Wer war Mohammed?

Ein neues akademisches Projekt belebt die historische Debatte über den Gründer des Islam


Vom "historischen" Mohammed weiß niemand viel zu berichten. In einem zweibändigen Werk gehen Islamwissenschaftler daher dem Mohammed der Historiker auf die Spur
Vom "historischen" Mohammed weiß niemand viel zu berichten. In einem zweibändigen Werk gehen Islamwissenschaftler daher dem Mohammed der Historiker auf die Spur

In Frank­reich ist Mit­te Okto­ber ein monu­men­ta­les Werk erschie­nen: Le Maho­met des histo­ri­ens („Der Moham­med der Histo­ri­ker“) in zwei Bän­den (über 2.000 Sei­ten) bei Les Édi­ti­ons du Cerf. Her­aus­ge­ge­ben wird das Werk von Moham­mad Ali Amir-Moez­zi und John Tolan, mit Bei­trä­gen von fünf­zig inter­na­tio­na­len Fach­leu­ten. Ziel des Pro­jek­tes ist es, die histo­ri­sche Figur Moham­meds, sein Wir­ken und sei­nen kul­tu­rel­len Ein­fluß wis­sen­schaft­lich zu unter­su­chen – jen­seits von Mythos, reli­giö­ser Ver­eh­rung und apo­lo­ge­ti­schen Dar­stel­lun­gen. Dabei wer­den alle ver­füg­ba­ren Quel­len her­an­ge­zo­gen: isla­mi­sche und nicht-isla­mi­sche, ara­bi­sche, christ­li­che, per­si­sche und afri­ka­ni­sche Tex­te sowie mysti­sche und lite­ra­ri­sche Schrif­ten. Und das Ergeb­nis ist verblüffend.

Kaum gesicherte historische Fakten

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Trotz des enor­men Umfangs wei­sen die betei­lig­ten Histo­ri­ker auf eine grund­le­gen­de, ja ent­schei­den­de Ein­schrän­kung hin: Über die histo­ri­sche Per­son Moham­meds läßt sich kaum etwas mit Sicher­heit sagen. Kein Wun­der also, daß es eine gan­ze Strö­mung in der Islam­wis­sen­schaft gibt, die sich auf die Früh­pha­se des Islams kon­zen­triert und sogar die Exi­stenz Moham­meds infra­ge stellt. Die Autoren des neu­en Werks zäh­len jedoch nicht zu die­ser Richtung.

In einem Inter­view mit Le Mon­de erklärt der Pro­jekt­lei­ter Moham­mad Ali Amir-Moez­zi, eme­ri­tier­ter Direk­tor an der Éco­le Pra­tique des Hau­tes Étu­des in Paris und einer der füh­ren­den Islam­wis­sen­schaft­ler der Welt, daß „das, was Histo­ri­ker über Moham­med mit Sicher­heit sagen kön­nen, kaum zwei Sei­ten füllt“.

Bereits vor drei Jahr­zehn­ten hat­te die Anthro­po­lo­gin Jac­que­line Chab­bi in der Fach­zeit­schrift Ara­bica dar­auf hin­ge­wie­sen, daß eine histo­ri­sche Bio­gra­phie Moham­meds mit kri­ti­schen Metho­den unmög­lich sei, da die Quel­len spät, wider­sprüch­lich, unge­nau und theo­lo­gisch wie poli­tisch gefärbt sei­en. Der erste bio­gra­phi­sche Bericht, ver­faßt von Ibn Ishaq und über­ar­bei­tet von Ibn His­ham, ent­stand erst mehr als ein Jahr­hun­dert nach Moham­meds Tod.

Amir-Moez­zi und John Tolan, eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Nan­tes, bestä­ti­gen: „Wenn man über­haupt eine Bio­gra­phie über Moham­med schrei­ben kann, liegt das dar­an, daß man die Tex­te nicht kri­tisch unter­sucht. Wer hin­ge­gen einen kri­ti­schen Ansatz ver­folgt, fin­det sich bald in einer unlös­ba­ren Situation.“

Ein biblisches, kein islamisches Botschaftsbild

Sicher rekon­stru­ier­bar sei ledig­lich, so die Autoren, daß Moham­med im spä­ten 6. Jahr­hun­dert in West­ara­bi­en gelebt habe. Alles Wei­te­re – Geburts- und Ster­be­da­ten, Zahl der Kin­der und Ehe­frau­en, sei­ne Taten – bleibt in den nebu­lö­sen, spät ent­stan­de­nen und wider­sprüch­li­chen Quel­len verborgen.

Was jedoch mit eini­ger Sicher­heit fest­ge­hal­ten wer­den kön­ne, sei die Art sei­ner Bot­schaft: Moham­med ver­kün­de­te, so die For­scher, „eine Bot­schaft inner­halb der mono­the­isti­schen Tra­di­ti­on von Juden­tum und Chri­sten­tum“, rief zu Buße, Fröm­mig­keit, Näch­sten­lie­be und Mild­tä­tig­keit auf und warn­te vor der gött­li­chen Strafe.

Amir-Moez­zi betont, daß der Koran „als Fort­set­zung der Tora des Mose und des Evan­ge­li­ums Jesu (Sure 5,46) prä­sen­tiert wird“ und apo­ka­lyp­ti­sche The­men behan­delt, die ein­deu­tig jüdisch-christ­li­chen Ursprungs sind. Der ein­zi­ge Unter­schied lie­ge dar­in, daß Gott im Koran regel­mä­ßig in der Ich-Form spreche.

John Tolan hebt her­vor, daß der Koran eine Bevöl­ke­rung vor­aus­setzt, die bereits „breit ver­traut ist mit der mono­the­isti­schen, also bibli­schen Tra­di­ti­on“. Die zahl­rei­chen Anspie­lun­gen auf bibli­sche Geschich­ten, ins­be­son­de­re die der Pro­phe­ten des Alten und Neu­en Testa­ments, set­zen ein ent­spre­chen­des Vor­wis­sen voraus.

In die­sem Zusam­men­hang ver­weist Tolan auf aktu­el­le For­schungs­er­geb­nis­se, die den Koran in bezug auf die syri­sche Pes­chit­ta betrach­ten, eine syri­sche-ara­mäi­sche Über­set­zung des Evan­ge­li­ums. Auf­fäl­lig ist: Moham­med selbst wird im Koran nur vier­mal erwähnt, und es gibt kei­nen Hin­weis dar­auf, daß er sich bewußt von jüdi­schen oder christ­li­chen Pro­phe­ten unter­schei­den woll­te oder eine neue Reli­gi­on grün­den wollte.

Der Koran und die europäische Wahrnehmung

Im Mit­tel­al­ter galt Moham­med den euro­päi­schen Chri­sten, so Amir-Moez­zi, als fal­scher Pro­phet, nicht zuletzt, weil die Evan­ge­li­en sol­che fal­schen Pro­phe­ten vor­her­sag­ten. Daß der Koran zahl­rei­che bibli­sche Ele­men­te ent­hielt, ver­stärk­te die­sen Ein­druck noch.

Eine ent­schei­den­de Wen­de kam 1543 mit der Her­aus­ga­be einer älte­ren latei­ni­schen Über­set­zung des Korans, aber ver­se­hen mit einer deut­schen Vor­re­de von Mar­tin Luther. Luther unter­stütz­te die Koran-Ver­öf­fent­li­chung, und es ist kein Zufall, daß pro­te­stan­ti­sche Pre­di­ger dar­in fort­an Argu­men­te gegen die katho­li­sche Kir­che fan­den. Der Islam wur­de in die­ser Per­spek­ti­ve – trotz wei­ter­hin nega­ti­ver Gesamt­be­wer­tung – als ein „gerin­ge­res Übel“ gegen­über dem Katho­li­zis­mus betrachtet.

Auf die­ser pro­te­stan­ti­schen Linie bau­te die Auf­klä­rung auf: Das Bild Moham­meds wur­de zuneh­mend posi­tiv gezeich­net – nicht aus histo­ri­scher Genau­ig­keit, son­dern als ideo­lo­gi­sches Instru­ment gegen die katho­li­sche Kir­che. Er erschien nun als gro­ße spi­ri­tu­el­le Figur, als Dich­ter und Gelehr­ter, gefei­ert schließ­lich sogar von Goe­the und Vic­tor Hugo. Napo­le­on sah in ihm einen gro­ßen Gesetz­ge­ber. Dies geschah vor dem Hin­ter­grund, daß die isla­mi­sche Welt damals mili­tä­risch kei­ne Bedro­hung mehr war und daher unter einem exo­ti­schen, idea­li­sier­ten und anti­ka­tho­lisch-instru­men­ta­li­sier­ten Blick­win­kel betrach­tet wur­de. Erst mit der isla­mi­schen Revo­lu­ti­on im Iran 1979 und der damit ver­bun­de­nen Demü­ti­gung der USA trat der poli­tisch moti­vier­te Islam wie­der in den Vor­der­grund und wur­de zuneh­mend als rea­le Bedro­hung wahrgenommen.

Ein Vergleich zu christlichen Quellen

Die histo­risch-kri­ti­sche Metho­de führ­te einen lan­gen „Glau­bens­kampf“ mit der Behaup­tung, daß es kaum stich­hal­ti­ge Quel­len über das Leben Jesu gebe – dabei gibt es kaum eine histo­ri­sche Gestalt, die so gut über­lie­fert und zeit­ge­nös­sisch belegt ist. Die­sel­be Metho­de wird jedoch sel­ten auf Moham­med ange­wen­det, obwohl er etwa 600 Jah­re nach Chri­stus gelebt haben soll. Der Grund dafür wird im neu­en zwei­bän­di­gen Werk direkt oder indi­rekt deut­lich: Über Moham­med ist tat­säch­lich kaum etwas bekannt, das einer histo­ri­schen Über­prü­fung stand­hält. Alles, was über sein Leben über­lie­fert ist, stellt eine nach­träg­li­che Rekon­struk­ti­on dar, die den Maß­stä­ben histo­ri­scher Gewiß­heit nicht entspricht.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Ver­lag (Screen­shots)

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