
Elf Jahre, fünf Monate, zwei Wochen und fünf Tage sind seit der Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio zum Papst vergangen und noch immer gibt es Diskussionen, ob seine Wahl gültig war und er der rechtmäßige Papst ist. Diese Diskussionen hätten nur dann einen Sinn, wenn sie einen rechtlichen Wert hätten, doch weder Kanonisten noch Kardinäle haben bisher solche Thesen aufgegriffen oder sich zu eigen gemacht. Von keinem der Kardinäle, auch nicht der Dubia-Kardinäle, die 2013 am Konklave teilnahmen, wurde die Rechtmäßigkeit von Papst Franziskus in Frage gestellt. Ein Grund dafür ist, daß die Thesen, die eine Ungültigkeit der Wahl behaupten, sich meist darin erschöpfen, aufzuzeigen, daß das derzeitige Pontifikat katastrophal sei. Das aber liegt vor aller Augen. Woran es den Thesen jedoch mangelt, sind theologische und kirchenrechtliche Begründungen. Wenn die Diskussionen dennoch andauern und laufend um neue Thesen erweitert werden, drückt sich darin weniger die Stichhaltigkeit, sondern vor allem der große Leidensdruck aus, den viele Katholiken wegen des regierenden Papstes empfinden. Die Diskussionen über seine angebliche Unrechtmäßigkeit binden aber in Summe nur unnötig Kräfte. Luisella Scrosati (La Nuova Bussola Quotidiana, Il Timone und Radio Maria Italien) unterzog sich dennoch der Mühe, die Haltlosigkeit einer der jüngsten Thesen aufzuzeigen. Wir dokumentieren ihr Ergebnis, um erneut die Problematik der Diskussion um die Ungültigkeitsfrage aufzuzeigen.
Die allgemeine Treue zum rechtmäßigen Papst ist keine Meinung
Neue Sophismen über die angebliche Ungültigkeit der Wahl des Papstes berufen sich auf den legitimen Widerstand gegen einige seiner Handlungen. Aber sie beruhen auf großen Mißverständnissen über die Anerkennung durch die Kirche und den Rang des Lehramtes.
Von Luisella Scrosati
Ein kürzlich von LifeSiteNews veröffentlichter Artikel von Matthew McCusker unterstützt die These, daß die allgemeine Anerkennung des Papstes durch die Kirche nicht beweise, daß Franziskus der rechtmäßige Papst ist. Dem Autor zufolge würde die theologische Anerkennungsthese, die, wie er zugibt, von einer „beeindruckenden Anzahl katholischer Theologen“ unterstützt wird, zu einem Widerspruch führen:
„Einerseits führt die allgemeine und unbeanstandete Anerkennung zur unfehlbaren Gewißheit, daß ein Mann wirklich Papst ist. Andererseits könnte ein Mann, der die allgemeine Anerkennung besitzt, laut [Kardinal Louis] Billot und anderen aufhören, Papst zu sein.“
Der Autor zeigt richtig auf, daß dieselben Theologen – gemeint ist insbesondere Louis Billot –, die die allgemeine Anerkennung als entscheidendes Kriterium für das Verständnis, wer der Papst ist, hochhalten, zugleich zugeben, daß der Papst aufgrund einer notorisch häretischen Haltung seines Amtes verlustig gehen kann. Man würde sich also in folgendem scheinbarem Widerspruch wiederfinden: Der Papst, der durch die allgemeine Anerkennung als solcher „geweiht“ ist, wäre in Wirklichkeit nicht Papst, weil er ein Häretiker ist. Titius wäre also nach dem ersten Kriterium Papst, nicht aber nach dem zweiten.
Um aus diesem Widerspruch herauszukommen, gilt es nach Ansicht des Autors die Bedeutung der allgemeinen Anerkennung näher zu betrachten, die darauf beruht, den Papst als „lebendige Glaubensregel“ zu betrachten. Nun stellt McCusker fest, daß es in der Tat keine allgemeine Zustimmung zu Franziskus als „lebendige Glaubensregel“ gibt, was zeige, daß es daher auch keine allgemeine unbeanstandete Anerkennung gibt. Um dies zu untermauern, berichtet der Autor über die zahlreichen Gegebenheiten, bei denen sich ein Teil des Episkopats den Lehren von Franziskus widersetzt hat, und kommt zu dem Schluß, daß „mit großer Klarheit“ zu erkennen sei, daß „Franziskus sich öffentlich von der vom Lehramt der katholischen Kirche vorgeschlagenen Glaubensregel distanziert“ und daß „bedeutende Teile des Episkopats sich weigern, ihm als ‚lebendige Glaubensregel‘ zu folgen“. Indem die Bischöfe Papst Franziskus nicht als lebendige Glaubensregel folgen, würde es also an einer allgemeinen unbeanstandeten Anerkennung fehlen.
Leider sind die Überlegungen des Autors jedoch voller Ungenauigkeiten und fehlt es seinen Aussagen an innerer Logik, was ihn dazu verleitet, einen Widerspruch zu sehen, wo es gar keinen gibt, und einen Ausweg zu finden, der die Bedeutung der allgemeinen Anerkennung völlig übergeht.
Erstens
Die allgemeine Anerkennung (Anhänglichkeit) ist nicht nur eine These, die von vielen Theologen vertreten wird, sondern ein dogmatisches Faktum, wie die doktrinäre Note von 1998 ausdrücklich in Erinnerung ruft. Hier genügt es, an die Tatsache zu erinnern, daß man von der allgemeinen Anerkennung des Papstes zur lebendigen Glaubensregel übergeht und nicht umgekehrt: Wenn die Wahl von Titius zum Papst allgemein anerkannt wird, dann ist Titius als lebendiger Glaubensregel zu folgen (wir werden gleich erklären, was das bedeutet), der umgekehrte Weg aber gilt nicht. Das heißt, wenn es Bischöfe gibt, die sich später weigern, dem Papst als lebendige Glaubensregel zu folgen, bedeutet das nicht, daß es keine allgemeine Anerkennung gibt, denn diese bezieht sich auf die Wahl, nicht auf spätere Ereignisse, andernfalls würde jede Anfechtung der päpstlichen Lehre die Legitimität seiner Wahl in Frage stellen.
Zweitens
Der vom Autor beschworene Widerspruch existiert einfach nicht. Die allgemeine Anerkennung bestätigt tatsächlich, daß ein Papst, dessen Wahl von den Bischöfen nicht angefochten wird, tatsächlich der rechtmäßige Papst ist. Und eine solche allgemeine Anerkennung räumt jeden möglichen Zweifel über angebliche Unregelmäßigkeiten im Konklave oder Zweifel an der Person aus. Sie besagt aber keineswegs, daß er nicht später der Häresie verfallen kann. Ein Papst kann im ersten Sinne allgemein anerkannt sein, aber dann in einer Häresie verfallen und aufhören, Papst zu sein.
Wo aber ist der Widerspruch? Im Buch Gamma der Metaphysik formuliert Aristoteles den Grundsatz des Nicht-Widerspruchs wie folgt: „Es ist unmöglich, daß ein und dasselbe Attribut zur gleichen Zeit zu ein und demselben Gegenstand und in derselben Hinsicht gehört und nicht gehört.“ In diesem Fall wird dasselbe Attribut (Papst zu sein) demselben Subjekt zugeschrieben, aber zu verschiedenen Zeiten. Was die Frage des häretischen Papstes betrifft, so verweise ich auf die wichtigen Klarstellungen, die gemacht wurden und die im wesentlichen zeigen, daß selbst für den heiligen Robert Bellarmin der Papst nur dann in die Häresie fällt, wenn es zu einem (deklarativen, nicht erzwungenen) Urteil der Kirche kommt, und nicht einfach, wenn er eine Häresie ausspricht, und noch weniger, wenn es sich um einen doktrinären Fehler handelt.
Drittens
Der Autor irrt sich bezüglich des Papstes als lebendiger Glaubensregel, obwohl er selbst einen Text von Sylvester Berry [1879–1954, katholischer US-Priester, Exeget, Buchautor, darunter ein Arbeit über die Geheime Offenbarung des Johannes] zitiert, der, wenn er richtig verstanden worden wäre, dieses Mißverständnis verhindert hätte. Berry erklärt die Bedeutung des dogmatischen Faktums der allgemeinen Anerkennung: Wäre es möglich, daß sich die Kirche universell an einen Papst hält, der in Wirklichkeit gar nicht Papst ist, dann wäre es zu jedem Zeitpunkt möglich, die Legitimität eines jeden Papstes in Frage zu stellen und damit auch die von ihm verkündeten unfehlbaren oder endgültigen Lehren. Hier sind die von Berry angeführten Beispiele: „War das [Erste] Vatikanische Konzil wirklich ökumenisch? War Pius IX. ein rechtmäßiger Papst? War die Wahl von Pius IX. gültig? Diese Fragen müssen mit Sicherheit entschieden werden, bevor die von einem Konzil oder einem Papst erlassenen Dekrete als unfehlbar wahr oder für die Kirche verbindlich akzeptiert werden können.“ Anders ausgedrückt: Ich könnte, würde die Grundannahme des Autors stimmen, auch die unfehlbaren Lehren des Ersten Vatikanischen Konzils oder die Unbefleckte Empfängnis in Frage stellen, indem ich die Legitimität der Wahl von Kardinal Mastai Ferretti zum Papst in Frage stelle.
Es ist aber klar, daß Berry von unfehlbaren (oder zumindest endgültigen) Lehren spricht, nicht von irgendeiner Lehre des Papstes. Die Gefolgschaft gegenüber dem Papst als „lebendige Glaubensregel“ muß im Sinne der weiter gefaßten Lehre vom Verkündigungsgrad des Lehramtes her verstanden werden, was McCusker zu tun vergißt. Die Einwände einiger Bischöfe, auf die er sich bezieht, richteten sich in der Tat nicht gegen unfehlbare oder endgültige Lehren des Papstes (die es in diesem Pontifikat noch nicht gibt), sondern gegen Lehren, die Teil des authentischen Lehramtes sind, oder sogar gegen nicht lehramtliche Äußerungen. Wenn man sich also dem irrenden Papst widersetzt, hört man keineswegs auf, sich an ihn als „lebendige Glaubensregel“ zu halten, sondern übt ein Recht bzw. eine Pflicht aus, die im Kirchenrecht vorgesehen ist, eben weil der Papst kein Lehramt ausübt, das ein Festhalten am theologischen Glauben oder die feste und endgültige Zustimmung zu endgültigen Verlautbarungen erfordert.
Der Autor fährt fort: „Die katholische Kirche hat sich in der Tat geweigert, sich an die falsche Glaubensregel zu halten, wie man an der Zahl der Katholiken auf allen Ebenen der Kirche – Laien, Bischöfe und Kardinäle – sehen kann, die die von Franziskus sowohl im geänderten Katechismus, in Amoris lætitia, als auch in anderen Dokumenten, die mit einem scheinbar offiziellen Status veröffentlicht wurden, gelehrten Irrlehren öffentlich zurückgewiesen haben.“ Aber es geht nicht um den „offiziellen Status“ (was bedeutet das überhaupt?) eines Dokuments, sondern um den lehramtlichen Grad seiner Behauptungen.
Die Schlußfolgerung des Autors ist daher völlig falsch und irreführend. Sehen wir es uns an (die Zahlen sind im Originaltext nicht vorhanden, wurden aber eingefügt, um das Gegenargument leichter verständlich zu machen):
„Zusammenfassend: 1) wenn die Kirche allgemein und unbeanstandet an einem Mann als Papst festhält, hält sie an ihm als ihrer lebendigen Glaubensregel fest. 2) Aber die Kirche hält nicht allgemein und unbeanstandet an Franziskus als ihrer lebendigen Glaubensregel fest. Die Kirche folgt nicht allgemein Franziskus als Papst. 3) Daher kann das Argument der allgemeinen Anerkennung nicht verwendet werden, um zu dem Schluß zu kommen, daß Franziskus der Papst ist.“
- Zu Punkt 1: Es wurde gezeigt, daß dieses Festhalten am Papst als lebendige Glaubensregel im Lichte der unverkürzten Lehre der Kirche über die Verkündigungsgrade des Lehramtes verstanden werden muß, ein Aspekt, den der Autor leider nicht berücksichtigt.
- Zu Punkt 2: Es gibt keinen einzigen legitimen Bischof, der die Legitimität der Wahl von Franziskus angefochten hat, und es gibt auch keinen Bischof (Viganò ist derzeit exkommuniziert), der glaubt, daß Franziskus nicht Papst ist. Es gibt, wenn überhaupt, Bischöfe, die nicht unfehlbare und nicht endgültige Behauptungen anfechten und die daher vom Papst nicht als lebendige Glaubensregel verkündet werden.
- Zu Punkt 3: Das Argument der allgemeinen Anerkennung behält in vollem Umfang seine Relevanz und Überzeugungskraft. Es kann auch nicht gefolgert werden, daß Franziskus durch Häresie kein Papst ist, da die Kirche (noch) kein deklaratorisches Urteil gegen ihn gefällt hat (was nach Ansicht einiger Autoren auch gar nicht möglich oder gar wünschenswert wäre).
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Was heißt „allgemeine Treue zum rechtmäßigen Papst“, wenn der rechtmäßige Papst der Lehre seiner eigenen Kirche nicht treu ist?
Wie können die Katholiken einem solchen Papst denn noch treu sein?
Man vergleiche die gefährliche westliche Lehre über den „Papstprimat“ einmal mit der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche zu diesem Thema:
Stellungnahme der Russischen Orthodoxen Kirche zum Primatsverständnis
Bei seiner Sitzung Ende Dezember 2013 verabschiedete der Heilige Synod der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) ein Dokument über den Primat in der Kirche. Die ROK nimmt damit Stellung zum 2007 in Ravenna verabschiedeten Dokument der katholischorthodoxen Dialogkommission über die ekklesiologischen und kanonischen Konsequenzen des sakramentalen Wesens der Kirche. Beim Treffen in Ravenna war die russische Orthodoxie seinerzeit nicht vertreten.
Das Dokument über den Primat behandelt diesen auf den verschiedenen Ebenen der kirchlichen Struktur in der Orthodoxie: Diözese, autokephale Kirche und Universalkirche als Gemeinschaft der autokephalen Kirchen. In den Diözesen liege der Primat seit frühchristlichen Zeiten beim Bischof, in einer autokephalen Kirche bei dem Bischof, der als Primas von einem Konzil oder einer Synode gewählt wurde: Hierbei handle es sich um eine Vollmacht des Ersten unter gleichberechtigten Bischöfen. Er leite die Kirche nicht im Alleingang, sondern in der Zusammenarbeit mit anderen Bischöfen.
Auf der Ebene der Universalkirche werde der Primat als Ehrenprimat und in Übereinstimmung mit der „Tradition der heiligen Diptychen“ ausgeübt. Seit dem Bruch der eucharistischen Gemeinschaft zwischen Rom und Konstantinopel im 11. Jahrhundert liege der Ehrenprimat in der Orthodoxen Kirche auf der gesamtkirchlichen Ebene beim Patriarchen von Konstantinopel. Die Orthodoxe Kirche habe die Lehre der Römischen Kirche über den päpstlichen Primat abgelehnt; die orthodoxen Theologen hätten immer betont, die Kirche von Rom sei eine der autokephalen Kirchen und habe nicht das Recht, ihre Jurisdiktion auf das Territorium anderer Ortskirchen auszuweiten. Im gesamten zweiten Jahrtausend und bis zum heutigen Tag habe die Orthodoxe Kirche die für die Östliche Kirche des ersten Jahrtausends charakteristische administrative Struktur bewahrt: „In der Orthodoxen Kirche gab es niemals ein einziges Zentrum der Kirchenverwaltung auf der universalen Ebene.“
Der Primat als Ehrenprimat sei von großer Bedeutung für das orthodoxe Zeugnis in der modernen Welt. In diesem Sinn könne die Kirche von Konstantinopel Initiativen auf der Ebene der Gesamtchristenheit ergreifen und sich an die Welt in Namen der ganzen Orthodoxie wenden, dazu ermächtigt von allen orthodoxen Lokalkirchen. Das Dokument schließt mit dem Hinweis, der Primat in der Kirche Jesu Christi sei dazu berufen, einen Dienst an der geistlichen Einheit ihrer Glieder zu leisten und die rechte Ordnung für ihr Leben aufrechtzuerhalten, weil Gott nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens sei (1 Kor 14,33).
(Quelle: https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2014/2–2014/stellungnahme-der-russischen-orthodoxen-kirche-zum-primatsverstaendnis-orthodoxie/)
Ergänzend lese man auch die Lehrverurteilung der Russisch Orthodoxen Kirche über die römischen Erklärung Fiducia supplicans noch einmal nach:
https://katholisches.info/2024/03/28/russisch-orthodoxe-kirche-fiducia-supplicans-lehnt-die-goettliche-offenbarte-morallehre-ab/
Frage am Rande: Wieso wird Erzbischof Carlo Maria Vigano in dem obigen Artikel eigentlich als „exkommuniziert“ bezeichnet?