Das Zweite Vatikanum und der katholische Atheismus

Der Weg in den katholischen Atheismus


Das abgelehnte und umgestoßene Kreuz
Das abgelehnte und umgestoßene Kreuz

Ein Kom­men­tar von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

In den letz­ten Wochen häu­fen sich – mit vol­lem Recht – die empör­ten, teils auch pro­mi­nen­ten und kle­ri­ka­len Stim­men dar­über, daß der Füh­rer einer Reli­gi­ons­ge­mein­schaft, nament­lich der Papst selbst, die Wahr­heit und vor allem auch die Heils­re­le­vanz sei­ner eige­nen katho­li­schen Reli­gi­on ver­neint. Alle Reli­gio­nen sei­en als sol­che von Gott gewollt, alle sei­en gut, kei­ne mehr oder weni­ger wahr, sie sei­en wie ver­schie­de­ne Spra­chen der­sel­ben Sache, die letzt­lich alle zu Gott führ­ten – wobei die Fra­ge offen bleibt, wel­cher Gott mit dem „einen Gott“ über­haupt gemeint ist, was sein Wil­le für uns Men­schen ist, wer er sei, und was wir von ihm wissen.

Unan­ge­nehm fällt die Distanz, ja der Gegen­satz zur tra­di­tio­nel­len kirch­li­chen Leh­re auf. Es scheint im Ver­gleich zu vor 50 oder 100 Jah­ren wie eine völ­lig ande­re Reli­gi­on zu sein, die wir da hören, eine neue Reli­gi­on, die sich in ver­wen­de­tem Voka­bu­lar wie Inhalt extrem und betont auf­fäl­lig mit dem deckt, wofür die Frei­mau­re­rei klas­si­scher Wei­se als deren Grund­an­lie­gen ein­tritt und wofür sie von der katho­li­schen Kir­che immer als unver­ein­bar mit dem katho­li­schen Glau­ben dekla­riert wur­de und daher der Exkom­mu­ni­ka­ti­on unter­liegt: im CIC 1917 noch expli­zit, im CIC 1983, wel­cher die nach­kon­zi­lia­re Theo­lo­gie in sich ver­ar­bei­tet hat, immer­hin noch impli­zit, jedoch offi­zi­ell bestä­tigt durch eine eige­ne Note vom dama­li­gen Glau­bens­prä­fek­ten Ratz­in­ger. Nun ist es plötz­lich aber der Papst selbst, der ihre The­sen mehr über­zeugt als über­zeu­gend ver­tritt, der das abso­lu­te Wahr­sein des katho­li­schen Glau­bens ver­neint und eben­so des­sen Heils­not­wen­dig­keit und sich damit offen in Wider­spruch zu des Hei­lands Wort und Auf­trag setzt – ganz so, als ob er ohne­dies nicht an ihn glaube.

Und selbst wenn vor­läu­fig noch von „einem Gott“ als Mini­malst­va­ri­an­te des Glau­bens die Rede ist, von der man irrig meint, daß sich die mei­sten auf sie eini­gen kön­nen, muß man sagen, daß solch ein dif­fu­ser, nebu­lö­ser Gott in Wirk­lich­keit nur noch ein Fei­gen­blatt ist, das man ver­schämt vor sei­ne reli­giö­se Blö­ße hin­hält, um sich nicht vor aller Welt offen als Athe­ist beken­nen zu müs­sen, denn letzt­lich hat ein sol­cher Got­tes­be­griff nichts mehr mit dem wah­ren Gott der Offen­ba­rung zu tun – ein sol­cher Indif­fe­ren­tis­mus ist im Grun­de genom­men ein prak­ti­scher Athe­is­mus, denn „Gott“ dient hier nur noch als platz­hal­ten­der Sam­mel­be­griff für etwas nicht näher Bestimm­tes, wo jeder ein­set­zen und den­ken kann, was ihm selbst beliebt. Aber solch ein Got­tes­be­griff ist von kei­ner Rea­li­tät mehr erfüllt, er beschreibt kei­ne Wirk­lich­keit, er ist inhalt­lich kom­plett leer.

Was vie­len Kri­ti­kern jedoch bei all deren berech­tig­ten und auch nöti­gen Miß­bil­li­gung nicht auf­zu­fal­len scheint, ist, daß sol­che Aus­sa­gen, die sie als skan­da­lös betrach­ten, in ihrer letz­ten Kon­se­quenz die logi­sche und auf Dau­er auch not­wen­di­ge Frucht des Zwei­ten Vati­ka­nums sowie der nach­kon­zi­lia­ren Pra­xis sind. Es läßt sich ein roter Faden aus­ma­chen zwi­schen den Kir­chen­re­for­men des 20. Jahr­hun­derts und den römi­schen Ent­wick­lun­gen der letz­ten Jah­re. Das darf uns auch nicht wun­der­neh­men, denn sie fußen auf den­sel­ben phi­lo­so­phi­schen und theo­lo­gi­schen Grund­sät­zen, und die heu­ti­ge Ent­wick­lung ist nichts ande­res als die Umset­zung und Fort­schrei­bung des letz­ten Kon­zils und sei­ner Refor­men, die aus ihm ent­wach­sen. Je eher wir dies erken­nen und auch aner­ken­nen, desto eher wer­den wir auch geeig­ne­te Gegen­maß­nah­men ein­lei­ten kön­nen – andern­falls wird der Glau­be vor­her noch kom­plett ver­schwin­den. Aber skiz­zie­ren wir zumin­dest die gro­ben Lini­en der Ent­wick­lung, die in nur weni­gen Jah­ren zum „katho­li­schen Athe­is­mus“ geführt hat.

Zunächst stand eine Neu­be­wer­tung des Öku­me­nis­mus. Die­ser wur­de nicht mehr wie bis­lang im Sin­ne eines Rück­kehr-Öku­me­nis­mus ver­stan­den, son­dern als bereit­wil­li­ger Ver­zicht auf das genu­in Katho­li­sche, so daß letzt­lich nur noch die Schnitt­men­ge mit dem Pro­te­stan­tis­mus (auf den die Öku­me­ne pri­vi­le­giert bezo­gen wur­de) übrig­blieb, gleich­sam als wenn man einem Venn-Dia­gramm jene Lap­pen weg­schnei­den wür­de, die sich nicht über­schnei­den. Das Katho­li­sche war zum Hin­der­nis zwi­schen Men­schen erklärt wor­den, also leg­te man es bei­sei­te. Man sprach nicht mehr offen die katho­li­schen Glau­bens­wahr­hei­ten an, über Maria (beim letz­ten Kon­zil ver­zich­te­te man sogar aus öku­me­ni­schen Grün­den auf ein eige­nes Doku­ment über die Mut­ter­got­tes!). Man änder­te das katho­li­sche Kir­chen­ver­ständ­nis. Man pro­te­stan­ti­sier­te die katho­li­sche Opfer­mes­se, indem man den „Ritus“ zugun­sten des „Wor­tes“, wie man sag­te, zurück­dräng­te. Man glich die Hei­li­ge Mes­se, so gut es ging, dem pro­te­stan­ti­schen Abend­mahl an und ließ den aus­drück­li­chen Opfer­cha­rak­ter zurück­tre­ten. Man defi­nier­te die Rol­le der Gläu­bi­gen im pro­te­stan­ti­schen Sinn neu, die nun von beten­den Gna­den­emp­fän­gern zu „Mit­fei­ern­den“ wur­den, wodurch auch das Tauf­prie­ster­tum eine radi­ka­le Umdeu­tung erfah­ren hat. Die Aus­drücke zünf­ti­ger katho­li­scher Volks­fröm­mig­keit wur­den mas­sivst beschnit­ten, weil sie nicht mehr in das neue, pro­te­stan­ti­sier­te Selbst­ver­ständ­nis paß­ten. Der Prie­ster wur­de nun, wie bei den Pro­te­stan­ten, zum „Vor­ste­her“, der den „Got­tes­dienst“ wahl­wei­se lei­tet, prä­si­diert oder die­sem vor­steht, jeden­falls sprach man nicht mehr vom Geist­li­chen oder Prie­ster, der „die Mes­se liest“ oder das Hl. Meß­op­fer dar­bringt. Es lie­ße sich noch eine lan­ge Liste wei­te­rer Bei­spie­le anfüh­ren, die alle auf das­sel­be hin­aus­lau­fen: die Auf­ga­be des Katho­li­schen zugun­sten einer abge­schwäch­ten und pro­te­stan­ti­schen Reli­gi­ons­pra­xis und Lehre.

Jeden­falls tilg­te man alles Katho­li­sche, um „als Chri­sten“ zuein­an­der­zu­kom­men. Das impli­ziert, daß das so Bei­sei­te­ge­leg­te nicht wahr, jeden­falls aber nicht wich­tig oder heils­re­le­vant sei. Es kön­ne einem ande­ren Ziel, das als über­ge­ord­net emp­fun­den wur­de, näm­lich einer rein mensch­li­chen Ein­heit, geop­fert wer­den: Das Gött­li­che wur­de dem Mensch­li­chen nachgereiht.

Dar­über hin­aus gab es noch drei wei­te­re ent­schei­den­de Wen­de­punk­te im neu­en Ver­ständ­nis von Öku­me­ne, die alle in einem Punkt zusam­men­ge­faßt wur­den: Es wur­de den ande­ren christ­li­chen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten mit dem Zwei­ten Vati­ka­num nun plötz­lich zuge­stan­den, daß sie Kir­che sei­en, zwar getrennt, aber den­noch Kir­chen, fer­ner wird der Abso­lut­heits­an­spruch des gött­lich geof­fen­bar­ten katho­li­schen Glau­bens auf­ge­ho­ben, und schließ­lich wur­den sie nun auch als ordent­li­che Wege zum Heil ange­se­hen. Wört­lich heißt es dazu im Dekret über den Öku­me­nis­mus Unita­tis red­in­te­gra­tio unter Num­mer 3: „Eben­so sind die­se getrenn­ten Kir­chen und Gemein­schaf­ten, trotz der Män­gel, die ihnen nach unse­rem Glau­ben anhaf­ten, nicht ohne Bedeu­tung und Gewicht im Geheim­nis des Hei­les. Denn der Geist Got­tes hat sich gewür­digt, sie als Mit­tel des Hei­les zu gebrau­chen.“

Wozu soll­te man dann aber noch katho­lisch sein, wenn es auch ande­re, viel­leicht weni­ger anspruchs­vol­le Heils­we­ge gibt, an deren Ende mich schluß­end­lich ja doch wie­der das­sel­be Ziel erwar­tet? Letzt­lich ist es wenig bedeut­sam, ob man katho­lisch ist oder nicht – das Heil hängt ja schließ­lich nicht dar­an. Chri­stus blieb vor­erst zwar noch als der allen akzep­ta­ble Grund­be­stand bestehen, wur­de in sei­nem kon­kre­ten Ver­ständ­nis aber eben­so öku­me­nisch abge­schlif­fen wie der gan­ze Rest.

Auf einer rein prak­ti­schen Ebe­ne ließ man sechs Pro­te­stan­ten an der Aus­ar­bei­tung der neu­en Mes­se mit­ar­bei­ten, man erstell­te eine neue Bibel­über­set­zung für die katho­li­sche Lit­ur­gie unter der Mit­ar­beit von Pro­te­stan­ten (min­de­stens was die deut­sche Über­set­zung anbe­langt), man lud zum soge­nann­ten Kan­zeltausch (ohne jedoch über die katho­li­schen Wahr­hei­ten zu pre­di­gen!), man ließ fall­wei­se das Hl. Meß­op­fer, das Aller­kost­bar­ste, was die katho­li­sche Kir­che auf­zu­bie­ten hat, weil von dort das Heil aus­strömt, zugun­sten von öku­me­ni­schen Gebe­ten aus­fal­len, wel­che eben kei­nen sakra­men­ta­len Wert haben, geschah ein Unglück grö­ße­ren Aus­ma­ßes, wur­de kein Requi­em mehr vom Bischof gele­sen, son­dern eine öku­me­ni­sche Trau­er­fei­er gehal­ten, und vie­les mehr. Alles deu­te­te dar­auf hin: Das Katho­li­sche ist nicht wich­tig. Es hat­te höch­stens eine kul­tu­rel­le Valenz, aber kei­ne Wahr­heit in sich, was es zu einer auf­gebba­ren Sache mach­te: Man brauch­te nicht katho­lisch sein, es genüg­te jetzt über­haupt christ­lich zu sein.

Doch bald schon dräng­ten neue Strö­mun­gen her­an und stell­ten die nun bereits auf­ge­weich­te, teil­ent­kern­te Kir­che erneut vor die­sel­be Fra­ge nach der Bewer­tung ihrer Posi­tio­nen. So waren es die vor­an­schrei­ten­de Isla­mi­sie­rung und das Anwach­sen eso­te­ri­scher und bud­dhi­sti­scher Strö­mun­gen, wel­che nun nicht mehr nur das Katho­li­sche, son­dern gar das Christ­li­che selbst als pein­lich erschie­nen lie­ßen: Plötz­lich stand nicht mehr allein das Katho­li­sche tren­nend als Hin­der­nis zwi­schen Men­schen, son­dern Chri­stus selbst. Auf etwas Gött­li­ches konn­te man sich noch irgend­wie ver­stän­di­gen, aber Chri­stus war nun nicht mehr Bestand­teil einer gemein­sa­men Grund­über­zeu­gung. Und somit wur­de das Christ­li­che, ja Chri­stus selbst als ein die Men­schen tren­nen­des Ele­ment bei­sei­te­ge­scho­ben, wie bereits zuvor das Katho­li­sche: Die Kreu­ze ver­schwan­den aus den öffent­li­chen Räu­men, bei Kata­stro­phen­fäl­len wur­den inter­re­li­giö­se Gebe­te abge­hal­ten, Mos­lems zu Gebet und Pre­digt in die Kir­che ein­ge­la­den, Krip­pen wer­den aus Schu­len ver­bannt und mit ihnen auch die Weih­nachts­fei­ern, man darf nicht mehr vom Christ­kind reden oder vom Christ­baum, son­dern es wird immer mehr zum Win­ter­fest und zum Lich­ter­baum. In Beru­fen mit Öffent­lich­keits­kon­takt wie bei­spiels­wei­se Nach­rich­ten­spre­cher, Ste­war­dess und Leh­rer wird das sicht­ba­re Tra­gen von Kreu­zen immer häu­fi­ger ver­bo­ten, und christ­li­che Namen wer­den zuneh­mend sel­te­ner unter den Kindern.

Nach dem expli­zit Katho­li­schen ist nun also auch das expli­zit Christ­li­che ver­schwun­den, jeweils mit­ge­för­dert durch die Kir­che selbst, weil gera­de auch in den ver­schie­de­nen kirch­li­chen Füh­rungs­po­si­tio­nen sämt­li­cher Ebe­nen mit teils weit­rei­chen­den Ent­schei­dungs­be­fug­nis­sen immer mehr Per­so­nen saßen, wel­che selbst nicht vom katho­li­schen Glau­ben über­zeugt waren und deren Auf­fas­sun­gen sehr auf­fäl­li­ge Ähn­lich­kei­ten mit den Grund­an­lie­gen der Frei­mau­re­rei (die gewiß nicht auf Chri­stus oder dem katho­li­schen Glau­ben grün­det) hat­ten und haben und wel­che sich teils sogar völ­lig mit ihnen decken.

Somit blieb, nach­dem zunächst das Katho­li­sche und dann auch das Christ­li­che getilgt wor­den waren, nur noch das Gött­li­che über, das allen als das ver­bin­den­de Gemein­sa­me erschien. Aber auch hier durf­te es fol­ge­rich­tig nicht der drei­fal­ti­ge Gott des Chri­sten­tums sein, der eine Gott in drei Per­so­nen, der Mensch wur­de, um uns am Kreuz zu erlö­sen, der auf den Altä­ren der Welt real prä­sent ist und bleibt, und der Hei­li­ge Geist als Spen­der allen Lebens, auch eines geist­li­chen, den man nun eben­so bei­sei­te leg­te, son­dern es muß­te ein mög­lichst all­ge­mei­ner, pro­fil­lo­ser Gott sein, nicht oder nicht klar per­sön­lich, am besten nur eine Idee des Gött­li­chen, damit er für den Moham­me­da­ner eben­so paßt wie für den Sikh oder einen Eso­te­ri­ker, der sich mit der gött­li­chen Ener­gie des Uni­ver­sums ver­bin­det. Am Ende die­ses Selbst­zer­set­zungs­pro­zes­ses steht ein Papst, der bereit ist, mit­un­ter auf die Spen­dung des Segens zu ver­zich­ten, und dar­um bit­tet, ihm „gute Vibra­tio­nen“ zu schicken, und der sagt, kei­ne Reli­gi­on sei wahr(er), alle wären gott­ge­wollt und führ­ten glei­cher­ma­ßen zum Heil und wären nichts als ver­schie­de­ne Spra­chen, mit denen auf unter­schied­li­che Wei­se doch das­sel­be aus­ge­sagt wer­den könne.

Doch so ein all­ge­mei­ner Gott, von dem kaum etwas übrig ist, wird letz­ten Endes in ein lee­res Nichts hin­ein auf­ge­löst, der uns in sei­ner Nich­tig­keit aber auch nichts mehr sagt, weil er uns in sei­ner Unbe­stimmt­heit auch nichts mehr zu sagen hat und nichts mehr aus­sa­gen kann. Und es wird sehr schnell klar wer­den: Solch einen Gott gibt es nicht, es kann ihn nicht geben, weil er das plat­te Pro­dukt will­kür­li­cher mensch­li­cher Reduk­tio­nen ist, des­sen Wahr­sein kei­ne Ecken und Kan­ten mehr übrig­ge­las­sen wur­den und den man sich so lan­ge zurecht­ge­schlif­fen hat, bis letzt­lich auch sei­ne Run­dun­gen und Har­mo­nien ver­schwun­den waren und schließ­lich gar nichts mehr von ihm übrig ist. Wie ein har­ter Stein, an dem man so lan­ge rummei­ßelt und weg­schlägt, bis er irgend­wann kom­plett auf­ge­löst und nur noch Ver­gan­gen­heit ist.

Und am Ende des Tages wird auch die­ser nich­ti­ge, form­lo­se und offen­kun­dig nur rein erdach­te Gott noch tren­nend im Raum ste­hen, und die Schlei­fung wird voll­zo­gen auf zwei Sei­ten: Einer­seits wird selbst solch ein auf­ge­lö­ster Gott noch immer von radi­kal athe­isti­schen Mate­ria­li­sten tren­nen, wel­che nicht ein­mal die­sen Rest­be­stand akzep­tie­ren wer­den, und er wird zugleich von der wach­sen­den Men­ge all derer tren­nen, wel­che sich durch solch einen lee­ren, nichts­sa­gen­den Gott, der ganz offen­sicht­lich das kal­te Pro­dukt mensch­li­cher Poli­tik ist, reli­gi­ös unter­ernährt füh­len. Somit wird selbst die­ser Got­tes­be­griff noch ver­schwin­den, und man wird sagen: Alles Reli­giö­se, und sei es noch so vage und unbe­stimmt, trennt die Men­schen von­ein­an­der, das ein­zi­ge, was uns wirk­lich gemein­sam und unleug­bar ist, das ist das Mensch­li­che, das sind wir selbst.

Daß die­ses Den­ken, wel­ches sich vom ewi­gen, unwan­del­ba­ren und guten Gott los­ge­sagt und den Men­schen an des­sen Stel­le als Quel­le, Mit­tel- und Höhe­punkt alles Seins erklärt hat, auch längst in der katho­li­schen Kir­che ange­kom­men ist, sehen wir in der Pasto­ral­kon­sti­tu­ti­on Gau­di­um et spes des Zwei­ten Vati­ka­nums in Num­mer 12 erklärt: „Es ist fast ein­mü­ti­ge Auf­fas­sung der Gläu­bi­gen und der Nicht­gläu­bi­gen, daß alles auf Erden auf den Men­schen als sei­nen Mit­tel­punkt und Höhe­punkt hin­zu­ord­nen ist.“

Der Mensch ist dann das erste und ober­ste Ziel, er wird zu sei­ner eige­nen Höchst­in­stanz. In so einem System gibt es aber kei­nen Platz für objek­ti­ve Wahr­heit, es sei denn sie ist kol­lek­tiv zur sol­chen gewählt wor­den (frei­lich ohne dadurch tat­säch­lich zu einer sol­chen wer­den zu kön­nen), und somit wird der Mensch sich selbst gefähr­lich. Denn nun ist es nicht mehr der wah­re, gute und unwan­del­ba­re Schöp­fer, der bestimmt, was wahr ist und gerecht, was gut und mora­lisch ist, son­dern nun ist es der homo poli­ti­cus, der poli­ti­sche, ambi­va­len­te, inter­es­sen­ge­lei­te­te Mensch, der nichts Abso­lu­tes, nichts Voll­kom­me­nes in sich trägt, der dies für ande­re bestimmt und ihnen auf­er­legt. Es ist kei­ne Gerech­tig­keit und Wahr­heit Got­tes mehr, die unser Han­deln und Ent­schei­den anlei­ten soll, son­dern die zufäl­li­ge, sub­jek­ti­ve Mei­nung der­je­ni­gen, die gera­de die Schalt­he­bel der Medi­en und damit auch der Macht über die „all­ge­mei­ne, öffent­li­che Mei­nung“ bedie­nen – und die so gar nicht gut sein müs­sen, son­dern eben­so auch böse, auch wenn sie sich immer als die wahr­haft Guten loben wer­den. Damit hat sich aber auch der angeb­li­che „Respekt“, gera­de auch der vor den ande­ren Reli­gio­nen, des­sen sich das Kon­zil selbst so sehr rühm­te, als eine rei­ne Höf­lich­keits­flos­kel ent­tarnt, denn gera­de so wer­den sie in ihrem, wenn auch fal­schen Glau­ben nicht ernst genom­men, son­dern erst recht wie­der ledig­lich als ein zu kor­ri­gie­ren­der Kul­tur­starr­sinn gese­hen, weil er dem eigent­li­chen (poli­ti­schen) Ziel Mensch hin­der­lich ist. Reli­gi­on sei schließ­lich bloß Kulturausdruck.

Reli­gi­on ist nach solch einer Auf­fas­sung, wie sie heu­te auch von der Kir­che eben­so offen­sicht­lich als auch offi­zi­ell ver­tre­ten wird, also an ihrem End­ziel erst dann ange­kom­men, wenn sie in ihrem Grund und Kern sich von allem Gött­li­chen befreit hat und end­lich rein mensch­lich und damit unwei­ger­lich auch poli­tisch gewor­den ist – nur so und dann (d. h. wenn sie im Grun­de gar nicht mehr exi­stiert und abge­tre­ten ist) hat sie Sinn und Daseins­be­rech­ti­gung: die ent­got­tete, athe­isti­sche Reli­gi­on als nütz­li­che För­de­rin von poli­ti­schen Moment­ideen wie Volks­aus­tausch, Kli­ma­pa­nik, Glo­ba­li­sie­rung und Wirt­schafts­ab­brü­chen. Um The­men wie Got­tes­ver­eh­rung und See­len­heil geht es hier­bei nicht mehr, und kann es auch nicht, weil sie längst schon selbst nicht mehr dar­an glaubt.

So steht am Ende der Öku­me­ne, wie sie das zwei­te vati­ka­ni­sche Kon­zil ver­steht, der rea­le, katho­li­sche Athe­is­mus, der sich zwar noch der katho­li­schen, kirch­li­chen Struk­tu­ren bedient, um sich unein­ge­schränkt, mit dem Segen der Kir­che ver­se­hen, aus­zu­brei­ten und den ein­sti­gen Kirch­platz ein­zu­neh­men, aber der selbst nichts mehr mit dem katho­li­schen Glau­ben zu tun hat.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen (Coro­na-) Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Von ihm stammt die Kolum­ne „Zur Lage der Kir­che“.

Bild: MiL

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1 Kommentar

  1. Das deckt sich zu 100% mit mei­ner Wahr­neh­mung! Ich war schockiert als Berg­o­glio eine Rede vor der UNO gehal­ten hat und dar­in kein ein­zi­ges Mal unse­ren Herrn erwähn­te, mas­sen­wei­se Schü­ler in Graz mit ihrem Reli­gi­ons­leh­rer zum Dalai Lama „pil­ger­ten“, unser Bischof Refe­ren­ten in die Dör­fer schick­te, die der Bevöl­ke­rung erklär­ten, Allah und unser drei­ei­ni­ger Gott sei­en ein und die­sel­be Per­son, Beich­ten brau­che man nur mehr ein­mal im Leben und der Luther wird schon fast wie ein Hei­li­ger verehrt…
    Coro­na schließ­lich hat mir end­gül­tig die Augen geöff­net: da wur­de näm­lich offen­bar, dass die­se Her­ren selbst nicht mehr an die hei­len­de Kraft des Weih­was­sers glau­ben, das sie doch zuvor selbst geseg­net haben, geschwei­ge denn an den Hei­land in der Eucharistie!

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