Die Christen in Syrien leben zwischen Angst, Tod und Flucht

Die grausame Preisgabe der orientalischen Christen


Viele Tote forderte ein schreckliches Attentat in einer Kirche. Seit die Dschihadisten mit Hilfe des Westens in Syrien die Macht übernommen haben, leben die Christen in Angst und Schrecken

Ein Selbst­mord­at­ten­tä­ter spreng­te sich am Sonn­tag wäh­rend der Mes­se in die Luft. Unter den Chri­sten sind Dut­zen­de Tote und Ver­letz­te zu bekla­gen. Das Regime macht den Isla­mi­schen Staat (IS) ver­ant­wort­lich, doch im angeb­lich „befrie­de­ten“ Syri­en herrscht nun die Scha­ria, und die Chri­sten und ande­re Min­der­hei­ten leben unter stän­di­ger Angst.

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Der Angriff ereig­ne­te sich im Chri­sten­vier­tel Dwei­la, am Stadt­rand von Damas­kus, in der grie­chisch-ortho­do­xen Kir­che Mar Eli­as. Am Sonn­tag, dem 22. Juni, „bete­ten etwa 350 Men­schen unter dem Schutz Got­tes“, berich­te­te Pfar­rer Fadi Ghat­tas. Plötz­lich eröff­ne­te ein ver­mumm­ter Atten­tä­ter das Feu­er auf die Gläu­bi­gen. Als die Men­ge ihn aus der Kir­che drän­gen woll­te, zün­de­te er sei­nen Spreng­stoff­gür­tel. Das Ergeb­nis: min­de­stens 30 Tote und 63 Ver­letz­te, dar­un­ter zahl­rei­che Kinder.

Der Spre­cher des syri­schen Innen­mi­ni­ste­ri­ums, Noured­di­ne Al-Baba, mach­te den Isla­mi­schen Staat (IS) für den Anschlag ver­ant­wort­lich. Die ersten Ermitt­lun­gen deu­ten auf die Ter­ror­mi­liz hin. Fotos der staat­li­chen Nach­rich­ten­agen­tur Sana zei­gen blu­ti­ge Kir­chen­bän­ke und Trüm­mer. Über­le­ben­de kla­gen: „Wir haben nie in unse­rem Leben eine Waf­fe in der Hand gehal­ten. Alles, was wir hat­ten, waren unse­re Gebete.“

Syrien – „frei und demokratisch“ in den Händen der Dschihadisten

Das ist das neue Syri­en unter Ahmed al-Scha­raa genannt Al-Dscho­la­ni, dem seit Janu­ar amtie­ren­den Inte­rims­prä­si­den­ten von Syri­en. Wäh­rend das Regime den Anschlag als „Aus­nah­me“ dar­stellt und den IS dafür ver­ant­wort­lich macht, doku­men­tiert die Syri­sche Beob­ach­tungs­stel­le für Men­schen­rech­te (SOHR) seit Mona­ten die syste­ma­ti­sche Ver­fol­gung von Min­der­hei­ten, auch der Chri­sten, in der angeb­lich „befrei­ten und demo­kra­ti­schen“ Regi­on, die von Dschi­ha­di­sten kon­trol­liert wird.

Erst vor weni­gen Tagen wur­de ein jun­ger Ala­wit – Ange­hö­ri­ger der schii­ti­schen Min­der­heit, der auch der gestürz­te Prä­si­dent Assad ange­hört – kalt­blü­tig in sei­nem Haus bei Homs ermor­det. Täter war ein Mann des „Gene­ral-Sicher­heits­dien­stes“, der ohne Haft­be­fehl und Erklä­rung ein­brach. Eine von zahl­rei­chen Ver­gel­tun­gen seit Janu­ar 2025, über die west­li­che Medi­en schweigen.

Seit Jah­res­be­ginn zählt das SOHR 787 doku­men­tier­te Todes­op­fer, dar­un­ter 26 Frau­en und 13 Kin­der. Sicher­heits­kräf­te füh­ren will­kür­li­che Raz­zi­en durch. Sie sper­ren Stadt­ein­gän­ge, ver­haf­ten jun­ge Men­schen auf Fel­dern, an Hal­te­stel­len oder vor Schu­len. Danach ver­schwin­den die Opfer spurlos.

Angst vor Al-Dscholani und der neuen sunnitischen Ordnung

Nach­dem Damas­kus in die Hän­de der Dschi­ha­di­sten unter Abu Moham­mad al-Dscho­la­ni – frü­her Füh­rer der al-Nus­ra-Front, des syri­schen Able­gers von Al-Qai­da – fiel, flüch­te­ten zehn­tau­sen­de Chri­sten und Mus­li­me. Vie­le, wie die arme­ni­sche Chri­stin und Mathe­ma­tik­leh­re­rin Arewik Sar­ki­si­an, woll­ten nicht, daß ihre Kin­der unter einem isla­mi­schen Regime auf­wach­sen. In Alep­po ver­kün­de­ten Mili­zen per Mega­fon neue Klei­der­vor­schrif­ten: Frau­en müs­sen sich ver­schlei­ern. Heu­te ver­bie­tet die Regie­rung Frau­en den Strand­be­such ohne Bur­kini. „Enge“ Klei­dung ist ver­bo­ten, die Schul­tern oder Knie müs­sen bedeckt sein.

Kurz vor Weih­nach­ten hat­ten Chri­sten bereits erste Anschlä­ge erlebt: Das Kreuz der St.-Georgskirche in Hama wur­de von Kugeln durch­siebt, eine Kir­che im mehr­heit­lich christ­lich-ortho­do­xen Al-Suqay­la­bi­yah zer­stört, eine Mari­en­sta­tue demo­liert, ein Christ­baum ver­brannt. Die Mili­zen von Hayat Tah­r­ir al-Sham (HTS) ent­schul­dig­ten sich „for­mal“ und behaup­te­ten, es hand­le sich um „Ein­zel­fäl­le“ – nach außen hin.

Doch Chri­sten wer­den „Naza­ra“ (Naza­re­ner) genannt, ein abwer­ten­der Begriff, den auch der IS in Mos­sul ver­wen­de­te. In einem Video vor der Omay­ya­den-Moschee in Damas­kus droh­ten Mili­zio­nä­re mit der Erobe­rung Jeru­sa­lems und der Al-Aqsa-Moschee.

Massaker im März und internationale Hilferufe

Zwi­schen dem 6. und 10. März star­ben bei einer Gewalt­wel­le in Lata­kia, Tar­tus, Hama und Homs über tau­send Men­schen: Jun­ge, Frau­en, Ärz­te, gan­ze Fami­li­en. Auch aus­län­di­sche Kämp­fer fie­len, ohne Unter­schied zwi­schen Ala­wi­ten und Christen.

Patri­ar­chen der ori­en­ta­li­schen Kir­chen ver­ur­teil­ten die „grau­sa­men Mas­sa­ker“ und rie­fen die Welt­kir­che zum Gebet auf. Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Open Doors und Kir­che in Not unter­stüt­zen Über­le­ben­de und trau­ern mit den Angehörigen.

Die Realität syrischer Christen: Angst, Verfolgung und Flucht

In Damas­kus, wo Al-Dscho­la­ni mit tat­kräf­ti­ger west­li­cher Unter­stüt­zung sei­nen Auf­stieg zur Macht voll­zie­hen konn­te, leben Chri­sten unter per­ma­nen­tem Ter­ror. Die­je­ni­gen, die nicht geflo­hen sind, erzäh­len von will­kür­li­chen Attacken und zuneh­men­der isla­mi­sti­scher Herr­schaft. Der bekann­te Jour­na­list Dome­ni­co Qui­ri­co schreibt:

„Ein Dschi­ha­dist kann sei­nen Namen ändern, aber nie sei­ne Gesin­nung. Die­se Regime sind tota­li­tär mit nur einem Gott, einem Buch und einem Gesetz.“

Für vie­le syri­sche Chri­sten bedeu­tet das Flucht oder Tod. Die­se trau­ri­ge Rea­li­tät zeigt das bit­te­re Schick­sal der Chri­sten in Syri­en – einer Gemein­schaft, die einst tief ver­wur­zelt war und heu­te am Rand des Aus­ster­bens steht.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­News (Screen­shot)

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1 Kommentar

  1. Leser­brief: Wer schützt uns wirk­lich in Syrien?

    Wie­der ein­mal ist das Blut Unschul­di­ger ver­gos­sen wor­den – mit­ten im Gebet, mit­ten in Damas­kus. Der Anschlag auf die Mar-Eli­as-Kir­che war ein Angriff auf das Herz unse­rer christ­li­chen Gemein­schaft in Syri­en. Und ja – die offi­zi­el­le Erklä­rung spricht vom Isla­mi­schen Staat als Täter. Aber wir, als assy­ri­sche Chri­sten, haben vie­le Grün­de zu zweifeln.

    Wir ken­nen die Geschich­te. Wir haben sie erlebt. Der soge­nann­te Über­gangs­prä­si­dent, der jetzt in Damas­kus das Sagen hat, ist nicht neu. Wir ken­nen sei­ne Ver­gan­gen­heit. Wir wis­sen, was er den Ale­vi­ten ange­tan hat, was er den Min­der­hei­ten ange­tan hat – und was er uns Chri­sten nie gewährt hat: Schutz, Aner­ken­nung, Respekt.

    Auch die­ses Mal zeigt sich wie­der das­sel­be Muster:
    Kein Besuch bei den Ange­hö­ri­gen der Opfer.
    Kein Wort des Tro­stes an unse­re Gemeinde.
    Kein ein­zi­ger Schritt in Rich­tung unse­res Patri­ar­chen oder der Kirchenleitung.
    Nicht ein­mal ein Sym­bol der Anteil­nah­me – nichts.

    Und das, obwohl die Opfer im Haus Got­tes ermor­det wur­den – wäh­rend sie gebe­tet haben.

    Was sagt das über die Hal­tung die­ser Regie­rung zu uns aus?
    Wie glaub­wür­dig ist ein Staat, der sei­ne älte­sten Bür­ger igno­riert, ihre Spra­che ver­bie­tet, ihre Kir­chen dem Ver­fall über­lässt – und ihnen dann erklärt, sie wären gleichberechtigt?

    Die neue syri­sche Ver­fas­sung ist ein wei­te­res Bei­spiel: Sie erkennt uns nicht an. Sie schützt uns nicht. Sie schreibt unse­re Unsicht­bar­keit fest.
    Ein Volk mit 7000 Jah­ren Geschich­te – redu­ziert auf eine Rand­no­tiz, wenn überhaupt.
    Ein Glau­be, der über Jahr­hun­der­te durch Ver­fol­gung getra­gen wur­de – heu­te schutz­los in sei­nem eige­nen Herkunftsland.

    Wir haben genug von Sym­bol­po­li­tik. Wir wol­len kei­ne fal­sche Sicher­heit, wir wol­len ech­te Rechte.
    Das Min­de­ste, was ein Staat tun muss: sei­ne Bür­ger beschüt­zen – beson­ders jene, die immer wie­der Ziel sol­cher Anschlä­ge sind.

    Wir haben gese­hen, wie Chri­sten in Syri­en ermor­det, ver­schleppt, ver­trie­ben wurden.
    Wir haben gese­hen, wie gan­ze Dör­fer ver­schwun­den sind.
    Und wir haben gese­hen, wie die Welt geschwie­gen hat – zu oft, zu lange.

    Jetzt ist es genug.
    Wir fordern:
    • Eine inter­na­tio­na­le Unter­su­chung des Anschlags auf die Mar-Elias-Kirche.
    • Aner­ken­nung der assy­ri­schen Chri­sten als eigen­stän­di­ges Volk mit poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Rechten.
    • Schutz unse­rer Kir­chen, Spra­che, Schu­len und Gemein­den – in Syri­en wie in der Diaspora.
    • Eine ech­te Teil­ha­be an der Zukunft Syri­ens – nicht als Bitt­stel­ler, son­dern als gleich­wer­ti­ge Bürger.

    Wir sind kei­ne Gäste in Syri­en – wir sind das Fundament.
    Wir haben Syri­en mit auf­ge­baut, ver­tei­digt, mit­ge­prägt – und wir blei­ben, solan­ge wir atmen.
    Aber wir brau­chen eine Stim­me. Wir brau­chen Schutz. Wir brau­chen Gerechtigkeit.

    Wer unse­re Kir­chen nicht schützt, wer unse­re Kin­der nicht betrau­ert, wer unse­re Gemein­den igno­riert – der kann kein Garant für Frie­den sein.
    Und wer uns assy­ri­sche Chri­sten nicht sieht, der will uns viel­leicht auch nicht mehr haben.

    Doch wir wer­den nicht gehen.
    Wir wer­den nicht schweigen.
    Wir wer­den für unser Volk spre­chen – und wir wer­den wei­ter­le­ben, trotz allem.

    Denn unse­re Hoff­nung ist grö­ßer als ihre Gleichgültigkeit.
    Unse­re Lie­be zum Leben ist stär­ker als ihr Hass.

    Char­li Kanoun
    Vor­sit­zen­der des Assy­ri­schen Kul­tur­ver­eins e. V. Saarlouis
    Akti­vist in der Assy­ri­sche Auto­no­mie Bewe­gung e. V. Saarlouis

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