Ein Gastkommentar von Hubert Hecker
Ähnlich wie bei der Familiensynode war Kardinal Kasper für die neue römische Lutherbegeisterung Stichwortgeber. In verschiedenen Vor- und Beiträgen resümierte er: Luther hätte Recht gehabt (und die kath. Kirche Unrecht); die Reformation wäre berechtigt gewesen wegen der „Deformation der römischen Kirche“; Luthers Neu-Theologie sei vom Heiligen Geist geleitet worden (der demnach die katholische Lehrtradition verlassen hätte).
In Kaspers Sinne zeigte sich der vom Papst ernannte Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz, Nunzio Galantino, vor einigen Wochen als be-geisterter Luther-Bewunderer: „Die von Luther ausgelöste Reformation“, so sein Resümee bei einer Tagung in der Lateran-Universität, „war ein Ereignis des Heiligen Geistes.“ Der Bischof begründete das mit Luthers Glauben, dass nicht er, sondern „Gottes Wort den Papst gestürzt und die Kirche reformiert“ hätte.
Luther maßte sich allerdings an, dass seine Lehrworte identisch seien mit Christi Wort. Er war überzeugt, dass nach tausend Jahren kirchlich-theologischer Irrtümer er erstmals wieder vom Heiligen Geist inspiriert wäre, wie das Hans Sebald Beham in einem Stich darstellte. Daraus folgerte der Reformator seine eigene Unfehlbarkeit: „Wer meine Lehre nicht annimmt, wird nicht selig.“ Deshalb sah er alle Katholiken in der Hölle verdammt. In diesen Punkten beharrte Luther auf einer „sancta superbia“ (heiligen Überheblichkeit). Den christlich-theologischen ‚Dienstmut’ (Demut) lehnte er ausdrücklich ab.
Bei den römischen Theologen scheint eine naive Luther-Euphorie ausgebrochen zu sein. Die sei gepaart mit „Unkenntnis der Theologie“ des Reformators, wie Kardinal Müller beklagte.
Die Selbstprotestantisierung von Papst Franziskus am lutherischen Zentralort Lund
Ein ranghoher Papstberater, der Jesuit Giancarlo Pani, gab kürzlich in einem Hintergrundgespräch der FAZ (Bericht vom 28. 10.) Einblick in die aktuelle Ökumene-Strategie von Papst Franziskus: Luther soll als „Vater des Glaubens und gemeinsamer Lehrer“ der Kirchen anerkannt werden. Seine Reformanliegen müssten im Sinne einer sich ständig reformierenden Kirche gewürdigt werden. Franziskus – so Pani – „repräsentiert sich nicht mehr als Papst einer allein seligmachenden Kirche, sondern als ‚Bischof von Rom’ und ‚Erster in der Liebe Gottes’“. Sinnfälliger Ausdruck dieses päpstlichen Abschieds vom Alleinstellungsmerkmal als Nachfolger Petri findet sich in der ökumenischen Liturgie vom 31. 10. 2016 im schwedischen Lund. Am Abendmahlstisch der lutherischen Kathedrale legte der Papst alle katholischen Liturgie- und Amtsinsignien ab und präsentierte sich in der gleichen weißen Albe wie der Präsident des Lutherischen Weltbundes und dessen Generalsekretär. Als wenn Franziskus auf seiner Pilgerfahrt zum Gründungsort des LWB mit Schiller sagen wollte: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in euerm Bunde der Dritte“.
Die neue Lund-Liturgie, in der sich der Papst als einfacher Kirchenmann den Vertretern des Lutherischen Weltbundes gleichstellte, scheint eine Strategie der Selbstprotestantisierung anzuzeigen: „Im Rom des Franziskus (…) gesteht man sich ein, dass die katholische Kirche evangelischer geworden“ sei. Der Jesuit Pani ist sich mit dem protestantischen Pastor von Rom, Jens Martin Kruse, einig: Der Papst selbst hätte „ sich zum Anwalt des Reformators“ gemacht. Darum könnte man auch über einen „cammino insieme“ reden. „Denn wir haben dasselbe Anliegen, denselben Weg, dasselbe Ziel“. Kruse ergänzte: Im Wissen um die gemeinsame Schuld an den Reformationswirren „sind wir zur Einheit entschlossen“.
Auf dem „gemeinsamen Weg“ mit den Protestanten gibt Franziskus Stück für Stück die Identität der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche auf. Auch in seiner Theologie vertritt er gelegentlich protestantische Positionen. In einem Predigtwort des Papstes vom „Prahlen mit meinen Sünden“ erkennt man unschwer den lutherischen Sündenstolz, der weder bei Paulus noch in den Evangelien irgendeine Basis hat. Die päpstliche Selbstprotestantisierung beinhaltet eine beängstigende Abschleifung der katholischen Lehre. Das Einschwenken auf lutherische Häresien wird dann in einer „gemeinsamen Stellungnahme zum Abschluss des Reformationsgedenkens“ als segensreiche „theologische Übereinstimmungen“ ausgegeben.
Kardinal Woelki dämpft die schwärmerische Ökumene
Es ist das Verdienst von zwei deutschen Kardinälen, dieser römischen Luther-Trunkenheit eine nüchterne Reformationsanalyse entgegenzusetzen. Der Kölner Erzbischof Rainer M. Woelki formulierte seine kritischen Einwände in der Septemberausgabe der Herder Korrespondenz.
- Kasper, Gelantino und Pani betonen stets, dass Luther (in seiner katholischen Zeit) keine Kirchenspaltung gewollte hätte. Sein eigentliches „Anliegen“ sei eine Kirchenreform gewesen. Woelki stellt dagegen Luthers Taten als historischen Fakt: 1520 vollzog der Reformator mit seinen drei Kampfschriften den Bruch mit der Kirche. Er trieb seine Anhängerschaft aus der Kirche heraus und organisierte sie in einer neugegründeten kirchlichen Gemeinschaft.
- Kann allein der Bezug auf die Schrift das Bleiben in der Wahrheit und Einheit mit Christus gewährleisten, fragt der Kölner Kardinal skeptisch? Angesichts der vielen Spaltungen des Protestantismus lässt sich auf Luthers sola scriptura keine Bekenntniseinheit gründen – so Woelkis Folgerung. Und weiter: Luthers Verteufelungen und die von Feindbildern, Hass und Kriegen begleiteten Spaltungen können unmöglich als Gaben des Heiligen Geistes verklärt werden.
- Auch katholische Kirchenleute stimmen vielfach in den protestantischen Choral von der „versöhnten Verschiedenheit“ ein. Doch „wer die bisher konfessionsbegründenden Unterschiede in wechselseitig bereichernde Dimensionen umdeutet, darf sich über den Vorwurf des Etikettenschwindels nicht wundern“. Die Schuldgeschichte der Spaltungen dürfe man nicht einfach in eine Wirkungsgeschichte der Gnade umschreiben.
- Evangelische Christen und Theologen betrachteten „das Abendmahl vornehmlich als Veranschaulichung des Wortes von der Rechtfertigung allein aus Gnade“, an das zu glauben „die einzige Zulassungsbedingung“ darstellen würde. An diesem Punkt zeigt sich, dass die Augsburger Konsenserklärung zur Rechtfertigung in der Eucharistiefrage keinen Schritt weiter bringt. Für Katholiken und Orthodoxe sei die Trennung von Glaubensvollzug und inhaltlichem Glaubensbekenntnis ebenso unmöglich wie die Loslösung vom Christusbekenntnis der Kirchengemeinschaft und dem Mehrwert der Sakramentalität in der Eucharistiefeier.
Kardinal Müller zeigt die häretische Seite der lutherischen Lehre
Noch deutlicher kritisiert Kardinal Müller den Luther-Enthusiasmus und die weichgespült Ökumene bei katholischen Kirchenleuten. Die Analysen des ehemaligen Leiters der Glaubenskongregation sind auf einer italienischen Internetseite sowie in der Tagespost Ende Oktober publiziert.
- Müller sieht die Reformbemühungen der Reformatoren zunächst im Kontext von jeweils epochalen katholischen Reformen seit der Karolingischen Renaissance bis zu den nachtridentinischen Erneuerungen. Doch mit Luthers Behauptung, die Kirche habe „über tausend Jahre Glaubensirrtümer gelehrt und durch eine falsche Sakramentenlehre das Heil der Gläubigen gefährdet“, war das Band zerschnitten, die Kirche zum Teufel geschickt. Die Reformation betrieb keine Kirchenreform, sondern „eine substantielle Umformung der Kirche“, eine „Revolution“ zur Gründung einer anderen Kirche.
- Die „desaströsen Folgen der reformatorischen Bewegungen“ in Form von immer neuen Spaltungen, Anfeindungen und Verteuflungen zeigten deutlich, dass die Reformation „wider den Heiligen Geist“ geschehen sei.
- Der Kardinal entwickelt eine luzide Kritik an der lutherischen Kernbotschaft von der Rechtfertigungslehre: Luther habe den Glauben an die objektive Heilswirklichkeit Christi auf einen selbstreflexiven Glaubensakt reduziert. Bei dem soll der subjektive Erlösungsglaube das Heil durch Heilsgewissheit bewirken. Damit werde „der Sünder durch seinen Glaubensakt gleichsam sein eigener Erlöser. Die persönliche Überzeugtheit wird wichtiger als das Faktum der realen Erlösung in Christus“. Von Christus verschiebt sich die Glaubensmitte auf „das ICH im Glauben bei Martin Luther“ (Paul Hacker).
- Müller bemängelt die unbiblische Engführung von Luthers Fiduzialglauben. Der sei ein Vertrauensglaube ohne Kenntnis und Bekenntnis der Lehre, ein Gewissheitsglaube, der keine Hoffnung braucht und für den die Gottes- und Nächstenliebe, nach Paulus „die größte“ der Gnadentugenden, irrelevant seien. Die „spirituellen und theologischen Gaben der Reformation“, von der die „Gemeinsame Stellungnahme“ schwärmt, erweisen sich als leeres Stroh.
Text: Hubert Hecker
Bild: MiL