von Roberto de Mattei*
(Turin) Vom kommenden 19. April bis 24. Juni 2015 wird in Turin das Grabtuch Christi, die Sacra Sindone öffentlich ausgestellt. Bereits fünf Jahre nach der jüngsten Ausstellung, werden die Pilger erneut das Heilige Leinentuch im Dom von Turin verehren können. Anlaß ist der 200. Jahrestag der Geburt des heiligen Johannes Bosco. Die nächste Möglichkeit, das Grabtuch zu sehen, dürfte sich erst 2025 ergeben.
Die Sacra Sindone ist das Leichentuch, in dem der Leichnam Unseres Herrn Jesus Christus im Grab eingewickelt war. Die synoptischen Evangelien erinnern daran (Markus 13,46; Matthäus 27,59; Lukas 23,53). Ebenso das Johannesevangelium, das von einem „soudarion“ spricht. Es handelt sich nicht um eine einfache „Ikone“, eines der zahllosen „Bildnisse“ Unseres Herrn Jesus Christus, die über die ganze Welt verstreut sind, sondern um eine authentische Reliquie, die kostbarste der Christenheit, vor der im Laufe der Jahrhunderte Päpste, Heilige und Millionen einfacher Gläubiger gebetet haben.
Erfindung der Photographie hob einen Schleier des Geheimnisses
Die Erfindung der Photographie hob einen Schleier, der auf dem Geheimnis des Grabtuchs lag und für fast 2000 Jahre seinen Inhalt vor aller Augen verborgen hielt. Die gesamte Gestalt des Erlösers in voller Lebensgröße ist dem Leinentuch eingeprägt und zeigt sich dem Betrachter wie das Negativ einer Photographie. Sie weist eine Vielzahl von Details auf, die kein Maler sich je denken und schon gar nicht malen hätte können, ohne exakt den photographischen Prozeß bis in alle Einzelheiten zu kennen.
Der Mann auf dem Grabtuch, der Christus ist, zeigt an sich das ganze Drama der Leidensgeschichte. Die Exaktheit des Evangeliums als historischer Tatsachenbericht, was die Geißelung, die Dornenkrone, die Kreuzigung, die Seitenwunde Unseres Herrn anbelangt, wird durch das Grabtuch auf ganz außerordentliche Weise bewiesen. Die dem Grabtuch eingeprägte Darstellung bestätigt die Prophetie des Jesaja: „Vom Kopf bis zum Fuß kein heiler Fleck, / nur Beulen, Striemen und frische Wunden, sie sind nicht ausgedrückt, nicht verbunden, / nicht mit Öl gelindert“ (Jes 1,6).
Dem Leiden einen Sinn geben
Warum dieses Leiden? Unser Glauben lehrt uns, daß Jesus in die Welt gekommen ist, um uns von der Sünde Adams zu erlösen, durch die alle physischen und moralischen Übel des Universums in die Welt gekommen sind. „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten“, schreibt der Apostel Paulus (Röm 5,12). Seither wird der Menschen unter Schmerzen geboren und lebt und stirbt unter Schmerzen. Doch die gesamte leidende Menschheit wurde von Jesus Christus freigekauft. Das Grabtuch von Turin erinnert uns, daß das Leben des Menschen wegen des Sündenfalls Leiden ist, daß aber alles Leiden von dem getragen wurde, der ohne Sünde war. In Ihm können wir die Antwort für unser Leiden finden.
Nichts erhebt den Menschen mehr als das aus freien Stücken angenommene und mutig erduldete Leiden. Einer der größten Trugschlüsse des Lebens besteht darin, zu meinen, man könne glücklich werden, indem man dem Leiden ausweicht. In Wirklichkeit ist der Mensch, der nicht leidet unglücklich, weil er ohne jene Freude bleibt, die aus dem Umstand wächst, dem eigenen Leiden einen Sinn zu geben. Die nicht vernunftbegabten Kreaturen leiden, ohne ihrem Leiden einen Sinn geben zu können. Der Mensch hingegen kann aufgrund seiner Intelligenz erfassen, daß der Schmerz eine Folge der Sünde, der Ursünde und aktueller Sünden ist, und daß er diesem Schmerz einen Sinn geben kann um die Sünde in Einheit mit Christus wiedergutzumachen und zu sühnen.
Grabtuch ist wahres Abbild des Gott-Menschen – Im Leiden schauen wir auf ihn
Das Grabtuch, das wahre Bildnis des Gott-Menschen lehrt uns auch, wie leiden. In den Momenten der Sorge und des physischen und moralischen Schmerzes schauen wir auf den Mann des Grabtuchs. Sein Äußeres ist entstellt, doch was am meisten und bis ins Innerste berührt, ist der Kontrast zwischen den sichtbaren Folgen der Folter und Marter, die er erlitten hat und der friedlichen Majestät, die sein Gesicht zum Ausdruck bringt. Jesus liefert uns das Vorbild für jene Haltung der Geduld, von Ernst und Sammlung, mit der wir die Widrigkeiten und Opfer tragen sollen, die unweigerlich unser Leben kennzeichnen. Mit der Geduld muß aber immer ein immenses Vertrauen in Jenen einhergehen, der durch seinen Tod den Tod besiegt hat.
Grabtuch beeindruckender Beweis seiner Auferstehung
Die Sacra Sindone beweist nicht nur die Wahrheit vom Leiden Christi, sondern liefert uns auch einen beeindruckenden Beweis von seiner Auferstehung. Die Wissenschaftler, das das heilige Leinentuch untersucht haben, bestätigen, daß nur eine geheimnisvolle Energie, eine plötzliche und blitzartige Strahlung den Negativabdruck dem Tuch einprägen hätte können. Mit anderen Worten: Nur die Auferstehung des unter Pontius Pilatus gegeißelten und gekreuzigten Mannes vom Tod kann die geheimnisvolle Entstehung des Grabtuchs erklären. Er hatte vorhergesagt, daß Er am dritten Tag auferstehen werde und daß die Auferstehung von den Toten der höchste Beweis seiner Gottheit war, das große Wunder, das in sich alle Wunder und alle Prophezeiungen zusammenfaßt.
Jesus ist siegreich auferstanden im Triumph, nicht nur allegorisch oder spirituell, wie es eine bestimmte progressistische Theologie gerne hätte, sondern sichtbar mit Leib, Blut, Seele und Gottheit. Das Grabtuch zeigt mit seiner Negativ-Abbildung Seinen glorreichen Leib „photographiert“ im Augenblick der Auferstehung und liefert uns damit ein weiteres Argument, um festzuhalten, daß wir nur in der Katholischen Kirche das ewige Heil finden können.
Wie durch Adam alle sterben, so werden durch Christus alle leben
Im Brief an die Korinther erinnert der heilige Paulus an diese grundlegende Wahrheit, die von den Aposteln als Erste verkündet wurde: der Tod und die Auferstehung von Jesus Christus. Wenn Christus nicht gestorben und auferstanden wäre, hätte die Erlösung nie stattgefunden. Die Auferstehung ist das Fundament unseres Glaubens. Durch einen Mann, Adam, kam der Tod in die Welt. Durch einen anderen Mann, Mensch und Gott, kam das Leben. Wie durch Adam alle sterben, so werden durch Christus alle belebt.
Die gesamte Menschheit, so der heilige Augustinus, ist „in der Geschichte von zwei Männern zusammengefaßt, von denen einer von sich aus uns verloren hat, indem er seinen Willen tat und nicht den dessen, der ihn geschaffen hatte. Der andere hingegen hat uns von sich aus gerettet, indem er nicht seinen Willen tat, sondern den dessen, der ihn gesandt hatte. In der Geschichte dieser beiden Männer ist der ganze christliche Glauben enthalten.“ Die Karwoche faßt dieses Drama zusammen und in der Osternacht vertraut uns die Liturgie der Kirche seine Botschaft der Hoffnung und des Sieges an.
Mit der Auferstehung beginnt das Reich des geopferten Lammes
Ostern, so Dom Guéranger, ist die Ausrufung des Reiches des geopferten Lammes, es ist der Ruf der Erwählten im Himmel: „Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Sproß aus der Wurzel Davids!“ (Off 5,5). Jesus ist erwacht, und ist aufgestanden „als Lamm für uns, als Löwe für seine Feinde“, indem er von da an die Attribute der Kraft und der Sanftmut vereinte. Die Kraft, mit der wir die Feinde unseres Glaubens bekämpfen, und die Liebe, die wir gegenüber unseren Brüdern ausüben sollen.
Das Leiden, der Tod und die Auferstehung Jesu Christi war die Säule der apostolischen Verkündigung und muß das Fundament unseres Glaubens sein. Das Grabtuch stellt sein sichtbares und bewegendes Kompendium dar. Deshalb gehen wir nach Turin, um diese heilige Reliquie ehrfurchtsvoll zu verehren.
Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Schriftleiter der Monatszeitschrift Radici Cristiane und der Online-Nachrichtenagentur Corrispondenza Romana, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Vielen Dank für den umfassenden Artikel. Dorthin zu kommen und dort zu beten ist auf jeden Fall sehr bewegend. Diese Reliquie bedeutet mir sehr viel. Tief beeindruckt hat mich auch das Nasa-Foto, das vom Turiner Grabtuch in den 70ziger Jahren des letzten Jahrhunderts gemacht wurde, siehe hier: http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.kathtube.com%2Fmedia%2Fthumbs%2F480%2F9245.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.kathtube.com%2Fplayer.php%3Fid%3D9245&h=360&w=480&tbnid=3iooetqMKH8FoM%3A&zoom=1&docid=qi1z9UWolFIJIM&hl=de&ei=Z84wVcO5MsjkaMCzgKAC&tbm=isch&client=browser-ubuntu&iact=rc&uact=3&dur=987&page=1&start=0&ndsp=22&ved=0CCQQrQMwAQ
Beeindruckend ist auch dieser Bericht hier: http://kath-zdw.ch/maria/turiner.grabtuch.html
Wer keine Gelegenheit hat, nach Mailand zu kommen, dafür aber nach Rom, soll wissen, dass sich in der Kirche Santa Croce in Gerusalemme neben anderen wertvollen Christusreliquien eine Kopie des Grabtuchs von Turin befindet. Dort kann man abseits großer Touristenströme die Geheimnisse des Grabtuchs meditieren.