Das Schwert im Stein – nicht König Artus, sondern San Galgano

Wo Fiktion Wirklichkeit ist


Links der Montesiepi, auf den sich der heilige Galganus zurückzog und 1181 starb, rechts die Ruinen der Zisterzienserabtei
Links der Montesiepi, auf den sich der heilige Galganus zurückzog und 1181 starb, rechts die Ruinen der Zisterzienserabtei

Rei­se­no­ti­zen von Giu­sep­pe Nardi

Anzei­ge

In den sanf­ten Hügeln der Tos­ka­na, nahe dem mit­tel­al­ter­li­chen Städt­chen Chi­us­di­no, befin­det sich ein Ort, in dem Geschich­te, Glau­be und Über­na­tür­lich­keit eine außer­ge­wöhn­li­che Ein­heit erlang­ten – und sehr viel mit der Artus-Sage zu tun hat.

Dort, in der Roton­da di Mon­te­sie­pi, steckt ein Schwert in einem Fel­sen – ein Relikt, das die Geschich­te eines Hei­li­gen erzählt und die Ent­ste­hung eines welt­be­kann­ten Motivs der Artus-Sage begrün­de­te. Was nur weni­ge wis­sen: Die­ses Motiv, das heu­te vor allem mit König Artus und dem Schwert Exca­li­bur ver­bun­den wird, hat sei­ne Wur­zeln nicht in Bri­tan­ni­en oder bei den Kel­ten, son­dern in der rea­len Geschich­te eines tos­ka­ni­schen Rit­ters, der zum Hei­li­gen wur­de: Gal­ga­no Gui­dot­ti. Ein zen­tra­les Motiv der Artus-Sage hat eine ganz rea­le Vorlage.

Galgano Guidotti: Vom Ritter zum Heiligen

Gal­ga­no Gui­dot­ti wur­de um 1148 in Chi­us­di­no gebo­ren, das damals zur Repu­blik Sie­na gehör­te. Als Sohn des Rit­ters Gui­do oder Gui­dot­to war er Abkömm­ling einer tos­ka­ni­schen Adels­fa­mi­lie lan­go­bar­di­schen oder frän­ki­scher Her­kunft und führ­te ein Leben vol­ler Krie­ge, Strei­te­rei­en und welt­li­cher Ambi­tio­nen. Wie vie­le jun­ge Rit­ter sei­ner Zeit war er stolz, mutig und oft gewalt­tä­tig – ein Mann, der das Schick­sal in der Waf­fe such­te. Doch im Alter von etwa 30 Jah­ren erleb­te er eine Visi­on des Erz­engels Micha­el, die sein Leben für immer ver­än­der­te. In die­ser Erschei­nung erkann­te er die Sinn­lo­sig­keit von Krieg und Haß. Die Welt erschien ihm leer und ver­gäng­lich, und er spür­te den Ruf zu einem ande­ren, höhe­ren Leben.

Er zog sich auf den Hügel Mon­te­sie­pi zurück, ent­schlos­sen, als Ein­sied­ler zu leben und sich ganz Gott zu wei­hen. Als äuße­res Zei­chen die­ser radi­ka­len Umkehr stieß er sein Schwert in einen Fel­sen – ein Akt, der in kei­ner Wei­se phy­si­ka­lisch erklär­bar ist. Noch heu­te steckt das Schwert fest in dem Stein, ohne daß mensch­li­che Kraft es ent­fer­nen könn­te. Es wider­setzt sich allen bekann­ten Geset­zen der Metall­ur­gie und Mecha­nik und wird daher als Wun­der ange­se­hen – als sicht­ba­rer Beweis für die gött­li­che Macht und als Zei­chen, daß Got­tes Wil­le über alle Natur­ge­set­ze hinausgeht.

Die­ses Ereig­nis, das um 1180 statt­fand, wur­de schnell zu einer Quel­le der Ver­eh­rung. Nach Gal­ga­nos Tod am 3. Dezem­ber 1181 begann die Ver­eh­rung des jun­gen Hei­li­gen rasch. Bereits 1185 wur­de er von Papst Luci­us III. hei­lig­ge­spro­chen. Sei­ne Umkehr, sym­bo­li­siert durch das unlös­ba­re Schwert, wur­de zur Iko­ne der christ­li­chen Buße und des Ver­zichts auf welt­li­che Macht. Schon zu Leb­zei­ten hat­ten sich ihm ande­re jun­ge Män­ner ange­schlos­sen und eine Ere­mi­ten­ge­mein­schaft gebil­det. Die Roton­da di Mon­te­sie­pi errich­te­te Gal­ga­no mit sei­nen Gefähr­ten. Sie beher­bergt heu­te noch das Schwert und zieht Pil­ger aus aller Welt an.

Die wissenschaftliche Untersuchung des Schwertes

Das Wun­der des Schwer­tes von Gal­ga­no ist ein Gegen­stand wis­sen­schaft­li­cher Stu­di­en. Im Jah­re 2001 unter­such­te der Che­mi­ker Lui­gi Gar­la­schel­li das Schwert. Er bestä­tig­te, daß das Schwert sti­li­stisch und mate­ri­ell mit Waf­fen des spä­ten 12. Jahr­hun­derts über­ein­stimmt. Die Zusam­men­set­zung des Metal­les stimmt mit Eisen­ab­fäl­len über­ein, die in der Gegend gefun­den wur­den. Es han­delt sich also nicht um eine spä­te­re Fäl­schung. Doch trotz der wis­sen­schaft­li­chen Bestä­ti­gung des Alters kann nie­mand erklä­ren, war­um das Schwert bis heu­te im Stein steckt und kei­ner­lei phy­si­sche Kraft es lösen kann.

Das Schwert im Stein, das seit mehr als 800 Jah­ren kein Mensch lösen kann. 15 Jah­re nach dem Ereig­nis wur­de das Motiv lite­ra­risch in die Artus-Sage eingeführt

Das Schwert ist ein sicht­ba­rer Got­tes­be­weis – ein Zei­chen, daß Gott die Umkehr eines Men­schen seg­ne­te und bestä­tig­te. In der reli­giö­sen Vor­stel­lung des Mit­tel­al­ters war dies ein her­aus­ra­gen­der Beweis für die Über­le­gen­heit gött­li­cher Macht über die natür­li­che Welt. Der Umstand, daß ein jun­ger Rit­ter der Haupt­ak­teur der Ereig­nis­se war, beflü­gel­te die damals stark rit­ter­lich gepräg­te Zeit.

Vom Hügel Montesiepi in die Artus-Legende

Das Motiv des „Schwerts im Stein“ wur­de spä­ter welt­be­rühmt, aller­dings nicht durch den rea­len histo­ri­schen Kon­text, son­dern durch die Artus-Sage. Das Motiv von Exca­li­bur als unlös­ba­res Schwert, das nur der wah­re König von Bri­tan­ni­en zie­hen kann wird erst weni­ge Jah­re nach dem Tod des hei­li­gen Gal­ga­nus in die Artus-Sage eingeführt.

Die Geschich­te von Gal­ga­no, einem Rit­ter, der sein Schwert in einen Fel­sen stieß, bil­det die Vor­la­ge für die lite­ra­ri­sche Ent­wick­lung der Artus-Sage, die auf Robert de Boron zurück­geht. Der anglo­nor­man­ni­sche Dich­ter, der in Alt­fran­zö­sisch schrieb, ver­faß­te zwi­schen 1190 und 1995 eine Estoire dou Graal (Geschich­te des Grals). Dar­in führ­te er erst­mals das Schwert-Motiv in die Artus-Sage ein, die dann durch wei­te­re Lite­ra­ten im Lau­fe der fol­gen­den Jahr­hun­der­te ihre Aus­chmückun­gen fand. Borons Vers­dich­tung ent­stand rund ein Jahr­zehnt nach Gaga­nos Tod und weni­ge Jah­re nach des­sen Heiligsprechung.

Die Kup­pel über dem Schwert

Der zen­tra­le Aspekt dabei ist die Idee, daß ein Mensch durch gött­li­che Macht einen Akt voll­zieht, der phy­si­ka­lisch unmög­lich erscheint, fand ihren Weg in die höfi­sche Lite­ra­tur des Mit­tel­al­ters. In der Fol­ge­zeit wur­de das Motiv in ganz Euro­pa ver­brei­tet und ver­klärt – wäh­rend Gal­ga­no selbst, der Hei­li­ge von Mon­te­sie­pi, im Schat­ten der Artus-Sage fast in Ver­ges­sen­heit geriet.

Beflü­gelt wur­de Boron mög­li­cher­wei­se durch eine ent­fern­te Namens­ähn­lich­keit zwi­schen Gal­ga­no und Gawein. In den 70er Jah­ren des 12. Jahr­hun­derts hat­te ein ande­rer berühm­ter Dich­ter jener Zeit, Chré­ti­en de Troy­es, den Rit­ter Gawein als Figur in die Lite­ra­tur ein­ge­führt und um 1180 mit der Artus-Sage verbunden.

Übernatürliche Dimension und religiöse Symbolik

Was das Schwert von Gal­ga­no so außer­ge­wöhn­lich macht, ist nicht nur sei­ne phy­si­sche Unbe­weg­lich­keit, son­dern auch sei­ne spi­ri­tu­el­le Bedeu­tung. Es wider­setzt sich allen Natur­ge­set­zen – nie­mand kann es her­aus­zie­hen, und es zeigt damit auf dra­ma­ti­sche Wei­se, daß mensch­li­che Macht und Kraft begrenzt sind. Nur Gott kann sol­che Wun­der bewirken.

In der mit­tel­al­ter­li­chen Vor­stel­lung war ein sol­ches Zei­chen nicht nur ein reli­giö­ses Wun­der, son­dern ein „Beweis“ für die Wahr­heit des christ­li­chen Glau­bens. Es zeig­te der Rit­ter­schaft, den Pil­gern und Gläu­bi­gen, daß Umkehr, Buße und Demut vor Gott nicht nur mora­li­sche Tugen­den, son­dern von Gott sicht­ba­re Wirk­lich­keit sind. Das Schwert wird so zu einer Brücke zwi­schen Him­mel und Erde, ein Sym­bol für den tri­um­phie­ren­den Wil­len Got­tes über die irdi­schen Gesetze.

Die Rotonda di Montesiepi und die Abtei San Galgano

Die kreis­för­mi­ge Lini­en­füh­rung der Kup­pel erzeug eine visu­el­le Sogwirkung

Die Roton­da di Mon­te­sie­pi, eine klei­ne, rund gebau­te Kapel­le, ist das archi­tek­to­ni­sche Herz­stück durch das der Hei­li­ge greif­bar wird. Die Fres­ken im Inne­ren, die von Ambro­gio Loren­zet­ti aus der Zeit von 1334 bis 1336 stam­men, erzäh­len Sze­nen aus dem Leben des hei­li­gen Gal­ga­nus und den Moment, in dem er sein Schwert in den Fel­sen stößt. Gal­ga­no selbst knüpf­te Kon­takt zu den Zister­zi­en­sern. Weni­ge Jah­re nach sei­nem Tod ist bereits eine Zister­zi­en­ser­ge­mein­schaft in der ehe­ma­li­gen Ein­sie­de­lei belegt. Da der Ort, an dem der Hei­li­ge leb­te und ver­starb, bald zu klein wur­de, erfolg­te 1218 am Fuß des Hügels die Grün­dung einer gro­ßen Zister­zi­en­ser­ab­tei, die zu einem wich­ti­gen Zen­trum des kirch­li­chen Lebens in der Tos­ka­na her­an­wuchs. 1783 wur­de das Klo­ster von Groß­her­zog Leo­pold von Tos­ka­na, dem spä­te­ren Kai­ser Leo­pold II., auf­ge­ho­ben. Leo­pold folg­te in der Kir­chen­po­li­tik ganz den Vor­stel­lun­gen sei­nes kai­ser­li­chen Bru­ders Joseph II.

Die Rui­nen der Abtei sind noch heu­te ein beein­drucken­des Zeug­nis einer glanz­vol­len Ver­gan­gen­heit: Hohe Gewöl­be, mas­si­ve Mau­ern und der wei­te Blick in die Land­schaft zeu­gen von der ein­sti­gen Grö­ße des reli­giö­sen Zen­trums. Im Gegen­satz dazu ist die Roton­da di Mon­te­sie­pi bis heu­te gut erhal­ten, und beson­ders die Kup­pel mit ihre kreis­för­mi­gen Bema­lung gilt als her­aus­ra­gen­des Bei­spiel mit­tel­al­ter­li­cher Sakralkunst.

Die Ver­bin­dung von Roton­da und Abtei sym­bo­li­siert die Ver­schmel­zung von indi­vi­du­el­lem Heils­weg, mön­chi­schem Wir­ken, kirch­li­cher Prä­senz und über­na­tür­li­chem Phä­no­men. Gal­ga­nos per­sön­li­che Buße und spi­ri­tu­el­le Umkehr wur­den durch die Roton­da und Abtei insti­tu­tio­na­li­siert und für nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen sicht­bar gemacht. Das Schwert selbst, unlös­bar im Stein, bleibt das zen­tra­le Sym­bol die­ses Zeugnisses.

Fazit: Ein Zeichen übernatürlicher Macht

Das Schwert im Stein von San Gal­ga­no ist weit mehr als ein Relikt. Es ist ein über­na­tür­li­ches Zei­chen, das die Gren­zen mensch­li­cher Mög­lich­kei­ten sprengt. Kein phy­si­ka­li­sches Gesetz kann erklä­ren, war­um es bis heu­te unbe­weg­lich im Fel­sen steckt. Für Gläu­bi­ge ist es ein leben­di­ger Got­tes­be­weis – ein Zei­chen, daß gött­li­che Macht über alles Irdi­sche hinausgeht.

Die Kir­chen­rui­ne San Galgano

Dar­über hin­aus zeigt das Schwert die Ver­bin­dung von Geschich­te, die durch die Lite­ra­tur in ande­rem Kon­text zur Legen­de wird: Es inspi­rier­te die Artus-Sage, wur­de in höfi­schen Dich­tun­gen wei­ter­ge­ge­ben. Wirk­lich­keit und Legen­de han­deln auf der Grund­la­ge des Chri­sten­tums. Mon­te­sie­pi ist zum Geheim­tipp gewor­den, da der hei­li­ge Gal­ga­nus weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist. Anzie­hungs­punkt für Besu­cher sind heu­te vor allem die beein­drucken­den Rui­nen der ein­sti­gen Zister­zi­en­ser­ab­tei. Ver­gleich­ba­res kennt man aus Eng­land und Schott­land, dem Land der Artus-Hand­lung, weil dort Angli­ka­ner und Refor­mier­te einen Klo­ster­sturm durch­führ­ten. Für den Süden Euro­pas ist der Anblick jedoch unge­wöhn­lich und ent­fal­tet des­halb den Reiz einer beson­de­ren Sehens­wür­dig­keit. Im Schat­ten der Rui­nen sto­ßen nicht alle Besu­cher auf das nahe­ge­le­ge­ne Hei­lig­tum von San Gal­ga­no mit dem Schwert, das – da Wirk­lich­keit – eigent­lich weit berühm­ter sein soll­te als die Artus-Sage. 

Mon­te­sie­pi ist heu­te ein Sym­bol für den Tri­umph von Glau­be, Umkehr und Demut. Gal­ga­nos Leben und sei­ne Ent­schei­dung, Gewalt und Welt abzu­schwö­ren, sind zu einem Monu­ment gewor­den, das über Zeit und Raum hin­aus­strahlt und jeder­zeit der Wie­der­ent­deckung harrt. 

Wer heu­te die Roton­da di Mon­te­sie­pi besucht, sieht das Schwert im Stein – und wird Zeu­ge eines Wun­ders, das die Men­schen seit über 800 Jah­ren in Stau­nen ver­setzt, und eines Sym­bols, das die Kraft des Glau­bens in ihrer über­na­tür­li­chen Dimen­si­on sicht­bar macht.

Ein Ort und ein Hei­li­ger, die einer grö­ße­ren Auf­merk­sam­keit harren.

Bil­der: Giu­sep­pe Nardi

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