Trump nominiert Neil Gorsuch als Höchstrichter – Harter Kampf wegen Abtreibung angekündigt – Hintergründe einer Nominierung


Bundesrichter Neil Gorsuch wurde gestern von US-Präsident Donald Trump für die Nachfolge von Antonin Scalia als Höchstrichter nominiert. Die Demokraten kündigen einen harten Kampf an, bei dem es vor allem um die Abtreibung gehen wird.
Bundesrichter Neil Gorsuch wurde gestern von US-Präsident Donald Trump für die Nachfolge von Antonin Scalia als Höchstrichter nominiert. Die Demokraten kündigen einen harten Kampf an, bei dem es vor allem um die Abtreibung gehen wird.

(Washing­ton) US-Prä­si­dent Donald Trump nomi­nier­te gestern abend den Juri­sten Neil McGill Gor­such als Rich­ter am Ober­sten Gerichts­hof der USA. Die Ernen­nung eines neu­en Rich­ters wur­de durch den Tod von Höchst­rich­ter Anto­nin Sca­lia not­wen­dig. Sca­lia war am 13. Febru­ar 2016 kurz vor sei­nem 80. Geburts­tag gestor­ben. Die Neu­be­set­zung kün­digt sich als har­ter Macht­kampf zwi­schen Repu­bli­ka­nern und Demo­kra­ten an, bei dem es vor allem um das The­ma Abtrei­bung geht.

Neun Richter auf Lebenszeit

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Der Ober­ste Gerichts­hof der USA nimmt die Auf­ga­ben eines Ver­fas­sungs­ge­richts wahr. Die neun Rich­ter wer­den auf Lebens­zeit ernannt. In den frü­hen 70er Jah­ren gab es ein deut­li­ches Über­ge­wicht an Rich­tern, die der poli­ti­schen Lin­ken (Libe­rals) nahe­stan­den. Die repu­bli­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Rea­gan und Bush ver­scho­ben durch Neu­be­set­zun­gen die Ach­se nach rechts (Con­ser­va­ti­ves), ohne jedoch eine wirk­li­che Trend­um­kehr zu schaffen.

Ein US-Prä­si­dent hat in einer vier­jäh­ri­gen, maxi­mal acht­jäh­ri­gen Amts­zeit nur sel­ten Gele­gen­heit, einen Höchst­rich­ter zu nomi­nie­ren. Ihm steht zwar das allei­ni­ge Nomi­nie­rungs­recht zu, doch braucht er die Zustim­mung von min­de­stens 60 der 100 Sena­to­ren. Kei­ne der bei­den Par­tei­en ver­füg­te seit 1979 über eine sol­che Mehr­heit. Die Demo­kra­ten hat­ten sie zuletzt in der Legis­la­tur­pe­ri­ode 1977–1979, eben­so durch­ge­hend im Jahr­zehnt 1959–1969, was dazu bei­trug, daß 1973 der Fall Roe gegen Wade zugun­sten der Abtrei­bung ent­schie­den wurde.

Die Repu­bli­ka­ner ver­fü­gen in der soeben begon­ne­nen Legis­la­tur­pe­ri­ode über 52 Sena­to­ren. Prä­si­dent Trump braucht daher die Zustim­mung von min­de­stens acht demo­kra­ti­schen Sena­to­ren, um Neil Gor­such an den Ober­sten Gerichts­hof zu brin­gen. Das ist nicht aus­ge­schlos­sen, aber alles ande­re als ein Spa­zier­gang. Füh­ren­de Demo­kra­ten kün­dig­ten bereits einen har­ten Kampf um das Höchst­ge­richt an. Wenn sich nicht aus­rei­chend demo­kra­ti­sche Stim­men fin­den, ist der Prä­si­dent gezwun­gen, Kom­pro­miß­kan­di­da­ten vor­zu­schla­gen, bis einer die nöti­ge Mehr­heit bekommt. Kom­pro­miß­kan­di­da­ten bedeu­ten, daß sie in den ent­schei­den­den, umkämpf­ten The­men „gemä­ßig­te­re“ Posi­tio­nen ein­neh­men. Die US-Ver­fas­sung ist in die­sem heik­len Bereich auf Kon­sens ausgerichtet.

Gorsuch ersetzt Scalia: Keine Änderung der Mehrheitsverhältnisse

Da der Katho­lik Anto­nin Sca­lia zur kon­ser­va­ti­ven Min­der­heit am Höchst­ge­richt gehör­te, steht der Prä­si­dent etwas unter Zeit­druck. Durch Sca­li­as Tod hat sich die Ach­se im Rich­ter­se­nat deut­li­cher nach links ver­scho­ben. Mit der Nomi­nie­rung von Gor­such füllt Trump nur den frei­ge­wor­de­nen Platz eines kon­ser­va­ti­ven Rich­ters auf. Damit kann er noch nicht Hand an eine mög­li­che Gewichts­ver­schie­bung nach rechts legen.

Sitz des Obersten Gerichtshofs in Washington
Sitz des Ober­sten Gerichts­hofs in Washington

Die an Jah­ren, aber nicht an Dienst­jah­ren älte­ste Rich­te­rin ist die 1933 gebo­re­ne Ruth Bader Gins­burg. Die jüdi­sche Rich­te­rin gilt als Links­au­ßen im Rich­ter­se­nat. Im Kampf zur Durch­set­zung der „Homo-Ehe“ war Bader Gins­burg aktiv betei­ligt, indem sie 2013 demon­stra­tiv ein Homo-Paar trau­te. Im Juni 2015 stimm­te sie dann im Ober­sten Gerichts­hof für die bun­des­wei­te Lega­li­sie­rung der „Homo-Ehe“. Bader Gins­burg wur­de von Bill Clin­ton nomi­niert und gehört seit 1993 dem Ober­sten Gerichts­hof an.

Dienst­äl­te­ster Rich­ter ist Antho­ny Ken­ne­dy, Klas­se 1936. Seit 1988 im Amt ist er der ein­zi­ge noch amtie­ren­de Rich­ter, der von Ronald Rea­gan ernannt wur­de. Den­noch stimmt der Katho­lik Ken­ne­dy, der als „Gemä­ßig­ter“ bezeich­net wird, in gesell­schafts­po­li­ti­schen Fra­gen meist mit der lin­ken Frak­ti­on. Erst wenn die Sit­ze von Bader Gins­burg oder Ken­ne­dy neu zu beset­zen sind, wür­den sich Trump gestal­te­ri­sche Mög­lich­kei­ten eröff­nen. Es ist aller­dings nicht gesagt, daß es in sei­ner vier­jäh­ri­gen Amts­zeit dazu kommt.

„Exzellenter Jurist mit einwandfreiem Lebenslauf“ und Protestant

Trump hat unter­des­sen sein Wahl­ver­spre­chen gehal­ten und mit Neil Gor­such einen Lebens­recht­ler nomi­niert. Ob Gor­such tat­säch­lich Höchst­rich­ter wird, hängt von zahl­rei­chen, der­zeit nicht abseh­ba­ren Fak­to­ren ab, die Gegen­stand von Ver­hand­lun­gen hin­ter den Kulis­sen sein wer­den. Das wur­de bereits bei der Nomi­nie­rung deut­lich. Trump bestand gestern nicht auf der inhalt­li­chen Über­ein­stim­mung von Gor­suchs Posi­tio­nen mit jenen von Mil­lio­nen US-Wäh­lern, die dem neu­en US-Prä­si­den­ten ihre Stim­me gera­de auch wegen des­sen Zusa­ge gege­ben haben, eine Rich­tungs­än­de­rung am Höchst­ge­richt her­bei­zu­füh­ren und die vie­len US-Ame­ri­ka­ner auf­sto­ßen­de lin­ke Mehr­heit zu kip­pen. Trump beharr­te auch nicht auf der Kon­ti­nui­tät zwi­schen Anto­nin Sca­lia und Gor­such. Er beton­te hin­ge­gen die Aus­sa­ge­kraft von Gor­suchs ein­wand­frei­em Lebens­lauf als exzel­len­ter Jurist, der „über jeden Ver­dacht erha­ben ist“, so Trump.

Der 49jährige Epi­skopa­lia­ner Neil Gor­such ist ein Jesui­ten­zög­ling. Er stu­dier­te an der Colum­bia Uni­ver­si­tät, in Har­vard und in Oxford. Er gehört der­sel­ben Har­vard-Abschluß­klas­se (1991) wie Oba­ma an. Trump sprach aus­führ­lich über Gro­suchs Kom­pe­tenz, Inte­gri­tät und Stren­ge. Der US-Prä­si­dent ver­wies auch auf die tat­säch­lich bemer­kens­wer­te Tat­sa­che, daß es rund um die Per­son Gor­such kei­ne Kon­tro­ver­sen und Pole­mi­ken gibt, von denen die Kar­rie­re ande­rer Rich­ter beglei­tet sind. 2006 wur­de die Ernen­nung von Gor­such zum Bun­des­rich­ter, eine Sel­ten­heit, auch von den demo­kra­ti­schen Sena­to­ren ein­stim­mig unter­stützt. Der­zeit ist der Ober­ste Gerichts­hof nur mit Juden (3) und Katho­li­ken (5) besetzt. Mit Gor­such erfüllt Trump eine von evan­ge­li­ka­ler Sei­te vor­ge­brach­te For­de­rung, wie­der einen Pro­te­stan­ten zu berufen.

Demokraten kündigen Kampf um das Höchstgericht an

Die Richter des Obersten Gerichtshofes der USA. Der Senat besteht seit dem Tod von Anton Scalia (1. Reihe, 2.v.l.) nur aus acht Richtern.
Die Rich­ter des Ober­sten Gerichts­ho­fes der USA. Der Senat besteht seit dem Tod von Anton Sca­lia (1. Rei­he, 2.v.l.) nur aus acht Richtern.

Trumps Bera­ter­team scheint genau gesucht zu haben. Eini­ge ande­re Kan­di­da­ten, etwa Wil­liam Pry­or, den Justiz­mi­ni­ster Jeff Ses­si­ons, ein über­zeug­ter Lebens­schüt­zer, bevor­zugt hät­te, wur­den als „zu ideo­lo­gisch“ wie­der aus­ge­schie­den, weil kaum Aus­sich­ten bestan­den, die nöti­gen demo­kra­ti­schen Stim­men zu fin­den. Die Nomi­nie­rung von Gor­such macht es den Demo­kra­ten hin­ge­gen schwie­rig, ihren ange­kün­dig­ten Wider­stand durch­zu­zie­hen, ohne der eige­nen Glaub­wür­dig­keit zu scha­den. Gor­such beharr­te bei der gest­ri­gen Vor­stel­lung auf sei­nem juri­sti­schen Bekennt­nis, sich strikt an den Wort­laut der Ver­fas­sung und der Geset­ze zu hal­ten. Er erteil­te jedem rich­ter­li­chen Akti­vis­mus eine Absa­ge, wie er hin­ge­gen für man­che lin­ke Rich­ter in den USA wie in Euro­pa typisch gewor­den ist. Gor­such war es dann auch, der Anto­nin Sca­lia die Reve­renz erwies.

Unter nor­ma­len Bedin­gun­gen müß­te ein Kan­di­dat wie Gor­such mit einem Lächeln auf den Lip­pen die Bestä­ti­gung durch den Senat erhl­ten. Doch die „nor­ma­len“ Zei­ten sind längst vor­bei, und das nicht erst seit Donald Trump gewählt wur­de, wie eine gewis­se lin­ke Mythen­bil­dung glau­ben machen möch­te. Die Nor­ma­li­tät ging durch schwer­wie­gen­de gesell­schafts­po­li­ti­sche Ein­schnit­te ver­lo­ren, deren erster das Abtrei­bungs­ur­teil Roe gegen Wade war. Der gesell­schafts­po­li­ti­sche Kon­flikt ver­schärf­te sich unter Bill Clin­ton und wur­de unter Barack Oba­ma zum offe­nen Kampf, wie ihn in Euro­pa in die­ser Radi­ka­li­tät zuletzt nur Frank­reichs Sozia­li­sten betrieben.

Gorsuchs Bekenntnis zum Lebensrecht – Planned Parenthood „besorgt“

Die Demo­kra­ten sto­cher­ten in Gor­suchs Anwalts­tä­tig­keit her­um, die er zehn Jah­re aus­ge­übt hat­te, ohne wirk­lich Brauch­ba­res zu fin­den. So bleibt die Abtrei­bung das ent­schei­den­de Kampf­feld. In sei­ner rich­ter­li­chen Lauf­bahn muß­te er nie direkt über die Abtrei­bungs­fra­ge urtei­len. Sei­ne Hal­tung zum Lebens­recht unge­bo­re­ner Kin­der ist daher sei­nen nicht-juri­sti­schen Äuße­run­gen zu ent­neh­men, etwa sei­nem Buch „The Future of Assi­sted Sui­ci­de and Eutha­na­sia“. Dar­in legt er ein ein­deu­ti­ges Bekennt­nis zum Wert des mensch­li­chen Lebens ab: „Ein Men­schen­le­ben ist grund­le­gend und intrin­sisch mit einem Wert aus­ge­stat­tet“ und „einem Men­schen das Leben zu neh­men, ist immer falsch“. Gor­such weist im Zusam­men­hang mit dem Lebens­recht auch Hin­wei­se auf das Selbst­be­stim­mungs­recht und den Vor­rang des eige­nen Wil­lens zurück.

Ceci­le Richards, die Vor­sit­zen­de des welt­größ­ten Abtrei­bungs­kon­zerns Plan­ned Paren­thood, zeig­te sich daher „besorgt“ über Gor­suchs Nomi­nie­rung. Er brin­ge eine „alar­mie­ren­de Geschich­te der Inter­fe­ren­zen mit den repro­duk­ti­ven und gesund­heit­li­chen Rech­ten“ mit sich. Umge­kehrt ist Gor­such eini­gen Lebens­recht­lern zu wenig ein­deu­tig. Andy Schlaf­ly, der Vor­sit­zen­de des Legal Cen­ter für Defen­se of Life, wirft ihm vor, in sei­nen Tex­ten über die Abtrei­bung die Ter­mi­no­lo­gie der Abtrei­bungs­be­für­wor­ter ver­wen­det zu haben, um Abtrei­bung zu benen­nen, wäh­rend er die „unge­bo­re­nen Kin­der“ nicht erwähnt habe.

Änderung der Nominierungsregeln?

Nun muß die Nomi­nie­rung von Gor­such zunächst in den Justiz­aus­schuß des Senats, was ange­sichts der repu­bli­ka­ni­schen Mehr­heit kein Pro­blem dar­stel­len wird. Dann aller­dings folgt die Abstim­mung im Ple­num. Die Repu­bli­ka­ner basteln hin­ter den Kulis­sen an der nöti­gen Mehr­heit von 60 Stim­men. Ent­spre­chen­de Füh­ler und Kon­takt­auf­nah­men zu demo­kra­ti­schen Sena­to­ren, die für das Lebens­recht offen sind, wur­den bereits aus­ge­streckt. Die Prä­si­den­ten­mehr­heit hat auch noch eine „Not­waf­fe“ zur Ver­fü­gung. Sie könn­te, soll­te es hart auf hart kom­men, auf die „nuclear opti­on“ zurück­grei­fen. Mit ihr könn­te in den Ent­schei­dungs­pro­zeß ein­ge­grif­fen wer­den. Die­se Opti­on gilt in den USA jedoch als unpo­pu­lär und wur­de in der Ver­gan­gen­heit vor allem von den Repu­bli­ka­nern abge­lehnt. Aller­dings kann Trumps Par­tei auf den Prä­ze­denz­fall von 2013 ver­wei­sen, als die Demo­kra­ten davon Gebrauch mach­ten, um die Spiel­re­geln zu ändern und die not­wen­di­ge Senats­mehr­heit zur Bestä­ti­gung von Nomi­nie­run­gen des Prä­si­den­ten (damals Oba­ma) zu sen­ken. Seit­her braucht es für Ernen­nun­gen nur mehr der Zustim­mung einer ein­fa­chen Senats­mehr­heit. Nur bei der Beru­fung von Höchst­rich­tern lie­ßen die Demo­kra­ten die alte Rege­lung auf­recht. Trump deu­te­te des­halb bereits an, daß „auch wir“ die Regeln ändern könn­ten. Eine repu­bli­ka­ni­sche Sena­to­rin, Susan Coll­ins, erklär­te aller­dings, eine sol­che Vor­gangs­wei­se nicht zu unterstützen.

Der demo­kra­ti­sche Min­der­heits­füh­rer, Chuck Schu­mer, gab gestern die Linie sei­ner Par­tei vor. Er habe „ernst­haf­te Zwei­fel“, daß Gor­such die nöti­gen Vor­aus­set­zun­gen für das Amt eines Höchst­rich­ters mit­brin­ge. Er habe als Anwalt gro­ße Kon­zer­ne gegen Arbei­ter ver­tre­ten. Schu­mer fand damit ein­hel­li­ge Zustim­mung beim lin­ken Flü­gel der Demo­kra­ten. Erwar­tungs­ge­mäß leh­nen auch die Krei­se, von denen die Stra­ßen­pro­te­ste gegen Trump orga­ni­siert wer­den, die Nomi­nie­rung von Gor­such ab. Murs­hed Zaheed, der Chef der lin­ken Grup­pe CREDO, die sich unter ande­rem für eine „Will­kom­mens­kul­tur“ ein­setzt, tön­te bereits: „Falls ein demo­kra­ti­scher Sena­tor einer Nomi­nie­rung von Trump für das Höchst­ge­richt zustimmt, wird er als Kol­la­bo­ra­teur gebrandmarkt.“

Die Beset­zung der Sca­lia-Nach­fol­ge wird das poli­ti­sche Geschick Trumps zei­gen. Davon und von der näch­sten Höchst­rich­ter­er­nen­nung wird es abhän­gen, ob es wäh­rend sei­ner Amts­zeit tat­säch­lich zur ange­kün­dig­te „Wen­de“ für das Leben und gegen die Abtrei­bung kom­men kann. Durch das Urteil Roe gegen Wade wur­de 1973 durch den Ober­sten Gerichts­hof die Abtrei­bung ein­ge­führt. Nur der Ober­ste Gerichts­hof kann die­ses Urteil überwinden.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL (Screen­shot)

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