
Von Julio Loredo*
Während Studien eine überraschend konservative, ja sogar traditionalistische Reaktion innerhalb des amerikanischen Klerus aufzeigen, offenbaren ähnliche Untersuchungen ein entsprechendes Phänomen in Europa. Die Rede ist vom Niedergang des progressiven Katholizismus.
Was geschieht da in der Kirche – in den Vereinigten Staaten und, in weiterer Perspektive, in der ganzen Welt?
Am vergangenen 6. Oktober begab sich Papst Leo XIV. in die Domus Australia, das Haus des australischen Klerus in Rom, um die Vesper zu feiern. Er wurde begleitet von den Kardinälen Raymond Burke, Willem Eijk und Edwin O’Brien, etwa fünfzig Priestern und Seminaristen – alle vorbildlich in Soutane gekleidet. Gemeinsam mit ihren Familien und einigen Gästen nahmen sie an der Zeremonie teil. Papst Leo wurde mit dem feierlichen Gesang „Tu es Petrus“, angestimmt vom Londoner Chor Gradualia Consort, empfangen. Die gesamte Liturgie wurde auf Latein und nach traditionellen Rubriken gefeiert. Ein Satz des Papstes faßte seine Predigt zusammen:
„Gott verspätet sich nie – wir sind es, die lernen müssen, zu vertrauen, auch wenn das Geduld und Ausdauer erfordert. Gottes Zeitplan ist immer vollkommen.“
Mehrere Vatikanexperten interpretierten das Ereignis, anders als es unter seinem Vorgänger war, als indirekte, aber deutliche Unterstützung des Papstes für gewisse Entwicklungen, die in der englischsprachigen Welt – insbesondere unter jungen Priestern – immer deutlicher hervortreten.
Eine jüngere Studie zeigt auf, daß die Zahl der praktizierende Katholiken in Großbritannien inzwischen größer ist als die der Anglikaner – unter jungen Menschen sogar im Verhältnis zwei zu eins. Die Untersuchung trägt den bezeichnenden Titel: Quiet Revival – die stille Wiedergeburt. „Man verspürt eine tiefe Hoffnung für die Zukunft und eine starke Treue zur Kirche“, schreibt Johanna Bogel im Catholic World Report. Und weiter: „Neueste Berichte deuten darauf hin, daß sich in Großbritannien eine stille Wiedergeburt des Glaubens vollzieht.“ Edward Pentin schreibt im National Catholic Register: „Der katholische Glaube zeigt Anzeichen einer Wiederbelebung, insbesondere in England.“ Diese Entwicklung wird nun durch eine ganz aktuelle Studie aus den Vereinigten Staaten bestätigt. In den vergangenen Wochen wurde die Untersuchung 2025 National Study of Catholic Priest – die nationale Studie über den katholischen Klerus in den USA – veröffentlicht, durchgeführt vom Catholic Project der Catholic University of America.
„Der amerikanische Klerus gedeiht“, schreibt Stephen White, Direktor des Catholic Project. In nur wenigen Diözesen der USA ist die Berufungskrise noch ein Thema – in den meisten gehört sie der Vergangenheit an. Die größte Überraschung jedoch bieten die theologischen und politischen Haltungen der jungen Priester: Sie sind zunehmend konservativ. Werfen wir einen Blick auf einige Zahlen: Während sich 71 % der älteren Priester als progressiv bezeichnen, trifft dies nur auf 8 % der jungen Kleriker zu. Ganze 74 % der jungen Priester sehen sich hingegen als konservativ oder gar traditionalistisch. Während 77 % der älteren Priester die Synodalität als Priorität ansehen, bewerten nur 29 % der jungen Priester diese positiv. Besonders stark wächst das Interesse an der traditionellen Liturgie, der sogenannten tridentinischen Messe: Nur 11 % der älteren Priester stehen ihr wohlwollend gegenüber – bei den jungen sind es bereits 39 %, die sie befürworten und bereit sind, sie zu zelebrieren. Umgekehrt halten lediglich 57 % der älteren Priester eucharistische Anbetung für wichtig, während 88 % der jungen sie als wesentlich für ihre Pfarrei ansehen.
Unter dem Titel „Der Niedergang des liberalen Katholizismus“ liefert uns Msgr. Robert Batule aus der Diözese New York ein anschauliches Bild der Lage. Er sagt: „Ich wurde 1985 geweiht, als es noch en vogue war, sich als ‚konziliarer Priester‘ zu bezeichnen.“ Damals gab es zahlreiche Treffen mit Laien, die zu Mitwirkenden in der Liturgie berufen wurden, häufige Bezüge zu Randgruppen und diversen Minderheiten usw. „Aber ich kann mich nicht erinnern, daß wir je eine einzige Heilige Stunde vor dem Allerheiligsten gehalten hätten.“ Weiter sagt Msgr. Batule: „Dieser Klerus wird nun ersetzt durch Männer, die 1985 noch nicht einmal geboren waren.“ Die heutigen jungen Priester sind in ihrer Lehre deutlich konservativer als jene, die sie ablösen.
Msgr. Batule berichtet etwa vom exponentiellen Anstieg der eucharistischen Frömmigkeit in den Vereinigten Staaten, bezeugt durch große nationale Eucharistische Kongresse, wie etwa in Indianapolis. Und er schließt: „Der liberale Katholizismus wäre nie imstande gewesen, all diese Menschen anzuziehen.“ All dies, so der Prälat, kehrt die Entwicklungen um, die in den 1960er und 1970er Jahren aufgebrochen waren. Er beendet seine Analyse mit einem Zitat des damaligen Kardinals Francis George, Erzbischof von Chicago:
„Der liberale Katholizismus ist ein gescheitertes Projekt.“
Und das – so möchte ich hinzufügen – auch aus demographischen Gründen. Aber handelt es sich dabei um ein ausschließlich angelsächsisches Phänomen?
Ein Artikel des italienischen Religionshistorikers Massimo Fagioli, veröffentlicht vom Instituto Humanitas in Brasilien – einer ultraneomodernistischen Jesuiteneinrichtung – gibt uns Einblick in eine parallele Situation in Europa. Zwar versucht Fagioli, das progressive Scheitern eher politisch – also im Schema rechts-links – zu deuten. Doch schon der Titel läßt den Inhalt erahnen: „Ein Kontinent am Scheideweg: Europa und der rechte Katholizismus“, schreibt Massimo Fagioli. Der deutsche Sprachraum innerhalb des europäischen Katholizismus, traditionell mit theologischem und kirchlichem Progressivismus assoziiert, zeigt sich sichtlich besorgt über die Möglichkeit, daß der „Trumpismus“ auch auf unseren Kontinent überschwappen könnte. Mit „Trumpismus“ meint er freilich die konservative Reaktion, die er allein schon durch die Wortwahl diskreditieren möchte.
Fagioli weist auf das starke Wachstum katholischer Netzwerke hin, die vom amerikanischen Konservatismus inspiriert sind (von ihm völlig falsch Neokonservatismus genannt) – deutlich weiter rechts als die bisher dominierenden christdemokratischen Strömungen, die als katholisches Mainstream-Zentrum galten. In Deutschland – so schreibt er – herrschen ähnliche Sorgen hinsichtlich des Aufstiegs des rechten Katholizismus, doch nicht nur dort. Weiter führt der Historiker aus: „Was sich in Österreich und der Bundesrepublik Deutschland vollzieht, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was im übrigen Europa geschieht. Es überrascht daher nicht, daß auch hier die Spaltung nicht nur entlang theologischer und pastoraler Linien verläuft, sondern auch eine deutliche Generationenkomponente aufweist: Die nachrückenden Priester sind deutlich konservativer.“ Und Fagioli schreibt: „Auch wenn die Bischofskonferenzen sich öffentlich gegen Populismus und „gegen Rechts“, positionieren, so hindert dies nicht an ideologischen Verschiebungen innerhalb des Klerus und der Laien.“ Vor allem unter den jungen Gläubigen. Fagioli schließt mit der Feststellung – ich zitiere –, „daß die bisherige breite Zustimmung zum Zweiten Vatikanischen Konzil spürbar abnimmt“.
Einwände mögen lauten: Doch dieser Klerus bewegt sich nach wie vor im kulturellen Rahmen der liberalen Moderne; es handle sich also nicht um jene große Umkehr, die von der Gottesmutter in Fatima verheißen wurde.
Ich glaube nicht daran, daß die Krise der Kirche mit bloß kosmetischen, oberflächlichen oder halben Maßnahmen zu lösen ist. Wir müssen an die Wurzeln gehen, und das bedeutet eine tiefgreifende Umkehr. Auch ich denke, daß die Phänomene, die ich hier beschrieben habe, für sich allein das Problem nicht an der Wurzel lösen – sei es, weil sie noch in der Minderheit sind, sei es, weil gewisse Kreise immer noch unter dem Einfluß der gegenwärtigen Welt stehen. Aber all das hindert mich nicht daran, sie mit Erleichterung, mit Dank an die göttliche Vorsehung und vor allem mit Hoffnung zu begrüßen – Hoffnung, daß diese Entwicklungen mit Hilfe der göttlichen Gnade weitergehen, bis zur völligen Abkehr von jenen schlechten Tendenzen, die uns in die heutige traurige Lage geführt haben.
„Omnia possum in eo qui me confortat“ – „Alles vermag ich durch den, der mir Kraft gibt“, sagte der heilige Paulus. Die göttliche Gnade kann Wunder wirken, und eines davon – vielleicht eines der größten der Geschichte – wird die Umkehr dieser sündhaften Menschheit sein und die Errichtung des Reiches des Unbefleckten Herzens Mariens.
*Julio Loredo ist Vorsitzender der italienischen Sektion der internationalen Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) und Autor mehrerer Bücher, darunter eine Widerlegung der „Befreiungstheologie“ (2015) und jüngst zusammen mit José Antonio Ureta die beiden Bestseller: „Eine Büchse der Pandora. Der weltweite synodale Prozeß“ (2023) und „Der Dammbruch. Die Kapitulation von Fiducia Supplicans vor der Homosexuellen-Bewegung“ (2024). Auf Youtube betreibt er den Kanal „Visto da Roma“.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Hinterlasse jetzt einen Kommentar