Von Aufklärung und Marxismus sowie dem links-ideologischen Verblendungszusammenhang der Frankfurter Schule.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Der deutsche Fabrikant und Marx-Freund Friedrich Engels behauptete, der Marxismus sei als ein Kind der europäischen Aufklärung anzusehen: Der ökonomische Liberalismus des Adam Smith (England), die Visionen des Jean-Jaques Rousseau von Vernunft und Freiheit (Frankreich) und die kritische Kompetenz des Deutschen Immanuel Kant seien die Quellen des Marxismus.
In einer zweiten Phase seien die Arbeitswertlehre des Engländers David Ricardo, die Ideen des utopischen Sozialismus aus Frankreich sowie der dialektische Idealismus des deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel hinzugekommen.
Karl Marx habe diese Ansätze zu einer neuen Systemtheorie ausgebaut, mit der alle Phänomene dieser Welt aus den materialistischen Bedingungen von Natur und Ökonomie erklärt werden könnten. Gleichzeitig sollte der Menschheit eine Perspektive zur absoluten Freiheit gewiesen werden – dem Paradies auf Erden.
Karl Marx verschaffte den Schattenseiten der Aufklärung Geltung …
Wenn diese Quellentheorie zuträfe, dann wäre es schier unerklärlich, wieso aus der Vernunft-Aufklärung der menschenfeindliche Despotismus des Kommunismus erwachsen konnte. Oder waren es die dunklen Unterströmungen der Aufklärung selbst, in denen der spätere Terror angelegt war? Der Terreur der aufgeklärten Jakobinerherrschaft scheint das zu bestätigen.
Tatsächlich stützen sich Marx und später Lenin vor allem auf extremistische Ansichten und Autoren der Aufklärung – etwa die radikalistische Religionskritik von de La Mettrie und Voltaire, die totalitäre Staatsphilosophie von Rousseau oder den kruden Materialismus der französischen Physikalisten. Das waren eher die Dunkelmänner der Aufklärung, die deren Schattenseiten darstellten. In der sozialistischen Revolution 1917 wurden die trüben Theorien aus der Gosse der europäischen Geistesgeschichte nach oben gespült.
Die russischen Bolschewisten verstanden sich als sozialistische Jakobiner. Sie ließen alle Albträume der aufklärerischen Vernunft Wirklichkeit werden. Alle Nachtmahre der Schreckensherrschaft von 1793/94 wurden übertroffen, alle Formen von neuzeitlichem Staatsterrorismus perfektioniert. Die sowjetische Geschichte der Lenin-Stalin-Ära ist von immer neuen Wellen an Terror und Tod, Geheimpolizei und Bespitzelung, Umerziehung und Arbeitslager, Propaganda und Pressionen gekennzeichnet.
Die Tscheka-Zeitschrift „Roter Terror“ hatte 1920 die Parole ausgegeben: Die Bourgeoisie, etwa 10 Prozent der 100 Millionen Russen, müsste liquidiert werden. Trotzki verlangte, das „Russland der Ikonen und Kakerlaken“ zu vernichten. Neben den religiösen Vorstellungen sollten auch die bürgerlichen Lebens- und Denkformen über Familie und Erziehung, Tugenden und Traditionen ausgelöscht werden.
… Lenin, Stalin und Mao machten daraus die Hölle auf Erden
Das geistlich-kirchliche Russland wurde schon Anfang der 20er Jahre stranguliert, das russische Bürgertum durch die Wegnahme von Eigentum und Bildung gelähmt. Die russischen Bauern ließ man während der Kollektivierungsphase millionenfach verhungern und verkommen.
Alle übrigen Menschen mit abweichenden Meinungen und anderen Vorstellungen als der Parteilinie wurden während der Verfolgungsphase ab 1936 – der „Hölle auf Erden“, wie die FAZ am 12. 12. 2006 titelte – drangsaliert und deportiert, von der Geheimpolizei unmittelbar ermordet oder in den mehr als 500 GULags durch Arbeit umgebracht.
Während des Zweiten Weltkriegs musste die Kommunistische Partei im Krieg gegen die eigenen Völker eine Zwangspause einlegen, um dann ab 1947 den sowjetischen Staatsterror wiederaufleben zu lassen und sogar in die kommunistisch annektierten Gebiete bis an den Eisernen Vorhang zu exportieren.
Der Stalinismus wurde zwar ab 1956 für die Sowjetunion teilrevidiert, stieg aber als Maoismus in China noch 20 Jahre lang zu neuen, unvorstellbaren Stufen von Grauen und Grausamkeit auf.
Auch Mao Tse-tung sah sich übrigens von der europäischen Aufklärung und Bildung inspiriert: Georg Friedrich Wilhelm Hegel und Karl Marx, Friedrich Engels und Ernst Haeckel seien seine Lehrmeister gewesen, wie der alte Mao dem CDU-Politiker Gerhard Schröder beim Staatsbesuch 1972 verriet. Noch heute gilt die Religionskritik von Kant als Staatsdoktrin vom kommunistischen China.
Ebenso war die Führung der Steinzeitkommunisten um Pol Pot in Kambodscha vom europäischen Marxismus geleitet, den die Massaker-Kommunisten als Studenten in Frankreich kennengelernt hatten.
Von 1917 bis heute zieht sich eine Kette von Terrorwellen und Menschheitsverbrechen durch die Geschichte von Gesellschaften, die im Würgegriff der totalitären Marxisten stehen. Es ist eine Geschichte, die in den dunklen Denkwelten der europäischen Aufklärung ihren Ausgangspunkt nahm.
Wie reagierten die links-liberalen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts auf die marxistisch-kommunistische Katastrophengeschichte?
1926 hielt sich der deutsche Marxist Walter Benjamin länger Zeit in der Sowjetunion auf. Er war begeistert und überlegte sich ernsthaft, Mitglied der Stalin-Partei zu werden.
Bertolt Brecht schrieb Ende der zwanziger Jahre wie ein Jubelperser Hymnen auf Stalins Industrialisierungsprogramm, als Hunderttausende Bauern verhungert, verschleppt oder versklavt wurden.
1935 lud Stalin über seinen Dichter-Propagandisten Maxim Gorki eine größere Anzahl europäischer Schriftsteller nach Moskau ein.
Stalin ließ den Gästen ein Muster-GUlag zeigen– gewissermaßen ein rotes Theresienstadt-KZ. Die eingeladenen westeuropäischen Schriftsteller waren durchweg begeistert über den kommunistischen ‚Musterstaat’ und verbreiteten diese Propaganda in ihren Heimatländern. Am peinlichsten waren die Schönschriften auf den Stalinstaat von Seiten des deutschen Schriftstellers Lion Feuchtwanger.
1936 begann vor aller Welt der „Große Terror“ der stalinistischen Verfolgungswelle. Alle deutschen linksorientierten Exilschriftsteller wussten mehr oder weniger detailliert Bescheid um die Terroraktionen Stalins. Bertolt Brecht etwa schreibt in Briefen davon. Aber sie schwiegen alle öffentlich, hielten ihre vielfältigen Informationen bewusst zurück. Andere verharmlosten den Terror oder propagierten ihn gar als notwendige Säuberungen.
Nur wenige der Russlandbesucher kamen ernüchtert zurück, darunter der französische Schriftsteller André Gide. Andere wandten sich nach ihren Erfahrungen im spanischen Bürgerkrieg vom Kommunismus ab – wie Arthur Köstler oder George Orwell. Doch die Autoren von marxismus-kritischen Berichten wurden von dem Gros der links-liberalen Literaten und Medien als Verräter denunziert und bekämpft.
Theodor W. Adorno
Theodor W. Adorno war einer aus dem Kreis dieser linksintellektuellen Stalin-Versteher und Terrorbeschöniger. Der deutsche Professor schrieb im November 1936, als Stalin mit Schauprozessen und Exekutionsaktionen die KPdSU auch von Tausenden Juden säuberte, aus seinem sicheren englischen Exil an seinen Freund Horkheimer:
„In der gegenwärtigen Situation sollten wir – sei es auch um den schwersten Preis – Disziplin halten und nichts publizieren, was Russland zum Schaden ausschlagen kann.“
Während des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Exil warb Adorno ausdrücklich für den stalinistischen Sowjetkommunismus – ohne die millionenfachen Opfer des roten Terrors zu erwähnen. Diese Linie hielt Adorno auch bei, als nach dem Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion erneut die totalitäre Verfolgungsmaschinerie wieder anzog und auch in ihrem erweiterten Einflussgebiet im beherrschten Ostblock durchsetzte.
Das Stück „Der Philosoph. Oder: Durfte Adorno schweigen?“ ist nie geschrieben worden.
Das Buch „Dialektik der Aufklärung“ von 1944 gilt als das vielgestaltige Hauptwerk der Autoren Adorno und Horkheimer. Darin führen sie im dritten Hauptteil aus, wie die destruktiven Aufklärungsschriftsteller de La Mettrie und de Sade den späteren totalitären Faschismus vorbereiteten – ebenso wie Nietzsche mit seinen sozialdarwinistischen Übermenschphantasien. Somit hätte die Aufklärung auch zu dem Irrweg der bürgerlichen Gesellschaft in den faschistischen Staat beigetragen.
In den weiteren Kapiteln wird der Horizont auf eine „negative Universalgeschichte der abendländischen Zivilisation“ (G. Schweppenhäuser) ausgeweitet, bei der schließlich auch die Vernunft-Aufklärung in „Massenbetrug“ umgeschlagen sei – insbesondere in der Kulturindustrie.
Die „Kritische Theorie“, wie das Konzept der Frankfurter Schule auch genannt wurde, wandten die beiden Protagonisten nie auf den Sozialismus und die kommunistischen Menschheitsverbrechen an.
Die negativen Seiten der Aufklärung wurden ausschließlich auf den kapitalistischen Westen projiziert. Aus dieser Perspektive sollte sich in den Köpfen der Studenten die sozialistische Barbarei in einem verklärten Licht zeigen und die Lehre des verbrecherischen Marxismus als die bessere Alternative aufscheinen.
Die Wacht am Nein
Man schwelgte im Soziologen-Jargon der „Negativen Theorie“ – ein weiterer Begriff für das gesellschaftliche Ablehnungskonzept von Adorno und Horkheimer. Aus ihrer marxistischen Perspektive stellten sie die christlich-ethischen Prägungen Europas ausschließlich negativ dar. Ihr eigener links-ideologischer „Verblendungszusammenhang“ machte sie blind für die westlichen Werte: Dualität und Kooperation von Religion und Staat, Menschenrechte und Gemeinwohlorientierung, die Ausbildung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Mit der „Wacht am Nein“ (Odo Marquard) führte die Frankfurter Schule eine Generation von Njet-Set-Studenten auf den Irrweg des Marxismus. In der Auffächerung der 68er Szene zeigten sich alle linken Abschattungen – als da waren: orthodoxe Marxisten, Maoisten, Trotzkisten, DDR-Sozialisten, Antifaschisten, Anarchos und gewalttätige Sponti-Sozialisten wie Joseph (Joschka) Fischer. In diesem Spektrum wurde – so ein FAZ-Leser am 26. 3. 2018 – „ein Pandämonium aus Despoten und Verbrechern an der Menschlichkeit verehrt: Lenin, Stalin, Mao, Pol Pot, Kim Il-Sung, Fidel Castro, Enver Hodscha. Deren mörderische Totalitarismen erklärte man zum erstrebenswerten Vorbild der deutschen und europäischen Gesellschaftsordnung – ein unverzeihlicher Irrwitz.“
Die Marxisten der Kritischen Theorie inspirierten auch das Schlagwort vom „spätkapitalistischen Konsum- und Warenterror“. Damit wurden sie zu Impulsgebern für die linken Anarchisten um Meinold, Baader und Ensslin. Die begannen mit der Frankfurter Kaufhausbrandstiftung am 2. April 1968, also in diesen Tagen vor 50 Jahren, den linksfaschistischen Krieg der „Roten Armee-Fraktion“ gegen die „spätkapitalistische BRD“.
Text: Hubert Hecker
Bild: Wikicommons/Communist International (Screenshots)
[Updtae 8. April 2018: Irrtümlich stand in dem Artikel, daß sich Gerhard Schröder (SPD) während eines Staatsbesuchs mit Mao Tse-tung trafen. Richtig ist, daß sich 1972 der CDU Politiker Gerhard Schröder 1972 mit Mao Tse-tung zusammentraf. Gerhard Schröder (CDU) war von 1969 bis 1980 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. In dieser Eigenschaft war er der erste bundesdeutsche Spitzenpolitiker, der eine Einladung in die Volksrepublik China erhielt. Dort verhandelte er vom 13. bis 29. Juli 1972 mit dem chinesischen Premierminister Zhou Enlai über die später erfolgte Aufnahme von diplomatischen Beziehungen.
Nicht Lyonel Feininger, ein Maler und Zeichner, besuchte die Sowjetunion und verfasste Jubelschriften auf den Stalinstaat, sondern der Schriftsteller Lion Feuchtwanger. [1]Karl Kröhnke, Lion Feuchtwanger, Der Ästhet in der Sowjetunion, Metzler 1991
- Dies wurde im Text korrigiert.]
-
↑1 | Karl Kröhnke, Lion Feuchtwanger, Der Ästhet in der Sowjetunion, Metzler 1991 |
---|
Dieses „Stalin-Versteher“ ist ähnlich dumm und falsch wie das „Putinversteher“ – doch auf andere Art.
Zunächst zu Putin: Der Westen wäre gut beraten, Putin wirklich zu verstehen. Hätte der Westen sich darum bemüht, wäre es weder zu dem Maidanputsch noch zu dem Krieg in der Ostukraine noch zur Wiedervereinigung der Krim mit dem übrigen Rußland gekommen. Denn alles, was dort nach dem Maidanputsch geschah, war Notwehr, wirkliche Notwehr Rußlands. Hätte der Westen versucht, Putin zu verstehen, hätte ihm klar werden müssen, daß Putin und Rußland keine Ukraine in der Nato und erst recht keinen feindlichen Schwarzmeerhafen Sevastopol hinnehmen konnten. Vor dem Maidanputsch bot Putin dem Westen die Hand zur Zusammenarbeit, doch der Westen schlug sie aus.
Grundsätzlich ist es dumm, andere Menschen nicht verstehen zu wollen, erst recht, wenn diese Menschen ein großes Land regieren. Deshalb sollte jeder maßgebliche westliche Politiker ein Putinversteher sein.
Das Schachspiel ist in Rußland sehr beliebt, und Putin ist meines Wissens ein guter Schachspieler. Und für einen Schachspieler ist es von großem Vorteil, wenn er in etwa vorausschauen kann, was sein Gegner vorhat – mit anderen Worten, wenn er seinen Gegner verstehen kann.
Ganz anders verhält sich die Sache mit Stalin. Natürlich sollte man auch versuchen, zu begreifen, warum er seine Verbrechen beging. Aber diejenigen, die seine Verbrechen verharmlosen oder auch noch gutheißen, sind keine „Stalin-Versteher“, sondern Stalinverehrer – Verehrer eines Schwerstverbrechers.
Ich sehe das Problem in Klischees sowie in fehlender Intellektualität und Informiertheit in der breiten Bevölkerung, was die Verehrung des Kommunismus, trotz 100 Millionen Todesopfern, betrifft.
Wer heute feststellen würde, Russland habe sich unter Vladimir Putin gesellschaftlich, finanzpolitisch und militärisch seit dem Zerfall der Sowjetunion gut erholt, wird entweder als Böser auf dem Schachbrett der Weltpolitik gesehen oder als potenzieller Kommunisten-Sympathisant(Russland=Kommunismus). Auch wenn das nicht zutrifft.
Es ist auf jeden Fall dumm, wie mein Vorredner bereits sagte, wenn man sich von Vorneherein weigert, andere verstehen zu wollen. So wie es leider viele westliche Politiker und Medienvertreter Russland gegenüber tun. Aber ich bin überzeugt, ein großer militärischer Konflikt ist seitens der USA beabsichtigt und sie werden diesen so lange herausfordern, bis er stattfindet.
Und Gott wird es zulassen, da die Sünden der Menschheit das Faß zum Überlaufen gebracht haben. Nach Fatima hat es nicht die große Bekehrung gegeben, sondern nach 68 und der Aufklärung kamen noch schlimmere Sünden als vor den beiden Weltkriegen.
Viele wähnen sich heutzutage politisch auf der richtigen Seite, zeigen auf alles mit dem Finger das „nach Nazi riecht“, und haben zum Schluss ein Che Guevara-Poster im Zimmer hängen oder kommunistische Symbole im Facebook-Profil. Solange sowas gängige Norm ist, bleibt die politische Mitte dünn besiedelt.
Rußland war immer ein Faszinosum sowohl für Linke als auch Rechte (ich meine damit freilich nicht mittelosteuropäische Rechte, die niemals eine Naivität bezüglich Rußland zeigten, da sie selbst zu Genüge unter der rückständigen Knechtschaft Rußlands darben mußten) obgleich es stets die korrupte Antithesis zum Abendlande war. Und so ist es auch heute.
Jedenfalls ist aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen und noch mehr aufgrund des aggressiven russischen Nationalismus jede Vorsicht geboten, heute ebenso wie vor 1989/91. Polen und das Baltikum haben glücklicherweise die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen und werden nicht noch einmal den Preis für einen Deutsch-Russischen Ausgleich bezahlen. Sie haben Aristoteles Politik, 7. Buch gelesen.