Warum man den Jesuitenorden nicht diskreditieren soll


Der Jesuitenorden, die Gehorsamspflicht, eine Heilsverheißung und der Niedergang
Der Jesuitenorden, die Gehorsamspflicht und ihre Grenzen, eine Heilsverheißung, der Niedergang und Papst Franziskus.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Zu den ver­hee­rend­sten Fol­gen des Pon­ti­fi­kats von Papst Fran­zis­kus gehö­ren zwei, die eng mit­ein­an­der ver­bun­den sind: die erste ist die Ent­stel­lung der typisch christ­li­chen Tugend des Gehor­sams; die zwei­te ist der Miß­kre­dit, in den die Gesell­schaft Jesu [Jesui­ten­or­den] und ihr Grün­der, der hei­li­ge Igna­ti­us von Loyo­la, gebracht werden.

Der Gehor­sam ist eine hohe Tugend, die von allen Theo­lo­gen aner­kannt und von allen Hei­li­gen prak­ti­ziert wird. Sie hat ihr voll­kom­men­stes Vor­bild in Jesus Chri­stus, von dem der hei­li­ge Pau­lus sagt:

„Er war gehor­sam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz!“ (Phil 2, 8).

Gehor­sam sein bedeu­tet, in Chri­stus sein (2 Kor 2, 9) und das Evan­ge­li­um ganz leben (Röm 10, 16; 2 Tess 1, 8). Des­halb haben die Väter und die Kir­chen­leh­rer den Gehor­sam als Bewah­rer und Mut­ter aller Tugen­den bezeich­net (Augu­sti­nus, De Civ. Dei, Liber XIV, c. 12).

Ignatius von Loyola, 1537 Gründer des Ordens, der 1540 anerkannt wurde (Ordensgeneral 1541-1556)
Igna­ti­us von Loyo­la, 1537 Grün­der des Ordens, der 1540 aner­kannt wur­de (Ordens­ge­ne­ral 1541–1556)

Das Fun­da­ment des Gehor­sams ist die Unter­ord­nung unter die Obe­ren, weil sie die Auto­ri­tät Got­tes reprä­sen­tie­ren. Sie reprä­sen­tie­ren die­se Auto­ri­tät, weil und sofern sie das gött­li­che Gesetz bewah­ren und anwen­den. Die­ses gött­li­che Gesetz steht über der mensch­li­chen Macht, die jene aus­üben, deren Auf­ga­be es ist, für sei­ne Ein­hal­tung zu sor­gen. Der Gehor­sam stellt für einen Ordens­mann sogar die höch­ste mora­li­sche Tugend dar (Sum­ma theo­lo­gi­ca 2–2ae, q. 186, aa. 5, 8). Man sün­digt aber gegen die­se Tugend nicht nur durch Unge­hor­sam, son­dern auch durch Unter­wür­fig­keit und die Anpas­sung an Ent­schei­dun­gen der Obe­ren, die offen­kun­dig unge­recht sind.

Die Ent­stel­lung des Gehor­sams erfolgt, unter dem Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus, wenn die Bischö­fe oder der Papst selbst ihre Auto­ri­tät miß­brau­chen, indem sie von den Gläu­bi­gen eine unter­wür­fi­ge Unter­ord­nung unter Doku­men­te ver­lan­gen, die zur Häre­sie oder zur Unmo­ral ver­lei­ten. Sol­che pasto­ra­len Anwei­sun­gen kön­nen nicht akzep­tiert werden.

Dadurch besteht aber auch die Ver­su­chung, für jene, die in die­ser ver­wir­ren­den Situa­ti­on treu im Glau­ben ver­har­ren wol­len, nicht nur die miß­bräuch­li­che Aus­übung der Auto­ri­tät in Fra­ge zu stel­len, son­dern die Auto­ri­tät an sich. Dies wird durch eine gewis­se psy­cho­lo­gi­sche Nei­gung zum Anar­chis­mus begün­stigt, durch die jene geprägt siind, die nach 1968 gebo­ren wur­den. Durch die Gering­schät­zung der Auto­ri­tät geht auch die Bedeu­tung der Tugend des Gehor­sams ver­lo­ren, mit schwer­wie­gen­den Schä­den für das geist­li­che Leben.

Aus die­ser Per­spek­ti­ve wird den Jesui­ten manch­mal eine Schuld ange­la­stet, wie die Ein­füh­rung eines über­zo­ge­nen und vol­un­t­a­ri­sti­schen Gehor­sams­ver­ständ­nis­ses in die Kir­che, die sie nicht trifft. Man zitiert dazu die Auf­for­de­rung des hei­li­gen Igna­ti­us von Loyo­la zu „blin­dem Gehor­sam“, über­sieht dabei aber die Bedeu­tung, die der Grün­der der Gesell­schaft Jesu die­ser Tugend zuschreibt. Das Wort „blind“ legt näm­lich Irra­tio­na­li­tät nahe, doch der hei­li­ge Igna­ti­us war unter den Hei­li­gen gera­de ein Mei­ster der Ratio­na­li­tät. Sei­ne Geist­li­chen Exer­zi­ti­en sind ein Mei­ster­werk der Logik, die auf der Anwen­dung des Grund­sat­zes vom aus­ge­schlos­se­nen Wider­spruch auf den geist­li­chen und mora­li­schen Bereich des Exer­zit­an­ten gründen.

Die Behaup­tung von Wil­helm von Ock­ham, daß alles rich­tig sei, was Gott anord­net, aber Gott auch Unrecht anord­nen kön­ne (iustum quia iuss­um), leg­te die Fun­da­men­te zum Vol­un­t­a­ris­mus Luthers, zu dem das Igna­tia­ni­sche Ver­ständ­nis die Anti­the­se dar­stellt. Der blin­de Gehor­sam, den der hei­li­ge Igna­ti­us meint, wäre irra­tio­nal, wenn er von der Ver­nunft los­ge­löst wäre. Die­se bil­det aber, wie der Hei­li­ge betont, viel­mehr des­sen Vor­aus­set­zung, weil er das Ergeb­nis einer gründ­li­chen und abge­wo­ge­nen Refle­xi­on ist (Monu­men­ta Igna­tia­na, Gabri­el Lopez del Hor­no, Madrid 1903ff, 4, S. 677ff).  Der Igna­tia­ni­sche Gehor­sam hat nichts mit dem Vol­un­t­a­ris­mus zu tun, gera­de weil er auf der Logik und dem Respekt gegen­über einem objek­ti­ven gött­li­chen und natür­li­chen Gesetz grün­det, dem sich der Vor­ge­setz­te unter­zu­ord­nen hat.

Der hei­li­ge Igna­ti­us behan­delt den Gehor­sam in den Kon­sti­tu­tio­nen der Gesell­schaft, im Brief über den Gehor­sam, den er am 26. März 1553 an die Jesui­ten Por­tu­gals rich­te­te, und in zahl­rei­chen ande­ren Brie­fen, wie jenen an die Scho­la­sti­ker von Coim­bra, die Gemein­schaft von Gan­dia, die Jesui­ten von Rom, an Andrés Ovie­do und an Pater Urba­no Fer­nan­dez. In die­sen Doku­men­ten erklärt er gut, daß und wel­che kla­ren Gren­zen der Gehor­sam hat: die Sün­de und der offen­sicht­li­che Wider­spruch. In den Kon­sti­tu­tio­nen, zum Bei­spiel, erklärt der hei­li­ge Igna­ti­us, daß die Jesui­ten dem Obe­ren „in allen Din­gen, in denen kei­ne Sün­de ist“ (Nr. 284) gehor­chen müs­sen; „in allen Din­gen, die der Obe­re anord­net und in denen man kei­ne Art von Sün­de aus­ma­chen kann“ (Nr. 547); in allen Din­gen, „in denen kei­ne Sün­de erkenn­bar ist“ (Nr. 549). Wenn also die Anord­nung des Obe­ren zur Sün­de ver­führt, muß sie zurück­ge­wie­sen wer­den. Natür­lich sind damit sowohl Tod­sün­de als auch läß­li­che Sün­de gemeint und sogar die Gele­gen­heit zur Sün­de, wenn der­je­ni­ge sich dar­in sub­jek­tiv sicher ist, der sich einem unge­rech­ten Befehl gegenübersieht.

Neben den Gren­zen, die dem Gehor­sam wil­lent­lich durch die Sün­de gesetzt sind, gibt es auch jene, die vom Urteil abhän­gen, wie aus dem Brief an die Jesui­ten von Coim­bra vom 14. Janu­ar 1548 her­vor­geht. Dar­in führt der Grün­der der Gesell­schaft aus, daß der Gehor­sam nur bis dahin gilt, wo er etwas betrifft, was Sün­de ist oder was offen­kun­dig als falsch erkannt wird (MI, I, 1, S. 690). Die­se Ein­schrän­kun­gen fin­den sich auch in der Gehor­sams­char­ta, in der der Jesu­it zum Gehor­sam auf­ge­for­dert wird „in vie­len Din­gen, in denen ihn nicht die Offen­sicht­lich­keit der bekann­ten Wahr­heit zwingt“ (MI, I, 4, S. 674). Pater Car­los Pal­més de Geno­ver SJ, der die­ses The­ma stu­dier­te, schrieb:

„Es ist klar, daß die Offen­sicht­lich­keit des Gegen­teils eine natür­li­che Beschrän­kung des Gehor­sams dar­stellt wegen der psy­cho­lo­gi­schen Unmög­lich­keit, die eige­ne Zustim­mung zu dem zu geben, was sich als offen­sicht­lich falsch zeigt“ (La obe­dien­cia reli­gio­sa igna­cia­na, Euge­nio Subi­ra­na, Bar­ce­lo­na 1963, S. 239).

Wenn die Gren­zen des Gehor­sams durch die Sün­de mora­li­scher Natur ist, so ist sie durch die Offen­sicht­lich­keit psy­cho­lo­gi­scher Natur. Der Gehor­sam ist also unter bestimm­ten Bedin­gun­gen „blind“, aber nie irrational.

Wenn das Offen­sicht­li­che zeigt, daß ein päpst­li­ches Doku­ment wie Amo­ris lae­ti­tia die Sün­de begün­stigt, kann ein wah­rer Sohn des hei­li­gen Igna­ti­us gar nicht anders, als es abzu­leh­nen. Die Tat­sa­che, daß es gera­de ein Sohn des hei­li­gen Igna­ti­us ist, der die­ses Doku­ment her­aus­ge­ge­ben hat, bedeu­tet nicht, daß Papst Berg­o­glio das Ergeb­nis der Igna­tia­ni­schen Spi­ri­tua­li­tät ist, son­dern beweist viel­mehr die Gül­tig­keit des Sinn­spruchs cor­rup­tio opti­mi pes­si­ma.

Franz von Borja (Ordensgeneral 1565-1572)
Franz von Bor­ja (Ordens­ge­ne­ral 1565–1572)

Die intel­lek­tu­el­le und mora­li­sche Ent­ar­tung der Gesell­schaft Jesu in den ver­gan­ge­nen fünf­zig Jah­ren darf nicht ihre außer­ge­wöhn­li­chen Ver­dien­ste in der Ver­gan­gen­heit ver­ges­sen machen. Zwi­schen der pro­te­stan­ti­schen und der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on bil­de­ten die Jesui­ten den unüber­wind­ba­ren Wall, den die Vor­se­hung gegen die Fein­de der Kir­che errich­tet hat­te. Der Damm brach 1773, als aus­ge­rech­net ein Papst, Cle­mens XIV., die Gesell­schaft Jesu auf­hob und die Kir­che ihrer besten Ver­tei­di­ger beraubte.

Pater Jac­ques Ter­ri­en leg­te eine gründ­li­che histo­ri­sche Stu­die über eine Über­lie­fe­rung vor, die auf die Früh­zeit der Gesell­schaft zurück­geht, laut der die Bewah­rung der Beru­fung inner­halb des vom hei­li­gen Igna­ti­us gegrün­de­ten Ordens das siche­re Heils­pfand sei (Recher­ches histo­ri­ques sur cet­te tra­di­ti­on que la mort dans la Com­pa­gnie de Jésus est un gage cer­tain de pré­de­sti­na­ti­on, Oudin, Paris 1883). Unter den zahl­rei­chen Zeug­nis­sen, die der Ordens­mann anführt, von den Bol­lan­di­sten bis zur hei­li­gen Tere­sa von Avila, ist vor allem eine Offen­ba­rung von beson­de­rem Inter­es­se, die der hei­li­ge Franz von Bor­ja, der Gene­ral­obe­re des Ordens, 1569 hatte.

„Gott hat mir geof­fen­bart, daß für den Zeit­raum von 300 Jah­ren kei­ner von denen, die in der Gesell­schaft gelebt haben, leben oder leben wer­den und in ihr ster­ben, ver­dammt wird. Das ist die­sel­be Gna­de, die bereits dem Orden des hei­li­gen Bene­dikt gewährt wur­de“ (Ter­ri­en, s.o., S. 21f).

Da die Jesui­ten 1540 gegrün­det wur­den, galt das Heils­pri­vi­leg, für jene, die in der Gesell­schaft gestor­ben sind, bis 1840, wäh­rend die fol­gen­den Gene­ra­tio­nen davon aus­ge­nom­men sind. Und tat­säch­lich beginnt in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts der lang­sa­me Ver­fall des vom hei­li­gen Igna­ti­us gegrün­de­ten Ordens, wenn auch mit vie­len Aus­nah­men. Die­ser Ver­fall fand sei­nen viel­sa­gen­den Aus­druck in den Jah­ren des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils, in denen der Jesu­it Karl Rah­ner eine ent­schei­den­de Rol­le spiel­te, und vor allem in den dar­auf­fol­gen­den Jah­ren unter der Lei­tung von Pater Arru­pe, als die Jesui­ten unter ver­schie­den­sten For­men in Latein­ame­ri­ka die Befrei­ungs­theo­lo­gie för­der­ten. Heu­te schürt ein Jesui­ten-Papst, der in der Schu­le der Befrei­ungs­theo­lo­gie geformt wur­de, die Kri­se in der Kirche.

Um gegen eine miß­bräuch­lich aus­ge­üb­te Auto­ri­tät stand­zu­hal­ten, erbit­ten wir die Für­spra­che und Hil­fe jener hei­li­gen Jesui­ten, die in ihren Schrif­ten oder ihrem Lebens­zeug­nis die Gren­zen des Gehor­sams auf­ge­zeigt haben: vom hei­li­gen Robert Bell­ar­min, der ermahn­te, daß die regu­la fidei nicht im Obe­ren, son­dern in der Kir­che ist, bis zum seli­gen Miguel Pro, der vor 90 Jah­ren, am 23. Novem­ber 1927, das Mar­ty­ri­um erlitt, weil er der frei­mau­re­ri­schen Regie­rung Mexi­kos wider­stan­den hat.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt erschie­nen: Vica­rio di Cri­sto. Il pri­ma­to di Pie­tro tra nor­ma­li­tà  ed ecce­zio­ne (Stell­ver­tre­ter Chri­sti. Der Pri­mat des Petrus zwi­schen Nor­ma­li­tät und Aus­nah­me), Vero­na 2013; in deut­scher Über­set­zung zuletzt: Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, Rup­picht­eroth 2011.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL

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