
In der langen Geschichte der katholischen Kirche sind Rücktritte aus Liebe kein Novum – im Schatten des Altars haben sich immer wieder Priester für ein Leben außerhalb der kirchlichen Klerikerordnung entschieden. Selten jedoch fällt ein Bischof in diese Kategorie. Noch seltener geschieht es mit solcher Öffentlichkeit wie im Fall des ehemaligen Bischofs von Caravelí Reinhold „Reinaldo“ Nann. Der deutsche Ex-Missionar, einst Hoffnungsträger unter Papst Franziskus, vollzog seinen Rückzug vom kirchlichen Amt nicht stillschweigend, sondern verbunden mit scharfer Kritik am Pflichtzölibat – und schob damit praktischerweise jede Schuld von sich weg und der Kirche in die Schuhe.
Von Rom nach Caravelí – und zurück
Reinhold Nann, ursprünglich aus dem Erzbistum Freiburg im Breisgau und Weggefährte des progressiven peruanischen Kardinals Carlos Castillo Mattasoglio, galt unter Papst Franziskus als Musterbeispiel eines missionarischen, sozial engagierten Bischofs. 2017 zum Bischof geweiht und zum Prälaten der peruanischen Territorialprälatur Caravelí ernannt, stieg er schnell zum Vorsitzenden der Caritas Peru auf und wurde Verantwortlicher für die Familienkatechese des Landes. Dann, am 1. Juli 2024, erfolgte sein plötzlicher Rücktritt. Offiziell hieß es aus gesundheitlichen Gründen: Streß, Bluthochdruck, psychische Erschöpfung wurden genannt.
Doch hinter dem vermeintlichen Burn-out verbarg sich eine Liebesgeschichte. Und da der Widerspruch zu seinem Versprechen als Priester und Bischof offensichtlich ist, schlüpfte Nann auch noch in die Rolle des Anklägers. Zu sehr scheinen allgemein die medialen Mechanismen des Kirchen-Bashings bekannt zu sein.
Die Enthüllung
In einem eigens eröffneten Blog gab Nann nun bekannt, daß er sein Amt und den Priesterstand „aus Liebe“ zu einer Frau aufgegeben habe – und diese inzwischen geheiratet hat. Die Entscheidung sei nicht spontan gefallen. Bereits zuvor habe er sich mehrmals verliebt, diese Gefühle aber dem Zölibatsversprechen geopfert. Sehr gewagt, nennt er seine damalige Loyalität zur Kirche „heroisch“. Die Pandemie habe ihn ins Grübeln gebracht, und schließlich zur Entscheidung geführt, der Liebe den Vorzug vor der kirchlichen Treue zu geben.
Die Enthüllung sei zugleich eine „Emanzipation“ gewesen. Wie könnte es auch anders sein, denkt man sich als Beobachter. Das Schönreden des eigenen Versagens wird in einer Welt des Scheins tagtäglich bis zum Exzeß in allen Varianten über die Medien frei Haus geliefert. Der ehemalige Bischof ist eifrig bemüht, jede Kritik an seinem Verhalten durch lautere Anklage gegen die Kirche und den Zölibat zu ersticken: Er klagte über Einsamkeit, die der Zölibat mit sich bringe, über die „Verlogenheit“, zu der viele Priester gezwungen würden – und über das institutionelle Schweigen, das alles decke.
Zwischen Wahrheit und Tabubruch
Nanns Äußerungen lassen keinen Zweifel an seiner neuen Haltung. Er nennt sich selbst einen „Schattenmenschen“ in der Kirche – heimatlos, mittellos, ohne Zugang zu den Sakramenten, solange Rom seine Laisierung nicht offiziell vollzieht. Dafür feiert er die gewonnene „Freiheit, ich selbst zu sein“. Und greift die Wurzel des Konflikts frontal an: den verpflichtenden Zölibat. Er war demnach bisher nicht „er selbst“ und lebte in der Unfreiheit. Tatsache ist jedoch, daß ihn niemand gezwungen hatte, Priester und dann sogar Bischof zu werden. Es war sein freies Adsum, das er einst gesprochen hat. Es scheint sehr bequem, daß immer andere schuldig sind, aber nie man selbst. Was folgt, ist eine öffentliche Selbstentblößung, in der privates Scheitern zum Systemfehler erklärt wird.
So sieht sich Nann nun als Marktschreier gegen den priesterlichen Zölibat, wobei er alle Parolen bedient, wie sie Kirchenfeinde seit jeher bedienen. Wie glaubwürdig und integer ist das aber? Gewiß, was seine Gewissensentscheidung angeht, darüber muß niemand urteilen. Diese hat er zu verantworten. Etwas anderes ist es aber, wenn er seine persönliche Entscheidung zu einem Angriff gegen die Kirche und eine ihrer zentralen Institutionen macht, etwa durch die Behauptung, der Zölibat sei „unbiblisch“. Genau das ist er nicht.
Der Herr thematisiert genau diesen Punkt. Der Zölibat entspricht der Ehelosigkeit Jesu Christi. Wer sie um des Himmelreiches willen fassen kann, der fasse es. Nun weiß alle Welt, daß Nann es nicht fassen kann – und wohl auch nicht gefaßt hat. Die Frage, wer da der Heuchler ist, muß er sich wohl selber stellen.
Aus dem göttlichen Vorbild erhält auch schon die nächste Anklage Nanns ihre Antwort, wenn er behauptet, der Zölibat sei „ungesund“.
Die Kirche in Peru
Die Causa Nann rückt die kirchliche Lage in Peru in den Fokus, immerhin war dort auch der nunmehrige Papst Leo XIV. über ein Jahrzehnt Bischof und ein Mitbruder Nanns. Der Fall Nann ist auch eine späte Quittung für eine Personalpolitik, die zu oft auf ideologische Nähe statt auf geistliche Tiefe gesetzt hat. In Peru, wo kirchliche Grabenkämpfe zwischen dem progressiven Lager um Castillo Mattasoglio und dem konservativen Erbe von Kardinal Cipriani Thorne lange gärten, war Nann eine bereitwillige Schachfigur im bergoglianischen Spiel einer sich zunehmend selbst politisierenden Kirche. Die Entscheidung, ihn 2017 zum Bischof zu machen, paßte in das Muster der Bergoglio-Ära: lieber einem progressiven Kontext angepaßt als profilstark, lieber pastoral als dogmatisch klar.
Auch wenn Reinhold Nann versucht, sich als Märtyrer zu stilisieren, ist er keiner. Seine Selbstoffenbarung, um die ihn niemand gebeten hatte, kommt spät, sein Rückzug war nicht frei von Verschleierungen, was ihm nun den Vorwurf eines „Doppellebens“ einbrachte – was eines Bischofs unwürdig ist.
Auch in diesem Fall gilt: Si tacuisses…
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
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