
Die geistliche Laiengemeinschaft Comunione e Liberazione (CL, Gemeinschaft und Befreiung) wurde 1954 vom italienischen Priester und Theologen Don Luigi Giussani in Mailand gegründet – zunächst als Studentenseelsorge. Ihr Ziel war es, junge Menschen im Glauben zu begleiten und zu einem lebendigen, persönlichen Christsein zu führen. Die prägende Idee Giussanis war, daß Glaube und Alltag untrennbar miteinander verbunden sind. Darauf aufbauend entstand eine umfassende Kultur des Glaubens, die alle Lebensbereiche umfaßt: Familie, Bildung, Beruf, gesellschaftliches und sogar politisches Engagement. Wie aber kommt es, daß ein Globalist wie Mario Draghi die feierliche Eröffnungsrede beim diesjährigen Meeting von Rimini von CL halten konnte? Schon seit einigen Jahren sind Anpassungstendenzen an die Agenda 2030 festzustellen. Antonio Socci, ein ehemaliges Mitglied von CL, ist inzwischen zu ihrem kritischen Begleiter geworden, so auch in seiner jüngsten Kolumne.
Die Struktur von CL ist bewußt netzwerkartig und dezentral, ohne klassische Hierarchie. Lokale Gruppen unterschiedlichster Art treffen sich regelmäßig zu geistlichen Übungen und Begegnungen. Je nach Beruf und Neigung entstanden neue Gruppen, manche stärker geistlich, andere sozial oder politisch, wieder andere mit Fokus auf Ökonomie oder Medienarbeit.
Eine der bedeutendsten Errungenschaften der Gemeinschaft ist seit 1980 das jährliche Meeting für die Völkerfreundschaft in Rimini, ein großes kulturelles und religiöses Festival. Am 46. Meeting 2025, vom 22. bis 27. August, nahmen insgesamt, die Besucher aller Tage summiert, laut der Presseagentur ANSA insgesamt 800.000 Besucher teil – ein beeindruckender Ausdruck der Mobilisierungskraft der Bewegung.
Mitte der 1970er Jahre wurde Don Giussani Zeuge eines prägenden Ereignisses: Papst Paul VI. rief die katholische Jugend zum Petersplatz, doch angesichts von Studentenprotesten, sexueller Revolution und der Ablehnung der Enzyklika Humanae Vitae blieb die Teilnahme enttäuschend gering. Dieses Debakel brannte sich Don Giussani ein – er faßte den Entschluß, daß so etwas nicht wieder geschehen sollte. Mit CL wollte er selbst ein Zeichen der Treue zum Papst setzen und notfalls alleine den Petersplatz füllen. Dieses Ziel wurde am 30. Mai 1998 Wirklichkeit, als er gemeinsam mit 100.000 CL-Mitgliedern auf dem Petersplatz mit Papst Johannes Paul II. betete.
Aus der Bewegung gingen eine ganze Reihe von Bischöfen hervor, darunter die Kardinäle Angelo Scola und Carlo Caffarra sowie Erzbischof Luigi Negri.
Ab den 1970er Jahren konnte CL ausreichend stark in Italien auch politisch wirken, etwa im Vorfeld der Volksabstimmungen zur Einführung von Scheidung und Abtreibung, im Widerstand gegen die linke Vorherrschaft an Universitäten und Gymnasien, aber auch durch Einfluß bei den Christdemokraten und ihren Nachfolgeparteien. Nicht alle Mitglieder betrachteten letzteren Einfluß allerdings als positiv für die Gemeinschaft – die Balance zwischen geistlicher Identität und gesellschaftlicher Wirkung war und bleibt sensibel.
In den 70er Jahren wurden Einrichtungen von CL Zielscheibe von linksextremer Gewalt. Auf führende Vertreter von CL verübte die Terrororganisation Rote Brigaden zwei Attentate. Gegen den linken Mainstream und dessen Anfeindungen unterstützte CL in den 80er Jahren die polnische Gewerkschaft Solidarność.
Heute ist CL in 90 Ländern der Erde präsent.
Nach Don Giussanis Tod im Jahr 2005 wirkte CL zunächst etwas gelähmt, da die Gemeinschaft stark auf sein Charisma ausgerichtet war. Mit dem Pontifikat von Papst Franziskus kam es jedoch zu einer gewissen Orientierungslosigkeit, weil die Antipathie des argentinischen Kirchenoberhaupts für Don Giussani offenkundig wurde, aber nicht zuletzt auch deshalb, weil Franziskus die sogenannten Neuen geistlichen Gemeinschaften insgesamt neu ausrichten wollte, was konkret ihre Schwächung zum Ziel hatte. In der Folge entstanden sowohl Anpassungstendenzen als auch widerständige Bestrebungen, die die Vielfalt und Dynamik von CL prägten.
2020 stellte Franziskus einen geistlichen Zweig von CL, die Memores Domini unter kommissarische Verwaltung. Vier Schwestern dieser Gemeinschaft hatten den Haushalt von Benedikt XVI. im Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten geführt.
Don Giussanis Nachfolger an der Spitze von CL, Don Julián Carrón, mußte 2021 zurücktreten, weil der Vatikan neue Mandatsgrenzen eingeführt hatte, um den Einfluß charismatischer Gründergestalten in den Neuen Geistlichen Gemeinschaften zurückzudrängen. Seither ist der dritte und aktueller Leiter von CL mit Davide Prosperi erstmals ein Laie. Prosperi ist Professor für Biochemie an der Universität Mailand-Bicocca.
Mit Bernhard Scholz hat seit langem auch ein bundesdeutsches CL-Mitglied eine zentrale Rolle in der Gemeinschaft. Scholz ist seit 2020 Vorsitzender der Stiftung, die das Meeting von Rimini organisiert. Zuvor war er schon seit 2008 Vorsitzender der Compagnia delle Opere, einer Art Verband von Unternehmen, Organisationen und Initiativen aus dem CL-Umfeld. Aufgabe des Verbandes ist es u. a., Wirtschaft, Politik und Kirche zusammenzuführen und Initiativen aus diesem Umfeld zu beraten, zu unterstützen und zu begleiten.
Doch hören wir, was der Kolumnist Antonio Socci aktuell über CL berichtet. Socci war selbst 1977 Mitglied von CL geworden und viele Jahre darin aktiv. „Ich bin stolz darauf, Teil von Comunione e Liberazione zu sein. Ich möchte dieses Zeugnis heute ablegen, da CL in den Medien zu einer schlechten Gesellschaft geworden zu sein scheint. Es ist jedoch eine leuchtende Gemeinschaft, die mich seit meiner Jugend begeistert hat und in der ich den Sinn des Lebens entdeckt habe.“ Nach dem Tod Don Giussanis ging er jedoch schrittweise auf Distanz, besonders jedoch während des Pontifikats von Franziskus. Bezeichnenderweise war er im August 2013, kurz nach dem Konklave, bei dem Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, zum letzten Mal als Referent zum Meeting von Rimini geladen. 2016 kritisierte er die CL als „verfallen“ und „verblaßt“. Seither begleitet er die Gemeinschaft mit kritischen Anfragen, wie auch der folgenden:
CL hat sich Jesu Christi geschämt und Don Giussani begraben, um einen Platz bei Hof zu ergattern.
Und noch ein Meeting von Rimini als Sprungbrett für Mario Draghi
Von Antonio Socci
Was ist heute das Meeting von Rimini, über das die Medien berichten? Und was ist aus Comunione e Liberazione (CL) geworden? Kann es wirklich sein, daß die Bewegung sich mit einer Figur identifiziert wie Mario Draghi, die ideologisch diametral jener von Don Giussani entgegengesetzt ist, und ihre Verehrung für den ehemaligen EZB-Chef bis zu geradezu messianischen Tönen steigert?
Es ist die Geschichte eines Scheiterns. Die Verirrung von CL zwang 2021 sogar den Heiligen Stuhl, massiv einzugreifen, was zum Rücktritt des Nachfolgers von Don Giussani führte. Ein gebotenes Eingreifen, aber leider vergeblich – mit dessen Stellvertreter änderte sich nichts.
Um alles zu verstehen, muß man einen Schritt zurückgehen. Don Giussani, der leidenschaftliche Gründer der Bewegung, widerlegte alle soziologischen Theorien, denn durch ihn explodierte eine unerwartete katholische Wiederbelebung in einer historisch als besonders schwierige Zeit geltenden Phase – 1968 –, und zwar bei den Menschen, die am fernsten und feindlichsten schienen: den Universitätsstudenten, in der modernsten Stadt Italiens, Mailand, die nach soziologischem Paradigma am stärksten säkularisiert war.
Durch Don Giussani faszinierte Jesus Christus Generationen junger Menschen, während alle Jugendbewegungen, die aus dem Jahr ’68 hervorgegangen waren, zerfielen. CL verstand es, mit der säkularen Kultur zu interagieren und mit klarer Identität originell am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, während andere Katholiken sich der linken Szene anschlossen. Aus diesem Grund wurde CL von Anfang an von den konformen Medien angefeindet, von der Linken gehaßt und oft der gewaltsamen Intoleranz extremistischer Gruppen ausgesetzt.
Um den Zweck von CL, aber auch ihre Kraft und ihr rasantes Wachstum zu erklären, müssen Don Giussanis Worte beachtet werden:
„Unsere oberste Aufgabe ist es, die große Botschaft Christi in der Welt zu verbreiten. Uns ist der Glaube geschenkt worden, damit wir ihn weitergeben, und danach wird unser Leben beurteilt werden. Daß der Mensch Christus kennenlernt, daß die Menschheit Christus kennenlernt – das ist die Aufgabe der Berufenen und die Mission des Volkes Gottes.„
Nach Giussanis Tod am 22. Februar 2005 nahm CL jedoch den entgegengesetzten Weg. Die Verkündigung Christi, das eigentliche Lebensprinzip der Bewegung, wurde als „spaltend“ betrachtet. Um dem altkommunistischen Politiker Fausto Bertinotti und dem linksdemokratischen Politiker Luciano Violante, um dem linksintellektuellen Psychologen Massimo Recalcati oder dem linke Journalisten Antonio Polito zu gefallen [alles ehemalige KP-Mitglieder, ausgenommen Recalcati, der laut eigenen Angaben Lotta Continua, Radikaler Partei und dann der Kommunistischer Partei nur „nahestand“) schämte man sich Christus gegenüber – genau davor hatte Don Giussani in seinem letzten Interview gewarnt: „Sie haben sich für Christus geschämt“. Damals sprach er allgemein von der Kirche, ohne zu ahnen, daß er damit die spätere Entwicklung von CL vorhergesagt hatte.
Die „neue CL“ suchte nicht die Treue zu Don Giussani, sondern den Applaus der Mainstream-Medien und der Linken, die sie solchermaßen „gezähmt“ schließlich in der „gehobenen Gesellschaft“ akzeptierten. Doch der Preis dafür war enorm. Seit 2005 ist das, was einst die lebendigste und einflußreichste katholische Bewegung war, vom Radar verschwunden, ihre ursprüngliche Präsenz zersetzt, ihr Niedergang begann, insbesondere bei den jungen Menschen, bei denen CL entstanden war.
Heute ist die Präsenz von CL unter Jugendlichen unbedeutend: Die verbleibenden Mitglieder stammen meist aus alten CL-Familien und haben oft ziemlich verwirrte Vorstellungen. Beim jüngsten weltweiten Jugendjubiläum in Tor Vergata brachte CL mühsam 700 Personen auf die Beine, verstreut unter einer Million Teilnehmer. Zum Vergleich: Bei anderen neuen Gemeinschaften wie dem Neokatechumenalen Weg waren in Tor Vergata 120.000 junge Teilnehmer, und zwei Tage später erklärten dort 10.500 von ihnen ihre priesterliche, religiöse oder missionarische Berufung zu beginnen.
CL liegt im Koma. Die Kirche – trotz strenger Korrekturen gegenüber Don Giussanis Nachfolger – bekräftigte die Gültigkeit des Charismas, und der Papst ermahnte die CL-Mitglieder wiederholt, zu ihren Ursprüngen, zu Don Giussani, zurückzukehren.
Stattdessen wandten sie sich Mario Draghi zu, der bereits am 24. August 2022 beim Meeting auftrat, kurz nach dem Sturz seiner Regierung, als die Parlamentswahlen bevorstanden. Giorgio Vittadini, jahrzehntelang „Regisseur“ des Meetings und von CL, erklärte damals: „Wir sind Draghianer“, und fügte Ausdrücke messianischer Art hinzu, wie sie in der Bewegung nie zuvor gehört worden waren: „Wir brauchen große Männer wie ihn, um die Zukunft des Landes zu bestimmen. Und selbst wenn er geht, muß er uns das Rezept für die nächsten Jahre geben, ohne das wir uns verlieren würden.“
Kurz gesagt: Der Retter, trotz seiner desaströsen Amtszeit als italienischer Ministerpräsident.
In diesem Jahr ist der Fall noch explosiver. Üblicherweise lädt das Meeting Regierungsvertreter ein, darunter Politiker verschiedener Richtungen. Um jedoch eine Ministerpräsidentin wie Giorgia Meloni einladen zu können, wurde von der Norm abgewichen: Das Meeting eröffnete mit einer feierlichen Rede von Mario Draghi, obwohl er kein Amt mehr innehat.
Beim EU-Thema führte Draghi seine bekannte Transformations-Rede. Wie manche in sozialen Netzwerken kommentierten: „Draghi ist der Klempner, der kommt, um das kaputte Waschbecken zu reparieren, und ausruft: ‚Was für ein Scheißjob!‘ – doch das Waschbecken war von ihm kaputtgemacht worden.“
Das Schlimmste daran: In seiner gesamten Rede über die EU gab es keinen Bezug zum Christentum. Draghi, der nicht einmal Benedetto Croce gelesen hat, verkörpert die arrogante, antichristliche Technokratie, die, wie die EU-Führung zeigt, völlig gescheitert ist.
Doch Bernhard Scholz, Vorsitzender des Meetings, sagte anschließend: „Wir erkennen uns im Europäertum Draghi’s wieder“. Der aktuelle, aus Mühlheim im Markgräflerland stammende CL-Chef klatschte begeistert und beriet sich danach eine Stunde mit Draghi.
Vittadini hatte die Gäste des Meetings angekündigt: „Mario Draghi, EU-Kommissar Raffaele Fitto und Minister für Europäische Angelegenheiten Antonio Foti.“ Warum wurde der wichtigste Gast, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, vergessen? Wahrscheinlich, um zur Wahrung der Beziehungen zur Regierung nicht zu betonen, daß man „Draghianer“ sei.
So diente das Meeting als Sprungbrett für Draghis Machtoperationen.
Und nun? Wird sich jemand in CL auflehnen und zu den Ursprüngen, zu Don Giussani und zu Jesus Christus zurückkehren?
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
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