Erste „Erzbischöfin“ von Canterbury

Anglikanische Absonderlichkeiten


Sarah Mullally heißt die neue "Erzbischöfin" von Canterbury. Die Feministin betrachten die Progressiven als ihren neuesten Punktesieg
Sarah Mullally heißt die neue "Erzbischöfin" von Canterbury. Die Feministin betrachten die Progressiven als ihren neuesten Punktesieg

Die Angli­ka­ni­sche Kir­che ist eine Rea­li­tät sui gene­ris — und zwar im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes. Ganz zeit­gei­stig ernann­te sie nun die erste Frau zum Erz­bi­schof von Can­ter­bu­ry und damit an ihre Spit­ze. Grund genug, einen Blick auf sie zu werfen.

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Nach ihrem eige­nen Selbst­ver­ständ­nis ist die Angli­ka­ni­sche Kir­che angeb­lich die katho­li­sche Kir­che in Rein­form. Der Bruch von 1534 aber? 

Heinrich VIII. und seine Frauen

Nun, der resul­tier­te tat­säch­lich fast aus­schließ­lich aus den pri­va­ten Amou­ren des dama­li­gen eng­li­schen Königs, der sich der Ver­bind­lich­keit des Ehe­sa­kra­ments schlicht­weg nicht mehr unter­wer­fen woll­te. Und wer ein­mal mit dem Ehe-Hop­ping beginnt, der hört so schnell nicht mehr auf. Hein­rich VIII. kam auf gleich sechs Ehe­frau­en. Zwei davon ließ er kur­zer­hand hin­rich­ten, um sich ihrer zu ent­le­di­gen; von zwei ande­ren ließ er sich schei­den, eine starb im Kind­bett, und die letz­te, Katha­ri­na Parr, hat­te das Glück, daß der König vor ihr das Zeit­li­che seg­ne­te — andern­falls hät­te auch sie womög­lich den Kopf verloren.

Dabei hat­te Hein­rich VIII. mit der Refor­ma­ti­on, die auf dem euro­päi­schen Fest­land seit 1517 ihr Unwe­sen trieb, eigent­lich nichts am Hut. Er woll­te sei­ne eine katho­li­sche Kir­che, „nur“ eben mit ihm als Ober­haupt — ganz im Sin­ne eines Cäsar­opa­pis­mus. Bevor es also zum Bruch mit Rom wegen sei­ner kin­der­lo­sen ersten Frau, Katha­ri­na von Ara­gon, kam, trat Hein­rich sogar als eif­ri­ger Ver­tei­di­ger der Kir­che gegen die Refor­ma­to­ren in Erscheinung.

Protestantisierung

Doch der Pro­te­stan­tis­mus schlich sich auch auf der Insel ein. Da Angli­ka­ner — die sich selbst als „wah­re Katho­li­ken“ betrach­ten — und Pro­te­stan­ten in der Glo­rious Revo­lu­ti­on von 1688 ver­bün­det waren, um den katho­li­schen König Jakob II. zu stür­zen und den refor­mier­ten Pro­te­stan­ten Wil­helm von Ora­ni­en, einen Nie­der­län­der, auf den Thron zu set­zen, öff­ne­te man sich zuneh­mend pro­te­stan­ti­schen Strö­mun­gen. Offi­zi­ell blieb jedoch mit Hil­fe des Staa­tes die angli­ka­ni­sche High Church vor­herr­schend, wäh­rend nach unten hin mehr Spiel­raum gewährt wur­de. Nur die wah­re katho­li­sche Kir­che, blie­ben ver­bo­ten und die ech­ten Katho­li­ken wur­den ver­folgt und unterdrückt.

Auch Wil­helm von Ora­ni­en brach­te dies­be­züg­lich reich­lich Erfah­rung mit: In den Gene­ral­staa­ten (Nie­der­lan­den) war das wohl­ha­ben­de Patri­zi­at (kurz gesagt: Olig­ar­chen) radi­kal gegen die Katho­li­ken (und die Luthe­ra­ner) vor­ge­gan­gen. Nicht von unge­fähr ent­stand 1717 in Lon­don die erste doku­men­tier­te Frei­mau­rer­lo­ge — die heu­ti­ge Groß­lo­ge von Eng­land. Jede Loge welt­weit braucht ihre Aner­ken­nung, um als Teil der regu­lä­ren Frei­mau­re­rei gel­ten zu kön­nen. Die Logen­brü­der ver­lan­gen angeb­lich, so behaup­ten sie es, ein tri­ni­ta­ri­sches Glau­bens­be­kennt­nis — doch in Wahr­heit gehör­ten von Anfang an auch Juden dazu, die Chri­stus, den Got­tes­sohn, bekannt­lich als schlimm­ste Blas­phe­mie ableh­nen. Heu­te darf, was die Reli­gi­on betrifft, fak­tisch jeder in eng­li­sche Logen ein­tre­ten, man den­ke nur an die inzwi­schen im König­reich zah­len­mä­ßig star­ken Süd­asia­ten (Inder, Ben­ga­len, Paki­sta­ner, Sin­gha­le­sen), die in der Regel Hin­dus oder Mos­lems sind.

Die­se grund­sätz­li­che schritt­wei­se Öff­nung spie­gelt sich, nur etwas zeit­ver­zö­gert und natür­lich in ande­rer Form, in der Angli­ka­ni­schen Kir­che wider, wodurch sie sich immer wei­ter von der katho­li­schen Leh­re ent­fern­te. Ihren Anspruch „katho­lisch“ zu sein, hält sie aller­dings aufrecht. 

Progressive Unruhe

Die­ses leer gewor­de­ne Selbst­ver­ständ­nis hat­te zumin­dest einen Vor­teil: Nach der 1970 umge­setz­ten radi­ka­len Lit­ur­gie­re­form in der katho­li­schen Kir­che blieb der Volks­al­tar aus den katho­li­schen Kir­chen Eng­lands ver­bannt. Der Grund? Weil die Angli­ka­ner kei­nen Volks­al­tar ken­nen, da sie äußer­lich gewis­ser­ma­ßen im Jahr 1534 erstarrt sind. Ab 1970 hät­ten sie sonst den Katho­li­ken glatt sagen kön­nen: „Seht her, wer hier die wah­re katho­li­sche Kir­che ist.“ Das woll­te sich jedoch weder der katho­li­sche Epi­sko­pat der Insel noch Rom antun. Dar­aus wur­de unfrei­wil­lig ein stil­les Pri­vi­leg zu Gun­sten der eng­li­schen Katholiken.

Ins­ge­samt ging die Angli­ka­ni­sche Kir­che jedoch den­sel­ben Weg wie die pro­te­stan­ti­schen Lan­des­kir­chen auf dem Fest­land: Sie öff­ne­te sich immer mehr und bekam an allen Ecken und Enden Lecks. Die­ser libe­ra­le Kurs zer­setz­te sie von innen. Allein die Mon­ar­chie und das bri­ti­sche System, in dem die Church of Eng­land als Anhäng­sel der Kro­ne eine feste zere­mo­ni­el­le Rol­le spielt, konn­ten den Nie­der­gang äußer­lich kaschieren.

Nach innen wur­de es zeit­gei­stig: Der Femi­nis­mus for­der­te „Gleich­be­rech­ti­gung“, und so wur­de das angli­ka­ni­sche „Prie­ster­tum“ scheib­chen­wei­se auf­ge­weicht. Die katho­li­sche Kir­che erkann­te die angli­ka­ni­schen Wei­hen ohne­hin nie an — pole­misch könn­te man sagen, Papst Leo XIV. zitie­rend, zumin­dest „vor­erst“ nicht.

In den 1980er Jah­ren knack­ten die angli­ka­ni­schen Libe­ra­len das Dia­ko­nat — nach lan­gem Kampf gab die Basti­on nach. Seit 1987 dür­fen auch Frau­en Dia­ko­ne sein. Kaum war das erreicht, begann schon der Kampf um das Prie­ster­tum. 1994 wur­den Frau­en als Prie­ster zuge­las­sen. Kaum war auch das erreicht, begann auch schon… Die Metho­de scheint inzwi­schen klar zu sein. Und so wur­de 2014 zuge­stimmt, daß Frau­en Bischö­fe wer­den kön­nen. 2015 wur­de Libby Lane als erste Frau zum „Bischof“ geweiht. Zehn Jah­re spä­ter machen Frau­en rund zehn Pro­zent des angli­ka­ni­schen Epi­sko­pats aus.

Was bleibt noch zu erobern? Nach der Abkehr vom Papst­tum 1534 wäre eigent­lich der Kampf um das Frau­en­papst­tum an der Rei­he — aber da tut sich bei den Angli­ka­nern durch Selbst­aus­schluß nichts mehr. Statt­des­sen wur­de nun die erste Frau zur Erz­bi­schö­fin von Can­ter­bu­ry ernannt. Zwar wer­den nur etwa 4 von 42 angli­ka­ni­schen Diö­ze­sen von einer Frau gelei­tet, doch der pro­gres­si­ve Geist ist rast­los und ver­langt täg­lich nach Neue­run­gen — was nichts ande­res bedeu­tet, als Bestehen­des zu zerschlagen.

Was kann die­sen nim­mer­sat­ten Orkus (vor­über­ge­hend) befrie­di­gen? Die Ernen­nung einer Frau auf den höch­sten Posten: Der Erz­bi­schof von Can­ter­bu­ry ist Pri­mas von Eng­land und geist­li­ches Ober­haupt der Church of Eng­land — und nicht nur das, son­dern der gesam­ten Angli­can Com­mu­ni­on, der angli­ka­ni­schen Weltgemeinschaft. 

Dar­über steht frei­lich der König. Da die enge Ver­bin­dung von Kir­che und Kro­ne die Kir­che staats­tra­gend macht, erfolg­te die Bekannt­ga­be der Ernen­nung auch durch Dow­ning Street, also die bri­ti­sche Regierung.

Welbys Rücktritt

Doch wie kam es zur Not­wen­dig­keit, das Amt neu zu beset­zen? Am 6. Janu­ar trat Justin Wel­by, der bis­he­ri­ge Pri­mas, zurück, weil der bis­her größ­te sexu­el­le Miß­brauchs­fall in der Church of Eng­land von ihm ver­tuscht wur­de. Wel­by war im sel­ben Jahr wie Papst Fran­zis­kus (2013) ins Amt gekom­men und ver­stand sich gut mit ihm. Inter­es­san­ter­wei­se stell­te sich her­aus, daß Wel­bys Vater ein ganz ande­rer war, näm­lich Win­s­ton Chur­chills Pri­vat­se­kre­tär — Sir Antho­ny Mon­ta­gue Brow­ne. Ob er mit dem hoch­ade­li­gen Haus Brow­ne, Vis­counts Mon­ta­gu, ver­wandt ist, bleibt unge­klärt. Chur­chill selbst stamm­te, trotz sei­nes für kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­sche Ohren bür­ger­lich klin­gen­den Namens aus der höch­sten Schicht des eng­li­schen Hoch­adels, näm­lich aus dem Haus Spen­cer (bekannt durch Lady Dia­na), kon­kret den Dukes of Marl­bo­rough — einem von nur weni­gen Her­zogs­ti­tel und daher von höch­stem Pre­sti­ge. Irgend­wie gehör­te Wel­by oben dazu, als er im Ober­haus Platz nahm.

Bemer­kens­wer­ter­wei­se trat Wel­by aber nicht nur als Erz­bi­schof zurück, son­dern leg­te auch sein Prie­ster­tum nie­der — eine von vie­len Kuriositäten.

Sarah Mullally, die Neue

Nun wird also Sarah Mull­al­ly die erste Frau an der Spit­ze der Angli­ka­ni­schen Kir­che seit deren Grün­dung vor fast 500 Jah­ren. In der Gesamt­zäh­lung wird sie sogar die 106. in der Liste der Erz­bi­schö­fe von Can­ter­bu­ry sein und in die Fuß­stap­fen des hei­li­gen Augu­sti­nus von Can­ter­bu­ry (601–605) tre­ten, des Apo­stels der Angel­sach­sen, der vom Papst nach Eng­lang geschickt wor­den war und 601 als erster Bischof ein­ge­setzt wur­de. 19 Hei­li­ge zählt die Bischofs­rei­he, alle aus der fast tau­send­jäh­ri­gen katho­li­schen Zeit, dar­un­ter der hei­li­ge Anselm von Can­ter­bu­ry (1093–1109), ein Lan­go­bar­de, den die Kir­che sogar als Kir­chen­leh­rer ver­ehrt, sowie Tho­mas Becket (1162–1170), ein Nor­man­ne, den sein eige­ner König ermor­den ließ — ein Omen für die spä­te­re Kir­che-Staat-Bezie­hung in England?

Mull­al­ly, 63 Jah­re alt, trägt einen gäli­schen (kel­ti­schen) Nach­na­men, und wird als Erz­bi­schö­fin auto­ma­tisch einen Sitz im bri­ti­schen Ober­haus erhal­ten. 2002 wur­de sie zur Prie­ste­rin geweiht, 2018 zur Bischö­fin von Lon­don ernannt.

Nach ihrer Ernen­nung gab sie sich in ihrer ersten Stel­lung­nah­me – erwar­tungs­ge­mäß – poli­tisch kor­rekt. Sie bezeich­net sich als Femi­ni­stin, ist unver­hei­ra­tet, spricht sich per­sön­lich eher gegen Abtrei­bung aus, setzt sich aber nach­drück­lich für das Recht auf Abtrei­bung ein, ganz nach dem Mot­to: „Ich töte kein unschul­di­ges, wehr­lo­ses Kind, aber wenn du es tust, ist das dei­ne Sache und nie­mand darf dich dafür kri­ti­sie­ren.“ Gegen den Kli­ma­wan­del enga­giert sie eben­so und unter­stützt Net­to-Null-Emis­sio­nen und natür­lich die Migra­ti­on. Und selbst­ver­ständ­lich lob­te sie die Ent­schei­dung, Homo-Paa­re zu seg­nen, als „einen Moment der Hoff­nung für die Kirche“.

Der Nie­der­gang ist bit­ter: Die „Kir­che von Eng­land“ zählt heu­te kei­ne 20 Mil­lio­nen Gläu­bi­ge mehr, die akti­ven Prak­ti­zie­ren­den sind weni­ger als eine Mil­li­on. Doch der Staat hält die Fas­sa­de aufrecht.

Mull­al­lys Amts­ein­füh­rung ist für Janu­ar 2026 geplant.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
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