von Gerhard Senninger
In den letzten Wochen sind gegen Papst Benedikt XVI. im Zusammengang mit der „Pius-Bruderschaft“ schwerste Vorwürfe erhoben worden. Sie haben mich an die schlimmen Beschuldigungen erinnert, denen auch heute noch einer seiner Vorgänger, Papst Pius XII. (1939–1958), und mit ihm die deutsche katholische Kirche während des NS-Regimes ausgesetzt sind. Streng wissenschaftlich sind diese längst widerlegt, doch die breite Öffentlichkeit ist anscheinend nicht bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen. Daher möchte ich auf einige unbestreitbare Tatsachen hinweisen, die aber m. E. allzu wenig beachtet werden. Bei der Überfülle des Materials kann ich nur einige wenige Gesichtspunkte herausgreifen. Wichtige Aspekte muß ich dabei leider auslassen, z. B. die Stellung der deutschen Protestanten zum Nationalsozialismus und die Haltung des Auslands zu den Juden. In meinem Buch Glaubenszeugen oder Versager? Katholische Kirche und Nationalsozialismus, das vor einiger Zeit im EOS-Verlag in 3. Auflage erschienen ist, können Sie aber dies alles und dazu noch viel anderes Interessantes nachlesen.
Die Zeit von 1933–1945
Die katholische Kirche im 19. Jahrhundert
Im Jahr 1803 wurden unter dem Stichwort der Säkularisation mit Napoleons Hilfe 22 Bistümer und Erzbistümer enteignet und mehr als 280 Stifte und Klöster aufgehoben. Die Fürsten beider Konfessionen beraubten die katholische Kirche in Deutschland um zwei Drittel ihrer Einkünfte. Bayern und Österreich ausgenommen kamen fast alle katholischen Staatsbürger unter die Herrschaft protestantischer Landesherren, die ja zugleich Oberhaupt einer protestantischen Landeskirche waren. Daraus ergaben sich zahlreiche Konflikte.
Otto von Bismarck, seit 1862 preußischer Ministerpräsident, hielt die Katholiken von vornherein für Feinde Preußens. Ihn irritierte ihre Anhänglichkeit an den Papst, hinter der er mangelnde staatstreue vermutete. Im Kulturkampf, der unmittelbar nach dem deutschen Sieg über Frankreich begann, versuchte er mit einer Fülle von Gesetzen, die Glaubensfreiheit der Katholiken zu unterdrücken und die katholische Kirche dem Staat zu unterwerfen. Die Auswirkung 1878: Von zwölf Bischöfen in Preußen waren drei noch im Amt, drei gestorben, sechs abgesetzt; fünf von ihnen zu Gefängnis sowie über 2.000 Priester zu Gefängnis oder hohen Geldstrafen verurteilt, rund 1.400 Pfarreien waren ohne Seelsorger, über 400 Ordensniederlassungen aufgehoben. Für die Katholiken, ihre Bischöfe und Priester gab es in Preußen nur noch Spott und Hohn. Sie waren ultramontane, reaktionäre Reichsfeinde. Nach der Entlassung Bismarcks (1890) setzte unter Papst Leo XIII. langsam eine Aussöhnung ein, die freilich nicht frei von Störungen blieb. Die katholischen Abgeordneten im deutschen Reichstag wollten sich künftig an Vaterlandsliebe von niemand übertreffen lassen.
Der Vertrag von Versailles
Diesem angeblichen Friedensvertrag, der als Diktat gegen primitivste Grundsätze der Menschenrechte und des Völkerrechts verstieß, hat John Foster Dulles (US Außenminister 1953–1959) später die Mitschuld an den Wahlerfolgen Hitlers gegeben. Die Päpste Benedikt XV. und Pius XI. haben vergeblich gewarnt.
Der Bolschewismus
Von unabsehbarer Bedeutung wurde auch 1917 die Novemberrevolution der Bolschewisten unter Lenin. Sie brachte in Rußland eine radikale Veränderung der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse sowie einen brutalen Kampf gegen die Kirche, aber auch gegen jegliche andere Opposition. Josef Stalin, der Nachfolger Lenins, war sicher einer der schlimmsten Verbrecher der Menschheit. Die kommunistischen Regime in aller Welt haben rund 100 Millionen Menschen umgebracht. Im Nationalsozialismus waren es rund 25 Millionen. Kommunismus und Nationalsozialismus sind im Tiefsten ähnlich. Beide bekämpften die Weimarer Republik. Die deutschen Kommunisten wollten 1930 die sowjetischen Verhältnisse auch in Deutschland einführen. Papst Pius XI. rief immer wieder die Welt zum Protest auf. Doch seine Warnungen blieben ohne jeden Erfolg.
Zusätzliche weltweite Probleme der Kirche um 1930
1. Die Lage der katholischen Kirche in Mexiko
Schon im 19 Jahrhundert gab es in Mexiko, einem zu 95 Prozent katholischem Land, kirchenfeindliche Maßahmen. 1915 begann ein Vernichtungskampf gegen die Kirche. Die Verfolgung nach bolschewistischen Grundsätzen und Methoden forderte allein zwischen 1926–1935 etwa 5.300 Opfer, darunter 300 Priester. Graham Green hat in seinem Werk Die Kraft und die Herrlichkeit die Situation ergreifend geschildert. Die scharfen Proteste Pius XI. verhallten ohne jede Wirkung.
Am 21. Mai 2000 sprach Papst Johannes Paul II. den Priester Christophorus Magallanes und 24 Gefährten heilig, sie waren am 21. Mai 1927 ermordet worden, am 20.11.2005 folgte im Auftrag von Benedikt XVI. die Seligsprechung von weiteren 13 Opfern.
2. Die Lage der katholischen Kirche in Spanien
Große Schwierigkeiten hatte die Kirche seit der Revolution 1931 auch in Spanien. Der König mußte ins Ausland gehen. Es kam zu wilden Kirchen- und Klosterstürmen. Alle kirchlichen Gebäude wurden zum Nationalgut erklärt, den Orden jede private und öffentliche Lehrtätigkeit untersagt. Für Prozessionen, Versehgänge (d.h. Sakramentenspendung der Priester bei Schwerstkranken) und Begräbnisse wurde die Einholung einer besonderen Erlaubnis vorgeschrieben. Nach russischem Vorbild brach 1934 in Katalonien und besonders in Asturien eine „Oktoberrevolution“ aus. Im Februar 1936 bildete sich die Volksfrontregierung der Republikaner, Sozialisten und Kommunisten. Offene Anarchie führte zu neuen Kirchenstürmen.5 In der Nacht vom 12. auf 13. Juli 1936 wurde Calvo Sotelo, Chef der Monarchisten, der als Abgeordneter parlamentarische Immunität genoß, von Polizisten vor den Augen seiner Frau aus seiner Wohnung abgeführt und im Polizeiwagen durch Genickschuß ermordet. Dies führte zur Erhebung von Generälen unter Francisco Franco y Bahamonde und zum schrecklichen Bürgerkrieg 1936–1939. Zwischen sieben- und zehntausend Priester, Mönche und Nonnen wurden damals getötet. Pius Xl. protestierte vergeblich gegen das der Kirche angetane Unrecht. Am 28. Oktober 2007 hat Benedikt XVI. 480 Bischöfe, Priester und Ordensleute selig gesprochen, die als Märtyrer gestorben sind
„Die Katholische Kirche und der Nationalsozialismus“
Die Zeit bis zum 14. September 1930
Kennzeichen: Die Kirche schenkt der NSDAP als Splittergruppe keine besondere Beachtung.
In den ersten Jahren nach Gründung der NSDAP blieb noch vieles unklar. Aber deutlich war bereits ihr massiver Antisemitismus. Dies veranlaßte den Vatikan, schon am 25. März 1928 in einem Dekret des Hl. Offiziums zu erklären: „Wie der Hl. Stuhl allen Haß und alle Feindschaft unter den Völkern verwirft, so verdammt er ganz besonders den Haß gegen das Volk, das Gott in uralten Tagen zu seinem gemacht, nämlich jenen Haß, den man gemeinhin mit Antisemitismus zu bezeichnen pflegt.“
Adolf Hitler war längst zum erklärten Gegner der Kirche seiner Kindheit geworden.
Die deutschen Katholiken aber waren es gewohnt, angegriffen und geschmäht zu werden, das war ihr Schicksal zumindest seit dem Kulturkampf. Sie nahmen daher die Attacken als neue Varianten, nicht als vergrößerte Gefahren. Die NSDAP war bis zum 14. September 1930 nur eine Sektierergruppe. Deshalb wurde auch bis dahin keine breit angelegte und überzeugende Abwehr aufgebaut.
Der 27. März 1930 war ein schwarzer Tag der deutschen Demokratie: Es kam zum Bruch der Großen Koalition, verursacht durch die Weigerung der Sozialdemokraten, einen die Krise überwindenden Kompromissvorschlag in Sachen Arbeitslosenversicherung zu unterstützen. Mit dem Rücktritt von Hermann Müller (SPD) endete die parlamentarische Zusammenarbeit von Katholiken und Sozialdemokraten. Der neue Kanzler Brüning regierte nur noch ohne Mehrheit mit den Ausnahmegesetzen des Reichspräsidenten. Es darf nicht verschwiegen werden, daß gegen ihn und seine durchaus nicht aussichtslose Politik antikatholische Emotionen ausgelöst wurden. Allein die katholischen Wähler des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei standen hinter ihm.
Die Zeit vom 14. September 1930 bis zum 23. März 1933
Kennzeichen: Die Kirche erkennt die Gefährlichkeit Hitlers und der NSDAP und bietet alle Kräfte auf, um ihre Machtergreifung zu verhindern.
Trotz primitiver Phrasen gelang der Hitlerpartei am 14. September 1930 bei den Reichstagswahlen ein Durchbruch. Von zuvor 12 Sitzen schnellte sie empor auf 107, die Kommunisten von 54 auf 77 Mandate. Brünings Notverordnungen boten in der Weltwirtschaftskrise der Verhetzung des Volkes immer neuen Zündstoff.
Die deutschen Bischöfe nahmen nun, nachdem sie bereits vorher unmittelbar und mittelbar gewarnt hatten, den Kampf gegen den Nationalsozialismus auf. Den Anfang machte das Ordinariat in Mainz bereits am 30. September 1930, als es erklärte: „Auf die Frage: ‚Kann ein Katholik, der sich zu den Grundsätzen der NSDAP bekennt, zu den heiligen Sakramenten zugelassen werden?‘ müssen wir mit ‚nein‘ antworten. §24 des Parteiprogramms widerspricht grundlegend dem katholischen Glauben.“
Genauso entschieden wandten sich die anderen Bischöfe gegen den Nationalsozialismus. Die Fuldaer Bischofskonferenz verurteilte schließlich am 5. August 1931 eindeutig in einer gemeinsamen Stellungnahme Sozialismus, Kommunismus und Nationalsozialismus, und der Osservatore Romano, die Zeitung des Papstes, erklärte am 21.1.1931: „Die katholische Lehre und der Nationalsozialismus sind unvereinbar.“ Deshalb wurden die Bischöfe mit ungezügelten Bedrohungen überschüttet. Sie wurden die öffentlich deklarierten Feinde der Partei. Als Folge traten viele katholische Sympathisanten der NSDAP aus der Kirche aus. Keiner der protestantischen Kirchenführer sagte vor 1933 gegen den Nationalsozialismus ein Wort.
Die Entlassung Brünings am 30. Mai 1932 traf nicht nur das Zentrum sondern auch die Mehrheit der deutschen Katholiken schwer. Brünings Nachfolger Franz von Papen lehnten sie entschieden ab. Er wurde wegen des „Verrats an Brüning“ aus dem Zentrum ausgeschlossen. Papen löste den Reichstag auf und setzte Neuwahlen für den 31. Juli an. Das SA-Verbot wurde am 15. Juni aufgehoben. Es folgten daraufhin zwischen SA, Kommunisten und Sozialdemokraten Straßenschlachten wie nie zuvor.
Immer mehr meldeten sich jetzt aus dem katholischen Lager die warnenden Stimmen.
Dr. Fritz Gerlich, der die Zeitschrift Der gerade Weg herausgab, griff die Nazis besonders scharf an. Vor der Wahl am 31. Juli 1932 schrieben sie ihm einen schlimmen Drohbrief, den meine Mutter im Original über die Nazizeit gerettet hat. Er lautete:
München, den 25.Juli 1932
Herrn
Dr. Fritz Gerlich
Schmierfink beim Geraden Weg
Hier
Wir warnen Sie! Die nächsten Tage wird Ihnen Ihr schmutziges Handwerk gelegt werden. – Sie erbärmlicher Schmutzfink. Seien Sie überzeugt, daß die Stunde bald schlägt, wo Deutschland von Ihnen und Ihresgleichen befreit wird. Wir werden an Ihnen und Ihrer schwarzen Sippe ein besonderes Beispiel statuieren, indem wir einen Scheiterhaufen aus allen in Deutschland befindlichen Christenkreuzen – jenes Christus, welcher von einer jüdischen Hure geboren wurde – errichten, worauf Sie nebst dem übrigen Pfaffengesindel einschließlich der ganzen Marxistenbrut geschmort werden.
Wenn dann die Befreiungsfeuer zum Himmel steigen, hat die Geburtsstunde der neuen arischen Religion begonnen, dann wird das Deutsche Volk dem einzigen auf Erden wandelnden Gott, Adolf Hitler, auf den Knien dafür danken, daß er es von jüdisch-christlich-marxistischer Pest befreit hat.
Heil Hitler
Blut und Tod allen Marxisten und Pfaffen!
Die neuen Wahlen brachten den Zusammenbruch der politischen Mitte und den Sieg der radikalen Extreme. NSDAP und KPD erhielten zusammen 51,5 Prozent, rechnet man noch die DNVP dazu, die mit der NSDAP eine Arbeitsgemeinschaft eingegangen war, so erklärten sich 57,4 Prozent als Gegner der Weimarer Verfassung.
Ganz deutlich zeigt aber das Ergebnis: Je geringer in einem Gebiet die Katholiken, desto mehr die Stimmen für die NSDAP und umgekehrt, je zahlreicher in einem Gebiet die Katholiken, desto geringer die Stimmen der NSDAP. Katholische Politiker hatten schon seit langem ein Wachstum des Nationalsozialismus vorausgesehen, falls keine Milderung des Versailler Vertrags eintrete,
Am 30. Januar 1933 erhielt Hitler vom Reichspräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung. Er gab sich bei seiner Kabinettsliste sehr bescheiden: Von 11 Ministerposten beanspruchte er nur für sich den Kanzler, den Innen-Polizeiminister und einen Minister ohne Geschäftsbereich (Hermann Göring). Kein katholischer Bischof hat die Machtübernahme begrüßt. Von Papen versuchte als Vizekanzler, die Öffentlichkeit zu beruhigen: „Habt keine Sorge! Wir werden Hitler in die Ecke drängen, bis er quietscht.“ Und doch hatte dieser schon nach nur einem Monat die absolute Gewalt.
Am 27. Februar brannte der Reichstag ab. Hitler gab sofort den Kommunisten die Schuld. Durch die Reichstagsbrand-Verordnung vom 28. Februar wurden unter Mitwirkung des Reichspräsidenten die wichtigsten Artikel der Verfassung außer Kraft gesetzt. Auf diese Verordnung hat sich die nationalsozialistische Diktatur bis zu ihrem Zusammenbruch vor allem gestützt, nicht auf das drei Wochen später gebilligte Ermächtigungsgesetz, das so gern zitiert wird, wenn man den Parteien der Mitte die Verantwortung zuschieben will.
Hitler ließ nochmals am 5. März 1933 den Reichstag wählen. Zusammen mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) erhielt er diesmal die absolute Mehrheit. Mit den Kommunisten (12,5 Prozent) stimmten damit 65 Prozent der Wähler gegen die demokratische Republik. Der Ausgang dieser Wahl vergrößerte die Befürchtungen der deutschen Bischöfe. Am 9. März ergriffen die Nazis in Form eines Staatsstreichs auch in Bayern die Macht, nachdem sie sich bereits vorher der übrigen Länder bemächtigt hatten. Dr. Fritz Gerlich wurde am gleichen Tag verhaftet. Am folgenden Tag schrieb der Erzbischof von Breslau und Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz, Adolf Kardinal Bertram, an Reichspräsident Paul von Hindenburg: „Die Stunde ist gekommen, wo wir uns an das Reichsoberhaupt wenden müssen mit der dringenden Bitte um Schutz für Kirche und kirchliches Leben und Wirken. Möge unser Ruf nicht ungehört bleiben!“
Die Zeit vom 23. März 1933 bis zum 30. Juni 1934
Kennzeichen: Die Kirche – zwischen Hoffnung, Illusion und Sorge – ist bereit, mit der rechtmäßigen Regierung zusammenzuarbeiten
Die Eröffnung des Reichstags fand am 21. März feierlich in der Potsdamer Garnisonskirche statt. Vielen erschien dies als Bekenntnis Hitlers zum Christentum mit dem Zeichen der Treue für alles, was Tradition ist. Wie der junge Staatsmann mit bescheiden gesenktem Kopf vor dem greisen Feldmarschall steht, wie sich im Handschlag beider die Verbindung des alten mit dem neuen Deutschland vollzieht, das mußte auch das Verhältnis der Katholiken zu diesem Regime beeinflußen, ebenso wie Hitlers Regierungserklärung
Diese erfolgte zwei Tage später, am 23. März, in der Krolloper. Mit ihr verband Hitler die Verabschiedung des so genannten „Ermächtigungsgesetzes“ zur „Behebung der Not von Volk und Reich“. Es ermächtigte die Reichsregierung, vier Jahre lang Aufgaben durchzuführen, die bisher allein dem Reichstag als der gewählten Volksvertretung vorbehalten waren. In seiner Erklärung griff Hitler zuerst den Kommunismus an. Dann sagte er u. a.: „Die nationale Regierung sieht in den beiden Konfessionen wichtige Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren. Sie erwartet und hofft, daß ihre Arbeit in der sittlichen und moralischen Erneuerung des deutschen Volkes auch bei den Konfessionen die gleiche erforderliche Beachtung findet. … Mögen Sie, meine Herren, nun die Entscheidung treffen über Frieden oder Krieg.“
Diese Erklärung hat sensationell gewirkt. Die nichtnazistischen Parteien geraten in einen schweren inneren Konflikt. Die Schlußworte Hitlers lassen keinen Zweifel, daß Hitler gewillt ist, auf alle Fälle seine Absichten durchzusetzen. Allein die Reichstagsbrand-Verordnung vom 28. Februar 1933 gibt ihm dazu praktisch unbegrenzte Möglichkeiten.
Otto Wels, der Sprecher der SPD, lehnt im Namen seiner Fraktion das Ermächtigungsgesetz ab. Es ist eine mutige, aufrechte Rede. Das Zentrum und die Bayerische Volkspartei (BVP) stimmen schweren Herzens zu, um Schlimmeres zu verhüten. Ihre Begründung: Gefahr eines neuen Kulturkampfes – das überwältigende Ausmaß des nationalsozialistischen Wahlsiegs, das den Eindruck einer Volksbewegung erweckte, – die Befürchtung anarchischer Zustände bei einem Wiederaufleben der Parteienkämpfe, deren Schrecken man ja im Jahr 1932 erlebt hatte. In Erinnerung an den Kulturkampf waren sie bemüht, durch Herausstellen der katholischen Verbundenheit mit Volk und Staat die ultramontane Verdächtigung und Beschimpfung zu brechen.
Für die deutschen Bischöfe gab es nun eine völlig neue Lage: Die Regierung hatte feierliche Versprechungen gegeben. Die politischen Vertreter des katholischen Volkes hatten mit den anderen, nichtmarxistischen Parteien einstimmig der neuen Regierung und ihrem Programm zugestimmt. Fast das ganze Volk war in jenen Tagen ergriffen von einem alles überflutenden Verlangen nach Einheit, um die alten politischen Gegensätze zu beseitigen. „Ein Volk – ein Reich – ein Führer“ – ist das nicht schön? Und die neue Regierung hatte in ihrem Regierungsprogramm Garantien gegeben, die – wenn sie ehrlich verwirklicht würden – das Leben und Wirken der Kirche in Deutschland sicherstellten.
Die katholischen Bischöfe mußten Stellung nehmen. Von allen Seiten wurden sie bedrängt, ja bestürmt, nicht länger zu schweigen. So entstand die Kundgebung der Fuldaer Bischofskonferenz vom 28. März 1933, die so oft zu Unrecht als Kapitulation der Bischöfe vor dem Nationalsozialismus dargestellt wird. In ihr erklärten sie u. a.: „Die Oberhirten der Diözesen Deutschlands haben aus triftigen Gründen, die wiederholt dargelegt sind, in den letzten Jahren gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung eine ablehnende Haltung durch Verbote und Warnungen eingenommen, die solange und insoweit in Geltung bleiben sollten, wie diese Gründe fortbestehen.
Es ist nunmehr anzuerkennen, daß von dem höchsten Vertreter der Reichsregierung, der zugleich autoritärer Führer jener Bewegung ist, öffentlich und feierlich Erklärungen gegeben sind, durch die der Unverletzlichkeit der katholischen Glaubenslehre und den unveränderlichen Aufgaben und Rechten der Kirche Rechnung getragen, sowie die vollinhaltliche Geltung der von den einzelnen deutschen Ländern mit der Kirche abgeschlossenen Staatsverträge durch die Reichsregierung ausdrücklich zugesichert wird. Ohne die in unseren früheren Maßnahmen liegende Verurteilung bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer aufzuheben, glaubt daher der Episkopat, das Vertrauen hegen zu können, daß die vorgezeichneten allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet zu werden brauchen.“
In dieser Kundgebung sind wohl die deutschen Bischöfe der neuen nationalen Regierung entgegengekommen. Eine schroffe ablehnende Haltung hätte sicher den Nazis einen billigen Vorwand geliefert, gegen katholische Verbände und Organisationen so radikal vorzugehen, wie gegen die Kommunisten. Trotz alledem spürt man die reservierte Haltung der Bischöfe, wenn sie erklären: Die „ablehnende Haltung bleibt solange in Geltung, wie die Gründe fortbestehen“, „die Verurteilung bestimmter Irrtümer wird nicht aufgehoben“ Bewußt beginnen die letzten Sätze mit einem dreifachen „In Geltung bleibt“, was keiner übersehen kann. Aber grundsätzlich vertrat man damals unter den Bischöfen die Ansicht: „Der Episkopat im ganzen durfte das unerwartete Friedensangebot nicht zurückstoßen. In Deutschland ist die neue Regierung rechtmäßig in den Besitz der Gewalt gekommen, und damit müssen die Grundsätze der christlichen Staatslehre auch der neuen Regierung gegenüber gelten.“
Die Bischöfe stellten aber auch die Terrormaßnahmen des neuen Regimes an den Pranger. Zum dritten Male innerhalb sechs Wochen brachte Kardinal Bertram im Namen der Bischöfe am 6. April beim Reichspräsidenten ihre Sorge zum Ausdruck. Im Juni 1933 waren ja allein in Bayern schon rund 2.000 Personen aus katholischen Kreisen, darunter 150 Geistliche in Haft. Eines der ersten KZ wurde vor den Mauern Münchens in Dachau errichtet, einer der ersten Häftlinge war Dr. Alois Hundhammer, nach dem Krieg bayerischer Kultusminister. „Unter den ersten Opfern des Nazi-Terrors befanden sich weit mehr Christen als Juden.“ Die Hoffnungen auf Reichspräsidenten, auf Reichswehr und die nicht-nationalsozialistischen Mitglieder der Reichsregierung, erwiesen sich aber leider als Illusionen
Es war eine große Überraschung, daß Hitler schon bald durch Vizekanzler von Papen dem Papst den Abschluß eines Reichskonkordats anbot. Konnte der Papst dieses Angebot Hitlers ohne das Risiko schwerer Nachteile ausschlagen? Es gab damals über 6 Millionen Arbeitslose, die sozial nicht annähernd so abgesichert waren wie heute. Eine Ablehnung des Konkordat-Angebots hätte die Mehrzahl der Katholiken massiven Unterdrückungsmaßnahmen der Machthaber ausgesetzt. Sie wäre auch als offene Kampfansage an das neue Deutschland verstanden worden. Pacelli erklärte später: Eine Pistole „war auf mein Haupt gerichtet, und ich habe keine Wahl gehabt“. Sicher konnte das Konkordat nicht alles schreckliche Unrecht der Nazis verhindern, später zeigte sich aber: Die Lage der Kirche in den „konkordatsfreien Gebieten“ war um ein vielfaches schlimmer, denken wir nur an Österreich. Hartnäckig hält sich die unrichtige Behauptung, das Reichskonkordat sei der erste internationale Vertrag der Regierung Hitlers gewesen. Bereits vor dem Abschluß des Konkordats war aber schon eine Reihe von völkerrechtlichen Verträgen geschlossen worden, vor allem der Viermächtepakt zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien vom 15. Juli 1933.
Die Zeit vom 30. Juni 1934 bis zum 1. September 1939
Kennzeichen: Die Kirche steht desillusioniert im offenen Kampf gegen den nationalsozialistischen Staat, der sie sich brutal unterwerfen will.
Am 30. Juni 1934 geschah der so genannte Röhm-Putsch. SA-Chef Ernst Röhm und die oberste SA-Führung wurden auf Befehl Hitlers von der SS erschossen. Aber auch andere missliebige Personen wurden ermordet wie Dr. Erich Klausener, der Leiter der Berliner Katholischen Aktion und Ministerialrat beim Reichsverkehrsministerium, und Dr. Fritz Gerlich. Hindenburg hat die Maßnahmen nachträglich gebilligt, die Londoner „Times“ bekundete immer wieder Sympathien mit den erklärten Zielen Hitlers.
Die Aktionen der Gestapo gegen die Kirche nahmen 1934 und 1935 beträchtlich zu, verringerten sich aber 1936, sicher mit Rücksicht auf die Olympischen Spiele in Berlin. Dort strömten die Sportler aus aller Welt herbei. Selbst Nicht-Arier feierten den Führer mit dem Hitler-Gruß und verhalfen ihm so zu ungleich mehr Ansehen, als das Konkordat es vermocht hätte. Nach den Spielen verschärfte sich der Kampf des Nationalsozialismus gegen die Kirche ungemein Die katholischen Arbeiterorganisationen wurden zerschlagen, die katholische Jugendarbeit mußte auf Pfarrebene umorganisiert werden. Es gab Fesseln für die Verkündigung des Gotteswortes, für die Sakramentenspendung, den Sakramentenempfang und für die Abhaltung von Gottesdiensten, für die kirchliche Schultätigkeit (Vertreibung der Ordensleuten aus den Schulen; Beseitigung der Bekenntnisschulen; – ein reiner Vertragsbruch!)
Der Kampf erreichte 1937 seinen ersten Höhepunkt mit dem Vorwurf, die katholische Kirche arbeite mit dem Kommunismus zusammen und mit den so genannten Devisen – und Sittlichkeitsprozessen. Der seit 1932 amtierende Bischof von Meißen, Petrus Legge, übernahm eine schwer verschuldete Diözese. Sein Vorgänger hatte durch einen Kredit aus den Niederlanden verschiedene Baukosten (u. a. Priesterseminar, katholisches Gymnasium in Dresden) finanziert. Legge mußte nun die Tilgungsraten zu rückzahlen. Offensichtlich aus politischen Gründen wurde 1935 aufgrund dieser Anleihe gegen das Bistum wegen „Devisen-Verschiebung ins Ausland“ ein Prozeß eröffnet, in dessen Verlauf der Generalvikar der Diözese Meißen und am 9. Oktober 1935 Bischof Legge selbst in Untersuchungshaft genommen wurden. Am 23. November 1935 wurde Legge wegen „fahrlässiger Devisenverschiebung“ zu einer Geldstrafe von 100.000 Reichsmark verurteilt, für die damalige Zeit eine gewaltige Summe, die das Bistum fast in den finanziellen Ruin trieb. Der Bischof wurde als Volksschädling diffamiert. Man versuchte, seine Rückkehr auf den bischöflichen Stuhl zu verhindern. Erst im März 1937 konnte er wieder sein Amt ausüben.
Im Januar 1937 rief Papst Pius XI.fünf deutsche Bischöfe nach Rom. Es wurde beschlossen, den Nationalsozialismus in aller Welt anzuklagen. Am Palmsonntag, am 21. März 1937, war die große Stunde da. Von allen deutschen katholischen Kanzeln wurde die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ verlesen, dem einzigen Weltrundschreiben in deutscher Sprache. Das Wort des Papstes beschränkte sich strikt auf den Bereich der kirchlichen Zuständigkeit und griff scharf das Regime an. Die Enzyklika trat nicht nur ein für die im Konkordat verbürgten Rechte der Katholiken und ihrer Kirche. Sie betonte auch ausdrücklich, „daß der Mensch als Persönlichkeit gottgegebene Rechte besitzt“, vor denen jede Staatsmacht halt zumachen habe. Aber auch dieser schärfste Angriff gegen das nationalistische Deutschland vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blieb wirkungslos. Die Weltöffentlichkeit hat davon nur kurz Kenntnis genommen, doch anschließend keinerlei Konsequenzen gezogen. Der englische und französische Botschafter nahmen erstmals offiziell am Reichsparteitag in Nürnberg teil.
Für die katholische Kirche jedoch hat sich die Situation aber wesentlich verschlechtert. Keinem Bedrängten wurde geholfen. Im Gegenteil: Das NS-Regime hat seinen Kampf um ein vielfaches verschärft. Immer wieder hieß es: „Die Bischöfe haben Landesverrat verübt.“ Die zwölf Druckereien wurden entschädigungslos enteignet, weil sie das Rundschreiben gedruckt hatten, Verleger, Drucker und Schriftleiter sowie Laien, die die Texte verteilt haben, wurden vor Gericht gestellt. Bischöfe und Priester aber, die den Protest des Papstes veröffentlichten, wurden geschont, Dadurch sollte erreicht werden:
- Ein Keil wird zwischen Laien und Priester getrieben. Die Laien sollen sich über den Klerus ärgern („Die Großen läßt man laufen, die Kleinen werden gehängt.“) und sollen ihn fortan nicht mehr unterstützen.
- Der Klerus soll mit Rücksicht auf seine treuen Laien an weiteren Protesten gehindert werden.
Bei einer Gesamtzahl von 22.000 katholischen Priestern im Dritten Reich können maximal ca.70 als mit der NSDAP „sympathisierende Geistliche“ bezeichnet werden, ca.0,33 Prozent, d.h. drei bis vier auf tausend. Sie kamen in Konflikt mit ihrer Kirchenleitung.
Der Kampf gegen die katholische Kirchen ging in den heftigen Formen weiter, bis der von Hitler entfesselte Krieg ihn wenigstens äußerlich zunächst etwas dämpfte.
Die Zeit vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945
Kennzeichen: Die Kirche im Spannungsfeld zwischen Patriotismus und Abwehr der oft blutigen Verfolgung
Der Ausbruch des Krieges stellte die deutschen Bischöfe vor eine neue Situation, über deren Beurteilung sie aber nicht einig waren. Viele von ihnen riefen zum Gebet um den Frieden auf, ermahnten aber – erst recht seit 1941- auch die Gläubigen zu Opferbereitschaft im Kampf gegen den gottlosen Kommunismus und zu Vaterlandsliebe, vielleicht eine Nachwirkung des Kulturkampfes. Wie blind dieser Patriotismus gegenüber der Realität war, und wie sehr er auch dem eigensten Interesse der Kirche entgegenstand, zeigte sich sehr bald. Auf dem Höhepunkt militärischer Erfolge zu Beginn des Krieges glaubte Hitler die Zeit gekommen, um die endgültige Zerstörung der Kirchen vorzubereiten.
In den besetzten Ostgebieten wurde die „Endlösung“ der Kirchenfrage teilweise schon durchgeführt. In einem gemeinsamen Hirtenbrief protestierten die deutschen Bischöfe am 26. Juni 1941 – vier Tage nach dem Einmarsch in Rußland – gegen eine Unzahl von Nazi-Unrecht (z.B. die vielen Verhaftungen von Geistlichen, die Aufhebung vieler Klöster, die Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen). Er gipfelte in den Worten: „Es geht um Sein oder Nichtsein des Christentums und der Kirche in Deutschland … Es gibt heilige Gewissenspflichten, von denen uns niemand befreien kann und die wir erfüllen müssen, koste es uns selbst das Leben.“
Im Sommer 1942 protestierte der Münsteraner Bischof Clemens August von Galen scharf gegen den Mord an Geisteskranken. Für kurze Zeit wurde daraufhin die Aktion unterbrochen. Dem Bischof geschah zwar nichts, an seiner Statt aber wurden 24 Weltpriester und 13 Ordenspriester aus der Diözese Münster ins Konzentrationslager gebracht, wo zehn von ihnen gestorben sind.
In einem Schreiben an Papst Pius XII. vom 14. Juni 1942 stellte Erzbischof Conrad Gröber von Freiburg fest, „daß sich kein einziger treu katholischer Beamter mehr in führender Stellung befindet“. Ihre Posten waren von Protestanten oder „Gottgläubigen“ eingenommen worden. Mein Vater, Leiter des Reichsbahn-Maschinenamts Ingolstadt, ein treuer Katholik, der täglich an der heiligen Messe teilnahm und sich weigerte, Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation zu werden, wurde bereits am ersten Weihnachtsfeiertag 1938 nach Hameln/Weser strafversetzt. Dort, wo alles „braun“ war, schien er als einziger „Schwarzer“ ungefährlich. Der Präsident der Reichsbahndirektion München hat angedeutet, daß ihm „Dachau“ hätte drohen können.
Kaum bekannt ist, daß mehrere katholische Bischöfe (Konrad Kardinal von Preysing/Berlin, Clemens August von Galen/Münster, Michael Kardinal von Faulhaber/München und Andreas Rohracher/Salzburg) auch engen Kontakt hatten zu einer der bedeutendsten Widerstandsgruppen, dem „Kreisauer Kreis“ unter den Grafen Helmuth von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg.
Die deutsche Kirche und die Juden
Immer wieder wird gegen die katholische Kirche der schwerwiegende Vorwurf erhoben, sie habe „ihre jüdischen Mitbürger als ‚Christusmörder‘ verdammt und trage deshalb eine schwere Mitschuld am Holocaust. Ohne ihren historischen Antijudaismus wären Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen vermutlich nicht möglich gewesen.“ Im Folgenden soll kurz die Haltung der katholischen Kirche in Deutschland sowie die Haltung Pius‘ XII. dargestellt werden.
Nach dem Kulturkampf, mit dem der deutsche protestantische Reichskanzler Otto von Bismarck 1871–1878 die katholische Kirche dem Staat unterwerfen wollte, gab es im deutschen Katholizismus ein starkes Bewußtsein für die Rechte der jüdischen Minderheit. Die eindeutige Position der Zentrumspartei gegen Nationalismus und Antisemitismus machte das Zentrum auch für jüdische Wähler, besonders für orthodoxe Juden wählbar.
Die Bischöfe haben bereits vor 1933 und ebenso hernach in vielen Hirtenbriefen und sonstigen Kundgebungen immer mit aller Entschiedenheit erklärt, daß die Ideologie des Nationalsozialismus, ihr Rassismus, mit der katholischen Lehre unvereinbar ist. Ein Beispiel möge dafür stehen: Schon seit einer Predigt Kardinal Faulhabers am 1. November 1923, bei der er sich mißbilligend über den „blinden Haß gegen Juden und Katholiken“ aussprach, galt er als der „Judenkardinal“. In dieser Ansicht fühlten sich die Nazis bestätigt durch die berühmten fünf Adventspredigten im Dezember 1933, in denen Faulhaber die „religiösen, sittlichen und sozialen Werte“ des Alten Testamentes herausstellte.
Wie die Dokumente beweisen, haben die Bischöfe oft schwer gerungen um die angemessene Form des Eintretens für die Juden. Oft haben auch Verfechter einer scharfen Linie zu einer Mäßigung im Sinn der Juden selber gedrängt, um größeres Unglück zu vermeiden. Dabei sind sicher auch Fehler gemacht worden. Die Kritiker von heute machen es sich aber zu billig, wenn sie meinen, daß mit lauten Protesten seitens der Kirche vielen Opfern des Terrorregimes geholfen gewesen wäre. Wenn kritisiert wird, daß die Bischöfe zur Reichskristallnacht (9./10. November 1938) geschwiegen haben, sollte doch Folgendes bedacht werden:
- Auch die katholische Kirche im Deutschen Reich hatte damals zunehmend viel Schlimmes durch das NS-Regime zu erleiden. So erfolgten 1938:
- am 19. August ein gemeinsames Hirtenwort der deutschen Bischöfe: Scharfer Protest gegen den „Vernichtungskampf“,
- am 4. September ein Hirtenwort der bayerischen Bischöfe: Protest gegen die Vertreibung aller katholischen Ordensleute aus den Schulen,
- am 28. September die Denkschrift der österreichischen Bischöfe: Protest gegen den zunehmenden Kulturkampf und die schlimme Unterdrückung,
- die Maßnahmen der Gestapo gegen katholische Geistliche wurden wesentlich gesteigert.
- Gegen einzelne Bischöfe veranlaßte das NS-Regime 1938 folgende Aktionen:
- Gegen Bischof Johannes Sproll von Rottenburg gab es im April 1938 drei und im Juli 1938 vier teils gewalttätige Demonstrationen. Die aufgebrachte Menge hatte das Bischofpalais gestürmt und den Bischof beleidigt und bedroht Am 28. August 1938 wurde er von der Gestapo auf ausdrücklichen Befehl Hitlers mit brutalen Beleidigungen und Bedrohungen nach Freiburg „weitergeschaßt“ Dies geschah unter Berufung auf die Reichstagsbrandverordnung vom 28.2.1933. Im Benediktinerkloster St. Ottilien fand er dann Asyl, das aber wahrscheinlich deshalb 1941 beschlagnahmt und aufgehoben wurde. Der schwer erkrankte Bischof wurde darauf bis Kriegsende von den Ursberger Schwestern in Krumbad aufgenommen.
- Gegen den Erzbischof von Wien, Theodor Kardinal Innitzer,gab es am 8. Oktober 1938 nationalsozialistischer Ausschreitungen. 200.000 demonstrierten gegen ihn, anschließend erfolgte die Verwüstung des bischöflichen Palais mit Beleidigungen und Bedrohungen.
- Gegen den Münchner Kardinal Faulhaber gab es am 11. November 1938 eine Massenveranstaltung im Zirkus Krone, 70 Nazis stürmten den Erzbischofssitz, 100 Fensterscheiben wurden zerstört, der Kardinal war in Lebensgefahr.
Wir dürfen auch nicht übersehen: 1938 nach dem Anschluß Österreichs und der Lösung der Sudetenkrise bei der Münchener Konferenz stand Hitler international auf dem Gipfel seines Ansehens. Das amerikanische Magazin Time erklärte ihn zum Mann des Jahres.
Trotzdem suchte der Bischof von Münster, Clemens von Galen, am Tag nach der Reichskristallnacht den dortigen Rabbiner Dr. Steinthal auf und erklärte sich bereit, am folgenden Sonntag scharf gegen die Judenverfolgung der Nazis zu protestieren. Der Rabbi bat um zwei Tage Bedenkzeit, aber bereits am nächsten Tag bat er, der Bischof möge schweigen, sonst werde das Unheil noch größer. Denken wir nur an die furchtbaren Folgen der bischöflichen Proteste in Holland im Juli 1942.
Von großer Bedeutung wurde auch der St. Raphaels-Verein, der sich bemühte, Juden bei der Auswanderung zu helfen.
Pius XII. und die Juden
Als Pius XII. am 9. Oktober 1958 im Alter von 82 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit starb, war die Reaktion auf seinen Tod im In- und Ausland gewaltig. Allgemein wurde er als ein ganz großer Papst gewürdigt
Im Jahr 1963, fünf Jahre nach Pius‘ XII. Tod, aber hat der deutsche Dramatiker Rolf Hochhuth in seinem Stück „Der Stellvertreter“ schwerste Vorwürfe gegen ihn erhoben. Er sei ein satanischer Feigling, ein schlimmer Verbrecher gewesen. Er trage die Hauptverantwortung an der Vernichtung der Juden. Ungezählte haben Hochhuths Vorwürfe seitdem wiederholt und neue Argumente gegen den Papst angeführt. Viele Zeitschriften und Illustrierte wie Der Spiegel und Stern haben sie aufgegriffen.
Die wichtigsten Vorwürfe lauten:
- Der Papst habe geschwiegen, wo er hätte reden müssen.
- Der Papst habe an den Juden kein Interesse gehabt, nur an seiner Macht und seinem Geld.
Versuch einer Antwort
Der Papst hatte erlebt, daß öffentliche Interventionen für die Betroffenen oft tödliche Folgen hatten. Denken wir nur an die Intervention der holländischen Bischöfe. Trotz entsprechender Warnung hatten sie am 26. Juli 1942.von allen Kanzeln aus gegen die Deportation der Juden Einsspruch erhoben. Die protestantischen Kirchenleitungen hatten dazu geschwiegen, deshalb ist den protestantischen Juden auch nichts geschehen, die katholischen aber, unter ihnen auch Edith Stein, wurden alle verhaftet und umgebracht.
Pascalina Lehnert, die langjährige Haushälterin Pius‘ XII. berichtet, der Papst habe, als er von den Vorgängen in Holland erfahren hatte, ein bereits vorbereitetes Protestschreiben gegen die Judenverfolgung in ihrer Gegenwart im Herdfeuer der Küche verbrannt mit den Worten: „Wenn der Brief der holländischen Bischöfe 40.000 Menschenleben kostete, so würde mein Protest vielleicht 200.000 kosten. Das darf und kann ich nicht verantworten.“
Wie hätte denn ein öffentlicher Protest zu Gunsten der Juden erfolgen sollen?
Der Papst hätte in Rom seine Enzyklika gegen die Judenverfolgung verkünden und über Radio Vatikan verbreiten können. Die Deutschen hätten sie nur im Radio hören können, wenn sie einen „ausländischen Sender“ eingeschaltet hätten, was unter Androhung schwerster Strafen verboten war. Es herrschte ja Kriegsrecht. Das Todesurteil gegen drei katholische Priester von Lübeck wurde ausdrücklich damit begründet. Die deutschen Bischöfe, die auf geheimen Weg die Enzyklika erhalten hätten, hätten keine Druckerei gefunden, die diese Texte gedruckt hätte. Denken wir nur an die schlimmen Erfahrungen von 1937 mit der Enzyklika Mit brennender Sorge!
Und was hätte ein Protest zu Gunsten der Juden bewirken sollen?
Rudolf Augstein meint, Millionen von deutschen Katholiken hätten sich gegen Hitler erhoben und ihn gezwungen, mit der Judenverfolgung aufzuhören. Das zeigt nur Augsteins absolute Unkenntnis der damaligen Verhältnisse und eine erschreckende Verantwortungslosigkeit. Augstein hätte eigentlich wissen müssen: Die Gruppe der absolut kirchentreuen und opferbereiten war sehr klein und verstreut, ohne Kontakt zu einander, ohne Waffen, ohne militärische Führung. Überall waren Spitzel der Gestapo und des Sicherheitsdienstes! Wie hätte sie einen Aufstand gegen Hitler gewinnen sollen? Denken wir nur an den 20. Juli 1944, der unter weit günstigeren Bedingungen gescheitert ist. Angesichts der alliierten Forderung nach bedingungsloser Kapitulation, hätte Hitler kein noch so brutales Mittel gescheut, um sich durchzusetzen. Das hat er bei einem Tischgespräch am 7. April 1942 ganz deutlich ausgesprochen.
Und was hätte ein öffentlicher Aufruf des Papstes bei Amerikanern und Engländern bewirken sollen? Päpstliche Proteste haben doch nie zu einem Erfolg geführt. Der britische Geheimdienst hat bereits am 24. November 1941 erfahren, „daß die deutsche Polizei alle Juden umbringt“. Es wurde aber nichts zu ihrer Rettung unternommen. In den Jahren 1942–1945 hatten Amerikaner und Engländer in Deutschland die absolute Lufthoheit. Sie konnten jeden Ort bombardieren, den sie wollten. Warum ist aber keine einzige Bombe auf die Zugangswege zu den Konzentrations- und vor allem den Vernichtungslagern gefallen? 20 Bomben auf die Schienen zwischen Dachau Bahnhof und dem dortigen KZ hätten wohl für gewisse Zeit den Transport von Häftlingen dorthin verhindert. Diese konnten ja nur in unverdächtigen Güterwagen befördert werden, unmöglich auf den Straßen mit Lastwagen. Bei der Gedenkfeier anläßlich des 60. Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslager Auschwitz am 28. Januar 2005 in Krakau hat der Staatspräsident Israels, Mosche Katzav, die Alliierten deshalb scharf getadelt.
Am 20. April 2003 hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker in der Sendereihe „Stationen“ des Bayerischen Rundfunks erklärt: „Mein Vater (gemeint ist Ernst von Weizsäcker, damals Botschafter des Deutschen Reiches beim Heiligen Stuhl) hat in diesen Tagen (gemeint sind die Tage um den 16.Oktober 1943, als die ersten römischen Juden verhaftet wurden) mit dem Kardinalstaatssekretär genau darüber ein Gespräch geführt und ihn selber nachdrücklich dazu aufgefordert, daß der Papst öffentlich und unüberhörbar laut einen Protest erheben sollte.“
Ich habe Herrn von Weizsäcker darauf einen Brief geschrieben, in dem ich ihm mitteilte, daß ich in meinem Buch „Glaubenszeugen oder Versager? Katholische Kirche und Nationalsozialismus“ veröffentlicht im EOS-Verlag St. Otto, dazu ausgeführt habe: Nach Aussagen des Sekretärs bei der deutschen Botschaft am Quirinal habe Ernst von Weizsäcker damals erklärt, daß eine Äußerung des Papstes nur bewirken würde, daß die Abtransporte erst recht durchgeführt werden. „Ich kenne doch die Reaktionen dieser Leute bei uns. Montini hat das übrigens eingesehen.“ Giovanni Battista Montini, der spätere Papst Paul VI., war damals Substitut von Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione.
Ich habe den Herrn Bundespräsidenten gebeten, mir mitzuteilen, was ich in der geplanten 2. Auflage meines Buches dazu schreiben solle. Mit Schreiben vom 10. September 2003 hat er darauf geantwortet und erklärt: „Ich habe mich dabei auf ein Buch von John Cornwell bezogen. Er hatte die Einlassung meines Vaters gegenüber dem Kardinalstaatssekretär Maglione so geschildert. Die Wahrheit ist natürlich die, daß ich nicht wirklich weiß, wie die Dinge abgelaufen sind.“ Ich habe ihm darauf mein Buch geschickt, wofür er sich darauf herzlich bedankte. Die Sache schien erledigt
Umso größer war mein Erstaunen, als der gleiche Dokumentarfilm ohne jegliche Änderung am 20. Mai 2004 im Hessischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. In einem sehr ernsten Brief vom 25. Mai 2005 an den Hessischen Rundfunkt habe ich ernste Kritik erhoben und auch beim Bayerischen Rundfunk dagegen protestiert. Darauf hat der Sender einen neuen Film produziert und unter dem Titel „Pfeiffers Liste“ am 5. November 2006 im Bayerischen Fernsehen gezeigt.
Robert Kempner, stellvertretender amerikanischer Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen 1946, erklärte aufgrund seiner dort gemachten Erfahrung: „Jeder Propagandaschritt der katholischen Kirche gegen Hitlers Reich wäre nicht nur ‚glatter Selbstmord‘ gewesen, sondern hätte die Exekution von noch mehr Juden und Priestern beschleunigt.“ Das gleiche glaubt auch der britische Historiker Sir Martin Gilbert, ein Jude, der international als der beste Kenner des Holocaust gilt. Er ist überzeugt: „Pius XII. hat äußerst verantwortungsvoll gehandelt und die richtige Entscheidung gefällt.“ Dabei könnte das holländische Beispiel abschreckend gewirkt haben.
Anfang Juli 1942 erreichte die Leiter der holländischen Kirchen die Nachricht, daß alle nicht-getauften Juden in das Dritte Reich deportiert werden sollten. Sie sandten darauf am 11. Juli 1942 ein Protesttelegramm an den NS-Reichskommissar für die Niederlande, Arthur Seyß Inquart, in dem sie einen öffentlichen Protest androhten. Darauf versprach man ihnen: Die christlichen Juden werden verschont, wenn die Kirchen sich ruhig verhalten. Die Protestanten haben sich danach gerichtet, deshalb ist den protestantischen Juden nichts geschehen. Die katholischen Bischöfe aber verkündeten am 27. Juli 1942 von allen Kanzeln einen scharfen Protest. Die Rache folgte auf dem Fuß. Alle nicht-arischen Katholiken wurden am 2. August von der Gestapo verhaftet und in Auschwitz umgebracht, unter ihnen auch Edith Stein. Sie mußte sterben, weil die Bischöfe geredet hatten.
Die aus Bayern stammende Ordensschwester Pascalina Lehnert, die langjährige Haushälterin Pius‘ XII. berichtet: Der Papst wollte im Sommer des Jahres 1942 einen scharfen Protest gegen die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden veröffentlichen. Als er aber von dem Schicksal der holländischen Juden nach dem Protest der dortigen Bischöfe erfuhr, änderte er kurz entschlossen sein Vorgehen. Er verbrannte den schriftlich abgefaßten Text eigenhändig im Herdfeuer der Küche seiner Privatwohnung mit den Worten: „Wenn der Brief der holländischen Bischöfe 40.000 Menschenleben kostete, so würde mein Protest vielleicht 200.000 kosten. Das darf und kann ich nicht verantworten.“ Da der päpstliche Nuntius Holland zuvor hatte verlassen müssen, war der Papst auf die römischen Presse angewiesen, die von 40.000 Opfern sprach. Inzwischen ist bekannt, daß es wahrscheinlich 4.000 waren.
Trotzdem hat der Papst das kühne Wort seines Vorgängers Pius‘ XI.: „Geistig sind wir alle Semiten“ öffentlich wiederholt. In der Weihnachtsbotschaft 1942 bekannte er sich zu „den Hunderttausenden, die – persönlich schuldlos – bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder der fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind“. Die Nationalsozialisten verstanden: „Der Papst beschuldigt tatsächlich das deutsche Volk der Ungerechtigkeit gegenüber den Juden und macht sich zum Sprecher der Juden, der Kriegsverbrecher“, so urteilte der NS-Sicherheitsdienst.
2. Vorwurf: Der Papst habe an den Juden kein Interesse gehabt.
Der bereits erwähnte Film „Pfeiffers Liste“ (Anspielung auf „Schindlers“ Liste) wurde am 5. November 2006 im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt. Er macht an zahlreichen Belegen deutlich, wie sehr die Katholische Kirche, an ihrer Spitze der Papst – unter dem Deckmantel scheinbarer Neutralität, zu der ihn auch die Lateranverträge verpflichteten, – den Juden in ihrer Not beigestanden ist. So hat Pius XII. an jenem besagten 16.Oktober 1943, als die ersten Juden Roms verhaftet wurden – was bisher kaum bekannt war – unverzüglich den deutschen Vatikanbotschafter Freiherrn von Weizsäcker ins vatikanische Staatssekretariat bestellt. Den Generaloberen der Salvatorianer, Pater Pankratius Pfeiffer, den er als Leiter seines Vorzimmers mit der Hilfe für die Juden und die anderen von den Nazis Verfolgten beauftragt hatte, sandte er mit seinem Neffen Carlo Pacelli zum deutschen Stadtkommandanten von Rom, Generalmajor Rainer Stahel. Daraufhin warnte dieser seine Vorgesetzten vor Unruhen in Rom und bewirkte, daß die Verhaftungen noch am gleichen Tag um 14 Uhr gestoppt wurden, obwohl der ursprüngliche „Führerbefehl“ gelautet hatte, alle 8.000 Juden Roms zu deportieren. Stahel selbst bezahlte seinen Widerspruch mit dem Leben: Er wurde an die Ostfront nach Rußland geschickt, wo er fiel. Der Papst aber ließ die Juden fortan in 155 römischen Klöstern und Ordenshäusern verstecken und hob dafür die Klausur auf. Jüdische Kinder und Jugendliche tarnte er als Klosterschüler oder Novizen, jüdische Frauen und Männer erhielten zum Schutz Ordenskleider. Als die Nahrungsmittel in Rom knapp. wurden, ließ er ein Schiff kaufen, das Lebensmittel aus dem Hafen von Genua brachte. P. Pfeiffer besuchte die Klöster, um Quartier für Juden zu machen, organisierte die Verteilung von Lebensmitteln an sie und hielt auch Verbindung zu Wehrmacht, sogar zu Gestapo und SS. Aus Dankbarkeit hat 1945 Roms Stadtrat eine Straße nach ihm benannt. Eine Gedenkstätte in Rom nahe dem Lateran erinnert mit zahlreichen Dokumenten, Bildern und Schautafeln an ihn und den Papst. Wenn dieser öffentlich und feierlich gegen die Judenverfolgung protestiert hätte, hätte es – damit war zu rechnen – eine Durchsuchung in diesen Häusern gegeben, und das wäre ein Katastrophe geworden.“ Auch in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo hat Pius Tausende aufgenommen. Sein Schlafzimmer wurde zur Hebammenstation. 36 Kinder kamen im Apostolischen Palast zur Welt. Der Papst hat auch alle Nuntien in Europa angewiesen, bei Regierungen zu Gunsten der gefährdeten Juden tätig zu werden und vatikanische Pässe auszustellen. Die Palastgarde erhöhte er von 300 auf 4.000 Mann, unter ihnen waren über 400 Juden.
Pinchas Lapide, zeitweise israelischer Konsul in Mailand, erklärt: „Die katholische Kirche ermöglichte unter dem Pontifikat Pius‘ XII. die Rettung von 700.000, wahrscheinlich sogar 860.000 Juden vor dem gewissen Tod durch die Hände der Nationalsozialisten. Und Professor Heinz Hürten stellt fest, daß „70–90% der insgesamt 950.000 geretteten Juden in Europa ihr Überleben irgendwelchen Hilfen von Seiten der Kirche verdanken“. Die Juden, die die Schreckensjahre des Nazi-Regimes miterlebt haben, waren Pius XII. dankbar. In unzähligen Schreiben haben sie das nach Kriegsende bezeugt.
Zusammenfassung:
Wie keine andere gesellschaftliche Gruppe in Deutschland und im Ausland wurden die Katholische Kirche und ihr Oberhaupt, der Papst, wegen der Stellung zum Nationalsozialismus seit den 60er Jahren kritisiert. Unbestritten ist: Auch bei Priestern und Bischöfen gab es manchmal Ängstlichkeit, Voreiligkeiten und Torheiten, auch sie waren ja nur Menschen. Neben manch berechtigter Kritik gibt es aber vor allem eine absolut unberechtigte Kritik, die nur mit großer Unwissenheit oder mit anti-katholischer, oft auch anti-christlicher Haltung zu erklären ist.
Seit Jahrzehnten beschuldigt besonders der Spiegel die katholische Kirche, daß sie gegenüber Hitler nicht nur zu schwach gewesen sei, sondern daß sie als Komplize mit ihm zusammengearbeitet habe. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was die „Nürnberger Nachrichten“ am 27. Dezember 1996 berichtet haben: Unter der Überschrift. „Tabus der ‚Spiegel‘-Vergangenheit, SS-Hauptsturmführer als Ressortleiter – Mit heutigem Image nicht vereinbar“ brachten sie folgende Mitteilung: „In den 50er Jahren waren beim Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ einflußreiche SS-Offiziere und NS-Funktionäre in verantwortlichen Funktionen tätig. So war z. B. Wilfred von Oven, der frühere Chefadjutant von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, in den 50er Jahren Südamerika-Korrespondent. Ich denke, wer um diese Tatsachen weiß, wird die Haltung des „Spiegel“ wohl besser verstehen. Aber auch in Schulbüchern, in Veröffentlichungen von öffentlich-rechtlichen Anstalten (Funk und Fernsehen) und der Bundesanstalt für politische Bildung in Bonn werden bei der Frage „Stellung der christlichen Kirchen zum NS-Regime“ die Prinzipien von Wahrheit und Gerechtigkeit oft verletzt. Viele entscheidende Fakten werden verschwiegen, völlig verdreht oder durch wichtige Auslassungen falsch dargestellt.
Wir werden das Verhalten der katholischen Kirche nur dann gerecht beurteilen, wenn wir es mit dem anderer Gruppen vergleichen. Die Katholische Kirche galt als der schlimmste Gegner der Nazis, und das Regime hat ab 1936/1937 keine andere gesellschaftliche Gruppe, auch die Kommunisten nicht, als so gefährlichen Gegner betrachtet wie die kirchentreuen Katholiken.
Keine andere gesellschaftliche Gruppe hat sich in Deutschland ähnlich widerständig gezeigt wie der katholische Klerus: In über 12.000 Fällen gingen die Gestapo, die Justiz oder die Verwaltung gegen deutsche Welt- und Ordenspriester vor. Das war die Hälfte des gesamten katholischen Klerus damals.
Die Opfer: Über 4000 katholische Priester und Ordensleute starben als Opfer der Nazis, – nicht wenige, weil sie Juden geholfen hatten. 418 deutsche Priester verschwanden in Konzentrationslagern, 74 weitere Priester wurden hingerichtet oder ermordet. Helmut Moll bringt die Lebensbilder von 130 deutschen Diözesanpriestern, 59 männlichen. 6 weiblichen Ordensleuten und 122 katholischen Laien, die in der NS-Zeit ihres Glaubens wegen getötet wurden. Die meisten Priester befanden sich im KZ Dachau. Dort wurden zwischen 1934 und 1945 insgesamt über 2.720 Geistliche eingesperrt. Von den Häftlingen dort waren 94,7 Prozent katholisch, 3,8 Prozent protestantisch.
Wenn man Vergleiche mit irgendeiner Institution, Religionsgemeinschaft oder den weltanschaulichen Gegnern des Nationalsozialismus anstellen will, wird man feststellen, daß die katholische Kirche bei allem partiellen Versagen doch noch weitaus am besten abschneidet.
Die Geschichtswissenschaft ist sich in diesem Urteil absolut einig. Und dennoch werden die schlimmen Vorwürfe gegen Pius XII. und die Katholische Kirche selbst heute noch aufrecht erhalten. Die eigene Schuld wälzt man auf einen kreierten Sündenbock.
Doch ein Lichtblick! Kurz vor dem 50. Todestag Pius‘ XII. am 9. Oktober 2008 fand in Rom eine dreitägige Historikerkonferenz statt, die von der amerikanisch-jüdischen „Pavel tue Way-Foundation“ veranstaltet wurde. An ihr nahmen anerkannte Pius-Forscher teil, aber auch Rabbiner aus verschiedensten Ländern. Sie veröffentlichten eine beeindruckende Dokumentation von Juden, die dank des Eingreifens des Papstes der Vernichtung entgangen waren. Es war das erste Mal in den 45 Jahren seit der Uraufführung des „Stellvertreters“, daß eine jüdische Organisation ihre Stimme gegen die „schwarze Legende“ von „Hitlers Papst“ erhob. Vielleicht zeigt sich damit endlich eine gerechte Neubewertung Pius‘ XII. und der katholischen Kirche ab.
Der jüdische Talmud lehrt: „Wer auch nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ Oskar Schindler war ein Held, weil es ihm gelang, 1.200 Juden vor den Gaskammern von Auschwitz zu retten. Doch er mußte hilflos zusehen, wie Millionen andere getötet wurden. Auch Pius XII. konnte den Holocaust nicht verhindern; er hätte ihn nie verhindern können, gleich, was er versucht hätte. Aber es gelang ihm, direkt und indirekt, wie Pinchas Lapide erklärt, ca. 850.000 Juden vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Viele, die in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte bei Jerusalem, mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wurden, weil sie Juden retteten, handelten in Zusammenarbeit mit oder sogar ausdrücklich auf Anweisung dieses Papstes. „Es ist an der Zeit“, schreibt der jüdische Rabbi und Historiker Prof. Dr. David Gil Dalin, „daß auch Pius XII. als ‚Gerechter unter den Völkern‘ anerkannt wird.“ Er hätte den Titel wie kein anderer verdient.
Von uns fordert der Rückblick auf die Zeit des Nationalsozialismus:
- Respekt vor den tapferen Frauen und Männern, die damals dem Ungeist entgegen getreten sind und oft sogar ihr Leben geopfert haben. Sie dürfen mit ihrem vorbildlichen Handeln nicht vergessen werden.
- Wachsamkeit gegenüber allen Entwicklungen ob politisch links oder rechts, die die unabänderlichen Menschenrechte bedrohen, eine entsprechende öffentliche Meinungsbildung und ein konsequentes Handeln
- Bereitschaft zum persönlichen Einsatz im Bereich des öffentlichen Lebens. in der Politik, denn wirklicher „Friede“ ist nur möglich auf der Basis von Wahrheit, Gerechtigkeit Liebe und Freiheit.
Der Text wurde als Vortrag in verschiedenen Pfarrgemeinden der Diözesen Eichstätt und Regensburg gehalten, ebenso vor Studenten in Bamberg, Eichstätt, Ingolstadt und Würzburg. Der Text über Pius XII. stammt aus einem Vortrag „Pius XII. und die Juden“ gehalten am 28.01.2009 an der Universität Eichstätt.
Gerhard Senninger (Jahrgang 1931) studierte Philosophie und Theologie in Eichstätt sowie Geschichte in München bei den Professoren Franz Schnabel und Johannes Spörl. Er wurde 1957 zum Priester geweiht. Nach 10 Kaplansjahren in Gunzenhausen und Eichstätt wirkte er 33 Jahre als Pfarrer und Religionslehrer in Altdorf bei Nürnberg. Jetzt wohnt er in Neumarkt, Oberpfalz.
Anzeige: Das Buch zu diesem Thema: Gerhard Senninger „Glaubenszeugen oder Versager? Katholische Kirche und Nationalsozialismus“, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage EOS-Verlag St. Ottilien 2007, 416 Seiten, 24.80 €, ISBN 978–3‑8306–7314‑9, kann bei der Buchhandlung Falk Versandkostenfrei hier bezogen werden.