„Eine Klärung unter vier Augen“

Schlagabtausch nach ersten Enthüllungen aus der Gänswein-Biographie


Zwischen Befürwortern und Gegnern des derzeitigen Pontifikats werden Unfreundlichkeiten ausgetauscht.
Zwischen Befürwortern und Gegnern des derzeitigen Pontifikats werden Unfreundlichkeiten ausgetauscht.

(Rom) Beim Ange­lus am gest­ri­gen Sonn­tag mahn­te Papst Fran­zis­kus „zur Ein­heit“ in der Kir­che. Der Vati­ka­nist der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung Il Giorn­a­le, Fabio Mar­che­se Rago­na, sieht dar­in, offen­bar zurecht, eine Ant­wort des Pap­stes auf die hef­ti­gen Kon­tro­ver­sen, die durch Äuße­run­gen von Kuri­en­erz­bi­schof Georg Gäns­wein, dem per­sön­li­chen Sekre­tär des ver­stor­be­nen Pap­stes Bene­dikt XVI., aus­ge­löst wur­den. Zugleich gießt der Jour­na­list aller­dings auch Öl ins Feuer.

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In weni­gen Tagen, am 12. Janu­ar, wird die ita­lie­nisch ver­faß­te Bio­gra­phie von Msgr. Gäns­wein „Nichts als die Wahr­heit“ („Nient’altro che la Veri­tà“) in den Buch­han­del kom­men, die zusam­men mit dem Jour­na­li­sten Save­r­io Gaeta ent­stan­den ist. Il Giorn­a­le ver­öf­fent­lich­te einen Vor­ab­druck, was Kath​.ch, das Nach­rich­ten­por­tal der Schwei­zer Bischö­fe, am Drei­kö­nigs­tag zur Schlag­zei­le ver­an­laß­te: „Gäns­wein packt aus“.

Bene­dikts Pri­vat­se­kre­tär ist offi­zi­ell an der Römi­schen Kurie Prä­fekt des Päpst­li­chen Hau­ses und damit unter ande­rem mit den offi­zi­el­len Audi­en­zen bei Fran­zis­kus betraut. Von die­sem Amt ist dem Prie­ster aus der Erz­diö­ze­se Frei­burg im Breis­gau aller­dings nur der Titel geblieben. 

Indem Kar­di­nal Robert Sarah, damals noch Prä­fekt der Got­tes­dienst­kon­gre­ga­ti­on, mit Bene­dikt XVI. Anfang 2020 ein Plä­doy­er zur Ver­tei­di­gung des Wei­he­sa­kra­ments und des prie­ster­li­chen Zöli­bats ver­öf­fent­licht hat­te, durch­kreuz­ten sie anders­lau­ten­de Plä­ne, die im Rah­men der umstrit­te­nen Ama­zo­nas­syn­ode gehegt wur­den. Für die­se „Ein­mi­schung“ bestraf­te Fran­zis­kus, da er sich an sei­nem Vor­gän­ger nicht rächen konn­te, den Sekre­tär von Bene­dikt XVI. Schnell sicker­te durch, daß Fran­zis­kus laut gewor­den war gegen­über dem deut­schen Prie­ster. Kurz dar­auf ver­schwand Gäns­wein bei offi­zi­el­len Anläs­sen aus dem vati­ka­ni­schen „Pro­to­koll“.

„Franziskus meinte, mir würden Demütigungen guttun“

Im neu­en Buch sagt Gäns­wein über sei­ne Degra­die­rung zum „hal­bier­ten Präfekten“:

Die Gäns­wein-Bio­gra­phie

„Fran­zis­kus mein­te, mir wür­den Demü­ti­gun­gen guttun.“

Fran­zis­kus habe dem schockier­ten Gäns­wein gesagt, er sol­le ab jetzt zu Hau­se blei­ben und Bene­dikt beglei­ten. Wörtlich: 

„Du bleibst Prä­fekt, kommst aber ab mor­gen nicht mehr zur Arbeit.“

Die Ersu­chen Bene­dikts XVI. um ein Gespräch mit Fran­zis­kus blie­ben „unbe­ant­wor­tet“. Eben­so habe Fran­zis­kus mehr­fach Emp­feh­lun­gen und Rat­schlä­ge sei­nes Vor­gän­gers igno­riert. Das erklärt wohl auch, war­um Bene­dikt im Janu­ar 2020 zusam­men mit Kar­di­nal Sarah den Gang in die Öffent­lich­keit wähl­te, um in extre­mis den Angriff auf das Prie­ster­tum abzuwehren.

Die Aus­gren­zung Gäns­weins, wie das Buch ent­hüllt, hat­te jedoch viel frü­her begon­nen. Sie wur­de nach dem Wir­bel um das Sarah/­Be­ne­dikt-Buch ledig­lich offen­sicht­lich. Gäns­wein nennt bereits das Jahr 2014, als Fran­zis­kus sich mit der Gemein­schaft Sant’Egidio traf und sei­nem Prä­fek­ten des Päpst­li­chen Hau­ses zu ver­ste­hen gab, daß er dabei nicht gebraucht wer­de. Gäns­wein sagt es nicht, doch las­sen sich sei­ne Wor­te auch anders aus­drücken: Sei­ne Ohren waren nicht erwünscht.

Benedikt XVI.: „Es scheint, als ob Papst Franziskus mir nicht mehr vertraut“

Msgr. Gäns­wein ent­hüllt auch, wie Bene­dikt XVI. auf den hal­ben Raus­wurf sei­nes Sekre­tärs durch Fran­zis­kus reagier­te, wobei der zwei­te Teil offen­bar iro­nisch gemeint war:

„Es scheint, als ob Papst Fran­zis­kus mir nicht mehr ver­traut und möch­te, daß Sie mein Vor­mund sind!“

Gäns­wein fin­det in sei­nem Buch deut­li­che Wor­te zu Franziskus:

„Bene­dikts Hoff­nung, daß ich das Bin­de­glied zwi­schen ihm und sei­nem Nach­fol­ger sein wür­de, war etwas naiv. Schon nach weni­gen Mona­ten hat­te ich den Ein­druck, daß es nicht mög­lich sei, zwi­schen dem neu­en Papst und mir ein ange­mes­se­nes Ver­trau­ens­kli­ma herzustellen.“

Schon in den Tagen zwi­schen dem Tod und der Bei­set­zung von Bene­dikt XVI. woll­te Msgr. Gäns­wein eini­ges los­wer­den, was ihm beson­ders unter den Nägeln brann­te. In einem Inter­view mit der deut­schen Tages­post sag­te er, Fran­zis­kus habe Bene­dikt mit dem Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des „das Herz gebro­chen“. So deut­lich über­setz­te jeden­falls die Tages­zei­tung Il Rif­or­mista die Gäns­wein-Wor­te. Das sei, so die Zei­tung, „ein Ver­such, die Bezie­hun­gen mit den Lefeb­vria­nern zu ver­bes­sern, der ultra­kon­ser­va­ti­ven und tra­di­tio­na­li­sti­schen Bewe­gung inner­halb der Kir­che, die seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil mit der ‚Füh­rung‘ im Streit liegt“.

Kurz­um, die Aus­sa­gen Gäns­weins sor­gen für Auf­se­hen, noch bevor das Buch im Buch­han­del ist. In einem zwei­ten Schritt soll es dann im Her­der-Ver­lag in einer deut­schen Aus­ga­be erschei­nen. Gestern scheint Fran­zis­kus in sei­ner Anspra­che beim Ange­lus auf dem Peters­platz dar­auf reagiert zu haben, so Mar­che­se Ragona:

„Nicht weni­ge haben in den Wor­ten von Papst Fran­zis­kus, die er gestern mor­gen wäh­rend des Ange­lus gespro­chen hat, eine Bot­schaft an den deut­schen Erz­bi­schof gele­sen, der wegen der Angrif­fe auf den Papst in einem sei­ner kom­men­den Bücher in den Mit­tel­punkt der Nach­rich­ten aus dem Vati­kan gera­ten ist.“

Franziskus beim Angelus: „Bin ich ein Mensch, der spaltet?“

Fran­zis­kus zitier­te beim Ange­lus zunächst eine Pre­digt von Bene­dikt XVI.: „Gott woll­te uns ret­ten, indem er selbst bis hin­ein in den Abgrund des Todes stieg, damit jeder Mensch, auch jener, der so tief gefal­len ist, dass er den Him­mel nicht mehr sieht, die Hand Got­tes fin­de, um sich an ihr fest­zu­klam­mern und wie­der aus der Fin­ster­nis hin­auf­zu­stei­gen, um erneut das Licht zu sehen, für das er geschaf­fen ist“ (Pre­digt, 13. Janu­ar 2008). Dann sprach Fran­zis­kus über die Brü­der­lich­keit und Ein­heit der Kir­che, „zu einer Zeit“, so Mar­che­se Rago­na, „in der die Wor­te des Sekre­tärs des eme­ri­tier­ten Pap­stes die tra­di­tio­na­li­sti­sche Frak­ti­on in einem anti-berg­o­glia­ni­schen Sinn neu zu ent­fa­chen scheinen“.

Fran­zis­kus sag­te dann:

„Fra­gen wir uns: Bin ich eine spal­ten­de oder eine tei­len­de Per­son? Den­ken wir ein wenig nach: Bin ich ein Jün­ger der Lie­be Jesu oder ein Jün­ger des Geschwät­zes, das trennt? Das Geschwätz ist eine töd­li­che Waf­fe: Es tötet, es tötet die Lie­be, es tötet die Gesell­schaft, es tötet die Brü­der­lich­keit. Fra­gen wir uns: Bin ich ein Mensch, der spal­tet, oder ein Mensch, der teilt?“

Mar­che­se Rago­na zün­delt aller­dings, indem er behaup­tet, Fran­zis­kus habe eine „kla­re Ver­ur­tei­lung von Klatsch, Gift und Hören­sa­gen“ vor­ge­nom­men, „die in den ver­gan­ge­nen Stun­den“ – eine Anspie­lung auf die Zeit seit dem Tod Bene­dikts XVI. – „die Ober­hand gewon­nen haben“. Der Vati­ka­nist weiß auch gleich die Schul­di­gen zu benen­nen, indem er auf „vie­le Nost­al­gi­ker von Bene­dikt XVI.“ ver­weist, die – nun folgt das I‑Tüpfelchen – „in der Ver­gan­gen­heit von Ratz­in­ger selbst öffent­lich als ‚Fana­ti­ker‘ bezeich­net wur­den, weil sie den Rück­tritt des deut­schen Pap­stes nie akzep­tiert“ hät­ten. Mit die­sem dia­lek­ti­schen Zir­kel­schluß müs­sen sich Berg­o­glia­ner gar nicht mehr selbst die Hän­de schmut­zig machen, um ihre Gegen­spie­ler zu dis­kre­di­tie­ren.
Mar­che­se Rago­na läßt kei­ne Zwei­fel an den dunk­len Absich­ten der „Nost­al­gi­ker“ und „Fana­ti­ker“, denn die­se sei­en „in den Krieg gezo­gen“ und wür­den nun Bene­dikts „Tod aus­nut­zen, um das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus anzu­grei­fen, das sie sogar als ‚ille­gi­tim‘ bezeichnen“.

Ein Prie­ster der Diö­ze­se Ber­ga­mo, Don Alber­to Vari­nel­li, ver­faß­te einen offe­nen Brief, mit dem er Msgr. Gäns­wein auf­for­dert, die Buch-Ver­öf­fent­li­chung zu stop­pen und statt­des­sen „wie Bene­dikt vor sei­nem Rück­tritt“ sein „eige­nes Gewis­sen zu prü­fen“. Erstaun­lich vie­le ver­su­chen Bene­dikt XVI. zu ver­ein­nah­men, sogar aus gegen­sätz­li­chen Kreisen. 

Dann wird Mar­che­se Rago­na dreist, wenn er schreibt –zwar abschwä­chend –, die Vor­weg­nah­men des Gäns­wein-Buches sei­en „gif­tig“, da sie in die Trau­er­fei­er­lich­kei­ten platz­ten und am Tag der Toten­mes­se auf dem Peters­platz her­um­ge­reicht wor­den sei­en. Er läßt aber wenig Zwei­fel dar­an, in Wirk­lich­keit den Inhalt des Buches zu mei­nen. Dreist ist er damit des­halb, weil der Vor­ab­druck am Tag der Bei­set­zung, den er beklagt, von sei­ner Zei­tung Il Giorn­a­le ver­öf­fent­licht wor­den war.

Schließ­lich plau­dert der Vati­ka­nist noch aus dem Näh­käst­chen und wider­spricht jenen, die nun eine bal­di­ge „Weg­be­för­de­rung“ Gäns­weins aus dem Vati­kan ver­mu­ten. Fran­zis­kus wer­de in Wirk­lich­keit, so Mar­che­se Rago­na, alles belas­sen, wie es ist, da Gäns­wein – so ist zwi­schen den Zei­len zu lesen – im vati­ka­ni­schen Gehe­ge bes­ser auf­ge­ho­ben, sprich, stär­ker unter Kon­trol­le sei:

„Don Georg könn­te in der Ein­frie­dung des Petrus blei­ben, aber erst, nach­dem es zwi­schen ihm und dem Papst eine Klä­rung unter vier Augen gege­ben haben wird.“

Die­ses Gespräch fand bereits heu­te statt. Wie das vati­ka­ni­sche Pres­se­amt infor­mier­te, wur­de Erz­bi­schof Gäns­wein heu­te von Papst Fran­zis­kus in Audi­enz emp­fan­gen. Über den Inhalt des Gesprächs wur­de bis­her nichts bekannt.

Heu­te mor­gen wur­de Erz­bi­schof Georg Gäns­wein von Papst Fran­zis­kus zur „Klä­rung unter vier Augen“ empfangen.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/Vatican.va (Screen­shots)

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