Frühe, innige Beziehung zu Jesus

„Mein Herz wird triumphieren“: Die Autobiografie der Seherin Mirjana Soldo von Medjugorje in deutscher Ausgabe erschienen


Medjugorje

Von Chri­sti­an Spaemann*

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Die zuerst 2016 in eng­li­scher Spra­che ver­öf­fent­lich­te Auto­bio­gra­phie der Sehe­rin von Med­jug­or­je, Mir­ja­na Sol­do (geb. Dra­giče­vić), ist weit­ge­hend unbe­merkt im ver­gan­ge­nen Jahr in deut­scher Über­set­zung erschie­nen. Die inzwi­schen 57-jäh­ri­ge Ehe­frau, Mut­ter und Groß­mutter unter­schei­det sich in ihrer Bio­gra­fie wesent­lich von den ande­ren fünf Sehern Med­jug­or­jes, die alle­samt im bäu­er­li­chen Umfeld die­ses Ortes auf­ge­wach­sen sind. Mir­ja­na hin­ge­gen trennt eine Gene­ra­ti­on von die­ser Welt. Bei­de Eltern stam­men zwar aus die­sem Milieu, sind aber als jun­ges Paar von Med­jug­or­je nach Sara­je­vo gezo­gen. Die Mut­ter hat sich als Köchin in einer Groß­kü­che ver­dingt, der Vater war Rönt­gen­as­si­stent in einem Kran­ken­haus. Hier befin­den wir uns bereits mit­ten in die­sem typisch klein­bür­ger­li­chen Leben im Plat­ten­bau einer Groß­stadt in der Welt des Kom­mu­nis­mus. Auf der einen Sei­te die Mut­ter, von der Arbeit gestresst, etwas rau, aber durch und durch gut­mü­tig, auf der ande­ren Sei­te der Vater, eher etwas geruh­sam, mit einem wei­chen Her­zen, und schließ­lich die Toch­ter, Mir­ja­na, bis zu ihrem neun­ten Lebens­jahr Ein­zel­kind, sein Augenstern.

Frühe, innige Beziehung zu Jesus

Man lebt den Glau­ben der kroa­ti­schen Her­kunft auf das Wesent­li­che beschränkt, aber leben­dig. Von Mari­en­er­schei­nun­gen wie in Lour­des oder Fati­ma hat man nie gehört. Sonn­tags geht man nach Sankt Anto­ni­us zu den Fran­zis­ka­nern in die hei­li­ge Mes­se, wo Mir­ja­na auch den Reli­gi­ons­un­ter­richt besucht. Zuhau­se besit­zen die Eltern ledig­lich ein Gebet­buch, das sie zur Hoch­zeit bekom­men haben. Anson­sten muss man sich dem jugo­sla­wi­schen Tito-Regime anpas­sen. Erst spä­ter erfährt Mir­ja­na, dass Groß­va­ter und Onkel müt­ter­li­cher­seits von genau die­sem Regime ver­schleppt und ermor­det wur­den. Im säku­la­ren und zugleich mul­ti­re­li­giö­sen All­tag Sara­je­vos sind Tole­ranz und Respekt selbst­ver­ständ­li­che und geleb­te Grund­ein­stel­lung in ihrem Elternhaus.

Mir­ja­na beschreibt sich in ihrer Kind­heit als ein eher schüch­ter­nes, emp­find­sa­mes, durch­aus ver­wöhn­tes, aber folg­sa­mes Mäd­chen. Eine frü­he, inni­ge Bezie­hung zu Jesus wird ange­deu­tet. Sie erscheint hoch begabt und besucht eines der besten Gym­na­si­en Sara­je­vos. Eine Beson­der­heit prägt ihr Leben vor Beginn der Erschei­nun­gen. Ein­mal im Jahr besucht die Fami­lie ihre Ver­wandt­schaft in Med­jug­or­je. Trotz har­ter Arbeit auf den Tabak­fel­dern in sen­gen­der Hit­ze liebt Mir­ja­na das Zusam­men­sein mit ihren Ver­wand­ten auf dem Land, ins­be­son­de­re mit ihren Cou­si­nen so sehr, dass sie regel­mä­ßig ihre gan­zen Som­mer­fe­ri­en dort ver­bringt, wäh­rend sich ihre Eltern und ihr Bru­der Miro an der Adria erholen.

Einsamer Kreuzweg im Plattenbau in Sarajevo

Vor die­sem Hin­ter­grund geschieht im Som­mer 1981 das Unglaub­li­che. In den Wochen zuvor spürt Mir­ja­na zuneh­mend einen für sie selbst nicht erklär­ba­ren Drang, sich zurück­zu­zie­hen und zu beten. In den Schul­pau­sen sucht sie hier­für regel­mä­ßig eine nahe­ge­le­ge­ne ortho­do­xe Kir­che auf. Kurz nach Beginn der Som­mer­fe­ri­en bricht die inzwi­schen 16-Jäh­ri­ge mit dem Zug von Sara­je­vo nach Mostar auf, wo sie wie üblich von ihrem Onkel abge­holt und nach Med­jug­or­je gebracht wird. Nur weni­ge Tage spä­ter, am Abend des 24. Juni, dem Hoch­fest der Geburt Johan­nes des Täu­fers, sieht sie zunächst zusam­men mit ihrer Freun­din Ivan­ka, dann mit den hin­zu­kom­men­den ande­ren Kin­dern erst­mals die Got­tes­mut­ter auf dem Hügel Pod­brdo, dem heu­ti­gen Erschei­nungs­berg. Nun neh­men die Ereig­nis­se ihren Lauf. Kern der Bot­schaf­ten, die von Med­jug­or­je aus­ge­hen, ist die Ver­söh­nung der Men­schen mit Gott und unter­ein­an­der sowie die Auf­for­de­rung zum Gebet. Mir­ja­na wird bereits nach eini­gen Wochen wie­der auf ihren Son­der­weg zurück­ge­führt. Die Poli­zei bringt sie kur­zer­hand zu ihren Eltern nach Sarajevo.

Nun beginnt für sie und ihre Fami­lie, die vom ersten Tag der Erschei­nun­gen an hin­ter ihr steht, ein wah­rer Kreuz­weg. Auf der einen Sei­te die täg­li­che Begeg­nung mit der Got­tes­mut­ter, unter kon­spi­ra­ti­ven Bedin­gun­gen in der klei­nen Plat­ten­bau­woh­nung, ab und an im Bei­sein eini­ger Freun­de oder Prie­ster. Auf der ande­ren Sei­te die Ver­fol­gung durch die Kom­mu­ni­sten. Bis in die Bou­le­vard­zei­tun­gen hin­ein wird Mir­ja­na öffent­lich lächer­lich gemacht und als kroa­ti­sche Natio­na­li­stin dif­fa­miert. Sie ist fast täg­lich ernied­ri­gen­den und bedroh­li­chen Ver­hö­ren aus­ge­setzt, denen sie mit erstaun­li­cher Festig­keit und der Bereit­schaft begeg­net, nöti­gen­falls ihr Leben zu geben. Sie wird aus dem Gym­na­si­um gewor­fen und lan­det in einer Schu­le mit Jugend­li­chen aus pre­kä­ren sozia­len Ver­hält­nis­sen, zu denen sich eine beson­de­re Bezie­hung ent­wickelt. Dem Vater droht der Ver­lust sei­nes Arbeits­plat­zes. In einem Alter, in dem man sich ger­ne mit Gleich­alt­ri­gen trifft, wer­den alle sozia­len Kon­tak­te von den Kom­mu­ni­sten torpediert.

Botschaften von außerordentlicher Tiefe

Es bleibt Mir­ja­na nichts ande­res übrig, als sich zurück­zu­zie­hen. Sie möch­te ihre Fami­lie nicht bela­sten, das ver­schlos­se­ne Bade­zim­mer ist der ein­zi­ge Ort, an dem sie ihren Gefüh­len frei­en Lauf las­sen kann. Das Ende der täg­li­chen Erschei­nun­gen zu Weih­nach­ten 1982 ist für sie herz­zer­rei­ßend. Mir­ja­na braucht lan­ge, bis sie den Ver­lust des täg­li­chen Kon­takts zur Got­tes­mut­ter wirk­lich anneh­men kann. Die Jung­frau ver­spricht aller­dings, ihr ein­mal jähr­lich bis zum Ende ihres Lebens zu erschei­nen. Mit­hil­fe ihrer Schul­di­rek­to­rin kann sie ent­ge­gen den Absich­ten des Regimes matu­rie­ren und schreibt sich an der Uni­ver­si­tät ein. Dort wird sie von den Pro­fes­so­ren, die alle­samt der kom­mu­ni­sti­schen Par­tei ange­hö­ren, iden­ti­fi­ziert und schließ­lich so sehr gemobbt, dass sie im zwei­ten Stu­di­en­jahr auf­gibt. 1987 begin­nen zusätz­lich zu den jähr­li­chen Erschei­nun­gen jene an jedem zwei­ten des Monats, die bis zum Jahr 2020 anhal­ten sol­len. Die Bot­schaf­ten, die Mir­ja­na hier erhält, sind von außer­or­dent­li­cher Tie­fe. Es fol­gen der Umzug nach Med­jug­or­je, Hei­rat, Grün­dung einer eige­nen Fami­lie, Rei­sen um die gan­ze Welt, um Zeug­nis zu geben, Kriegs­wir­ren und ein bis heu­te anhal­ten­der, inten­si­ver Kon­takt zu den Pil­gern. Ita­lie­nisch und Eng­lisch spricht sie inzwi­schen fließend.

Durch alles hindurch pulsiert die Liebe

Mir­ja­na bekommt von der Got­tes­mut­ter den beson­de­ren Auf­trag, für die­je­ni­gen zu beten, „die die Lie­be Got­tes noch nicht erkannt haben“. Auf die­se For­mu­lie­rung wird beson­ders Wert gelegt, da sie gegen­über den Ungläu­bi­gen nichts Abwer­ten­des ent­hält. Durch alles hin­durch pul­siert die Lie­be. Mir­ja­na beschreibt ihre Begeg­nun­gen mit der Got­tes­mut­ter als stoff­lich-real. Die Erschei­nun­gen wer­den von ihr rea­ler erlebt als unse­re dies­sei­ti­ge Welt. Maria erscheint unsag­bar schön und vol­ler Lie­be. Zudem nimmt Mir­ja­na beson­ders die Ent­schie­den­heit der Got­tes­mut­ter wahr, uns Men­schen zu hel­fen. Inso­fern wirkt Maria offen­sicht­lich kraft­voll, zugleich aber vol­ler Sen­si­bi­li­tät für die Nöte der Men­schen und mit Trä­nen auf den Wan­gen, sobald es um den Zustand unse­rer See­len und der Welt geht. Maria in die Augen zu schau­en sei, wie im Him­mel zu sein, so Mir­ja­na. Ent­spre­chend schmerz­haft ist es für sie, wenn die Erschei­nung zu Ende geht.

Bemer­kens­wert ist auch die Schil­de­rung der jen­sei­tig-mate­ri­el­len Ele­men­te in den Erschei­nun­gen, wie zum Bei­spiel die der Klei­dung der Mut­ter­got­tes oder des sie umge­ben­den blau­en Him­mels. Es gibt hier kei­ne Tren­nung vom Bereich des See­li­schen. Durch alles hin­durch pul­siert die Lie­be. Ent­spre­chend ist eine auch nur annä­hern­de bild­li­che oder aku­sti­sche Wie­der­ga­be des­sen, was Mir­ja­na in den Erschei­nun­gen erlebt, unmög­lich. Ein wesent­li­cher und für uns alle bedeut­sa­mer Punkt scheint zu sein, dass die geseg­ne­te Jung­frau in den Erschei­nun­gen nicht per­sön­lich zu Mir­ja­na spricht. Sie nimmt somit uns gegen­über kei­ne Son­der­stel­lung bei der Got­tes­mut­ter ein. Sie ist nicht mehr und nicht weni­ger als eine Bot­schaf­te­rin. Mir­ja­na betont immer wie­der, dass wir der Mut­ter­got­tes genau­so begeg­nen kön­nen wie sie. Der ein­zi­ge Unter­schied sei, dass wir sie nicht optisch sehen kön­nen. Mit dem Her­zen hin­ge­gen könn­ten wir sie jeder­zeit sehen. Wenn wir uns des­sen gewahr wer­den und die­se Erkennt­nis auch auf Chri­stus und den himm­li­schen Vater über­tra­gen, kann dies weit­rei­chen­de Kon­se­quen­zen für das geist­li­che Leben haben. Die Preis­ga­be eini­ger weni­ger inti­men Sät­ze, wie sie Mir­ja­na in ihrer per­sön­li­chen Begeg­nung mit Maria typi­scher­wei­se über die Lip­pen kom­men, kann als beson­de­res und ergrei­fen­des Geschenk an den Leser und Höhe­punkt des Buches ange­se­hen werden.

Es lohnt sich, die Auto­bio­gra­fie Mir­ja­nas mit der Lek­tü­re des bei der „Gebets­ak­ti­on Med­jug­or­je Wien“ erschie­ne­nen Gesprächs­ban­des der Jour­na­li­stin Sabri­na Čović-Rado­jičić und eini­gen der zahl­rei­chen im Inter­net auf­find­ba­ren Vide­os zu ver­knüp­fen, in denen die Sehe­rin zu Wort kommt und bei denen man Zeu­ge der außer­or­dent­li­chen Qua­li­tät ihrer Eksta­sen wer­den kann. Mir­ja­na zeigt sich dann nach und nach in ihrer gan­zen Viel­schich­tig­keit. Schön­heit, Boden­stän­dig­keit, Festig­keit, tie­fe Stim­me, Klug­heit und eigen­stän­di­ges Urteil ver­knüp­fen sich mit weib­li­cher Sen­si­bi­li­tät, Har­mo­nie­be­dürf­tig­keit und Emp­find­sam­keit. Nimmt man ihren Humor hin­zu, kom­po­niert sich dies zu einer ein­drucks­vol­len und über­zeu­gen­den Frau­en­ge­stalt der Gegen­wart, die auch auf mensch­li­cher Ebe­ne Ori­en­tie­rung geben kann.

Mir­ja­na Sol­do: Mein Herz wird tri­um­phie­ren. Hard­co­ver, 438 Sei­ten. Her­aus­ge­ber: Mati­ca Hrvat­s­ka Čit­luk, 2022. Zu bezie­hen unter ande­rem beim Miri­am-Ver­lag. 22,- Euro.

*Chri­sti­an Spae­mann, Fach­arzt für Psych­ia­trie, Psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Medi­zin, Sohn von Prof. Robert Spae­mann, Enkel von Hein­rich Spaemann

Erst­ver­öf­fent­li­chung: Die Tages­post
Bild: Kri­sti­ne Full/​Flickr/​Buchumschlag

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