Von Don Flavio Peloso*
Nach der alliierten Bombardierung Roms im August 1943, der Landung der alliierten Truppen in Anzio am 22. Januar 1944 und dem Massaker in den Fosse Ardeatine am 24. März herrschte in der Stadt Rom große Angst vor dem bevorstehenden Zusammenstoß der feindlichen Armeen, der in den Straßen der Stadt befürchtet wurde. Pius XII. rief unablässig zum Gebet auf. Die Gruppe „Freunde von Don Orione“ 1 schlug vor, ein feierliches Gelübde an die Gottesmutter abzulegen, um für die Sicherheit Roms zu bitten. Bei der Versammlung in der Kirche Santa Caterina in Magnanapoli am 12. März 1944 war es Professor Riccardo Moretti, der die Idee des Gelübdes in die Welt setzte: „Es sind so viele und so große Probleme, über die wir debattieren, daß es nur ein einziges Mittel gibt: die Anrufung der Muttergottes, wie es Don Orione 1917 tat, als er das Volk in Tortona zu einem Gelübde aufforderte.“
Am 24. April lud Papst Pius XII. das römische Volk ein, sich der Gottesmutter anzuvertrauen, die mit dem Titel Salus Populi Romani geehrt wird. Die Freunde von Don Orione griffen die Worte des Papstes auf und formulierten den folgenden Brief, in dem sie sich dem Gelübde anschlossen.
Rom, den 26. April 1944
Allerseligster Vater!
Mit dem ehrwürdigen Schreiben vom 24. April an Euren Staatssekretär, in dem Ihr eine herzliche und väterliche Einladung an das Volk von Rom richtet, im Monat Mai besondere Gebete an die Heilige Jungfrau für die Sicherheit der Urbs und den Frieden in der Welt zu richten, habt Ihr Euch wieder einmal als Defensor Civitatis erwiesen.
In eifriger und dankbarer Übereinstimmung mit dem Aufruf des gemeinsamen Vaters wird die römische Bürgerschaft, wenn sie sich nichts von den Menschen, aber alles von Gott erwarten kann, bewegt von einem lebhaften und spontanen Wunsch, nach alter Tradition die mütterliche Frömmigkeit und die mächtige Hilfe der Gottesmutter erflehen, und sie will daher ein feierliches und besonderes Gelübde ablegen, ihr Leben in christlicher Sittenstrenge zu führen und in Übereinstimmung mit Euren heiligen Weisungen, allerseligster Vater, ein konkretes Werk der Wohlfahrt und der brüderlichen Nächstenliebe zu gründen, das ein immerwährendes und lebendiges Zeugnis des Glaubens, der Liebe und der Dankbarkeit des ganzen Volkes gegenüber der großen Muttergottes, Salus Populi Romani, sein wird.
Für diese unsere Absichten erbitten wir, niedergeworfen vor Eurer Kathedra der Wahrheit, Euren väterlichen Segen.
Der Funke des Glaubens, der von diesem Freundeskreis ausging, wurde in den folgenden Tagen überall zu einem wahren Feuer der Hingabe. In etwas mehr als einem Monat wurde die Zahl von einer Million einhunderttausend Unterschriften erreicht, die sich verpflichteten.
In der Zwischenzeit waren die alliierten Truppen aufgrund der Kriegsereignisse in das römische Umland vorgedrungen und drängten vor den Toren Roms zur letzten Offensive gegen die deutschen Truppen, die ihrerseits entschlossen waren, die Stadt bis zum bitteren Ende zu verteidigen.
Man beschloß, das Gelöbnis an Maria, Salus Populi Romani, gemäß den Weisungen von Pius XII. abzulegen, und wählte die Kirche Sant’Ignazio als Ort für das Gelöbnis, wo sich vor dem Bildnis Unserer Lieben Frau der göttlichen Liebe, das zu ihrem Schutz aus dem suburbikarischen Castel di Leva herbeigebracht worden war, jeden Abend eine große Menge von Gläubigen versammelte. Am 4. Juni 1944, um 17 Uhr, im Moment der größten Angst um das Schicksal der Stadt, verlas der Kammerherr der römischen Pfarrer, Pater Gilla Gremigni, in Sant’Ignazio die Formel des Versprechens zur Rettung Roms: „1) sein Leben in christlicher Sittenstrenge zu führen, 2) zur Gründung eines Werkes der Religion und der Nächstenliebe beizutragen, damit es für Jahrhunderte die Erinnerung an die dankbare Frömmigkeit des römischen Volkes bleibe.“
Um 19 Uhr, zu Beginn der abendlichen Ausgangssperre, begannen die ersten alliierten Truppen, in die Stadt einzudringen. Zu ihrer Überraschung stießen sie entgegen allen Ankündigungen nicht auf den geringsten Widerstand von deutscher Seite. Rom hielt den Atem an. Nur wenige schliefen in dieser Nacht. In den Straßen gab es ständige Truppenbewegungen und den Lärm von Fahrzeugen, die in die Stadt ein- und ausfuhren. Am nächsten Morgen herrschte große Ruhe, die jedoch bald durch den wachsenden Jubel der Römer durchbrochen wurde, die auf die Straßen gingen, um das Ende des Alptraums des Krieges zu feiern.
Den ganzen folgenden Tag über strömten die Menschen auf den Petersplatz, bewegt und feierlich. Um 17 Uhr erschien der Papst am Fenster, um den Segen zu erteilen. Er erkannte in diesem Ereignis der Rettung die von der Gottesmutter vermittelte Gnade und sagte:
„Mit unaussprechlicher Dankbarkeit verehren wir die heiligste Muttergottes, unsere Mutter Maria, die dem Titel und dem Ruhm als Salus Populi Romani einen neuen Beweis ihrer mütterlichen Güte hinzugefügt hat, der in den Annalen der Stadt in ewiger Erinnerung bleiben wird.“
Die Bekehrung der Herzen und der Sitten war das anspruchsvollste Versprechen, das das ganze römische Volk betraf, und auch das am schwierigsten zu erfüllende. Was die Werke der Nächstenliebe und der Religion betrifft, so wurden sie mit besonderem Engagement von der Kongregation von Don Orione und Don Umberto Terenzi2 mit seiner Gemeinschaft im Heiligtum Unserer Lieben Frau von der Göttlichen Liebe durchgeführt.
In Castel di Leva lag Don Terenzi, Pfarrer und Rektor, die Wiedergeburt dieses Heiligtums am Herzen, aber zahlreiche Probleme verzögerten die Durchführung der Arbeiten zur Erfüllung des Gelübdes. Das neue Heiligtum konnte erst fünfzig Jahre später gebaut werden und wurde am 4. Juli 1999 von Johannes Paul II. eingeweiht.
Das Werk der Nächstenliebe war als erstes realisiert, durch die Orionianer. Der Kardinalvikar von Rom vertraute der Opera Don Orione zwei große Gebäude in der Via della Camilluccia auf dem Monte Mario an, die zuvor von der 1943 aufgelösten faschistischen Jugendorganisation Gioventù Italiana del Littorio genützt worden waren. Beide befanden sich in einem heruntergekommenen Zustand.
Am 8. September 1944 nahmen die Orionianer unter großen Opfern und in äußerster Armut ihre erzieherische und schulische Arbeit auf und nahmen Hunderte von elternlosen und körperlich behinderten Kindern auf. In den folgenden Jahrzehnten fanden Tausende und Abertausende von Kindern dort eine Familie, Betreuung und Vorbereitung auf eine würdige Zukunft. Noch heute wird diese karitative Tätigkeit in neuen Formen fortgesetzt.
Auch das Werk der Religion wurde auf dem Gipfel des Monte Mario verwirklicht, wo man beschloß, auf einem bereits bestehenden hohen Turm, von dem aus man einen herrlichen Blick über die ganze Stadt hat, eine große Marienstatue aufzurichten. Der berühmte Bildhauer Arrigo Minerbi3, ein untergetauchter Jude, der in dem von den Orionianern betriebenen Institut San Filippo in Rom versteckt und dadurch gerettet worden war, sagte: „Gebt mir etwas Kupfer, und ich werde euch eine große Statue machen.“ Das Epos der „Galoppini der Madonna“ (der kleinen Botschafter der Muttergottes) wurde erneuert: 1944 hatten die Orionianer zuerst Unterschriften für das Gelübde gesammelt, nun sammelten sie Kupfer für die Erfüllung des Gelübdes. Sie zogen durch die Straßen und über die Plätze der Stadt, um zerbrochene Töpfe, Kasserollen und andere ausgediente Gegenstände aus Kupfer zu sammeln, um daraus eine Statue der Madonna zu machen.
Der Bildhauer Minerbi beschloß, sich bei der Gestaltung des Antlitzes der Jungfrau vom Antlitz Christi auf dem Grabtuch inspirieren zu lassen und dachte dabei an das Sprichwort von der Ähnlichkeit der Erstgeborenen. Das Ergebnis war die große und schöne Statue der Salus Populi Romani, 9 Meter hoch, mit Blattgold überzogen, auf einem 18 Meter hohen Sockel, die eine Hand zum Himmel weisend, die andere einladend nach vorne gestreckt.
Am Ostermorgen, dem 5. April 1953, erschien die Madonnina Salus Populi Romani auf dem Monte Mario, schön, strahlend, als Mahnung an ewige Schicksale und „Erinnerung an dramatische und vorsehungsbedingte Ereignisse, die in die Geschichte und in das Gewissen der Stadt eingeschrieben sind“, wie Benedikt XVI. bei seinem Besuch 2010 sagte.
Abschließend können wir feststellen, daß die endgültige Erfüllung des Gelübdes in der Aufnahme des liturgischen Gedenkens an Maria, Salus Populi Romani, in den Kalender der Diözese Rom (Dekret vom 25. April 2023) gesehen werden kann, das jedes Jahr am 4. Juni, dem Tag der durch ein Volksgelübde erflehten Rettung Roms, stattfindet.
*Don Flavio Peloso, ehemaliger Generaloberer des Kleinen Werks der Göttlichen Vorsehung des heiligen Don Luigi Orione, war von 1987 bis 1992 Mitarbeiter von Joseph Kardinal Ratzinger an der Glaubenskongregation; seit 2016 ist er Kirchenrektor am Monte Mario und Generalpostulator seines Ordens. Erstveröffentlichung in: Radici Cristiana, Nr. 184, April–Juni 2024.
Übersetzung/Fußnoten: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
1 Don Luigi Orione (1872–1940), ein Priester aus Piemont, war ein Schüler des heiligen Johannes Bosco, auf dessen Fürsprache der schwerkranke Orione auf wundersame Weise geheilt wurde. 1895 zum Priester geweiht, gründete er das Kleine Werk der Göttlichen Vorsehung, aus dem die Orden der Söhne der Göttlichen Vorsehung und der Kleinen Missionsschwestern entstanden, die sich neben der Mission besonders der Waisenkinder annahmen. 1909 gelang es Don Orione, verkleidet, dem im Sterben liegenden ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten, dem radikalliberalen Alessandro Fortis, das Viaticum zu bringen. Fortis war ein nicht praktizierender, assimilierter Jude, der als Freimaurer des 33. Grades dem Obersten Rat der italienischen Freimaurerei angehörte, sich aber an seinem Lebensende bekehrte und katholisch wurde. Aus diesem Grund wurde er von seinen einstigen antiklerikalen und freimaurerischen Parteigängern von der Außenwelt abgeschirmt, um jeden Kontakt mit Priestern zu verhindern. Don Orione wurde von Papst Johannes Paul II. 1980 selig- und 2004 heiliggesprochen.
2 Don Umberto Terenzi (1900–1974), elftes von zwölf Kindern einer gläubigen Familie aus dem Kirchenstaat, wurde 1923 zum Priester der Diözese Rom geweiht. Der heilige Pater Pio von Pietrelcina und der heilige Don Luigi Orione waren seine geistlichen Väter. 1930 wurde er Rektor des heruntergekommenen Marienheiligtums Unserer Lieben Frau der Göttlichen Liebe in einem römischen Vorort, der damals noch von Armut, Analphabetentum und Malaria geprägt war. Anstatt Vasen wurden auch auf dem Hochaltar für die Blumen Konservendosen verwendet. Er widmete fortan sein ganzes Leben und all seine Kräfte dem Wiederaufbau dieses Heiligtums, das 1932 zur Pfarrei erhoben wurde. Dort gründete er die marianischen Orden der Töchter der Madonna der Göttlichen Liebe und der Priesteroblaten Söhne der Madonna der Göttlichen Liebe. 1955 wurde er Kammerherr der römischen Pfarrer. In besonderer Weise widmete er sich den Priestern, besonders alten und kranken und solchen, die eine Berufungskrise erlebten. 1992 wurde Don Umberto Terenzi zum Diener Gottes erklärt und 2004 sein Seligsprechungsverfahren eröffnet.
3 Arrigo Minerbi (1881–1960) entstammte einer jüdischen Familie in Ferrara, wo er auch die Ausbildung zum Bildhauer begann, die er in Florenz und Genua vervollständigte. Er wurde zu einem der bekanntesten und begehrtesten Bildhauer seiner Zeit. 1922 stellte er bei der Biennale von Venedig aus und war der von Gabriele D’Annunzio bevorzugte Bildhauer. Kardinal Ildefonso Schuster, Erzbischof von Mailand, ließ ihn 1937 die neuen Bronzetüren des Mailänder Doms ausführen. Die Aufträge waren so zahlreich, daß er sich aussuchen konnte, welche er auszuführen bereit war. Die ihm verliehene Ehrenbürgerschaft von Bondeno wurde ihm aufgrund der auch in Italien eingeführten Rassengesetze 1938 aberkannt (aber 2004 postum wieder zuerkannt). Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg mußte er sich als Jude verstecken, um der Deportation zu entgehen, und fand Zuflucht in kirchlichen Einrichtungen. Nach dem Krieg nahm er nur mehr Aufträge kirchlicher Auftraggeber an. 1958 konvertierte der mit einer Katholikin verheiratete Künstler zur katholischen Kirche.
Besonders interessant und bewegend an dem Text finde ich die drei Biographien am Ende. Es ist schon erstaunlich, wie Gott wirkt. Und es zeigt, welch spannende Lebensläufe uns vorenthalten werden, weil sie vom grossen Informationsfluss unbeachtet bleiben und ignoriert werden.