Das wahre Gesicht der Kirche sind die Märtyrer

Nigeria und Kardinal Ernest Simoni


Papst Franziskus mit Kardinal Simoni bei der Begegnung 2014
Papst Franziskus mit Kardinal Simoni bei der Begegnung 2014

Von Anto­nio Socci*

Anzei­ge

Am ver­gan­ge­nen Mitt­woch, dem 14. Febru­ar, berich­te­te der Avve­ni­re, die Tages­zei­tung der ita­lie­ni­schen Bischö­fe, daß laut einem Bericht der nige­ria­ni­schen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on Inter­so­cie­ty seit 2009 in Nige­ria etwa 52.250 Chri­sten getö­tet wur­den. Das ist nur ein Kapi­tel in einem welt­wei­ten Mar­ty­ri­um. Das ist das wah­re Gesicht der Kir­che, das nur weni­ge kennen.

An jenem Mitt­woch hat dies Papst Fran­zis­kus bei der Gene­ral­au­di­enz im Vati­kan deut­lich gemacht. Dabei geschah etwas Uner­war­te­tes. Irgend­wann rich­te­te Fran­zis­kus sei­nen Blick in der gro­ßen Audi­enz­hal­le Pao­lo VI auf einen älte­ren Prie­ster mit dem Kar­di­nals­pur­pur, der dort saß.

Sei­ne erste Begeg­nung mit ihm, am 21. Sep­tem­ber 2014, war denk­wür­dig gewe­sen. Wie Sal­va­to­re Cer­nu­zio in Vati­can­News erin­ner­te, war es „das erste Mal, daß die Welt Fran­zis­kus wei­nen sah“.

Der Papst befand sich in Alba­ni­en in der Kathe­dra­le von Tira­na und bei der Begeg­nung mit dem Kle­rus sprach ein (damals) 86jähriger Prie­ster, Ernest Simo­ni. Er war der letz­te Zeu­ge einer der grau­sam­sten Ver­fol­gun­gen des 20. Jahrhunderts.

Alba­ni­en war von sei­nem Dik­ta­tor Enver Hox­ha zum ersten athe­isti­schen Staat der Welt erklärt wor­den. Seit 1946 hat­ten die Kom­mu­ni­sten eine grau­sa­me Ver­fol­gung der katho­li­schen Kir­che ein­ge­lei­tet. Bischö­fe und Prie­ster wur­den dezimiert.

Simo­ni war 1956 unter tau­send Schwie­rig­kei­ten zum Prie­ster geweiht wor­den. An Weih­nach­ten 1963 wur­de er ver­haf­tet. Er wur­de ein­ge­sperrt, gefol­tert und zum Tode ver­ur­teilt. Das Urteil wur­de spä­ter in 25 Jah­re Zwangs­ar­beit im Berg­bau in der Spaç-Mine umge­wan­delt. Zur bestia­li­schen Här­te der Lebens­be­din­gun­gen kam noch die Fol­ter hinzu.

Wäh­rend sei­ner Haft wur­de befoh­len, ihn aus­zu­spio­nie­ren, um jedes even­tu­el­le Wort gegen das Regime sofort zu mel­den. Aber nie­mand hör­te von ihm etwas ande­res als Wor­te der Ver­ge­bung: „Jesus lehr­te, sei­ne Fein­de zu lie­ben und ihnen zu ver­ge­ben“. Nach 18 Jah­ren wur­de er zur Arbeit in die Kana­li­sa­ti­on von Shko­dra geschickt. Doch trotz des Risi­kos leb­te er stets sei­ne Mis­si­on als Prie­ster weiter.

Aus die­sen Jahr­zehn­ten erin­nert er sich mit beson­de­rer Ergrif­fen­heit an die Mes­sen, die er nachts um 2 Uhr fei­er­te: „Ich hat­te es immer dem Herrn zu ver­dan­ken, der mich beschützt und bewahrt hat“, erzählt er in einem kürz­lich geführ­ten Inter­view, „d ich im Gefäng­nis heim­lich die Mes­se fei­ern konn­te, aus dem Gedächt­nis, auf Latein. Wäh­rend der Mes­se wein­ten Mus­li­me: Freun­de, sehr gute Freun­de, mit gro­ßen Trä­nen, weil der Hei­li­ge Geist sie anzog“.

„Ein mus­li­mi­scher Pro­fes­sor, sehr freund­lich, mit sei­ner Frau gab uns Trau­ben, und wir preß­ten sie aus, um Wein dar­aus zu machen. Wir hat­ten klei­ne Kocher, um im Gefäng­nis zu essen, und mit dem Brot, das sie uns gaben, mach­ten wir Oblaten“.

„Wir fei­er­ten je nach mög­li­chen Bedin­gun­gen.… Ich habe auch Mes­sen in der Kana­li­sa­ti­on gefei­ert, vor 200 Leu­ten. Wenn mich jemand beschul­digt hät­te, wäre ich gehängt wor­den. Es war gött­li­cher Schutz. Das war nicht mein Verdienst.“

Im Jahr 1990 brach der Kom­mu­nis­mus zusam­men, und Pater Simo­ni, der end­lich frei war, beteu­er­te, dass er sei­nen Pei­ni­gern ver­zei­hen und für sie um Got­tes Erbar­men bit­ten wür­de. Dem Inter­view­er, der ihn nach dem War­um frag­te, nach so vie­len Jah­ren des Lei­dens und der Ent­beh­run­gen, ant­wor­te­te er: „Der katho­li­sche Glau­be! Jesus lieb­te und liebt mit unend­li­cher Lie­be alle Men­schen und sagt, daß die größ­te Freu­de im Para­dies für einen ein­zi­gen Sün­der sein wird, der sich bekehrt und geret­tet wird, und nicht für Mil­li­ar­den von Engeln und Hei­li­gen“.

An jenem Tag im Jahr 2014, in der Kathe­dra­le von Tira­na, tra­ten dem Papst Trä­nen in die Augen, als er sein Zeug­nis hör­te. In der Stil­le woll­te er die­sen alten Fran­zis­ka­ner­pa­ter umar­men und sei­ne Stirn an ihn drücken, der ein leben­di­ger Zeu­ge der Ver­fol­gung war.

Zwei Jah­re spä­ter, im Kon­si­sto­ri­um von 2016, ernann­te er ihn zum Kar­di­nal. Letz­ten Mitt­woch wand­te er sich bei der Audi­enz an ihn und sag­te: „Wir alle haben die Geschich­ten der frü­hen Mär­ty­rer der Kir­che gele­sen, wir haben sie gehört, so vie­le. Sogar hier, wo jetzt der Vati­kan steht, gibt es einen Fried­hof, und vie­le wur­den hier hin­ge­rich­tet und begra­ben. Wenn man Aus­gra­bun­gen macht, fin­det man die­se Grä­ber. Aber auch heu­te gibt es so vie­le Mär­ty­rer auf der gan­zen Welt, so vie­le, viel­leicht mehr als am Anfang. Es gibt so vie­le, die wegen ihres Glau­bens ver­folgt wer­den. Heu­te“, so der Papst wei­ter, „erlau­be ich mir, einen leben­den Mär­ty­rer, Kar­di­nal Simo­ni, in beson­de­rer Wei­se zu grü­ßen. Als Prie­ster, als Bischof, erleb­te er 28 Jah­re im Gefäng­nis, im kom­mu­ni­sti­schen Gefäng­nis von Alba­ni­en, viel­leicht die grau­sam­ste, grau­sam­ste Ver­fol­gung. Und er legt wei­ter­hin Zeug­nis ab. Und wie er, vie­le, vie­le. Er ist jetzt 95 Jah­re alt und arbei­tet wei­ter für die Kir­che, ohne sich ent­mu­ti­gen zu las­sen. Lie­ber Bru­der, ich dan­ke dir für dein Zeug­nis. Ich dan­ke dir.

In der Tat ist Kar­di­nal Simo­ni trotz sei­nes Alters uner­müd­lich. Er hat Flo­renz als sei­nen Wohn­sitz gewählt und reist von dort aus über­all hin, nach Euro­pa, nach Ame­ri­ka. Auch in Ita­li­en wird er von vie­len ange­ru­fen: Er zele­briert, spricht Hei­lungs­ge­be­te, Exor­zis­men („Ich dan­ke immer der Mut­ter­got­tes, Pater Pio und Johan­nes Paul II., der mir bei Exor­zis­men hilft“).

Er ist beschei­den und stark. Er wie­der­holt, daß er alles „mit der Gna­de Got­tes“ tut, er ist ein­fach „den See­len nahe“ und arbei­tet dar­an, sie mit dem Herrn zu ver­söh­nen. Zu den Ver­fol­gun­gen, die er erdul­det hat, sagt er, Jesus habe sie im Evan­ge­li­um vor­aus­ge­sagt, aber er fügt hin­zu: „Euer Lei­den wird sich in Freu­de ver­wan­deln. Eure Freu­de wird nie­mand von euch neh­men kön­nen. Es ist alles da, denn wir sind Rei­sen­de, Pas­sa­gie­re…“.

Der Papst ver­weist auf ihn als Bei­spiel, weil er das Bild für die Jugend­lich­keit der Kir­che ist. Er ist das wah­re Gesicht der Kir­che, das den Medi­en entgeht.

*Anto­nio Soc­ci stu­dier­te Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten und war in sei­ner Jugend in der radi­ka­len Lin­ken aktiv, nach der Bekeh­rung näher­te er sich der neu­en kirch­li­chen Gemein­schaft Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL) an, die er heu­te hef­tig kri­ti­siert; seit 1984 Jour­na­list, mit einer Unter­bre­chung von drei Jah­ren, in denen er die Kul­tur­ab­tei­lung der Pro­vinz Sie­na lei­te­te, Vater von drei Kin­dern, kurz­zei­tig Chef­re­dak­teur der Monats­zeit­schrift 30giorni, Kolum­nist der Tages­zei­tun­gen Il Giorn­a­le, Libe­ro, Il Foglio, 2002–2004 stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der Nach­rich­ten­re­dak­ti­on des zwei­ten staat­li­chen Fern­seh­sen­ders RAI 2, 2004–2020 Direk­tor der von der RAI und der Uni­ver­si­tät Peru­gia getra­ge­nen Hoch­schu­le für Fern­seh­jour­na­lis­mus (eine Stel­le, von der er nach Pole­mi­ken zu sei­ner Kri­tik an Papst Fran­zis­kus zurück­trat).

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Lo stra­nie­ro (Screen­shot)

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