Neun namenlose Kleriker und Laien, Theologen, Philosophen, Kirchenrechtler, Juristen und Historiker, die sich „Die Gruppe der Neun“ nennen, haben ein Thesenpapier vorgelegt. Darin stellen sie fest, daß sich die Kirchenkrise zugespitzt hat, weil sie mit großer Wucht die Spitze der Kirche, den Heiligen Stuhl, erreicht habe. Das führe zu zahlreichen Brüchen und gegensätzlichen Meinungen, weil Gläubige nach Auswegen suchen. Diese Meinungsvervielfachung sei jedoch selbst Ausdruck der Krise. Sie führe zu zusätzlichen Konflikten selbst unter jenen, die sich in der Rechtgläubigkeit einig sind, trage aber nicht zur Überwindung der Krise bei. Die Gruppe der Neun versucht daher die Formulierung eines Konsenses mit der Aufforderung, diese Gegensätze zurückzustellen. Diese These nennen sie Sedisfricationismus, abgeleitet von der saloppen italienischen Redewendung „me ne frego“, „das schert mich nicht“, vom Lateinischen fricare (reiben) im Sinne von „das berührt mich nicht“. Katholisches.info dokumentiert diesen Vorstoß als Diskussionsbeitrag und Teil einer Momentaufnahme der aktuellen, von Papst Franziskus zugespitzten Kirchenkrise.
Sedisfricationismus
Da wir uns der beispiellosen Krise bewußt sind, die die Kirche seit langem heimsucht, und in der Erkenntnis, daß unter den Guten oft Streit, Spaltung und endlose Polemik den Zustand des Petrusamtes (und der gesamten kirchlichen Hierarchie) zum Gegenstand haben, haben wir uns als Privatgelehrte (Kleriker und Laien, Theologen, Philosophen, Kanonisten, Juristen und Historiker) auf Folgendes geeinigt:
1. daß es in der Kirche eine beispiellose Krise gibt, daß in dieser Krise die echte katholische Tradition durch heterodoxe Lehren (Modernismus und Neomodernismus) überwältigt wird, daß diese Krise eine lehrmäßige, liturgische und moralische Krise ist und daß diese Krise den kirchlichen Körper (Lernende und Lehrende) bis hin zum Römischen Stuhl betrifft, verlangt keinen Beweis mehr, sondern eine Feststellung;
2. daß die Krise zwar weit zurückreichende Wurzeln, ihren Wendepunkt aber mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte, indem ein nichtkatholisches Denken in der Hierarchie bis hin zum Römischen Stuhl überhandnahm, verlangt keinen Beweis mehr, sondern eine Feststellung;
3. daß die von Paul VI. eingeführte neue Liturgie eine künstliche Konstruktion und einen objektiven Bruch mit der ungebrochenen Tradition der Kirche und dem katholischen Dogma darstellt, verlangt keinen Beweis mehr, sondern eine Feststellung;
4. es ist die Pflicht jedes Getauften, im Glaubensbekenntnis der Taufe zu verharren, d. h. im Glauben aller Zeiten, in der unveränderlichen, von den Aposteln empfangenen Lehre. Es ist die Pflicht eines jeden Getauften, in Übereinstimmung mit dem heiligen Willen Gottes, der in der göttlichen Offenbarung (Heilige Schrift und Heilige Tradition) offenbart ist, zu leben und zu beten;
5. es ist die Pflicht jedes Getauften, alles zu meiden, was seiner Seele schaden könnte, was eine Gefahr für die Integrität des Glaubens darstellen könnte;
6. angesichts des Ausmaßes und der Schwere der Krise und bis zu ihrer Lösung (Verurteilung und Ausschluß jeder heterodoxen Idee aus der Kirche, unverkürzte Rückkehr zur Überlieferung in Lehre, Liturgie und Bräuchen) ist es ein Gebot der Klugheit, den von nichtkatholischem Gedankengut beherrschten Hierarchen sowie den kirchlichen Institutionen, die sich zum Werkzeug nichtkatholischen Denkens machen, zu mißtrauen;
7. es ist klug, sich an das zu halten, was sicher ist (lex credendi, lex orandi und lex vivendi, wie sie seit jeher gelehrt werden), und die Zustimmung zu allem, was zweifelhaft ist, auszusetzen;
8. die Gläubigen, ob Kleriker oder Laien, sind nicht dazu aufgerufen, jede einzelne Lehre, jeden einzelnen liturgischen Text, jede einzelne Aussage der Hierarchie darauf zu prüfen, ob sie mit dem Glaubensgut übereinstimmt oder nicht. Vielmehr sollte man ein umsichtiges und „prophylaktisches“ Kriterium anwenden: Wenn ein nichtkatholisches Gedankengut die Hierarchie bis hin zum Römischen Stuhl infiziert hat, muß man sich vorsichtshalber an das halten, was vor der Krise gelehrt wurde, und die Zustimmung zu dem aussetzen, was danach gelehrt wurde;
9. das Aussetzen der Zustimmung ist kein „liberum examen“ [freie Prüfung], sondern ein Gebot der Klugheit zur Bewahrung des Glaubens. Indem die Zustimmung ausgesetzt wird, wird das Urteil über die Lehre (des Glaubens und/oder der Moral) und über die Lex orandi der Autorität der Kirche anerkannt und ihr überlassen: Wenn die Krise überwunden sein und die Hierarchie wieder Gewißheit über die Orthodoxie des Glaubens haben wird, wird die legitime Autorität das Urteil fällen;
10. die Krise kann als überwunden angesehen werden, wenn die Hierarchie (Papst und moralische Einstimmigkeit der Bischöfe) ununterbrochen dieselbe Lehre lehrt, die die Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gelehrt hat, und die Lex orandi der apostolischen Tradition wiederhergestellt ist;
11. aufgrund der Verwicklung auch des Römischen Stuhls in die Krise ist es legitim, sich Gedanken über den Status des päpstlichen Stuhls zu machen. Die Meinung jener ist legitim, die Jorge Mario Bergoglio für einen echten, wenn auch schwerwiegend heterodoxen Papst halten. Die Meinung jener ist legitim, die Jorge Mario Bergoglio für einen illegitimen Inhaber des Stuhls und/oder einen Gegenpapst halten. Die Meinung jener ist legitim, die den Heiligen Stuhl für vakant halten. Die Meinung jener ist legitim, die den Stuhl nur materiell besetzt sehen. Die Meinung jener ist legitim, die die Krise des Römischen Stuhls mit der Gestalt des häretischen Papstes erklären. Die Meinung jener ist legitim, die die Krise des Römischen Stuhls mit der Gestalt des schismatischen Papstes erklären. Die Meinung jener ist legitim, die hinter dem Erscheinungsbild einer einzigen Kirche die gleichzeitige Existenz von „zwei Kirchen“ sehen (demnach gäbe es in der nachkonziliaren Kirche sowohl die wahre Kirche Jesu Christi, die heilige, katholische und apostolische Kirche, als auch eine gnostische Neo-Kirche), mit dem Papst an der Spitze beider, sodaß der Papst der Stellvertreter Christi, aber auch das Haupt eines neuen Glaubens, eines neuen Kultes, einer neuen Kirche wäre. Die Meinung jener ist legitim, die die nachkonziliaren Päpste als wahre Päpste betrachten, auch wenn sie von nichtkatholischem Denken geprägt sind.
12. was Punkt 11 betrifft, so handelt es sich um Meinungen, die nicht miteinander in Einklang gebracht werden können, daher können sie nicht alle wahr sein, nur eine kann die wahre sein. Welche davon wahr ist, kann nur die oberste Autorität der Kirche beurteilen. Solange die oberste Autorität der Kirche nach Beendigung der Krise nicht geurteilt hat, bleiben sie bloße Meinungen, die legitim und anfechtbar sind;
13. da es sich um bloße Meinungen handelt, kann keine von ihnen, auch wenn sie legitimerweise vertretbar ist, ein sicheres Kriterium für die Bewältigung der Krise sein;
14. da nur die höchste Autorität der Kirche befähigt ist, die Frage bezüglich des Heiligen Stuhls zu beurteilen, wird die Entwicklung/Unterstützung der einen oder anderen These unweigerlich eine Übung sein, die zu keiner Lösung führt. Die Stuhldiskussion ist dazu bestimmt, bis zum Ende der Krise, bis zu einem bestimmten Urteil der obersten Autorität, offen und ungelöst zu bleiben;
15. Meinungsverschiedenheiten über den Heiligen Stuhl können niemals ein Grund für eine Spaltung sein, da es sich um strittige Meinungen und nicht um sichere Wahrheiten handelt;
16. unabhängig von der Meinung über den Heiligen Stuhl muß angesichts der bestehenden Krise (auch des Römischen Stuhls und der gesamten Hierarchie) die kluge Haltung in jedem Fall die sein, die Zustimmung, wie oben dargelegt, auszusetzen, bis die Krise überwunden ist.
Man nenne diese These ruhig „Sedisfricationismus“ in der doppelten Bedeutung von:
- die Frage des Heiligen Stuhls „berührt mich nicht“, da sie für uns eine unlösbare Frage ist und es daher sinnlos ist, sie zu stellen;
- „es berührt mich nicht“, was vom Heiligen Stuhl ausgeht, insofern jener, der (ob legitim oder illegitim, nur materiell oder auch formell, de facto oder de jure mag umstritten sein) auf dem Stuhl sitzt, von einem nichtkatholischen Gedankengut beherrscht ist und daher klugerweise nicht gehört werden sollte.
Die Gruppe der Neun
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Zunächst erscheint mir, die wesentliche Kernsache der Thesen ist auch an anderer Stelle zu finden.
Es gibt die MAGA-Bewegung (make Amerika great again) in den USA. Die Bewegung ist in ihrer Medienpräsenz hauptsächlich auf Twitter zu finden. Die Bewegung ist ein loses Netzwerk von Christen Amerikas. Die zentralen Aussagen sind:
„Where we go together, we go all“
„Christ is Lord“
„Love one another“
„Together we stand, devided we fall“
Die Bewegung setzt sich mit verschiedenen Dingen auseinander, die in den Mainstreammedien als Verschwörungstheorien bezeichnet werden. Einig ist man sich darüber, sich streng an den Aussagen der Bibel zu orientieren. Als Gegner werden die angesehen, die sich nicht an die Gesetze Gottes halten. Alles, was der amerikanischen Verfassung zuwider läuft, wird als falsch angesehen. Man hält Joseph Biden für einen unrechtmäßigen Präsidenten. In der Praxis sieht das lose Netzwerk der MAGA-Bewegung den Kandidaten Donald Trump als den offensichtlich als am besten geeigneten nächsten Präsidenten an.
Das ganze erscheint mir fast deckungsgleich mit der Situation in Rom. Der unrechtmäßige Präsident wäre Bergoglio. Als Gegner werden die angesehen, die sich nicht an die Bibel halten und der Lehre der Kirche zuwiderhandeln. Jesus als den einzigen Herrn anzusehen und strenge Orientierung an der Bibel sind identisch.
Im Vergleich hinken die glaubenstreuen Katholiken aller Couleur zurück. Sie sind noch nicht bis „love one another“ hervorgedrungen. Die römisch-katholische Christenheit kann noch nicht hinter verschiedenen Gegenwartsinterpretationen ihre Brüder erkennen.
Johannes 15,12: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe.“
Ich halte die hier vorgetragenen Thesen deshalb für zu zaghaft und unbestimmt. Die Errungenschaft liegt darin, eine Formulierung dafür zu postulieren, dass wir alle in einem Boot sitzen und trotz verschiedener Gegenwartsinterpretationen gemeinsam gehen müssen. Leider fehlt das wichtigste. Eine zentrale Bekundung zu Jesus Christus ist nicht vorhanden.