Gastbeitrag von Gottfried Paschke
Die als demokratischer Rechtsstaat konstituierte Bundesrepublik Deutschland steht in der Tradition des christlichen Abendlandes. Gleich im ersten Satz des Grundgesetzes bekennt sie sich ausdrücklich zu ihrer „Verantwortung vor Gott und den Menschen“.[1] Dieses Bekenntnis ist der Kern der Lehre aus den bitteren Erfahrungen Deutschlands mit der ebenso gott- wie menschenverachtenden Diktatur des Nationalsozialismus und damit zugleich die Absage an jegliche Form von Willkür und totalitärer Herrschaft auf deutschem Boden.
Daran muß erinnert werden, wenn jetzt die Regierungen von Bund und Ländern im Zuge der Seuchenbekämpfung umstandslos Freiheitsrechte beschneiden. Alarmierend ist besonders die Entscheidung, „Zusammenkünfte in Kirchen […] und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften“ ohne Ausnahme „zu verbieten“.[2] Der Staat überschreitet hier eine letzte rote Linie. Man findet sie klar gezogen in zwei bekannten Jesusworten. Das eine: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist.“[3] Das andere: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.“[4] Letzteres wird den Menschen gerade in Notsituationen vor Augen geführt. Wenn irdische Sicherheiten wegbrechen, bleibt als einziger Ausweg der Glaube. Wer dann Gottesdienste verbietet, handelt nicht nur töricht, sondern auch verantwortungslos. Er macht die Not nur noch größer.
Der Staat, vor allem wenn er sich als ein vor Gott und Mensch verantwortlicher Rechtsstaat begreift, darf ein Verbot öffentlicher Gottesdienste, wenn überhaupt, dann nur für den äußersten Notfall und lediglich als allerletztes, zeitlich und möglichst auch räumlich limitiertes Mittel in Erwägung ziehen. Daß mit der Coronaepidemie ein äußerster Notfall vorliegt und an einem Totalverbot öffentlicher Gottesdienste kein Weg vorbeiführt, ist nicht ersichtlich. In den Kirchen kann genauso für hinreichend Abstand und andere Vorsichtsmaßnahmen gesorgt werden wie beim Einkaufen, in der Bank, an der Tankstelle. Man kann die Anzahl der Kirchen, in denen Gottesdienste stattfinden, reduzieren, nur großräumige Gotteshäuser auswählen, öffentliche Gottesdienste nur sonntags und an hohen religiösen Festtagen feiern, die Liturgie so kurz wie möglich halten.
Die Verhängung eines Gottesdienstverbots ist ein totalitärer Akt und bezeichnend für eine Politikerkaste, die größtenteils ihre Religion an der Garderobe abgegeben hat. Besonders blamabel ist, daß die meisten der federführenden Figuren Parteien angehören, die das „C“ im Namen tragen. Dieser Buchstabe, so zeigt sich einmal mehr, ist mittlerweile nur noch Etikettenschwindel und Lachnummer, Verrat am Christentum. Die Bundeskanzlerin, Pfarrerstochter und lange Jahre Vorsitzende der größeren der beiden „christlichen“ Parteien, verkündete das gemeinsam mit den Ländern beschlossene Gottesdienstverbot höchstselbst und ohne mit der Wimper zu zucken. Ein moralischer Tiefpunkt der Ära Merkel und föderaler Politik. Die Bau- und Supermärkte dürfen öffnen, die Kirchen müssen schließen. Publikumsverkehr zwischen Bohrmaschinen und Blumenerde: kein Problem. Mit der Pfarrgemeinde eine Messe feiern, zum Beispiel für ein Ende der Virusseuche: verboten. Man könnte meinen, mit diesem rabiaten Diktat soll nicht nur die Ausbreitung des Virus, sondern auch Religion und Glaube bekämpft werden, vor allem der christliche. Will man die Christen zurück in die Katakomben treiben?
Größeren Widerstand gegen das Gottesdienstverbot, das ja einen massiven Eingriff in die Religionsfreiheit darstellt, gibt es freilich nicht. Die Bevölkerung scheint mehrheitlich damit einverstanden zu sein oder es als wenig bedeutsam zu erachten. Mit Gott und Religion hat diese Gesellschaft nicht viel am Hut. Fragt sich nur, wie lange sie sich das noch wird leisten können.
Am härtesten trifft das Verbot öffentlicher Gottesdienste die katholische Kirche. Sakramentenspendung findet kaum noch statt und die gemeinsame sonntägliche Eucharistiefeier, das Herz allen kirchlichen Lebens, überhaupt nicht mehr. Das liegt allerdings auch an den Bischöfen. Sie setzen die staatliche Anordnung, obwohl sie rücksichtslos in den ureigensten Bereich der Kirche eingreift, brav um, die meisten dienstbeflissen bis zur Unterwürfigkeit. Etliche Bischöfe brachten es sogar fertig, in vorauseilendem Gehorsam von sich aus alle öffentlichen Gottesdienste in ihren Diözesen zu verbieten. Männer der Kirche, Apostelnachfolger, lassen sich widerstandslos vom Staat als Vollzugsorgane gegen ihre eigene Kirche benutzen oder würgen das kirchliche Leben in ihren Bistümern gleich freiwillig ab. Per Dienstanweisung zwingen sie ihre Priester, dem Wesen des Priestertums zuwiderzuhandeln und die Gläubigen von Gottesdiensten fernzuhalten. Diese dürfen nur noch als Privatveranstaltungen hinter verschlossenen Türen mit einer niedrigen einstelligen Anzahl von Teilnehmern stattfinden. Nicht ein Bischof ist Manns genug, einer übergriffigen Staatsmacht die Stirn zu bieten und für die Freiheit der Kirche zu streiten. Aus Angst vor Viren und Wölfen verlassen die Hirten ihre Herde und verkriechen sich im Stall. Sie verweigern den Gläubigen das Brot des Lebens, die himmlische Speise, und speisen sie mit dem Verweis auf Privat‑, Mattscheiben- und Cyberfrömmigkeit ab.
Selbst in der Karwoche und an Ostern, dem höchsten Fest der Christenheit, an dem mit der Auferstehung Jesu die Befreiung aller Befreiungen gefeiert wird, verharrten die Bischöfe in ihrem Modus des Wegduckens, Verweigerns und Vertröstens. Der Höhepunkt des Kirchenjahres war ihnen nicht wichtig genug, um für die grundgesetzlich garantierte freie Religionsausübung[5] zu kämpfen. Lieber vernachlässigten sie ihre Hirtenpflicht, als einen Konflikt mit dem Staat (der ihnen die hübschen finanziellen Vorteile beschert) zu riskieren. Wenn es ungemütlich zu werden droht, gibt man lieber klein bei. Da ist vielen das weltliche Hemd doch näher als der geistliche Rock, die Mitra, der Kardinalspurpur. Zudem geht es um die Gesundheit, und die hat selbstverständlich Vorrang. Das Virus gewährt Generaldispens. Wie praktisch! So fallen auch bischöfliche Lau- und Feigheit weniger auf.
Für die Gläubigen bedeutete das Verhalten der Bischöfe: keine Abendmahlsmesse am Gründonnerstag, keine Karfreitagsliturgie, keine Osternachtsfeier, kein Hochamt am Ostersonntag und keines am Ostermontag. Sind Bischöfe, die ihre Gläubigen vorsätzlich in eine solche Lage bringen, glaubwürdige Verkünder der Osterbotschaft? Gewissenhafte Seelsorger? Treue Verwalter der Sakramente? Sind sie in ihrem Amt am richtigen Platz?
Wie man Bischöfe, die sich als mustergültige Staatskatholiken glauben beweisen zu müssen, politisch instrumentalisiert, ist in Nordrhein-Westfalen gut zu beobachten. Nachdem die dortigen Bischöfe in vorauseilendem Gehorsam das Feiern von Gemeindegottesdiensten unterbunden hatten, verzichtete der Ministerpräsident auf das formale Inkraftsetzen des beschlossenen Gottesdienstverbots und kann sich nun als besonders sorgsamer Hüter der Religionsfreiheit inszenieren. In seinem Bundesland, verkündete er wiederholt, seien Gottesdienste nie verboten worden.[6] Doch, nur eben nicht durch den Staat, sondern durch die Kirche selbst.
In der Coronakrise wird wieder einmal deutlich, woran der deutsche Episkopat krankt. Es fehlt an Glaubensstärke, Bekennermut, Selbstachtung, Selbstbehauptungswillen, Abstand zum Staat, Zeitgeistresistenz und der Bereitschaft zur Konfrontation mit den Mächten dieser Welt. Der bisherige Kurs, den eine überwältigende Mehrheit der Bischöfe in der Coronakrise verfolgt, ist beschämend. Er ist ein geistliches und pastorales Desaster. So bringt man das Kreuz Christi um seine Kraft.
Dabei wäre gerade jetzt die Stunde der Bischöfe. Ihre Aufgabe wäre es, in dieser denkwürdigen Fasten‑, Oster- und nachösterlichen Zeit des Jahres 2020 mit der Kraft ihrer apostolischen Vollmacht den Gläubigen beizustehen und darüber hinaus dem ganzen Land ihre geistliche Hilfe anzubieten. Beides aber nicht nur aus digitaler Distanz, sondern zuvörderst in realer Präsenz durch öffentliche Gottesdienste. Auch wäre für sie jetzt der Moment, um eine Nation, die hartnäckig ihre christlichen Wurzeln mißachtet, die in Gottferne und moralischer Umnachtung dahinlebt, aufzurütteln, ihr klarzumachen, daß das Virus eine ernste Botschaft überbringen könnte, die Botschaft, daß es so nicht mehr weitergehen kann, sowie den Aufruf, den Weg, der ins Verderben führt, endlich zu verlassen und eine Umkehr zu vollziehen, wie es die Bewohner von Ninive taten.
Bild: Christianitas (Screenshot)
[1] Präambel GG
[2] Zitate aus FAZ, 17.3.2020, S. 3
[3] Mk 12,17
[4] Mt 4,4
[5] Art. 4 Abs. 2 GG: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“