
Von Antonio Socci*
Zwanzig Jahre nach seinem Tod ist Johannes Paul Il. lebendiger denn je. Er hat eine unauslöschliche Spur in der Geschichte der Kirche und der Welt hinterlassen. Und ganz besonders im persönlichen Leben von mehreren Generationen. Nicht nur meiner, die vom marxistischen Rausch der 1970er Jahre betroffen war. Auch der späteren.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die viel jünger ist als ich, schrieb in ihrem Buch „Ich bin Giorgia“: „Es war ein anderer großer Mann, ein Heiliger, der mich mit seiner Einfachheit und mit seinem kraftvollen Beispiel zu Gott führte: Johannes Paul II., geboren als Karol Wojtyla. Der größte Pontifex der Neuzeit und der größte Staatsmann des gesamten 20. Jahrhunderts. Aber auch noch mehr.“
An jenem 16. Oktober 1978, als er vom Balkon des Petersdoms erschien, hatten wir sofort den Eindruck, daß ein unvorhersehbarer Orkan des Lichts von hinter dem Eisernen Vorhang gekommen war.
Sein kraftvolles „Öffnet die Türen für Christus!“ – richtete sich an die Herzen aller, an Völker und Staaten, Wirtschaftssysteme und Kulturen – erhellte jene Jahrzehnte („Habt keine Angst, Christus willkommen zu heißen und seine Macht anzunehmen! Helft dem Papst und allen, die Christus und mit der Kraft Christi dem Menschen und der ganzen Menschheit dienen wollen! Habt keine Angst!“).
Die Medien erinnern sich in diesen Tagen an ihn – auch wegen seines enormen Charismas – aber, nachdem sie zu Lebzeiten Mühe hatten, ihn zu verstehen, erkennen sie heute nicht die Relevanz seiner Prophezeiung. Oder sie wollen nicht verstehen. Sie verstehen nicht, daß er ein Prophet ist.
Alle schreiben ihm den Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Osteuropa zu, und das ist zu Recht so, denn er gab der ‚Kirche des Schweigens‘ eine Stimme und jenen Völkern Mut, die von der totalitären Barbarei gemartert wurden (während unsere Intelligenzler, die mit dem Marxismus flirteten, ihn als Reaktionär verhöhnten).
Aber es wurde immer noch nicht verstanden, daß – wie der Papst selbst erklärte – der Kommunismus von selbst gescheitert ist und die direkte und grundlegende Rolle von Johannes Paul II. vor allem darin bestand, die gewaltsame Implosion eines Blocks zu verhindern, dessen Nomenklaturen verzweifelt waren und über ein immenses Atomwaffenarsenal verfügten: Nach der Logik der Geschichte und ihrer Ideologie hätten sie als letzte Überlebenschance den Krieg gegen den Westen losbrechen können (in den 1980er Jahren waren sie bekanntlich sehr nahe dran).
Um das Jahr 2000, als er sein Meisterwerk (den unblutigen Zusammenbruch des Kommunismus) bereits vollbracht hatte, geriet Wojtyla mit der europäischen Führung aneinander, die sich verächtlich weigerte, die christlichen Wurzeln Europas anzuerkennen, und so eine EU schuf, die ein bürokratisches Monster ist, das die Völker auslöscht.
Wojtyla war der Papst der Vaterländer, seine „Theologie der Nationen“ bleibt ein Pfeiler der
Völkerfreiheit und wird auch heute noch mißverstanden (selbst in Polen gibt es heute eine Pro-EU-Regierung, die ihm feindlich gegenübersteht).
Am 2. April erinnerte Vatican News an einige prophetische Intuitionen von Johannes Paul Il. Beeindruckend, was er 2001 in der Ukraine erklärte, als er „einen Weg des Friedens“ zeichnete, der Ost und West vereint: „Mein Wunsch ist, daß die Ukraine einen vollwertigen Platz in einem Europa einnimmt, das den gesamten Kontinent vom Atlantik bis zum Ural umfaßt. Wie ich Ende des Jahres 1989 gesagt habe, das in der jüngsten Geschichte des Kontinents so wichtig war, kann es kein friedliches, zivilisatorisch strahlendes Europa geben ohne diese Osmose und diese Beteiligung ‚unterschiedlicher, aber komplementärer Werte‘, die für die Völker in Ost und West typisch sind.“
Sein „Europa vom Atlantik bis zum Ural“, das den Krieg zwischen der Ukraine und Rußland vermieden hätte, war in greifbarer Nähe: Man erinnere sich an den NATO-Gipfel 2002 in Pratica di Mare mit Bush und Putin, organisiert vom italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Dann brach alles ab, wobei die Verantwortung auf beiden Seiten lag. Aber heute greift Präsident Trump genau diese Intuition auf. Es ist der einzig mögliche Weg: Rußland (mühsam) auf den unterbrochenen Weg der Demokratie und in den Strom Europas zurückzubringen. Das ist die beste Absicherung gegen falsche Schritte und einzige Garantie für den Frieden.
Ebenso prophetische Worte hatte der Papst für den Nahen Osten: „Es ist die Versöhnung, die das Heilige Land braucht: Vergebung und nicht Rache, Brücken und nicht Mauern. Dies verlangt, daß alle Führer der Region mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft den Weg des Dialogs und der Verhandlungen beschreiten, der zu einem dauerhaften Frieden führt“.
Seine sehr starke Ablehnung von Kriegen hatte apokalyptische Untertöne, wie Andrea Tornielli gestern in Vatican News erinnerte. Sein eigener Appell für Frieden und Abrüstung scheint in diesen Tagen in den Reden von Franziskus ebenso dramatisch nachzuklingen.
Der anläßlich der Heiligsprechung von Karol Wojtyla sagte: Dieser habe „mit dem Heiligen Geist zusammengearbeitet, um die Kirche gemäß ihrer ursprünglichen Physiognomie wiederherzustellen und zu erneuern, der Physiognomie, die ihr die Heiligen über die Jahrhunderte hinweg gegeben haben. Wir dürfen nicht vergessen, daß es gerade die Heiligen sind, die die Kirche voranbringen und die die Kirche wachsen lassen. In diesem Dienst am Volk Gottes ist der heilige Johannes Paul II. der Papst der Familie gewesen. So, wie er selbst einmal sagte, möchte er gerne in Erinnerung bleiben.“
Als Papst der Familie und des Lebens war er offen für den Dialog mit allen, aber er war sich auch der Risiken bewußt, die die Nichtintegration großer islamischer Bevölkerungsgruppen in Europa bedeuten.
Vor einigen Jahren hat ein maßgeblicher Geistlicher (der im Vatikan gearbeitet hatte und von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. geschätzt wurde) ein „mystisches Vertrauen“ des polnischen Papstes enthüllt:
„Erinnere diejenigen, die Du in der Kirche des dritten Jahrtausends triffst, daran: Ich sehe, daß die Kirche von einer tödlichen Wunde heimgesucht wird. Tiefer und schmerzhafter als jene dieses Jahrtausends. Sie heißt Islamismus. Sie werden in Europa einfallen. Ich sah die Horden vom Westen und vom Osten kommen. Sie werden in Europa einfallen, Europa wird wie eine Abstellkammer sein, angefüllt mit alten Erbstücken und Familienerinnerungen. Ihr, die Kirche des dritten Jahrtausends, müßt die Invasion aufhalten. Aber nicht mit Waffen, Waffen werden nicht ausreichen, sondern mit Eurem mit Integrität gelebten Glauben.“
*Antonio Socci studierte Literaturwissenschaften und war bis zu seiner Bekehrung in der radikalen Linken aktiv; seit 1984 ist der Vater von drei Kindern Journalist; er war kurzzeitig Chefredakteur der Monatszeitschrift 30giorni und Kolumnist verschiedenerTageszeitungen, 2002–2004 war er stellvertretender Chefredakteur der Nachrichtenredaktion des Staatsfernsehens RAI 2, 2004–2020 Direktor der von der RAI und der Universität Perugia getragenen Hochschule für Fernsehjournalismus (eine Stelle, von der er nach Polemiken zu seiner Kritik an Papst Franziskus zurücktrat), heute ist er Kolumnist der Tageszeitung Libero.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL