Ein Gruppenbild – ohne Abtreibung

Das G7-Treffen 2024 und seine Akteure


Der G7-Gipfel in Apulien: Ein aussagekräftiges Gruppenbild mit Aufsteigern und Absteigern und vielen Fragezeichen
Der G7-Gipfel in Apulien: Ein aussagekräftiges Gruppenbild mit Aufsteigern und Absteigern und vielen Fragezeichen

In Apu­li­en fin­det seit gestern der G7-Gip­fel 2024 statt. Das offi­zi­el­le Foto zeigt die Regie­rungs­chefs (aus­ge­nom­men Frank­reich, wo der Staats­prä­si­dent die Macht in Hän­den hält) der sie­ben wich­tig­sten west­li­chen Indu­strie­na­tio­nen, flan­kiert von den Ver­tre­tern der EU. Ein aus­sa­ge­star­kes Bild, das nicht bewer­tet, aber kurz beschrie­ben wer­den soll.

Soll­te die phy­si­sche Grö­ße etwas besa­gen, wür­de sie Bemer­kens­wer­tes ent­hül­len. Die klein­ste in der Run­de ist zwei­fel­los Ita­li­ens Regie­rungs­chefin Gior­gia Melo­ni, die mit ihrer natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Par­tei Fra­tel­li d’Italia bei den Par­la­ments­wah­len im Sep­tem­ber 2022 einen ful­mi­nan­ten Sieg errin­gen und die­sen bei den EU-Wah­len am ver­gan­ge­nen Sonn­tag noch um drei Pro­zent­punk­te über­tref­fen konn­te. Damit steht sie ziem­lich ein­sam in der EU, denn bei die­ser Wahl zum EU-Par­la­ment wur­den die Regie­rungs­par­tei­en fast durch die Bank abgestraft.

Im Ver­gleich zu Melo­ni ste­hen die übri­gen euro­päi­schen Anwe­sen­den als Ver­lie­rer da. Die Par­tei­en von Emma­nu­el Macron und Olaf Scholz wur­den vom Wäh­ler geohr­feigt. Nach sie­ben Jah­ren der Regie­rung Macron konn­te sei­ne Grup­pie­rung nur mehr 14,5 Pro­zent der Wäh­ler über­zeu­gen. Und obwohl Scholz seit zwei­ein­halb Jah­ren Bun­des­kanz­ler ist, fiel sei­ne SPD mit nur mehr 13,9 Pro­zent noch hin­ter das schlech­te Ergeb­nis von 2019 zurück. 

Groß­bri­tan­ni­en, das sich mit dem Brexit 2020 aus der EU ver­ab­schie­de­te, wird von Pre­mier­mi­ni­ster Rishi Sunak ver­tre­ten, der bei den bri­ti­schen Unter­haus­wah­len in drei Wochen, am 4. Juli, dar­in sind sich alle Beob­ach­ter einig, mit den Torys aus dem Amt gefegt wer­den wird.

Die bei­den EU-Ver­tre­ter, die den Reprä­sen­tan­ten der G7 zur Sei­te ste­hen, Charles Michel als Prä­si­dent des EU-Rats und Ursu­la von der Ley­en als EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin, sind Figu­ren auf Abruf. Michel erklär­te bereits vor den EU-Wah­len sei­nen Rück­zug. Er ahn­te offen­bar den bevor­ste­hen­den Umbruch in Bel­gi­en, wo die Vival­di-Koali­ti­on aus Libe­ra­len, Sozia­li­sten, Christ­de­mo­kra­ten und Grü­nen, also das gan­ze eta­blier­te Spek­trum, bei den par­al­lel statt­fin­den­den bel­gi­schen Par­la­ments­wah­len geschei­tert ist.
Ursu­la von der Ley­en, die eine Amts­zeit hin­ter sich hat, mit der sie als „Pfi­zer-Uschi“ in die Geschichts­bü­cher ein­ge­hen wird, hat nicht nur meh­re­re Gerichts­ver­fah­ren vor sich, son­dern auch eine unge­wis­se Zukunft. Ihre even­tu­el­le Wie­der­wahl als EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin hängt nun von Melo­nis, evtl. auch von Le Pens Gna­den ab. Da ist aber noch man­ches im Fluß, wes­halb auch ein abrup­tes Kar­rie­re­en­de für von der Ley­en, zumin­dest in der EU, und ihre Erset­zung durch einen ande­ren EVP-Ver­tre­ter nicht aus­ge­schlos­sen wer­den können.

Zu den zahl­rei­chen Unbe­kann­ten gehört auch, ob Melo­ni und Le Pen, die zusam­men 53 EU-Man­da­te direkt bewe­gen, sich in einer gemein­sa­men Frak­ti­on wie­der­fin­den und wel­che wei­te­ren kon­ser­va­ti­ven und natio­na­len Par­tei­en sich ihnen anschlie­ßen wer­den. Es ist nicht aus­ge­schlos­sen, daß sich eine neue natio­nal­kon­ser­va­ti­ve Frak­ti­on kon­sti­tu­iert, die nicht nur stär­ker als die Libe­ra­len, son­dern auch stär­ker als die Sozi­al­de­mo­kra­ten wer­den könn­te und damit hin­ter der EVP die zweit­stärk­ste Kraft im EU-Par­la­ment wöre. Vie­les scheint der­zeit mög­lich. Was davon gelingt, muß sich frei­lich erst zeigen.

Bleibt im Westen noch Justin Tru­deau, in phy­si­scher Hin­sicht der eigent­li­che Gegen­spie­ler Melo­nis. Er ist der Sta­tur nach der Größ­te in der Run­de. Poli­tisch gilt das mit Sicher­heit aber nicht. Er darf für sich jedoch in Anspruch neh­men, der gesell­schafts­po­li­tisch Radi­kal­ste zu sein und damit unten den neun Ver­sam­mel­ten das Gegen­stück zu Melo­ni zu reprä­sen­tie­ren. Spä­te­stens im näch­sten Jahr wird er sich den Wäh­lern stel­len müs­sen. Sei­ne kon­ser­va­ti­ven Geg­ner haben ihn bereits 2019 und bei den vor­ge­zo­ge­nen Par­la­ments­wah­len 2021 an den Urnen besiegt. Nur das bri­ti­sche Mehr­heits­wahl­recht hat ihm den­noch mehr Man­da­te als den Kon­ser­va­ti­ven beschert. Seit 2019 regiert Tru­deau mit einer Minderheitsregierung.

Joe Biden wirk­te gestern beim offi­zi­el­len Foto­ter­min in Apu­li­en ver­lo­ren, als habe er kei­ne Ahnung, wo er sich gera­de befin­det, und noch weni­ger, war­um er sich dort befin­det, wo er sich gera­de befin­det. Gior­gia Melo­ni, eine ener­gi­sche, ent­schlos­se­ne und geschick­te Poli­ti­ke­rin, wuß­te mit weib­li­chem Charme den Mann, von dem (bzw. sei­nen Hin­ter­män­nern) ihr eige­nes Schick­sal abhängt, ele­gant zu len­ken und ihn so das Gesicht wah­ren zu las­sen. Die Main­stream-Medi­en sind ohne­hin mehr als nach­sich­tig mit ihm. Man wird es in Washing­ton den­noch regi­striert haben. Melo­ni sam­melt Plus­punk­te (neben jenen in der Ukrai­ne und ihrer Bereit­schaft, sich geschmei­dig in das Macht­sy­stem der EU und der NATO ein­zu­fü­gen), ohne der Ver­su­chung zu erlie­gen, die alten System­ver­tre­ter bloß­stel­len oder ihnen Rech­nun­gen ser­vie­ren zu wol­len, etwa zu Coro­na.
Biden muß sich am 5. Novem­ber den Wäh­lern stel­len, und der­zeit spricht nichts für sei­ne Wie­der­wahl. Soll­ten er und sei­ne Demo­kra­ti­sche Par­tei das Wei­ße Haus räu­men müs­sen, wer­den auch welt­po­li­tisch eini­ge Kar­ten neu gemischt. Die even­tu­el­le Rück­kehr von Donald Trump ins Oval Office spielt Gior­gia Melo­ni in die Hän­de. Ihre trans­at­lan­ti­sche Wen­de, die sie weni­ge Mona­te vor den ita­lie­ni­schen Wah­len 2022 voll­zog, war real­po­li­ti­scher Art, jedoch mit kla­rer Bevor­zu­gung der repu­bli­ka­ni­schen Seite.

Japans Mini­ster­prä­si­dent Fum­io Kishi­da soll bei die­sen Über­le­gun­gen aus­ge­klam­mert blei­ben, da Japan nicht dem Westen, son­dern dem Fer­nen Osten ange­hört. Nur soviel sei gesagt: Die USA schei­nen im Zuge des Ukrai­ne-Krie­ges und der Span­nun­gen um Tai­wan die Wie­der­auf­rü­stung Japans zu akzep­tie­ren. Die Fra­ge ist, ob das japa­ni­sche Volk dies will.

Das Grup­pen­fo­to von Bor­go Egna­zia an der unte­ren Adria offen­bart eine Macht­ver­schie­bung. Sie zeigt Sie­ger und Ver­lie­rer. Sie zeigt die Schwä­che Deutsch­lands und Frank­reichs und mit ihnen der EU. Die Maxi­me der US-Außen­po­li­tik, Deutsch­land „unten“ zu hal­ten, ist bekannt. In Euro­pa tut man gut, sich dar­an zu erin­nern, daß die­sel­be Maxi­me, wenn auch etwas anders gela­gert und kei­nes­wegs deckungs­gleich, die Außen­po­li­tik von Ita­li­en und Frank­reich bestimmt. Die AfD-Dele­ga­ti­on im EU-Par­la­ment bekam das, nicht zufäl­lig, genau in der End­pha­se des EU-Wahl­kampfs zu spü­ren. Die Tor­pe­dos kom­men aus unter­schied­li­chen Rich­tun­gen. Dies nicht zur Kennt­nis neh­men zu wol­len, kann gefähr­lich sein. In Rom und Paris weiß man umge­kehrt sehr wohl, daß es ohne Ber­lin nicht geht. Man pokert und beherrscht die­ses Spiel recht gut.

Melo­ni tut dies auch, wo ihre Amts­kol­le­gen aus­nahms­los ver­sa­gen: Sie setz­te durch, daß in dem Schluß­do­ku­ment des G7-Gip­fels kein Recht auf Abtrei­bung erwähnt wird. Kein Macron, kein Scholz, kein Tru­deau oder Biden hät­te das getan. Die klei­ne Ita­lie­ne­rin aber schon, gegen den erklär­ten Wil­len Frank­reichs und der EU.

Für die angel­säch­si­schen Mäch­te kön­nen sich in den kom­men­den Wochen, im Som­mer in Groß­bri­tan­ni­en, spä­te­stens im Früh­jahr in den USA, weit­rei­chen­de Ver­än­de­run­gen erge­ben, auch im Bereich ihrer Außen­po­li­tik – mit Rück­wir­kun­gen auf die EU und das euro­päi­sche Festland.

Was die Schwä­che Deutsch­lands bringt und wel­che Aus­wir­kun­gen die Macht­ver­schie­bung nach Süden bedeu­tet, läßt das Gesamt­bild der­zeit ver­ne­belt erscheinen.

Text: Andre­as Becker
Bild: Tem­pi

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4 Kommentare

  1. Kör­per­grö­ße, Macht­ver­hält­nis­se, Wählerzahlen?
    Die letz­ten wer­den die Ersten sein.
    Die Unter­ta­nen, die Schwa­chen, die Aus­ge­beu­te­ten, die Irregewordenen.

  2. Bra­vi­s­si­ma Giorgia!E corag­gio­sa e fur­ba (mutig und schlau)!
    Abtrei­bung ist für sie Mord am unge­bo­re­nen Kind. Damit unter­schei­det sie sich zu vie­len „fort­schritt­li­chen“ Poli­ti­kern (die eigent­lich ihren recht­mä­ßi­gen Platz im „Regi­na Coeli“ hätten).
    Auch ist sie eine vehe­men­te Geg­ne­rin der Leih­mut­ter­schaft, die sie als unmensch­lich ver­ur­teilt. Dem ita­lie­ni­schen Par­la­ment soll bald ein neu­es, „stren­ge­res Gesetz“ dies­be­züg­lich vor­ge­legt werden.
    Was Macron betrifft: er dürf­te bald aus­ge­spielt haben. Nur – die Lin­ke for­miert sich… Und in deut­schen Lan­den wer­kelt man wei­ter zwi­schen „Marx und Murks“ – wie F. J. Strauß zu sagen pflegte.
    Zu „Regi­na Coeli“: das impo­san­te Haus, ein ehe­ma­li­ger Frau­en­kon­vent, ist das Haupt­ge­fäng­nis von Rom. Es wur­de vor allem durch Papst Johan­nes XXIII. bekannt, der dem Gefäng­nis am Tag des Hl. Ste­pha­nus 1958 sei­nen legen­dä­ren Besuch abstattete.

  3. Joe Biden ist so was von dement. Aber das passt zum ver­lot­ter­ten wie auch aggres­si­ven „Westen“. Es erin­nert an die letz­ten Jah­re der Sowjet­uni­on. Da löste ein nicht mehr Zurech­nungs­fä­hi­ger den ande­ren ab. Mit Got­tes Hil­fe ist das Gan­ze dann weit­hin unblu­tig implodiert.
    Euro­pa muß sich eman­zi­pie­ren nicht so sehr von den USA, son­dern ins­be­son­de­re von den eige­nen Feh­lern und Sün­den. Wenn das Kreuz Chri­sti nicht ziem­lich bald in den Mit­tel­punkt gestellt und danach gehan­delt wird, dann wird Euro­pa schnell ein Fraß des Krie­ges und/​oder des Islam. Für Tak­tik und Kom­pro­mis­se ist kei­ne Zeit mehr.

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