Kritik an der römischen Luther-Begeisterung


„Luther wollte die Kirche erneuern, nicht spalten“, sagte Papst Franziskus am 19. Januar 2017 dem lutherischen Bischof von Turku in Finnland, dem schwedischen Åbo (Bild).

Ein Gast­kom­men­tar von Hubert Hecker

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Ähn­lich wie bei der Fami­li­en­syn­ode war Kar­di­nal Kas­per für die neue römi­sche Luther­be­gei­ste­rung Stich­wort­ge­ber. In ver­schie­de­nen Vor- und Bei­trä­gen resü­mier­te er: Luther hät­te Recht gehabt (und die kath. Kir­che Unrecht); die Refor­ma­ti­on wäre berech­tigt gewe­sen wegen der „Defor­ma­ti­on der römi­schen Kir­che“; Luthers Neu-Theo­lo­gie sei vom Hei­li­gen Geist gelei­tet wor­den (der dem­nach die katho­li­sche Lehr­tra­di­ti­on ver­las­sen hätte).

Sancta superbia (heilige Überheblichkeit, von Hans Sebald Beham)
Sanc­ta super­bia (hei­li­ge Über­heb­lich­keit, von Hans Sebald Beham)

In Kas­pers Sin­ne zeig­te sich der vom Papst ernann­te Gene­ral­se­kre­tär der ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, Nun­zio Galan­ti­no, vor eini­gen Wochen als be-gei­ster­ter Luther-Bewun­de­rer: „Die von Luther aus­ge­lö­ste Refor­ma­ti­on“, so sein Resü­mee bei einer Tagung in der Late­ran-Uni­ver­si­tät, „war ein Ereig­nis des Hei­li­gen Gei­stes.“ Der Bischof begrün­de­te das mit Luthers Glau­ben, dass nicht er, son­dern „Got­tes Wort den Papst gestürzt und die Kir­che refor­miert“ hätte.

Luther maß­te sich aller­dings an, dass sei­ne Lehr­wor­te iden­tisch sei­en mit Chri­sti Wort. Er war über­zeugt, dass nach tau­send Jah­ren kirch­lich-theo­lo­gi­scher Irr­tü­mer er erst­mals wie­der vom Hei­li­gen Geist inspi­riert wäre, wie das Hans Sebald Beham in einem Stich dar­stell­te. Dar­aus fol­ger­te der Refor­ma­tor sei­ne eige­ne Unfehl­bar­keit: „Wer mei­ne Leh­re nicht annimmt, wird nicht selig.“ Des­halb sah er alle Katho­li­ken in der Höl­le ver­dammt. In die­sen Punk­ten beharr­te Luther auf einer „sanc­ta super­bia“ (hei­li­gen Über­heb­lich­keit). Den christ­lich-theo­lo­gi­schen ‚Dienst­mut’ (Demut) lehn­te er aus­drück­lich ab.

Bei den römi­schen Theo­lo­gen scheint eine nai­ve Luther-Eupho­rie aus­ge­bro­chen zu sein. Die sei gepaart mit „Unkennt­nis der Theo­lo­gie“ des Refor­ma­tors, wie Kar­di­nal Mül­ler beklagte.

Die Selbstprotestantisierung von Papst Franziskus am lutherischen Zentralort Lund

Ein rang­ho­her Papst­be­ra­ter, der Jesu­it Gian­car­lo Pani, gab kürz­lich in einem Hin­ter­grund­ge­spräch der FAZ (Bericht vom 28. 10.) Ein­blick in die aktu­el­le Öku­me­ne-Stra­te­gie von Papst Fran­zis­kus: Luther soll als „Vater des Glau­bens und gemein­sa­mer Leh­rer“ der Kir­chen aner­kannt wer­den. Sei­ne Reform­an­lie­gen müss­ten im Sin­ne einer sich stän­dig refor­mie­ren­den Kir­che gewür­digt wer­den. Fran­zis­kus – so Pani – „reprä­sen­tiert sich nicht mehr als Papst einer allein selig­ma­chen­den Kir­che, son­dern als ‚Bischof von Rom’ und ‚Erster in der Lie­be Got­tes’“. Sinn­fäl­li­ger Aus­druck die­ses päpst­li­chen Abschieds vom Allein­stel­lungs­merk­mal als Nach­fol­ger Petri fin­det sich in der öku­me­ni­schen Lit­ur­gie vom 31. 10. 2016 im schwe­di­schen Lund. Am Abend­mahls­tisch der luthe­ri­schen Kathe­dra­le leg­te der Papst alle katho­li­schen Lit­ur­gie- und Amts­in­si­gni­en ab und prä­sen­tier­te sich in der glei­chen wei­ßen Albe wie der Prä­si­dent des Luthe­ri­schen Welt­bun­des und des­sen Gene­ral­se­kre­tär. Als wenn Fran­zis­kus auf sei­ner Pil­ger­fahrt zum Grün­dungs­ort des LWB mit Schil­ler sagen woll­te: „Ich sei, gewährt mir die Bit­te, in euerm Bun­de der Dritte“.

Franziskus mit Mounib Younan. Präsident des Franziskus mit Mounib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbundes am 31.12.2016 in Lund.Weltbundes
Fran­zis­kus mit Mounib Youn­an, Prä­si­dent des Luthe­ri­schen Welt­bun­des am 31.12.2016 in Lund.

Die neue Lund-Lit­ur­gie, in der sich der Papst als ein­fa­cher Kir­chen­mann den Ver­tre­tern des Luthe­ri­schen Welt­bun­des gleich­stell­te, scheint eine Stra­te­gie der Selbst­pro­te­stan­ti­sie­rung anzu­zei­gen: „Im Rom des Fran­zis­kus (…) gesteht man sich ein, dass die katho­li­sche Kir­che evan­ge­li­scher gewor­den“ sei. Der Jesu­it Pani ist sich mit dem pro­te­stan­ti­schen Pastor von Rom, Jens Mar­tin Kru­se, einig: Der Papst selbst hät­te „ sich zum Anwalt des Refor­ma­tors“ gemacht. Dar­um könn­te man auch über einen „cammi­no insie­me“ reden. „Denn wir haben das­sel­be Anlie­gen, den­sel­ben Weg, das­sel­be Ziel“. Kru­se ergänz­te: Im Wis­sen um die gemein­sa­me Schuld an den Refor­ma­ti­ons­wir­ren „sind wir zur Ein­heit entschlossen“.

Auf dem „gemein­sa­men Weg“ mit den Pro­te­stan­ten gibt Fran­zis­kus Stück für Stück die Iden­ti­tät der einen, hei­li­gen, katho­li­schen und apo­sto­li­schen Kir­che auf. Auch in sei­ner Theo­lo­gie ver­tritt er gele­gent­lich pro­te­stan­ti­sche Posi­tio­nen. In einem Pre­digt­wort des Pap­stes vom „Prah­len mit mei­nen Sün­den“ erkennt man unschwer den luthe­ri­schen Sün­den­stolz, der weder bei Pau­lus noch in den Evan­ge­li­en irgend­ei­ne Basis hat. Die päpst­li­che Selbst­pro­te­stan­ti­sie­rung beinhal­tet eine beäng­sti­gen­de Abschlei­fung der katho­li­schen Leh­re. Das Ein­schwen­ken auf luthe­ri­sche Häre­si­en wird dann in einer „gemein­sa­men Stel­lung­nah­me zum Abschluss des Refor­ma­ti­ons­ge­den­kens“ als segens­rei­che „theo­lo­gi­sche Über­ein­stim­mun­gen“ ausgegeben.

Kardinal Woelki dämpft die schwärmerische Ökumene

Es ist das Ver­dienst von zwei deut­schen Kar­di­nä­len, die­ser römi­schen Luther-Trun­ken­heit eine nüch­ter­ne Refor­ma­ti­ons­ana­ly­se ent­ge­gen­zu­set­zen. Der Köl­ner Erz­bi­schof Rai­ner M. Woel­ki for­mu­lier­te sei­ne kri­ti­schen Ein­wän­de in der Sep­tem­ber­aus­ga­be der Her­der Korrespondenz.

  • Kas­per, Gelan­ti­no und Pani beto­nen stets, dass Luther (in sei­ner katho­li­schen Zeit) kei­ne Kir­chen­spal­tung gewoll­te hät­te. Sein eigent­li­ches „Anlie­gen“ sei eine Kir­chen­re­form gewe­sen. Woel­ki stellt dage­gen Luthers Taten als histo­ri­schen Fakt: 1520 voll­zog der Refor­ma­tor mit sei­nen drei Kampf­schrif­ten den Bruch mit der Kir­che. Er trieb sei­ne Anhän­ger­schaft aus der Kir­che her­aus und orga­ni­sier­te sie in einer neu­ge­grün­de­ten kirch­li­chen Gemeinschaft.
  • Kann allein der Bezug auf die Schrift das Blei­ben in der Wahr­heit und Ein­heit mit Chri­stus gewähr­lei­sten, fragt der Köl­ner Kar­di­nal skep­tisch? Ange­sichts der vie­len Spal­tun­gen des Pro­te­stan­tis­mus lässt sich auf Luthers sola scrip­tura kei­ne Bekennt­nis­ein­heit grün­den – so Woel­kis Fol­ge­rung. Und wei­ter: Luthers Ver­teu­fe­lun­gen und die von Feind­bil­dern, Hass und Krie­gen beglei­te­ten Spal­tun­gen kön­nen unmög­lich als Gaben des Hei­li­gen Gei­stes ver­klärt werden.
  • Auch katho­li­sche Kir­chen­leu­te stim­men viel­fach in den pro­te­stan­ti­schen Cho­ral von der „ver­söhn­ten Ver­schie­den­heit“ ein. Doch „wer die bis­her kon­fes­si­ons­be­grün­den­den Unter­schie­de in wech­sel­sei­tig berei­chern­de Dimen­sio­nen umdeu­tet, darf sich über den Vor­wurf des Eti­ket­ten­schwin­dels nicht wun­dern“. Die Schuld­ge­schich­te der Spal­tun­gen dür­fe man nicht ein­fach in eine Wir­kungs­ge­schich­te der Gna­de umschreiben.
  • Evan­ge­li­sche Chri­sten und Theo­lo­gen betrach­te­ten „das Abend­mahl vor­nehm­lich als Ver­an­schau­li­chung des Wor­tes von der Recht­fer­ti­gung allein aus Gna­de“, an das zu glau­ben „die ein­zi­ge Zulas­sungs­be­din­gung“ dar­stel­len wür­de. An die­sem Punkt zeigt sich, dass die Augs­bur­ger Kon­sen­s­er­klä­rung zur Recht­fer­ti­gung in der Eucha­ri­stie­fra­ge kei­nen Schritt wei­ter bringt. Für Katho­li­ken und Ortho­do­xe sei die Tren­nung von Glau­bens­voll­zug und inhalt­li­chem Glau­bens­be­kennt­nis eben­so unmög­lich wie die Los­lö­sung vom Chri­stus­be­kennt­nis der Kir­chen­ge­mein­schaft und dem Mehr­wert der Sakra­men­ta­li­tät in der Eucharistiefeier.

Kardinal Müller zeigt die häretische Seite der lutherischen Lehre

Noch deut­li­cher kri­ti­siert Kar­di­nal Mül­ler den Luther-Enthu­si­as­mus und die weich­ge­spült Öku­me­ne bei katho­li­schen Kir­chen­leu­ten. Die Ana­ly­sen des ehe­ma­li­gen Lei­ters der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on sind auf einer ita­lie­ni­schen Inter­net­sei­te sowie in der Tages­post Ende Okto­ber publiziert.

  • Mül­ler sieht die Reform­be­mü­hun­gen der Refor­ma­to­ren zunächst im Kon­text von jeweils epo­cha­len katho­li­schen Refor­men seit der Karo­lin­gi­schen Renais­sance bis zu den nach­triden­ti­ni­schen Erneue­run­gen. Doch mit Luthers Behaup­tung, die Kir­che habe „über tau­send Jah­re Glau­bens­irr­tü­mer gelehrt und durch eine fal­sche Sakra­men­ten­leh­re das Heil der Gläu­bi­gen gefähr­det“, war das Band zer­schnit­ten, die Kir­che zum Teu­fel geschickt. Die Refor­ma­ti­on betrieb kei­ne Kir­chen­re­form, son­dern „eine sub­stan­ti­el­le Umfor­mung der Kir­che“, eine „Revo­lu­ti­on“ zur Grün­dung einer ande­ren Kirche.
  • Die „desa­strö­sen Fol­gen der refor­ma­to­ri­schen Bewe­gun­gen“ in Form von immer neu­en Spal­tun­gen, Anfein­dun­gen und Ver­teuf­lun­gen zeig­ten deut­lich, dass die Refor­ma­ti­on „wider den Hei­li­gen Geist“ gesche­hen sei.
  • Der Kar­di­nal ent­wickelt eine luzi­de Kri­tik an der luthe­ri­schen Kern­bot­schaft von der Recht­fer­ti­gungs­leh­re: Luther habe den Glau­ben an die objek­ti­ve Heils­wirk­lich­keit Chri­sti auf einen selbst­re­fle­xi­ven Glau­bens­akt redu­ziert. Bei dem soll der sub­jek­ti­ve Erlö­sungs­glau­be das Heil durch Heils­ge­wiss­heit bewir­ken. Damit wer­de „der Sün­der durch sei­nen Glau­bens­akt gleich­sam sein eige­ner Erlö­ser. Die per­sön­li­che Über­zeugt­heit wird wich­ti­ger als das Fak­tum der rea­len Erlö­sung in Chri­stus“. Von Chri­stus ver­schiebt sich die Glau­bens­mit­te auf „das ICH im Glau­ben bei Mar­tin Luther“ (Paul Hacker).
  • Mül­ler bemän­gelt die unbi­bli­sche Eng­füh­rung von Luthers Fidu­zi­al­glau­ben. Der sei ein Ver­trau­ens­glau­be ohne Kennt­nis und Bekennt­nis der Leh­re, ein Gewiss­heits­glau­be, der kei­ne Hoff­nung braucht und für den die Got­tes- und Näch­sten­lie­be, nach Pau­lus „die größ­te“ der Gna­den­tu­gen­den, irrele­vant sei­en. Die „spi­ri­tu­el­len und theo­lo­gi­schen Gaben der Refor­ma­ti­on“, von der die „Gemein­sa­me Stel­lung­nah­me“ schwärmt, erwei­sen sich als lee­res Stroh.

Text: Hubert Hecker
Bild: MiL

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