hon­c­za­ruk, der Bischof von Odes­sa-Sim­fe­ro­pol Sta­nis­law Schy­ro­ko­rad­juk OFM, der Bischof von Kam­ja­nez-Podilskyj Leo­nid Dubraw­ski OFM, der ernann­te Bischof von Mukat­sche­we Myko­la Lutschok OP, der Bischof von Kiew-Schy­to­myr Wita­lij Kry­wyz­kyj SDB und der Vor­sit­zen­de der Ukrai­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz Erz­bi­schof Miec­zys­law Mokrzycki von Lem­berg. Auf der Tages­ord­nung stand auch die ern­ste Fra­ge, daß die Prie­ster, Dia­ko­ne und Semi­na­ri­sten der Ukrai­ne ab dem 18. Mai zum Kriegs­dienst ein­be­ru­fen werden.

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„Wir haben betont“, erklär­te der Sale­sia­ner Msgr. Wita­lij Kry­wyz­kyj, „daß gro­ße Pro­ble­me ent­ste­hen, wenn Pfar­rer oder Ver­ant­wort­li­che des huma­ni­tä­ren Sek­tors, ins­be­son­de­re der Cari­tas und all ihrer Abtei­lun­gen, wenn Schlüs­sel­per­so­nen die­ses Bereichs mobi­li­siert und an die Front gebracht werden.“

Staats­prä­si­dent Wolo­dym­yr Selen­skyj, selbst Jude, gra­tu­lier­te den Kir­chen­ver­tre­tern zum Oster­fest und wünsch­te der „Ukrai­ne den Sieg im Krieg gegen die rus­si­schen Besat­zer“. Die­ser wer­de „sicher“ kom­men, „dank unse­rer Sol­da­ten, unse­res Vol­kes und Ihrer auf­rich­ti­gen Gebe­te“, hat­te Selen­skyj nach Anga­ben der Prä­si­di­al­kanz­lei gesagt.

Ein Ergeb­nis konn­te bei der Bespre­chung aber nicht erzielt wer­den. Der Staat ist ent­schlos­sen, auch die Prie­ster zu den Waf­fen zu rufen und an die Front zu schicken.

Hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand wird Unmut geäu­ßert. Selen­skyj habe bewie­sen, sich nicht von denen zu unter­schei­den, die er kri­ti­siert. „Er hat alle Ver­ein­ba­run­gen mit den Kir­chen mit den Füßen getre­ten.“ Laut aus­ge­spro­chen wird die­se Kri­tik nicht. Zu ange­spannt ist die Stim­mung in der Ukrai­ne. Ande­rer­seits war dies abseh­bar, hat­te doch Selen­skyj Papst Fran­zis­kus jedes­mal ange­grif­fen, wann immer der Hei­li­ge Stuhl vom Frie­den sprach.

Die Geschich­te kennt sol­che Bei­spie­le, wo Staats­füh­rer rück­sichts­los Prie­ster, Dia­ko­ne und Semi­na­ri­sten an die Fron­ten schick­ten. Es waren alle­samt Irrwege.

Die Sym­pa­thie für Fran­zis­kus ist unter den Ukrai­nern nicht sehr groß, aller­dings weni­ger aus theo­lo­gi­schen, son­dern aus poli­ti­schen Grün­den. Die Frie­dens­be­mü­hun­gen des Hei­li­gen Stuhls wer­den in Kiew und Lem­berg nicht gewürdigt.

Auf unver­hoh­le­nen US-ame­ri­ka­ni­schen Druck hin wur­de vom ukrai­ni­schen Par­la­ment, der Wer­chow­na Rada, ein neu­es Mobi­li­sie­rungs­ge­setz erlas­sen, das am 18. Mai in Kraft tre­ten wird. Die USA haben ihre finan­zi­el­le und mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung an mas­si­ve­re Mobil­ma­chungs­an­stren­gun­gen gekop­pelt. Die Gewäh­rung des jüng­sten 60 Mil­li­ar­den schwe­ren mili­tä­ri­schen Hilfs­pa­kets der USA ist direkt an das neue Rekru­tie­rungs­ge­setz gekop­pelt. Die Bot­schaft aus Washing­ton lau­te­te: „Wir geben euch Geld und Waf­fen, aber ihr müßt kämp­fen. Tut ihr das nicht, gibt es kein Hilfspaket.“

Die ergeb­nis­lo­se Bespre­chung am 3. April zwi­schen den römisch-katho­li­schen Bischö­fen und pro­te­stan­ti­schen Ver­tre­tern mit dem ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wolo­dym­yr Selen­skyj (rechts im Bild)

Mit dem neu­en Gesetz müs­sen auch die Prie­ster in den Kampf zie­hen. Eine Frei­stel­lung wur­de aus­drück­lich aus­ge­schlos­sen. Wenn die Prie­ster kämp­fen müs­sen, kön­nen sie ihre Pfar­rei­en nicht mehr betreu­en, den Men­schen, die seit zwei Jah­ren unter dem Krieg lei­den, nicht mehr bei­ste­hen und die von ihnen gelei­te­ten huma­ni­tä­ren Dien­ste nicht mehr erbrin­gen. Der Auf­trag des Prie­sters sei es nicht, mit der Waf­fe in der Hand im Schüt­zen­gra­ben zu lie­gen, son­dern vor allem und an erster Stel­le der Kul­tus und die Sakra­men­ten­spen­dung. Das sei ihr vor­ran­gi­ger Dienst für das Volk und das Land. Das ver­such­ten die römisch-katho­li­schen Bischö­fe Prä­si­dent Selen­skyj zu ver­mit­teln, doch ohne Erfolg.

Das neue Mobil­ma­chungs­ge­setz wird eine dra­ma­ti­sche Ver­än­de­rung brin­gen, die alle Kon­fes­sio­nen trifft, die Latei­ner, wie die römi­schen Katho­li­ken in der Ukrai­ne genannt wer­den, aber eben­so die mit Rom unier­ten Grie­chisch-Katho­li­schen, die Ortho­do­xen, die Arme­ni­er, auch die Pro­te­stan­ten ver­lie­ren ihre Pasto­ren und Gemein­de­lei­ter. Das gilt für alle Prie­ster und Reli­gi­ons­ver­tre­ter im wehr­fä­hi­gen Alter. Es gel­ten nur Aus­nah­men, die alle Ein­be­ru­fe­nen betref­fen: zu jung, zu alt, die Anzahl der Kin­der und der Gesundheitszustand.

Msgr. Oleksan­dr Jaslo­wez­kyj, der Weih­bi­schof der Diö­ze­se Kiew-Schy­to­myr und Cari­tas-Prä­si­dent, spricht von einer „dra­ma­ti­schen Ent­schei­dung“. Jaslo­wez­kyj ringt um Ver­ständ­nis: „Das neue Gesetz wur­de for­mu­liert, weil nach zwei Jah­ren Krieg die Not­wen­dig­keit ent­stan­den ist, neue Regeln zu defi­nie­ren, um bestimm­te Situa­tio­nen zu ord­nen, die mit dem Aus­bruch des Kon­flikts ent­stan­den sind.“ Direk­ter gesagt: Die Ver­lu­ste der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te sind so groß und die Lage an der Front ist so prekär.

Vor dem Krieg brauch­ten Prie­ster, Ordens­leu­te und Semi­na­ri­sten kei­nen Mili­tär­dienst zu lei­sten. Seit Aus­bruch des Krie­ges wur­de die Zahl der Mili­tär­seel­sor­ger auf­ge­stockt, aber nie­mand zum Dienst mit der Waf­fe ein­be­ru­fen. Das wird nun anders. Wer zwi­schen 25 und 60 Jah­re alt ist, kei­ne schwe­re Behin­de­rung oder weni­ger als drei Kin­der hat, wird mobi­li­siert. Ortho­do­xen und Unier­ten Prie­stern kann die­se all­ge­mei­ne Aus­nah­me hel­fen, aber römisch-katho­li­sche Prie­ster haben kei­ne Kinder.

„Wir ver­su­chen immer noch, uns Gehör zu ver­schaf­fen, denn die­se Situa­ti­on ist für alle Kon­fes­sio­nen inak­zep­ta­bel und hat sehr schwer­wie­gen­de Fol­gen, die sicher­lich in kei­nem Ver­hält­nis zu der Zahl derer ste­hen, die Sol­da­ten wer­den wür­den. Wir haben nach­ge­rech­net, und es wären ins­ge­samt 13.000 Men­schen: Das ist wenig im Ver­hält­nis zur Gesamt­zahl, aber viel für die Hil­fe, die sie für die Bevöl­ke­rung lei­sten kön­nen“, so Msgr. Jaslowezkyj.

Die Bischö­fe kön­nen nicht ver­ste­hen, war­um bestimm­te Kate­go­rien wie Zir­kus­ar­ti­sten vom Kriegs­dienst befreit sind, weil ihr Beruf „huma­ni­tä­rer Natur“ sei, aber Prie­ster mit der Waf­fe an die Front sol­len. Auch wür­den etli­che Posten der Mili­tär­seel­sor­ge unbe­setzt blei­ben, weil die Mili­tär­ka­plä­ne in ganz ande­rer Funk­ti­on irgend­wo im Schüt­zen­gra­ben liegen.

„Mit Kriegs­aus­bruch hat­ten eini­ge Prie­ster dar­um gebe­ten, Mili­tär­seel­sor­ger zu wer­den, um den Sol­da­ten an der Front Trost und die Sakra­men­te zu spen­den. Die Stel­len sind zah­len­mä­ßig nach Kon­fes­sio­nen auf­ge­teilt. Der Staat ver­langt eine spe­zi­el­le Qua­li­fi­ka­ti­on dafür, die durch das nor­ma­le Stu­di­um an den Prie­ster­se­mi­na­ren nicht erlangt wird.“

Ukrai­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Semi­na­ri­sten bei einer Gedenk­ver­an­stal­tung zu Ehren von Groß­erz­bi­schof Myros­law Kar­di­nal Lju­bat­schiw­skyj am ver­gan­ge­nen 12. April. Wie vie­le von ihnen müs­sen ein­rücken? Wie vie­le wer­den fallen?

Der Weih­bi­schof von Kiew-Schy­to­myr und Cari­tas-Prä­si­dent wur­de noch deutlicher:

„Die Men­schen brau­chen Prie­ster, sie suchen Trost in die­ser Situa­ti­on. Zu Ostern waren die Kir­chen voll, die Men­schen müs­sen die Hoff­nung auf Frie­den behal­ten. Wir ver­su­chen mit allen Mit­teln, alle zu errei­chen, damit sich nie­mand ver­las­sen fühlt. Ich habe eine Frau getrof­fen – aber es gibt so vie­le Bei­spie­le –, die in die Kir­che kam und wütend auf Gott war, weil sie ihren ein­zi­gen Sohn im Krieg ver­lo­ren hat­te, sie sag­te, sie sei nicht gläu­big, aber ihr Sohn wäre nicht glück­lich gewe­sen, wenn sie nicht für ihn gebe­tet hät­te.
Men­schen, die sagen, daß sie ihren Glau­ben ver­lie­ren, aber in Wirk­lich­keit leben sie den Glau­ben derer, die lei­den, die vom Schmerz berührt sind und Gott suchen, und das müs­sen wir unter­stüt­zen. Genau­so wie wir ver­su­chen, mit den ver­schie­de­nen Pro­jek­ten all das Leid abzu­fe­dern, das der Krieg mit sich bringt: Men­schen, jun­ge Men­schen, die ver­wun­det zurück­keh­ren, behin­dert, mit phy­si­schen und psy­chi­schen Pro­ble­men, die mit dem Kriegs­trau­ma zusam­men­hän­gen, getrenn­te, zer­rüt­te­te und dezi­mier­te Fami­li­en, Kin­der, die in einer Situa­ti­on der stän­di­gen Angst her­an­wach­sen und die Fol­gen davon bezah­len wer­den, auch wenn es scheint, als hät­ten sie sich dar­an gewöhnt.“

Mak­sym Rja­bu­cha SDB, der Weih­bi­schof des grie­chisch-katho­li­schen Exar­chats von Donezk, äußer­te sich ähn­lich ban­ge: „Ich bin besorgt über das Zugangs­ver­bot für alle natio­na­len und inter­na­tio­na­len Hilfs­wer­ke wie die Cari­tas zum gesam­ten Gebiet, das 20 Kilo­me­ter von der Kampf­zo­ne ent­fernt ist. Das bedeu­tet, daß es Städ­te und Dör­fer gibt, die außer­halb der Hil­fe lie­gen. Jetzt ist aber nicht der rich­ti­ge Zeit­punkt, um über Risi­ken nach­zu­den­ken. Die ein­zi­ge Fra­ge, die wir uns jetzt stel­len, ist, wie wir das Leben der betrof­fe­nen Bevöl­ke­rung unter­stüt­zen, beglei­ten und erhal­ten können.“

Aus poli­ti­schen Grün­den ver­zich­ten die katho­li­schen Bischö­fe auf öffent­li­che Kri­tik, erhof­fen und erwar­ten sich jedoch vom Hei­li­gen Stuhl eine kla­re Hal­tung zum Schutz der ukrai­ni­schen Prie­ster und der See­len des hei­li­gen Vol­kes der Gläubigen.

Die Ein­be­ru­fung der Prie­ster zum Kriegs­dienst stellt nicht nur eine schwer­wie­gen­de Miß­ach­tung und Ver­zer­rung des prie­ster­li­chen Auf­trags dar, son­dern auch einen direk­ten Angriff auf die Kir­che, die ohne Prie­ster nicht exi­stie­ren kann.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Facebook/rkc.org.ua (Screen­shots)

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