Papst Leo XIV. und die Rückkehr zur Normalität mit Symbolkraft

Der erste Monat mit dem neuen Kirchenoberhaupt


Die Tageszeitung von Giorgia Melonis Regierungspartei befaßt sich mit den ersten Schritten im Pontifikat von Leo XIV.
Die Tageszeitung von Giorgia Melonis Regierungspartei befaßt sich mit den ersten Schritten im Pontifikat von Leo XIV.

Die ita­lie­ni­sche Tages­zei­tung Il Seco­lo d’Italia ver­öf­fent­lich­te kürz­lich eine Ana­ly­se des ersten Monats im Pon­ti­fi­kat Papst Leos XIV. Dies ver­dient beson­de­re Beach­tung, da es sich um das Pres­se­or­gan der Par­tei von Ita­li­ens Mini­ster­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni han­delt. Es ist mit­hin eine pri­mär poli­ti­sche Betrach­tung – ohne kirch­li­che Bin­dung, aber den­noch auf­schluß­reich. Denn Leos Vor­gän­ger, Papst Fran­zis­kus, hat­te jeg­li­chen Dia­log mit der poli­ti­schen Rech­ten kate­go­risch verweigert.

Anzei­ge

Wäh­rend sich unter Fran­zis­kus lin­ke Poli­ti­ker aus aller Welt im Vati­kan die Klin­ke in die Hand gaben, blie­ben Ver­tre­ter der Rech­ten außen vor. Nur wenn – wie im Fal­le Melo­nis – ein sol­cher Poli­ti­ker ent­ge­gen lin­ker Aus­gren­zungs­po­li­tik vom Wäh­ler mit einem Staats­amt betraut wur­de, ließ sich nach den Regeln der diplo­ma­ti­schen Eti­ket­te eine offi­zi­el­le Audi­enz nicht ver­mei­den. Von einem wirk­li­chen Gedan­ken­aus­tausch oder gar einem Dia­log konn­te indes kei­ne Rede sein.

Ein Monat mit Leo XIV.: Wiederentdeckte Zeichen, vatikanische Diplomatie und eine Kirche, die wieder Stimme gewinnt

Von Fran­ces­co Maria Filipazzi

Ein Monat ist ver­gan­gen, doch das Inter­es­se an Leo XIV., an sei­nen Wor­ten und Gesten, läßt nicht nach. Um es mit einem ame­ri­ka­ni­schen Aus­druck zu sagen: Der „Hype“ ist nach wie vor unge­bro­chen. Die­ser erste Monat unter Leo, der mit der Über­ra­schung eines Namens begann, wel­cher zwar nicht völ­lig uner­war­tet, jedoch gewiß nicht unter den ersten Plät­zen der Prä-Kon­kla­ve-Spe­ku­la­tio­nen war, setz­te sich in einer als außer­ge­wöhn­lich emp­fun­de­nen Nor­ma­li­tät fort – geprägt von wie­der­ent­deck­ten Zei­chen und Sym­bo­len, bedeu­tungs­vol­len Wor­ten und einer Har­mo­nie, die die Kir­che von Rom wie­der zu einem alten, aber neu emp­fun­de­nen Bezugs­punkt wer­den läßt.

Die Zeichen Papst Leos XIV.

Unzwei­fel­haft ist, daß Leo auf sym­bo­li­scher Ebe­ne bereits mit sei­nem ersten öffent­li­chen Auf­tre­ten die Zei­chen des Papst­tums wie­der auf­ge­nom­men hat. Wäh­rend des gan­zen Monats sah man den Hei­li­gen Vater knien vor dem Aller­hei­lig­sten Sakra­ment und vor der Got­tes­mut­ter, man hör­te ihn den latei­ni­schen Gesang kor­rekt anstim­men und spre­chen. Gläu­bi­ge küs­sen den Fischer­ring, Prie­ster grei­fen wie­der zur Soutane.

Gro­ße Freu­de löste sein unan­ge­kün­dig­ter Besuch auf dem Som­mer­sitz Castel Gan­dol­fo aus, wel­cher unter Papst Fran­zis­kus kaum genutzt wor­den war und womög­lich nun wie­der stär­ker in den Mit­tel­punkt rückt. Eine bedeu­tungs­vol­le Geste – zunächst für die Bür­ger des alten Städt­chens, die dem Papst seit jeher auf beson­de­re Wei­se ver­bun­den sind, sodann für die katho­li­sche Welt ins­ge­samt, die trotz welt­li­cher Strö­mun­gen von Sym­bo­len und schein­bar unbe­deu­ten­den Tra­di­tio­nen lebt.

Ein päpstlicher, doch persönlicher Stil

Der Stil Leos XIV. scheint das Wesen des klas­si­schen Papst­tums wie­der­auf­zu­neh­men und mit einer bemer­kens­wert mil­den per­sön­li­chen Note zu ver­bin­den. Deut­lich wird sei­ne Freu­de, Christ zu sein, wie auch ein tie­fer Glau­be, der sich auf die gesam­te Kir­chen­ge­schich­te grün­det – nicht bloß auf das nach­kon­zi­lia­re Zeit­al­ter. Papst Leo zitiert Kir­chen­vä­ter, allen vor­an den hei­li­gen Augu­sti­nus, wie auch Vor­gän­ger ver­schie­den­ster Epo­chen sowie Doku­men­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils – in der Har­mo­nie einer stets kla­ren, chri­sto­zen­tri­schen Bot­schaft, wel­che zur Umkehr und zur Sen­dung ein­lädt: zum „See­len­fi­schen“, um die Men­schen wie­der zum Glau­ben zurückzuführen.

In die­sem ersten Monat zeig­te Leo sich auch humor­voll – etwa mit einer scherz­haf­ten Bemer­kung über sei­ne ver­meint­li­che Sym­pa­thie für den Fuß­ball­klub AS Roma oder über Jour­na­li­sten, die beim Zuhö­ren ein­schlie­fen. Eine natür­li­che Empa­thie macht ihn auf unauf­dring­li­che Wei­se sympathisch.

Internationale Politik

Unmit­tel­bar nach sei­ner Wahl gelang es Pre­vost, die Kir­che wie­der ins Zen­trum der welt­po­li­ti­schen Über­le­gun­gen zu rücken. Er beleb­te die tra­di­tio­nel­le, oft stil­le Diplo­ma­tie des Hei­li­gen Stuhls neu. Durch sei­nen Vor­schlag, die Ver­hand­lun­gen zum Ukrai­ne­krieg im Vati­kan – also auf wahr­haft neu­tra­lem Boden – zu füh­ren, brach­te er alle Par­tei­en welt­weit zum Nach­den­ken. Selbst Prä­si­dent Putin nahm das Tele­fon zur Hand und sprach mit dem Papst – eine indi­rek­te Aner­ken­nung sei­ner Ver­mitt­ler­rol­le. Leo jedoch begnüg­te sich nicht mit blo­ßer Rhe­to­rik, son­dern for­der­te den rus­si­schen Prä­si­den­ten zu einem ersten Akt der Ent­span­nung auf. Auch in bezug auf Gaza war sei­ne Spra­che von Anfang an klar: Die Kri­se müs­se been­det, huma­ni­tä­ren Initia­ti­ven Raum gege­ben werden.

Zwei Schwerpunkte: Familie und Priestertum

„Gemein­sam wer­den wir die Glaub­wür­dig­keit einer ver­wun­de­ten Kir­che wie­der­her­stel­len – gesandt zu einer ver­wun­de­ten Mensch­heit inmit­ten einer ver­wun­de­ten Schöp­fung. Wir sind noch nicht voll­kom­men, doch müs­sen wir glaub­wür­dig sein.“ – Mit die­sen Wor­ten sprach Leo XIV. wäh­rend der Hei­li­gen Mes­se mit Prie­ster­wei­hen am 31. Mai, sei­ner ersten Wei­he­hand­lung als Bischof von Rom. Sei­ne Wor­te waren offen und furcht­los – er erkann­te das Pro­blem der moder­nen Kir­che klar an. Zwei­fel­haf­te und zwei­deu­ti­ge Hal­tun­gen sei­tens Ver­ant­wor­tungs­trä­ger sei­en oft Grund für das Abwen­den der Gläu­bi­gen. Wer die Ein­heit des Got­tes­vol­kes wie­der­her­stel­len wol­le, müs­se den Kurs ändern.

So gel­te: Wer glaub­wür­dig sein wol­le, müs­se auch glaub­wür­dig han­deln und spre­chen. Auf­se­hen­er­re­gend war auch sein Auf­tritt beim Fami­li­en-Jubi­lä­um, wo Leo zum zwei­ten Mal bin­nen kur­zer Zeit mit sei­ner cha­rak­te­ri­sti­schen Sanft­mut die Rea­li­tät der katho­li­schen Fami­lie bekräf­tig­te: „Die Ehe ist kein Ide­al, son­dern die Norm der wah­ren Lie­be zwi­schen Mann und Frau – einer Lie­be, die ganz, treu und frucht­bar ist“, und zitier­te dabei die Enzy­kli­ka Hum­a­nae Vitae.

Ein mar­kan­ter Wan­del, bedenkt man, daß in der hoch­um­strit­te­nen Amo­ris Lae­ti­tia die Fami­lie eher als Ide­al denn als Norm dar­ge­stellt wur­de. Leo aber beton­te das Selbst­ver­ständ­li­che – ein Fun­da­ment, das heu­te inner­halb der Kir­che aber stark ange­foch­ten ist.

Eben­so bedeut­sam war sei­ne Bot­schaft zum hun­dert­jäh­ri­gen Jubi­lä­um der Hei­lig­spre­chung von Johan­nes Eudes, Johan­nes Maria Vian­ney (dem hl. Pfar­rer von Ars) und der hei­li­gen The­re­sia vom Kin­de Jesu. In einem chri­sto­zen­tri­schen Schrei­ben hob er die Ein­zig­keit des Heils in Jesus Chri­stus her­vor, sowie die höch­sten Wer­te von Hei­lig­keit, Prie­ster­wei­he und geweih­tem Leben. Es scheint, als wol­le Leo XIV. sich auf Fami­lie und Prie­ster­tum kon­zen­trie­ren – die Grund­pfei­ler des Gottesvolkes.

Bemerkenswerte Ernennungen und Handlungen

Neben bedeu­ten­den Reden – in denen manch einer Ratz­in­ger-Töne zu ver­neh­men meint – setz­te Pre­vost auch kla­re Zei­chen durch Hand­lun­gen. Auf­fäl­lig war die plötz­li­che Ablö­sung von Msgr. Paglia – dem Alter geschul­det – sowohl am Päpst­li­chen Theo­lo­gi­schen Insti­tut Johan­nes Pauls II. als auch an der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben, zwei Ein­rich­tun­gen mit moral­theo­lo­gi­schem Schwerpunkt.

Paglia, ein Ver­trau­ter Fran­zis­kus’, war wegen sei­ner hete­ro­do­xen, von vie­len als „pan­nel­lia­nisch“ [Mar­co Pan­nella] bezeich­ne­ten Posi­tio­nen – auch infol­ge sei­ner Nähe zum Radi­ka­len­füh­rer – stark umstrit­ten. Pre­vosts neue Ernen­nun­gen – Kar­di­nal Rei­na und Msgr. Pegor­a­ro – gel­ten dage­gen als deut­lich lini­en­treu­er. Letz­te­rer war 2022 sogar Gast bei der Bio­ethik­schu­le der Lebens­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Pro Vita & Fami­glia. Als kla­res Zei­chen der Öff­nung gegen­über den Tra­di­tio­na­li­sten gilt die Ent­sen­dung Kar­di­nal Sarahs zu den Fei­ern des 400jährigen Jubi­lä­ums der Mari­en­er­schei­nun­gen im bre­to­ni­schen Wall­fahrts­ort Sain­te Anne d’Auray – noch vor weni­gen Mona­ten undenkbar.

Die Einheit der Kirche durch normale Gesten

Es scheint, als habe Pre­vost eine Rück­kehr zur Nor­ma­li­tät ein­ge­läu­tet – eine Nor­ma­li­tät, die vie­le sich wünsch­ten, nicht zuletzt inner­halb der römi­schen Kurie. Und er hat bereits das Lob eines gro­ßen Kir­chen­man­nes erhal­ten: Kar­di­nal Rui­ni erklär­te: „Die Wahl Leos XIV. hat mit über­ra­schen­der Schnel­lig­keit ein grund­le­gen­des Ziel erreicht: die Wie­der­ver­ei­ni­gung der katho­li­schen Kirche.“

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Il Seco­lo d’I­ta­lia (Screen­shot)

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