Seit dem Tod von Bischof Bernard Tissier de Mallerais von der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) hat die Diskussion in und um die altrituelle Gemeinschaft Fahrt aufgenommen, die 1970 von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründet wurde, um die Tradition und den überlieferten Ritus ohne die Irrtümer und Verzerrungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Nachkonzilszeit zu bewahren.
Ende November nahm Pater Gabriele D’Avino, der neue Distriktsobere der Piusbruderschaft in Italien, in einem Interview mit dem hauseigenen Medienportal zur Frage Stellung, ob und wann die Bruderschaft neue Bischöfe weihen soll. Pater D’Avino trat sein Amt am vergangenen 15. August an. Sein Distrikt sei nicht sehr groß, aber sehr gut aufgestellt, so der junge Distriktsobere. In den vergangenen Jahren habe sich die Zahl der Gläubigen stark vermehrt. Dafür nannte Pater D’Avino vor allem zwei Gründe: die Wahl von Papst Franziskus und die Corona-Maßnahmen.
1988 hatte Erzbischof Lefebvre ohne die Erlaubnis von Papst Johannes Paul II. vier Bischöfe geweiht, um sein Werk für die Zukunft zu bewahren. 2009 hob Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation der Bischöfe auf. 2012 wurde Richard Williamson aus der Piusbruderschaft ausgeschlossen. Mit dem Tod von Bernard Tissier de Mallerais sind nur mehr zwei Bischöfe übriggeblieben. Diese Tatsache führe dazu, daß „alle“ sich die Frage stellen: „Wann wird die Bruderschaft neue Bischöfe weihen?“
Bischof Richard Williamson weihte seit seinem Ausschluß aus der Piusbruderschaft und ohne Erlaubnis des Papstes bisher vier Bischöfe: den ehemaligen Piusbruder P. Jean-Michael Faure (2015), den altrituellen Benediktiner Dom Tomás de Aquino (2016), P. Gerardo Zendejas (2017) und den ehemaligen Piusbruder P. Giacomo Ballini (2021). Bischof Williamson und alle von ihm geweihten Bischöfe zogen sich die Exkommunikation latae sententiae zu, wie es bereits 1988 der Fall gewesen war.
In dem genannten Interview vom 30. November sagte Pater Gabriele D’Avino zur Frage, ob und wann die Piusbruderschaft neue Bischofsweihen durchführen werde:
„Die Frage lautet: Wird die Bruderschaft neue Weihen durchführen? Die Antwort lautet: Ja, die Bruderschaft wird diese Weihen vornehmen, und wir erwarten sie bald.“
Diese Weihen seien „notwendig für den Schutz und Erhalt des katholischen Priestertums. Nichts hat sich geändert, wenn nicht zum Schlechteren, seit jenem 30. Juli 1988.“ Wenn damals eine Notwendigkeit bestand, dann bestehe diese heute noch mehr. „Die Bruderschaft denkt an Bischofsweihen, und die Sache wird getan werden.“ Auf die Nachfrage, wann dies genau geschehen werde, sagte D’Avino, es stehe nicht ihm zu, das zu entscheiden:
„Wie ich schon sagte, werden die Oberen über den Zeitpunkt entscheiden.“
Ohne Bischöfe könne das Werk von Erzbischof Lefebvre nicht fortbestehen, denn ohne Bischöfe gebe es keine Priester. Die Sorge vor allem unter den Laien, die keinen Einblick in die internen Entscheidungen haben, scheint groß, daß die Piusbruderschaft ohne Bischöfe zum Spielball Roms werden könnte, wo man unter dem derzeitigen Pontifex offen traditionsfeindlich ausgerichtet ist.
Der Moment werde „sehr heikel“ sein, und „viele Fragen aufwerfen“, mit denen auch die Gläubigen von Freunden, Familienangehörigen und anderen konfrontiert werden.
„Die Bruderschaft fürchtet aber keine Verurteilungen, so wie sie sie auch 1988 nicht fürchtete.“
Es gebe ein „reale Notwendigkeit für das Seelenheil der Gläubigen, für das Überleben der Kirche selbst und des katholischen Priestertums.“
Die offizielle Linie der Piusbruderschaft ist, daß man – wenn der Zeitpunkt gekommen sein wird – Rom um die Erlaubnis für neue Bischofsweihen bitten werde. Allerdings scheint sich niemand in der Priesterbruderschaft Illusionen zu machen, daß Santa Marta eine solche Erlaubnis ohne Auflagen erteilen wird.
Inoffiziell heißt es: Sollte Rom die notwendige Erlaubnis nicht erteilen, werde die Bruderschaft sich auf denselben Notstand berufen wie bereits 1988 und die Weihen ohne Erlaubnis Roms vornehmen.
Ein solcher Bruch mit Rom werde von der Bruderschaft nicht angestrebt, doch verlange die Existenzsicherung des Werkes von Erzbischof Lefebvre im Zweifelsfall einen solchen Schritt, und man werde nicht zögern, ihn zu setzen.
Bereits im vergangenen Juni hatte der Distriktsobere der Piusbruderschaft in Frankreich, Pater Benoît de Jorna, in einem Brief an Freunde und Wohltäter der Bruderschaft dafür argumentiert, daß die Zeit für neue Bischofsweihen gekommen ist und dieser Schritt unabhängig von Roms Wohlwollen zu setzen sei, woran Stephen Kokx von LifeSiteNews erinnerte.
„Wir werden … in naher Zukunft die Tugend der Stärke brauchen, um uns dem kirchlichen Ereignis zu stellen, das sich abzuzeichnen beginnt. Wir werden mit Widersprüchen, Beleidigungen, Verachtung, Ablehnung und vielleicht sogar mit der Trennung von Menschen, die uns nahestehen, konfrontiert werden“, so Pater de Jorna.
Das stete Wachstum der Piusbruderschaft mache weitere Bischöfe notwendig, um die pastoralen Aufgaben weltweit erfüllen zu können. „Es ist notwendig geworden, darüber nachzudenken, den Bischöfen Assistenzen zu geben, die eines Tages ihre Nachfolger werden.“
Die Lage der Kirche habe sich seit 1988 nicht verbessert, sondern verschlechtert. Wenn es damals notwendig war, vier Bischöfe zu weihen, so sei die Notwendigkeit heute noch größer.
„Die Zahl der Gläubigen hat weltweit zugenommen, und es werden Bischöfe gebraucht, um die Sakramente zu spenden, weitere Priester zu weihen, Firmungen zu spenden, Kirchen zu segnen und zu weihen und so weiter.“
Tatsächlich hat sich die Zahl der Bischöfe der Piusbruderschaft seit 2012 aber halbiert.
Der seit 2018 amtierende Generalobere der Bruderschaft Pater Davide Pagliarani erklärte 2021, daß er nicht zögern würde, Bischöfe weihen zu lassen, um das Überleben der Piusbruderschaft zu sichern – auch ohne Erlaubnis Roms.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: fsspx.news (Screenshot)