Sandro Magister, der heimliche Doyen der Vatikanisten, befaßte sich in einem seiner jüngsten Aufsätze mit den jüngsten päpstlichen Maßnahmen gegen das Opus Dei (s. auch Dolchstoß von Papst Franziskus gegen das Opus Dei). In den vergangenen Wochen war die Freude groß und unverhohlen in bestimmten Kreisen, die darüber jubelten, daß endlich Schluß sei mit der „Extrawurst“ für das Opus Dei, so Ulrich Fricker in der Herder Korrespondenz. Hier Magisters Text:
Es bedurfte eines Jesuitenpapstes, um das Opus Dei zu demolieren
Von Sandro Magister
Über die Feindschaft zwischen der Societas Jesu (Gesellschaft Jesu, Jesuitenorden) und dem Opus Dei (Werk Gottes) ist viel gesagt worden. Aber die Oberen des Werkes dachten und befürchteten schon zu Beginn, daß die Legende Wirklichkeit werden würde, als der Jesuit Jorge Mario Bergoglio 2013 den Thron des Petrus bestieg. Ihr Entschluß war es, sich in völliges Schweigen zurückzuziehen, in den Schatten zu treten wie ein Maulwurf in seinem Loch, in der Hoffnung, daß dieses Pontifikat ohne Schaden für sie vorübergehen würde, ohne ihre Errungenschaften der goldenen Jahre unter Benedikt XVI. und noch mehr unter Johannes Paul II. zunichte zu machen.
Stattdessen ist genau das passiert. Zuerst mit einem langsamen Schritt, dann mit einer zunehmend beschleunigten Bewegung, bis Papst Franziskus im August dieses Jahres mit dem letzten Schlag das zerstörte, was das Opus Dei über Jahrzehnte aufgebaut hatte.
Am Titel ändert sich nichts: Das Werk ist weiterhin eine „Personalprälatur“, die einzige mit dieser Qualifikation in der Kirche. Doch Papst Franziskus hat es, zunächst mit der Apostolischen Konstitution Praedicate evangelium vom 19. März 2022, dann mit dem Apostolischen Schreiben Ad charisma tuendum vom darauffolgenden 14. Juli und schließlich mit dem Motu proprio vom 8. August 2023, seiner Substanz beraubt und zu einer „öffentlichen Klerikervereinigung päpstlichen Rechts mit der Möglichkeit der Inkardinierung von Geistlichen“ herabgestuft, das heißt, zu einem einfachen Zusammenschluß von Priestern, heute ungefähr 2.000, und dem Vatikanischen Dikasterium für den Klerus unterstellt, ohne Autorität mehr über die 90.000 Laien, die die eigentliche Stärke der Gesellschaft waren und die nun wieder kanonisch allein von ihren jeweiligen Pfarrern und Bischöfen abhängig sind. Genau das, denn das ist es, was der neue, von Franziskus modifizierte Canon 296 des Kodex des Kirchenrechts festlegt, der sich wiederum auf Canon 107 desselben Kodex bezieht (es sei denn, die gegenteilige Interpretation von Juan Ignacio Arrieta, Sekretär des Dikasteriums für Gesetzestexte, gilt, wonach gemäß Canon 302 desselben Kodex die einfach als „Kleriker“ definierten Vereine zwar von Geistlichen geleitet werden, sich aber auch aus Gläubigen zusammensetzen).
In den Bestrebungen des Opus Dei, die in den goldenen Jahren weitgehend verwirklicht werden konnten, sollte die Personalprälatur eine Art Diözese ohne eigenes abgegrenztes Territorium sein, sondern sich auf die ganze Welt erstrecken, mit ihrem Bischof in der Person des Prälaten des Werkes, ihren Priestern und ihren Gläubigen. Sie mußte daher in dieser ganz besonderen Form Teil der hierarchischen Struktur der Kirche sein und in der Kurie die Kongregation der Bischöfe zum Bezugspunkt haben.
Die Errichtung des 1928 gegründeten Opus Dei als Personalprälatur geht auf das Jahr 1982 zurück, sieben Jahre nach dem Tod des Gründers, des Spaniers Josemaría Escrivá de Balaguer, der 2002 heiliggesprochen wurde. Dann aber, anders als es angestrebt war, wurde es im Kodex des Kirchenrechts von 1983 nicht den hierarchischen Strukturen der Kirche zugeordnet, sondern dem Kapitel „De populo Dei“.
Andererseits werden Escrivás Nachfolger zu Bischöfen ernannt: zuerst Álvaro del Portillo, dann Javier Echevarría, der im Amt war, als Bergoglio Papst wurde. Nach seinem Tod im Jahr 2017 folgte ihm der derzeitige Prälat Fernando Ocáriz nach, dem Franziskus jedoch die Bischofswürde nicht verlieh. Und dies war bereits der erste Schlag, den der Jesuitenpapst dem Werk Gottes versetzte. Es war das Vorspiel für das anschließend ab 2022 folgende absolute Verbot, dem Prälaten die Bischofsweihe zu spenden, obwohl ihm das Recht belassen wurde, „die entsprechenden Insignien“ verwenden zu können, die einem Ehrentitel als Apostolischer Protonotar supra numerum zustehen.
Zu Beginn des Pontifikats von Franziskus verfügte das Opus Dei über zwei prominente Kardinäle: in der Kurie Julián Herranz Casado, einen maßgeblichen Kanonisten; in Peru Juan Luis Cipriani Thorne, Erzbischof von Lima. Darüber hinaus gab es auf der ganzen Welt zahlreiche Diözesen, die von Mitgliedern des Werkes geleitet wurden: allein in Peru ein halbes Dutzend, alle mit konservativ orientierten Bischöfen, als deren Gegenspieler, punktgenau laut Drehbuch, Jesuitenbischöfe der entgegengesetzten Orientierung entgegentraten.
Tatsache ist, daß unter der Herrschaft von Franziskus die Kardinäle Herranz und Cipriani Thorne, auch aus Altersgründen, schnell von der Bühne verschwanden und auch die Diözesanbischöfe des Werks nach und nach verschwinden. Heute gibt es in Peru nur noch einen, Ricardo García García, an der Spitze der winzigen Territorialprälatur Yauyos-Cañete-Huarochiri.
Im Jahr 2016 erfolgte die Ernennung des US-Amerikaners Greg Burke, ehemaliger Rom-Korrespondent von Fox News und des Time Magazine, zum Direktor des vatikanischen Presseamtes und Vatikansprecher. Burke war „Numerarier“ des Opus Dei, also ein unverheiratetes Laienmitglied mit Keuschheits‑, Armuts- und Gehorsamsgelübde, wie unter Johannes Paul II. bereits Vatikansprecher Joaquín Navarro-Valls.
Burke trat die Nachfolge des Jesuiten Federico Lombardi an und war jahrelang im Staatssekretariat mit der Bezeichnung Senior Communication Advisor buchstäblich auf diese Aufgabe hin aufgebaut worden. Tatsächlich behandelte ihn der Papst jedoch sehr schlecht, indem er seine eigenen persönlichen Kommunikationsbeauftragten einsetzte und das Presseamt systematisch umging.
Im Oktober 2018, während der Jugendsynode, wurde Burke sogar seine Aufgabe verweigert, das tägliche Pressebriefing über das Geschehen in der Synodenversammlung abzuhalten. Am folgenden 31. Dezember trat er von seinem Amt zurück und mit ihm auch seine Stellvertreterin, die Spanierin Paloma García Ovejero.
Heute spielt das Opus Dei im Vatikan keinerlei wichtige Rolle mehr, nachdem es im Jahr 2012 mit der Entfernung des „Supranumerariers“ Ettore Gotti Tedeschi bereits die Präsidentschaft der Vatikanbank IOR verloren hatte. In der Welthierarchie ist José Horacio Gómez, seit 2010 Erzbischof von Los Angeles und von 2016 bis 2019 Vorsitzender der US-Bischofskonferenz, heute das einzige prominente Mitglied des Werkes, wurde jedoch von Papst Franziskus nie zum Kardinal erhoben.
Umgekehrt hingegen wächst rund um den amtierenden Papst der Jesuitenhofstaat dramatisch an, angeführt von drei Kardinälen: dem Luxemburger Jean-Claude Hollerich, Generalberichterstatter der Synodalitätssynode, dem Kanadier Michael Czerny und dem Italiener Gianfranco Ghirlanda, alle mit Hauptrollen. Es gibt noch einen vierten Jesuitenkardinal, den Spanier Luis Francisco Ladaria Ferrer, scheidender Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, aber er hatte den Fehler, mit den von Franziskus zugelassenen abweichenden Lehrmeinungen nicht einverstanden zu sein, der sich seiner befreite, indem er ihn in den Ruhestand schickte und durch eine Figur mit diametral entgegengesetzter Ausrichtung ersetzte.
Am Tag nach dem päpstlichen Motu proprio vom 8. August erklärte der Prälat des Opus Dei Ocáriz seine völlige Unterwerfung unter die Maßnahmen. Was ein großer Experte auf diesem Gebiet, Giancarlo Rocca, Priester der Gesellschaft des Heiligen Paulus und seit 1969 Leiter des monumentalen „Dizionario degli istituti di perfezione“ („Wörterbuchs der Ordensgemeinschaften“), in Settimana News wie folgt zusammenfaßt:
„Papst Franziskus hat das Opus Dei auf einen Status herabgestuft, der noch niedriger ist als der eines Säkularinstituts, als das es 1950 anerkannt wurde, mit dem Stolz, das erste Säkularinstitut und damit Modell derselben gewesen zu sein. Als weltliches Institut hatte das Opus Dei damals einen Generalvorsitzenden und konnte Priester und Laien inkardinieren. Nach der neuen Formel von Papst Franziskus können nur Geistliche in die neue öffentliche Klerikervereinigung inkardiniert werden, die dem Dikasterium für den Klerus unterstellt ist. Es ist offensichtlich, daß dem Opus Dei die Laien entzogen werden, die seine Stärke ausmachten und die nicht länger als seine Mitglieder betrachtet werden können.“
Geraldina Bon, Professorin für Kirchenrecht an der Universität Bologna, wiederum hat einen „nur mühsam lösbaren Widerspruch“ ausgemacht in der von Franziskus vorgenommenen Assimilierung zwischen der noch immer für das Opus Dei geltenden Qualifikation als „Personalprälatur“ und seiner Neudefinition als Verein, der ausschließlich aus Klerikern besteht.
Aber nur wenige scheinen sich um diese x‑te Verwirrung zu kümmern, die der amtierende Papst herbeigeführt hat, vielleicht auch wegen der weit verbreiteten Abneigung, durch die das Opus Dei seit Jahrzehnten bestraft wird, unabhängig von seinen tatsächlichen Vorzügen oder Fehlern.
Ein eindrucksvoller Beweis für diese historische Abneigung kann beispielsweise hier in diesem 2003 posthum veröffentlichten Gespräch zwischen vier berühmten und geschätzten italienischen katholischen Intellektuellen gelesen werden, von denen der erste, der Politiker und Priester Giuseppe Dossetti, eine Schlüsselfigur bei der Entwicklung des Zweiten Vatikanischen Konzils war.
Es scheint nicht, als würde Bergoglio sehr anders über das Opus Dei denken als jene Runde, wenn man betrachtet, wie er als Papst das Werk Gottes reduzierte.
PS: Einige Hinweise des Opus-Dei-Priesters Rudolf Lorenz aus Finnland zu Magisters Artikel, die Magister im Anhang veröffentlichte, wurden bereits in die Übersetzung eingearbeitet.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshot)